Für die Opfer von Schneeballsystemen kommen schlechte Nachrichten aus München: Wurden den Opfern Gutschriften aus angeblichen „Renditen“ erteilt, sind diese Beträge in weitem Umfang einkommensteuerpflichtig: Nach einem aktuellen Urteil des Bundesfinanzhofs unterliegen Gutschriften aus Schneeballsystemen bereits dann der Einkommensteuer, wenn der Betreiber des Systems im Zeitpunkt der Gutschrift zur Auszahlung bereit und in der Lage gewesen wäre. Aus der Ablehnung eines sofortige Auszahlungswunsches und Verhandlungen über andere Zahlungsmodalitäten kann allerdings auf fehlende Zahlungsbereitschaft geschlossen werden. Damit hat der BFH seine Rechtsprechung zum Zufluss von sog. „(Schein-)Renditen“ aus betrügerischen Schneeballsystemen einerseits bestätigt, andererseits aber auch eingegrenzt.

Gutschriften aus Schneeballsystemen führen zu Einnahmen aus Kapitalvermögen, wenn der Betreiber des Schneeballsystems bei entsprechendem Verlangen des Anlegers zur Auszahlung der gutgeschriebenen Beträge leistungsbereit und leistungsfähig gewesen wäre.
An der Leistungsbereitschaft des Betreibers des Schneeballsystems kann es fehlen, wenn er auf einen Auszahlungswunsch des Anlegers hin eine sofortige Auszahlung ablehnt und stattdessen über anderweitige Zahlungsmodalitäten verhandelt.
In dem vom Bundesfinanzhof entschiedenen Streitfall hatten sich Ehegatten mit mehr als 200.000 DM an einer Geldanlage beteiligt, die sich letztlich als sog. Schneeballsystem entpuppte. In den Streitjahren 1992 bis 1997 erhielt das Ehepaar aus der Anlage tatsächliche Auszahlungen (Zinsen) in Höhe von ca. 195.000 DM sowie lediglich gutgeschriebene und sofort wiederangelegte Erträge in Höhe von 176.960 DM.
Die tatsächlich ausgezahlten Zinsen von ca. 195.000 DM sind nach Auffassung des Bundesfinanzhofs den Ehegatten zugeflossen und von ihnen als Einkünfte aus Kapitalvermögen zu versteuern. Grundsätzlich gilt das auch für die stehengelassenen, d.h. wiederangelegten (Schein-)Renditen. Der Bundesfinanzhof stellt auch für diese Schneeballsysteme darauf ab, dass Einkünfte aus Kapitalvermögen selbst dann vorliegen, wenn ein Anleger aus dem Kapital anderer getäuschter Anleger (oder gar aus seinem eigenen Anlagekapital) eine „Scheinrendite“ erhält. Ob die „Scheinrendite“ dem Anleger zugeflossen ist, hängt lediglich davon ab, ob im konkreten Einzelfall eine Auszahlung hätte erreicht werden können. Hingegen kommt es nicht darauf an, ob der Schuldner (hypothetische) Zahlungen an alle Anleger hätte leisten können.
§ 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG zählt zu den Einkünften aus Kapitalvermögen alle Zinsen aus Kapitalforderungen jeder Art. Wird Kapital gegen Entgelt überlassen, so ist der Einkunftstatbestand des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG erfüllt. Anzusetzen sind alle Entgelte, die für eine Kapitalüberlassung im weitesten Sinne zugeflossen sind. Es handelt sich entweder originär um Zinsen im Sinne von § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG oder zumindest um Entgelt im Sinne des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG, d.h. eine Vermögensmehrung, die bei wirtschaftlicher Betrachtung Entgelt für die Kapitalnutzung ist1.
Für die Zuordnung der zugeflossenen Beträge zu den Einkünften im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 5 in Verbindung mit § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG ist ohne Belang, ob die Beträge tatsächlich erwirtschaftet waren und ob die Anleger einen zivilrechtlich durchsetzbaren Anspruch besaßen2. Auch wenn Kapital zum Aufbau oder Erhalt eines „Schneeballsystems“ verwendet wird und dem Anleger aus dem Kapital anderer getäuschter Anleger (oder gar aus dem eigenen Kapital des Anlegers) eine „Scheinrendite“ gezahlt wird, liegen Einkünfte aus Kapitalvermögen vor3.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs sind Einnahmen (§ 8 Abs. 1 EStG) im Sinne von § 11 Abs. 1 EStG zugeflossen, sobald der Steuerpflichtige über sie wirtschaftlich verfügen kann. Eine Gutschrift in den Büchern des Verpflichteten kann einen Zufluss bewirken, wenn in der Gutschrift nicht nur das buchmäßige Festhalten einer Schuld zu sehen ist, sondern darüber hinaus zum Ausdruck gebracht wird, dass der Betrag dem Berechtigten von nun an zur Verwendung zur Verfügung steht. Allerdings muss der Gläubiger in der Lage sein, den Leistungserfolg ohne weiteres Zutun des im Übrigen leistungsbereiten und leistungsfähigen Schuldners herbeizuführen4.
Ein Zufluss kann durch eine gesonderte Vereinbarung zwischen Schuldner und Gläubiger bewirkt werden, dass der Betrag fortan aus einem anderen Rechtsgrund geschuldet sein soll. Von einem Zufluss des aufgrund der Altforderung geschuldeten Betrags i.S. von § 11 Abs. 1 EStG kann in derartigen Fällen der Schuldumwandlung (Novation) nach der Rechtsprechung des BFH allerdings nur dann ausgegangen werden, wenn sich die Novation als Folge der Ausübung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht des Gläubigers (Steuerpflichtigen) über den Gegenstand der Altforderung darstellt, also auf einem freien Entschluss des Gläubigers beruht. Für die Beantwortung der Frage, ob dies zutrifft, kommt auch dem Umstand Bedeutung zu, in wessen Interesse die Novation lag. Lag sie im alleinigen oder überwiegenden Interesse des Gläubigers, indiziert dies dessen Verfügungsmacht über den Gegenstand der Altforderung5. Bleibt die Schuld hingegen im Interesse des Schuldners bestehen, liegt wirtschaftlich gesehen trotz Novation lediglich eine Stundung der ursprünglichen Schuld vor. Dem Gläubiger, dem eher an einer Auszahlung gelegen wäre, ist nichts zugeflossen6.
Voraussetzung für den Zufluss ist schließlich die Möglichkeit, von der objektiven Bereicherung Kenntnis zu nehmen7. Diese Möglichkeit kann auch auf ständiger Übung beruhen8. Soweit eine Novation zum 1.1. des Folgejahres erfolgt, erweist sich die damit verbundene Zinsvereinbarung als Disposition über eine erwirtschaftete Einnahme9.
Die Auffassung, der Bundesfinanzhof habe seine Beurteilung in dem sog. „Ambros“-Urteil10 „aufgeweicht“, trifft nicht zu. Auch im zitierten Urteil begründet der Bundesfinanzhof den Zufluss von Scheinrenditen mit der vorstehenden Prüfungsfolge. Einnahmen sind danach im Sinne von § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG dem Steuerpflichtigen zugeflossen, sobald dieser über sie wirtschaftlich verfügen kann.
Entscheidend ist, ob der Steuerpflichtige in seinem konkreten Fall eine Auszahlung hätte erreichen können. Auf eine hypothetische Zahlung an alle Anleger kann nicht abgestellt werden11. Erst bei Verfügung über eine objektiv wertlose Forderung scheidet ein Zufluss definitiv aus12. Dies ist mangels anderer Anhaltspunkte im Regelfall zu verneinen, so lange ein Antrag auf Eröffnung des Konkurs- oder Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners noch nicht gestellt wurde13.
Die Gutschrift kann nach Ansicht des Bundesfinanzhofs auch nicht deshalb außer Acht gelassen, weil es bei einer Briefkastengesellschaft geführt wurde und der Initiator des System insgesamt ein „unseriöses Anlagesystem“ entwickelt habe, das dem Vergleich mit „redlichen“ Banken und „nach den ordnungsgemäßen Regeln des Kreditgewerbes“ arbeitenden Instituten nicht standhalte. Bereits nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG i.d.F. vom 25. Februar 1992 zählten zu den Einkünften aus Kapitalvermögen ausdrücklich alle Zinsen aus Kapitalforderungen jeder Art. Die Zinsen aus Einlagen und Guthaben bei Kreditinstituten wurden lediglich beispielhaft genannt. In den späteren Gesetzesfassungen fehlt dann jeder Verweis auf Kreditinstitute. Damit bezweckt das Gesetz ersichtlich, nicht nur die Zinsen zu besteuern, die von Kreditinstituten, die dem Kreditwesengesetz unterliegen, ausgezahlt werden, sondern alle Erträge aus Kapitalvermögen, und zwar unabhängig von der Art des jeweiligen Anlagesystems.
Dem Argument, bei Scheinerträgen werde das Vorhandensein eines wirtschaftlichen Erfolges nur vorgespiegelt, es dürften letztlich nur tatsächliche Vermögensmehrungen in Form von Auszahlungen besteuert werden und ein Zufluss sei erst zu bejahen, wenn der Empfänger das Geld tatsächlich in dem Sinne besitze, dass er hiervon selbst Zahlungen bestreiten könne, vermag der Bundesfinanzhof nicht zu folgen14.
Daran ändert auch eine Diskrepanz zwischen den tatsächlich zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln und den tatsächlich bestehenden Forderungen nichts. Daraus lässt sich für die Frage des Zuflusses von Erträgen jedenfalls so lange nichts herleiten, wie das Schneeballsystem als solches funktioniert, d.h. die Auszahlungsverlangen der Anleger ohne Einschränkung bedient werden. Dass Schneeballsysteme zusammenbrechen, wenn alle Anleger gleichzeitig die Rückzahlung ihrer Gelder verlangen, sagt über den Abfluss bzw. Zufluss beim einzelnen Anleger nichts aus15.
Die Zuflussvoraussetzungen sind an Hand aller tatsächlichen Umstände des Einzelfalles zu prüfen. Entscheidend ist die Sicht des Leistungsempfängers/Kapitalanlegers in dem Zeitpunkt, in dem er erstmals aus seiner Sicht die wirtschaftliche Verfügungsmacht über die Einnahme erlangt16.
In dem vom Bundesfinanzhof entschiedenen Streitfall war allerdings noch unklar, ob die Ehegatten die 1995 bis 1997 gutgeschriebenen Scheinrenditen tatsächlich hätten vereinnahmen können, zumal angesichts des Schriftverkehrs Zweifel an der Leistungsbereitschaft des Schuldners bestanden. Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen hat der Bundesfinanzhof das angefochtene finanzgerichtliche Urteil daher hinsichtlich der Jahre 1995 bis 1997 aufgehoben und die Sache an das Finanzgericht zurückverwiesen.
Bundesfinanzhofs, Urteil vom 16. März 2010 – VIII R 4/07
- BFH, Urteile vom 06.04.1993 – VIII R 68/90, BFHE 172, 25, BStBl II 1993, 825; vom 14.12.2004 – VIII R 5/02, BFHE 209, 423, BStBl II 2005, 739; VIII R 81/03, BFHE 209, 438, BStBl II 2005, 746[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 22.07.1997 – VIII R 13/96, BFHE 184, 46, BStBl II 1997, 767 zu § 20 Abs. 1 Nr. 4 EStG[↩]
- BFH, Urteile in BFHE 209, 423, BStBl II 2005, 739; in BFHE 209, 438, BStBl II 2005, 746[↩]
- BFH, Urteile vom 14.02.1984 – VIII R 221/80, BFHE 140, 542, BStBl II 1984, 480; vom 30.10.2001 – VIII R 15/01, BFHE 197, 126, BStBl II 2002, 138; vom 18.12.2001 – IX R 74/98, BFH/NV 2002, 643[↩]
- vgl. zuletzt BFH, Urteil in BFHE 223, 166, BStBl II 2009, 190, m.w.N.[↩]
- vgl. BFH, Urteil in BFHE 140, 542, BStBl II 1984, 480[↩]
- Schmidt/ Drenseck, EStG, 29. Aufl., § 11 Rz 12, 30 „Gutschrift“[↩]
- Birk/Kister in HHR, § 11 EStG Rz 52, m.w.N.[↩]
- vgl. Trzaskalik, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 11 Rz B 55[↩]
- BFH, Urteil vom 10.07.2001 – VIII R 35/00, BFHE 196, 112, BStBl II 2001, 646[↩]
- vgl. Schmidt/Weber-Grellet, a.a.O., § 20 Rz 207; zum Zufluss bei hoher Renditeerwartung vgl. Blümich/Glenk, § 11 EStG Rz 56[↩]
- BFH, Urteil vom 21.07.1987 – VIII R 211/82, BFH/NV 1988, 224[↩]
- ständige Rechtsprechung, vgl. BFH, Urteil in BFHE 223, 166, BStBl II 2009, 190, m.w.N.[↩]
- vgl. zuletzt BFH, Urteil in BFHE 223, 166, BStBl II 2009, 190, m.w.N.; ebenso HHR/Birk/Kister, § 11 EStG Rz 53; a.A. Marx, Finanz-Rundschau 2009, 515[↩]
- vgl. schon BFH, Urteil in BFHE 223, 166, BStBl II 2009, 190[↩]
- vgl. BFH, Urteile in BFHE 209, 423, BStBl II 2005, 739; in BFHE 209, 438, BStBl II 2005, 746; Schmidt/Weber-Grellet, a.a.O., § 20 Rz 207[↩]