Doppelbesteuerungsabkommen und die Kapitalertragsteuerentlastung in Mäanderstrukturen

Es ist durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union1 geklärt, dass § 50d Abs. 3 EStG auch bei Vorliegen einer sog. Mäanderstruktur unionsrechtswidrig und deshalb in Form der Eröffnung der Möglichkeit des Gegenbeweises über einen fehlenden Regelungsmissbrauch im Einzelfall geltungserhaltend zu reduzieren ist, wobei es für den Gegenbeweis zunächst ausreichend ist, wenn der Steuerpflichtige auf die hypothetische Anrechnungsmöglichkeit des mittelbaren Anteilseigners verweist. Das Bundeszentralamt für Steuern kann dies ggf. durch begründete gegenläufige Indizien entkräften.

Doppelbesteuerungsabkommen und die Kapitalertragsteuerentlastung in Mäanderstrukturen

Die Rechtsfrage, ob § 50d Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 EStG dahingehend europarechtskonform auszulegen ist, dass einer im Inland ansässigen Person, die an der ausländischen Gesellschaft beteiligt ist, auch dann eine Erstattung oder Freistellung i.S. des § 50d EStG zusteht, wenn sie zwar selbst keinen Erstattungs- bzw. Freistellungsanspruch nach § 50d Abs. 1 und 2 EStG geltend machen könnte, ihr aber die Möglichkeit der Kapitalertragsteueranrechnung nach § 8 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) i.V.m. § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG bei gleichzeitiger Befreiung von der Körperschaftsteuer nach § 8b Abs. 1 KStG offen stünde (sog. Mäanderstruktur), ist bereits durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union geklärt:

Mit Urteil „Eqiom und Enka“ vom 07.09.20172 hat der Unionsgerichtshof eine französische sog. Anti-Treaty-Shopping-Vorschrift, die sogar der Zwischengesellschaft -anders als § 50d Abs. 3 EStG- ermöglichte, den Nachweis darüber zu führen, dass der Hauptzweck der Gestaltung nicht in der Erzielung steuerlicher Vorteile bestand (sog. Motivtest), als mit Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 90/435/EWG des Rates vom 23.07.1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten i.d.F. der Richtlinie 2011/96/EU des Rates vom 30.11.2011 –Mutter-Tochter-Richtlinie3 und Art.?49 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union i.d.F. des Vertrags von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft4 unvereinbar angesehen. Der Grund dafür lag darin, dass die französische Vorschrift nicht darauf beschränkt war, die Errichtung von rein künstlichen, jeder wirtschaftlichen Realität baren Konstruktionen, die allein zu dem Zweck errichtet worden waren, ungerechtfertigte Steuervorteile zu nutzen, zu verhindern, sondern dass sie eine allgemeine Vermutung für Steuerhinterziehung und Missbrauch enthielt und deshalb das mit der Mutter-Tochter-Richtlinie verfolgte Ziel der Vermeidung von Doppelbesteuerung der von einer Tochtergesellschaft an ihre Muttergesellschaft ausgeschütteten Gewinne beeinträchtigte.

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Der Unionsgerichtshof hat sodann durch sein Urteil „Deister Holding“ vom 20.12.20175 auch § 50d Abs. 3 EStG als mit den vorgenannten Bestimmungen unvereinbar angesehen und insbesondere moniert, dass die Norm der Steuerbehörde keinen Anfangsbeweis für das Fehlen wirtschaftlicher Gründe oder ein Indiz für die Steuerhinterziehung oder den Missbrauch abverlange, sondern eine allgemeine Missbrauchs- oder Hinterziehungsvermutung begründe.

Diese Auffassung hat der EuGH sodann durch Kammerbeschluss „GS“ vom 14.06.20186 noch einmal bekräftigt. Der EuGH-Beschluss „GS“7 betraf eine sog. Mäanderstruktur; dabei hat das Gericht nach Art. 99 seiner Verfahrensordnung erkennbar deshalb im Beschlusswege entschieden, weil es die vom Finanzgericht dazu erneut vorgelegte Rechtsfrage nach der Vereinbarkeit des § 50d Abs. 3 EStG mit dem Unionsrecht auch im Fall von sog. Mäanderstrukturen als nach seiner Rechtsprechung geklärt angesehen hat.

Bereits aus dem vorgenannten „GS“-Beschluss des Unionsgerichtshofs7 folgt deshalb, dass die Rechtsfrage als geklärt anzusehen ist. Da sich § 50d Abs. 3 EStG nicht nur auf die Bekämpfung rein künstlicher steuerlicher Gestaltungen bar jeder wirtschaftlichen Realität beschränkt und dem Steuerpflichtigen keine Möglichkeit einräumt, nachzuweisen, dass die gewählte Gestaltung nicht aus vorwiegend steuerlichen Gründen gewählt wurde, ist sie unionsrechtswidrig und bedarf der vom Finanzgericht vorgenommenen geltungserhaltenden Reduktion in Form der Eröffnung der Möglichkeit des Gegenbeweises über einen fehlenden Regelungsmissbrauch im Einzelfall8.

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Im hier entschiedenen Fall konnte das BZSt im Verfahren vor dem Finanzgericht auch keine missbräuchliche Inanspruchnahme des § 50d Abs. 3 EStG darlegen. Der Nachweis eines Rechtsmissbrauchs setzt insoweit nach der Rechtsprechung des Unionsgerichtshofs9 zunächst eine Gesamtheit objektiver Umstände voraus, aus denen sich ergibt, dass das Ziel der Unionsregelung, obwohl deren Voraussetzungen formal erfüllt sind, nicht erreicht worden ist; zum anderen geht es um ein subjektives Element, nämlich die Absicht, aus der Unionsregelung, indem künstlich die erforderlichen Voraussetzungen geschaffen werden, einen Vorteil zu erlangen. Nur aus dem Zusammentreffen einer Reihe von Indizien kann, sofern diese objektiv und übereinstimmend sind, geschlossen werden, dass ein Missbrauch vorliegt. Als solche Indizien kommen insbesondere die Existenz von Durchleitungsgesellschaften, für die es keine wirtschaftliche Rechtfertigung gibt, und der Pro-forma-Charakter der Konzernstruktur, der Steuergestaltung und der Darlehen in Betracht. Es ist bei der gewählten sog. Mäanderstruktur indessen offensichtlich zutreffend und deshalb in einem Revisionsverfahren nicht klärungsbedürftig, dass die hypothetische Anrechnungsmöglichkeit des mittelbaren Anteilseigners für einen Gegenbeweis zunächst ausreichend ist, falls nicht das BZSt begründete gegenläufige Indizien vorbringt. Dem ist letztlich auch das Finanzgericht gefolgt, indem es der Klage nicht etwa nur wegen der gewählten sog. Mäanderstruktur stattgab, sondern die vom BZSt vorgebrachten Gegenargumente geprüft, aber letztlich als nicht stichhaltig zurückgewiesen hat. Es hat darauf verwiesen, dass die Zwischenschaltung einer gebietsfremden Gesellschaft nicht zu einer missbräuchlichen „Steuerreduktion“ führen kann. Dies folgt daraus, dass die Steuerbelastung bei einem Direktbezug gerade wegen der Möglichkeit der Anrechnung der Kapitalertragsteuer im wirtschaftlichen Ergebnis ebenfalls Null gewesen wäre.

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Auch der vom BZSt insoweit hervorgehobene „Steuerstundungseffekt“ bezogen auf das pauschale Betriebsausgaben-Abzugsverbot des § 8b Abs. 5 KStG führt nicht zur Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage, weil dieser temporäre Effekt unionsrechtlich dann hinzunehmen ist, wenn die gewählte Struktur sich nicht als rein künstlich darstellt, sondern wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe im Sinne der genannten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union vorliegen.

Bundesfinanzhof, Beschluss vom 9. Juni 2021 – I B 60/20

  1. EuGH, Beschluss GS vom 14.06.2018 – C-440/17, EU:C:2018:437, HFR 2019, 615[]
  2. EuGH, Urteil „Eqiom und Enka“ vom 07.09.2017 – C-6/16, EU:C:2017:641, HFR 2018, 175[]
  3. ABl.EU 2011, Nr. L 345, 8[]
  4. ABl.EU 2008, Nr. C 115, 47[]
  5. EuGH, Urteil „Deister Holding“ vom 20.12.2017 – C-504/16, – C-613/16, EU:C:2017:1009, HFR 2018, 245[]
  6. EuGH, Beschluss „GS“ vom 14.06.2018- C-440/17, EU:C:2018:437, HFR 2019, 615[]
  7. EU:C:2018:437, HFR 2019, 615[][]
  8. vgl. BFH, Urteil vom 13.06.2018 – I R 94/15, BFHE 262, 79, BStBl II 2020, 755[]
  9. EuGH, Urteil „T Danmark“ vom 26.02.2019 – C-116/16, – C-117/16, EU:C:2019:135, Internationales Steuerrecht 2019, 266[]