Verzichtet ein Kind gegenüber seinen Eltern auf künftige Pflichtteilsansprüche und erhält es dafür einen fälligen Zahlungsanspruch, so führt die Verzinsung dieses Zahlungsanspruchs zu steuerpflichtigen Kapitalerträgen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG.

Die Zinsen aus der Stundung eines Ausgleichsanspruchs für den Pflichtteilsverzicht sind mithin einkommensteuerbar.
Nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen Erträge aus sonstigen Kapitalforderungen jeder Art, wenn die Rückzahlung des Kapitalvermögens oder ein Entgelt für die Überlassung des Kapitalvermögens zur Nutzung zugesagt oder gewährt worden ist, auch wenn die Höhe des Entgelts von einem ungewissen Ereignis abhängt. Dies gilt unabhängig von der Bezeichnung und der zivilrechtlichen Ausgestaltung der Kapitalanlage.
Kapitalforderungen in diesem Sinne sind alle auf Geldleistung gerichtete Forderungen ohne Rücksicht auf die Dauer der Kapitalüberlassung oder den Rechtsgrund des Anspruchs1. Ebenso unerheblich ist, ob die zugrunde liegende Kapitalforderung selbst steuerbar und die Kapitalüberlassung freiwillig erfolgt ist2.
Erforderlich ist aber in jedem Fall die Überlassung von privatem Geldvermögen an Dritte. Dabei kann die Kapitalüberlassung in unterschiedlicher Art und Weise erfolgen, etwa durch Hingabe als (endfälliges oder in Raten zu tilgendes) Darlehen, durch Novation eines bestehenden Zahlungsanspruchs in ein Darlehen oder durch zeitliche Streckung eines Zahlungsanspruchs mittels Verrentung3. Zu den Einkünften aus Kapitalvermögen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG gehören sodann alle Vermögensmehrungen, die bei wirtschaftlicher Betrachtung Entgelt für die überlassene Kapitalnutzung sind4.
Nach diesen Grundsätzen handelt es sich im hier entschiedenen Streitfall bei dem ausgezahlten Zinsbetrag um Kapitalerträge i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG.
Das Finanzgericht Berlin-Brandenburg5 ist in der Vorinstanz zu Unrecht davon ausgegangen, dass sich aus dem notariell beurkundeten Pflichtteilsverzichtsvertrag ergebe, dass in dem darauf ausgezahlten Betrag kein Entgelt für die Überlassung von Kapital enthalten sei. Die rechtliche Einordnung des von den Vertragspartnern Gewollten am Maßstab der jeweils einschlägigen Normen durch das Finanzgericht ist für den BFH als Revisionsgericht nicht nach § 118 Abs. 2 FGO bindend, sondern in vollem Umfang nachprüfbare Rechtsanwendung6. Der BFH ist danach an die unzutreffende rechtliche Würdigung der eindeutigen und somit nicht auslegungsfähigen Regelungen des Pflichtteilsverzichtsvertrags durch das Finanzgericht nicht gebunden.
Nach den Feststellungen des Finanzgericht wurde in dem Pflichtteilsverzichtsvertrag vereinbart, dass die Tochter durch den Verzicht auf ihren Pflichtteil eine Forderung gegen ihre Eltern in Höhe von 150.000 DM erwarb, die am 31.12.1994 fällig war. Diese Forderung hatte sie zunächst bis zum Tod des letztversterbenden Elternteils verzinslich gestundet. Aufgrund der Anordnung im gemeinschaftlichen Testament der Eltern wurde der gestundete Betrag ausgezahlt und es flossen der Tochter die bis dahin entstandenen Zinsen von 5 % pro Jahr zu. Zwar unterliegt das Entgelt für den Verzicht auf den Pflichtteil nicht der Besteuerung, da es sich bei der Regulierung der Vermögensnachfolge um einen erbrechtlich, bürgerlich-rechtlich und steuerrechtlich unentgeltlichen Vertrag handelt7. Anders verhält es sich bei den Zinsen, die die Eltern der Tochter als Entgelt für die Stundung der Ausgleichsforderung gezahlt haben. Die Tochter hatte den Eltern durch die Stundung einen Kredit in Höhe von 150.000 DM gewährt8. Die hierfür gezahlten Zinsen unterliegen der Besteuerung nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG.
Die BFH-Urteile jeweils in BFHE 229, 104, BStBl II 2010, 818 und in BFH/NV 2010, 1793 führen zu keiner anderen Beurteilung. Entgegen der Auffassung des Finanzgericht kann aus diesen BFH-Urteilen nicht der Schluss gezogen werden, dass wenn schon wiederkehrende Zahlungen keinen steuerbaren Zinsanteil enthalten, dies bei einer Einmalzahlung erst recht gelten müsse. Entscheidend ist, dass die Tochter durch den Verzicht auf ihren Pflichtteil einen fälligen Anspruch auf eine Ausgleichszahlung erhalten hat, den sie erst in einem zweiten Schritt gestundet hat. Hierdurch wurden die Eltern von ihrer Verpflichtung zur Auszahlung befreit, so dass eine Kreditgewährung vorliegt. Die hierfür gezahlten Zinsen unterliegen der Besteuerung gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG .
Bundesfinanzhof, Urteil vom 6. August 2019 – VIII R 22/17
- ständige Rechtsprechung, z.B. BFH, Urteil vom 27.10.2015 – VIII R 70/13, BFH/NV 2016, 736, Rz 28[↩]
- vgl. BFH, Urteile vom 13.11.2007 – VIII R 36/05, BFHE 220, 35, BStBl II 2008, 292, unter II. 2.; vom 09.06.2015 – VIII R 18/12, BFHE 250, 105, BStBl II 2016, 523, Rz 12; vom 20.10.2015 – VIII R 40/13, BFHE 252, 260, BStBl II 2016, 342, Rz 26[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 229, 104, BStBl II 2010, 818, unter II. 2.a aa, m.w.N.[↩]
- BFH, Urteil vom 20.11.2012 – VIII R 57/10, BFHE 239, 422, BStBl II 2014, 56, unter II. 2.a, m.w.N.[↩]
- FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22.11.2017 – 3 K 3189/17[↩]
- BFH, Urteil vom 17.05.2017 – II R 35/15, BFHE 258, 95, BStBl II 2017, 966, Rz 26 f.[↩]
- BFH, Urteile in BFH/NV 2010, 1793; in BFHE 229, 104, BStBl II 2010, 818; in BFHE 239, 422, BStBl II 2014, 56[↩]
- vgl. BFH, Urteil in BFHE 252, 260, BStBl II 2016, 342[↩]
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