Ist auf Grund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen, der auf Grund eines Rechtsbehelfs des Steuerpflichtigen durch die Finanzbehörde zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wird, so können aus dem Sachverhalt nachträglich durch Erlass oder Änderung eines Steuerbescheides die richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen werden (§ 174 Abs. 4 Sätze 1 und 2 AO). Werden die steuerlichen Folgen innerhalb eines Jahres gezogen, ist der Ablauf der Festsetzungsfrist unbeachtlich (§ 174 Abs. 4 Satz 3 AO). Dies gilt auch gegenüber Dritten, wenn sie an dem Verfahren, das zur Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Steuerbescheides geführt hat, beteiligt waren (§ 174 Abs. 5 Satz 1 AO). Ihre Hinzuziehung zu diesem Verfahren ist zulässig (§ 174 Abs. 5 Satz 2 AO).

Die Anordnung der Hinzuziehung durch das Finanzamt nach § 174 Abs. 5 Satz 2 AO setzt danach voraus, dass ein Steuerbescheid möglicherweise wegen irriger Beurteilung eines Sachverhalts aufzuheben oder zu ändern ist und dass hieraus möglicherweise steuerrechtliche Folgerungen für einen Dritten durch Erlass oder Änderung eines Steuerbescheides gezogen werden können.
Darüber hinaus setzt die Anwendung des § 174 Abs. 4 Satz 3 AO dem Dritten gegenüber grundsätzlich voraus, dass dieser vor Ablauf der Festsetzungsfrist hinzugezogen oder beigeladen worden ist1. Hinzuziehung und Beiladung kommen nur dann nicht in Betracht, wenn die Interessen Dritter durch den Ausgang des anhängigen Rechtsstreits eindeutig nicht berührt sein können2.
Indes ist im Hinzuziehungsverfahren wie auch im Beiladungsverfahren noch nicht abschließend zu prüfen, ob die übrigen formellen und materiellen Voraussetzungen für eine Änderung des Steuerbescheides vorliegen; denn die Hinzuziehung darf die Entscheidung in der Hauptsache nicht vorwegnehmen3. Die Hinzuziehung dient vielmehr lediglich der frühzeitigen Beteiligung aller Betroffenen und damit der richtigen Besteuerung4. Danach reicht es auch für eine Hinzuziehung gemäß § 174 Abs. 5 Satz 2 AO aus, dass sich bei einem Erfolg des Einspruchs eine Folgeänderung i.S. des § 174 Abs. 4 und 5 AO ergeben kann. Hingegen ist nicht zu prüfen, ob eine etwaige Folgeänderung Bestand hätte5.
Bei der Vorschrift des § 174 Abs. 4 Satz 1 AO handelt es sich um eine gegenüber den Tatbeständen der Absätze 1 bis 3 eigenständige Änderungsnorm, die nicht auf die Fälle der alternativen Erfassung eines bestimmten Sachverhalts beschränkt ist6. Auch eine rechtliche Abhängigkeit der „Folgeänderung“ wird in § 174 Abs. 4 Satz 1 AO nicht vorausgesetzt7. Nach dem Wortlaut des § 174 Abs. 4 und 5 AO genügt es vielmehr, dass ein und derselbe Sachverhalt sowohl bei dem Steuerpflichtigen als auch bei dem Dritten erfasst und dabei irrig beurteilt worden ist. Nach einer Richtigstellung der rechtlichen Beurteilung zugunsten des einen Steuerpflichtigen kann damit korrespondierend aus demselben einheitlichen Lebenssachverhalt die rechtliche Folgerung auch bei dem anderen Steuerpflichtigen im Wege der Änderung seiner bestandskräftigen Steuerfestsetzung gezogen werden8. Eine Folgeänderung in diesem Sinn kommt z.B. in Betracht, wenn, wie im Streitfall, die Frage streitig ist, wem (hier: der Ehefrau oder dem Ehemann) ein bestimmter Gegenstand (hier: das Objekt D) und dementsprechend bestimmte Einkünfte zuzurechnen sind9.
Für eine Hinzuziehung nach § 174 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. Abs. 4 AO reicht es aus, dass möglicherweise aus einem einheitlichen Lebensvorgang steuerrechtliche Folgen für (irgend)eine Steuer sowohl beim Steuerpflichtigen als auch bei dem Dritten zu ziehen sind. Ein und derselbe Sachverhalt soll nach § 174 Abs. 4 und 5 AO bei beiden deckungsgleich -sei es mit denselben oder mit unterschiedlichen Rechtsfolgen- beurteilt werden können10.
Im Übrigen steht der Umstand der Zusammenveranlagung der Ehegatten einer Hinzuziehung der Ehefrau zu dem Einspruchsverfahren des Ehegatten nicht entgegen. § 26b EStG bestimmt, dass bei der Zusammenveranlagung von Ehegatten die Einkünfte, die die Ehegatten erzielt haben, zusammengerechnet, den Ehegatten gemeinsam zugerechnet und, soweit nichts anderes vorgeschrieben ist, die Ehegatten sodann gemeinsam als Steuerpflichtige behandelt werden. Aufgrund dieser Zusammenveranlagung sind die Ehegatten Gesamtschuldner der Einkommensteuer (§ 44 Abs. 1 AO). Für den Fall, dass mehrere Steuerpflichtige eine Steuer als Gesamtschuldner schulden, ermöglicht das Gesetz gemäß § 155 Abs. 3 Satz 1 AO, den Erlass zusammengefasster Steuerbescheide. Ein in der Form des § 155 Abs. 3 Satz 1 AO ergangener Zusammenveranlagungsbescheid enthält zwei inhaltlich und verfahrensrechtlich selbständige, nur der äußeren Form nach zusammengefasste Verwaltungsakte, die ein unterschiedliches (verfahrens)recht-liches Schicksal haben können11. Verfahrensrechtlich sind die zusammenveranlagten Ehegatten zwei Steuerschuldner12, folglich auch Dritte im Hinblick auf § 174 Abs. 5 AO.
Die Hinzuziehung der Ehefrau im Zeitpunkt des Bescheids war vorliegend auch noch möglich: Grundsätzlich ist der Ablauf der Festsetzungsfrist gemäß § 174 Abs. 4 Satz 3 AO unbeachtlich, wenn die steuerlichen Folgerungen innerhalb eines Jahres nach Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Steuerbescheids gezogen werden.
Gegenüber einem Dritten sieht die Rechtsprechung die darin liegende Zurückdrängung des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit zugunsten der Rechtsrichtigkeit in Einengung des reinen Gesetzeswortlauts grundsätzlich nur dann als gerechtfertigt an, wenn dieser vor Ablauf der Festsetzungsfrist für die gegen ihn gerichteten steuerlichen Ansprüche hinzugezogen oder beigeladen wird13. Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass der Dritte, der nicht durch eigene verfahrensrechtliche Initiativen auf eine Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Bescheids hinwirkt und typischerweise deshalb auch keine Kenntnisse hinsichtlich der Auswirkungen der Korrektur hat, mit Ablauf der ihn betreffenden Festsetzungsfrist endgültig auf die Bestandskraft der ihm gegenüber erfolgten oder ggf. unterbliebenen Besteuerung vertrauen darf.
Wird der Dritte aber förmlich an dem vom bisherigen Steuerschuldner betriebenen Verfahren beteiligt, kann er dieses durch eigene Verfahrenserklärungen beeinflussen. In diesem Fall ist eine Durchbrechung der Bestandskraft auch ihm gegenüber außerhalb der allgemeinen Festsetzungsverjährung gerechtfertigt.
Eine schützenswerte Vertrauensposition ist dementsprechend ebenfalls nicht gegeben, wenn der Dritte bereits i.S. des § 174 Abs. 5 Satz 1 AO an dem Verfahren, das zur Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Steuerbescheids geführt hat, beteiligt war14. Dies ist nicht nur dann der Fall, wenn er Verfahrensbeteiligter i.S. des § 359 AO oder § 57 der Finanzgerichtsordnung (FGO) war, sondern auch dann, wenn er durch eigene verfahrensrechtliche Initiative auf die Aufhebung oder Änderung des Bescheides hingewirkt hat, z.B. indem er den entsprechenden Aufhebungs- oder Änderungsantrag gestellt hatte15.
Entscheidend ist letztlich der Zeitpunkt der erstmaligen Beteiligung des Dritten an dem Verfahren, das die angefochtenen fremden Bescheide zum Gegenstand hat. Um den Vertrauensschutz des Dritten zurückzudrängen, muss seine Beteiligung zu einem Zeitpunkt erfolgen, an dem ihm gegenüber noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten ist16. Ist dies der Fall, durchbricht § 174 Abs. 4 Satz 3 AO auch eine zwischenzeitlich gegenüber dem Dritten eingetretene Festsetzungsverjährung. Demzufolge ist seine Hinzuziehung oder Beiladung auch noch zu einem Zeitpunkt möglich, zu dem Festsetzungsverjährung bereits eingetreten ist. So muss das Finanzgericht beispielsweise den Dritten auf Antrag des Finanzamt trotz zwischenzeitlicher Festsetzungsverjährung beiladen, wenn die Behörde den Dritten zuvor rechtzeitig zum Verfahren hinzugezogen hatte. Nichts anderes kann gelten, wenn sich der Dritte zu unverjährter Zeit „selbst beteiligt“ hatte, sich in der Folge dann aber freiwillig aus dem Verfahren zurückgezogen hat.
Die Ehefrau war bereits vor ihrer Hinzuziehung als Einspruchsführerin (§ 359 AO) an dem Verfahren i.S. des § 174 Abs. 5 Satz 1 AO beteiligt. Damit konnte sie bis zur Rücknahme ihres Einspruchs das gegen den Änderungsbescheid 1998 gerichtete Rechtsbehelfsverfahren beeinflussen.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 20. November 2013 – X R 7/11
- vgl. z.B. BFH, Entscheidungen vom 05.05.1993 – X R 111/91, BFHE 171, 400, BStBl II 1993, 817; vom 11.03.2002 – IX B 116/01, BFH/NV 2002, 895[↩]
- vgl. zur Beiladung BFH, Beschluss vom 15.10.2010 – III B 149/09, BFH/NV 2011, 404, m.w.N.[↩]
- zur Beiladung im Finanzgericht-Verfahren vgl. BFH, Beschluss vom 07.04.2003 – III B 127/02, BFH/NV 2003, 887[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 13.03.1997 – III R 300/94, BFH/NV 1997, 659, m.w.N.[↩]
- vgl. BFH, Beschluss vom 04.03.1998 – V B 3/98, BFH/NV 1998, 1056[↩]
- z.B. BFH, Urteil vom 24.11.1987 – IX R 158/83, BFHE 152, 203, BStBl II 1988, 404[↩]
- BFH, Beschluss vom 20.04.1989 – V B 153/88, BFHE 156, 389, BStBl II 1989, 539[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 152, 203, BStBl II 1988, 404[↩]
- vgl. BFH, Beschluss vom 02.08.1990 – III B 52/89, BFH/NV 1991, 16, unter II. 2.b[↩]
- z.B. BFH, Beschluss vom 02.12 1999 – II B 17/99, BFH/NV 2000, 679; Klein/Rüsken, AO, 11. Aufl., § 174 Rz 56-58[↩]
- BFH, Urteil vom 24.04.1986 – IV R 82/84, BFHE 146, 358, BStBl II 1986, 545[↩]
- Klein/Rüsken, a.a.O., § 155 Rz 45[↩]
- ständige Rechtsprechung, vgl. grundlegend BFH, Urteil in BFHE 171, 400, BStBl II 1993, 817[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 10.11.1993 – I R 20/93, BFHE 173, 184, BStBl II 1994, 327[↩]
- BFH, Urteil vom 08.02.1995 – I R 127/93, BFHE 177, 332, BStBl II 1995, 764[↩]
- vgl. BFH, Beschluss vom 17.07.2002 – XI B 12/02, BFH/NV 2002, 1422[↩]