Verzichtet ein Gesellschafter-Geschäftsführer gegenüber der Gesellschaft auf bestehende oder künftige Entgeltansprüche, so fließen ihm insoweit keine Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit zu, als er dadurch eine tatsächliche Vermögenseinbuße erleidet.

Nach § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG hat der Arbeitgeber die Lohnsteuer für Rechnung des Arbeitnehmers bei jeder Lohnzahlung vom Arbeitslohn einzubehalten und abzuführen (§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG). Nach § 38 Abs. 2 Satz 2 EStG entsteht die Lohnsteuer jedoch erst in dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitslohn dem Arbeitnehmer zufließt.
Geldbeträge fließen dem Steuerpflichtigen in der Regel dadurch zu, dass sie bar ausgezahlt oder einem Konto des Empfängers bei einem Kreditinstitut gutgeschrieben werden. Jedoch kann auch eine Gutschrift in den Büchern des Verpflichteten einen Zufluss bewirken, wenn in der Gutschrift nicht nur das buchmäßige Festhalten einer Schuldbuchverpflichtung zu sehen ist, sondern darüber hinaus zum Ausdruck kommt, dass der Betrag dem Berechtigten von nun an zur Verfügung steht. Allerdings muss der Gläubiger in der Lage sein, den Leistungserfolg ohne weiteres Zutun des im Übrigen leistungsbereiten und leistungsfähigen Schuldners herbeizuführen1.
Da sich die Erlangung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht nach den tatsächlichen Verhältnissen richtet2, kann das Zufließen i.S. des § 11 EStG nicht fingiert werden. Eine Ausnahme macht die Rechtsprechung hiervon lediglich bei beherrschenden Gesellschaftern einer Kapitalgesellschaft. Bei diesen wird angenommen, dass sie über eine von der Gesellschaft geschuldete Vergütung bereits im Zeitpunkt der Fälligkeit verfügen können und ihnen damit entsprechende Einnahmen zugeflossen sind3. Allerdings werden von dieser Zuflussfiktion4 nur Gehaltsbeträge und sonstige Vergütungen erfasst, die die Kapitalgesellschaft den sie beherrschenden Gesellschaftern schuldet und die sich bei der Ermittlung ihres Einkommens ausgewirkt haben5.
Hingegen sind nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs keine Einnahmen zugeflossen, wenn der Gläubiger (Gesellschafter) gegenüber dem Schuldner (Gesellschaft) auf bestehende oder künftige Ansprüche ohne Ausgleich verzichtet und dadurch eine Vermögenseinbuße erleidet6. Etwas anderes gilt nur, wenn der verzichtende Gesellschafter den Erlass gewährt und dadurch eine (verdeckte) Einlage leistet. Denn hierdurch erleidet er keine Vermögenseinbuße, sondern bewirkt eine Umschichtung seines Vermögens7.
Nach diesen Grundsätzen ist dem dem Kläger in dem hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Verfahren das streitige Weihnachtsgeld weder tatsächlich noch bei Fälligkeit oder im Wege einer verdeckten Einlage zugeflossen:
Dem Kläger sind im Haftungszeitraum die streitigen Weihnachtsgeldbeträge weder bar ausgezahlt noch auf ein für ihn bei einem Kreditinstitut bestehendes Konto überwiesen worden. Auch ist nicht ersichtlich, dass ihm die streitigen Beträge in den Büchern der GmbH gutgeschrieben worden sind. Somit hat der Kläger vorliegend keine Verfügungsmacht über die streitigen Weihnachtsgeldbeträge erlangt.
Die von der GmbH nicht ausgezahlten Beträge gelten dem Kläger auch nicht mit Fälligkeit des Weihnachtsgeldes als zugeflossen. Denn die Grundsätze über den Zufluss von Einnahmen bei einem beherrschenden Gesellschafter sind vorliegend nicht anzuwenden.
Zum einen haben sich die streitigen Beträge bei der Ermittlung des Einkommens der GmbH nicht ausgewirkt. Denn sie sind unstreitig in den Büchern der Gesellschaft nicht als Gehaltsaufwand erfasst worden. Schon deshalb kommt vorliegend ein Zufluss bei Fälligkeit nicht in Betracht. Zum anderen war der Kläger im Haftungszeitraum kein beherrschender Gesellschafter der GmbH. Dies verkennt das Finanzamt. Der Kläger war lediglich zu 50% am Stammkapital der GmbH beteiligt und besaß keine Stimmrechtsmehrheit. In einem solchen Fall ist der Gesellschafter kein beherrschender8. Denn eine beherrschende Stellung eines GmbH-Gesellschafters liegt im Regelfall vor, wenn der Gesellschafter die Mehrheit der Stimmrechte besitzt und deshalb bei Gesellschafterversammlungen entscheidenden Einfluss ausüben kann. Im Allgemeinen ist das erst der Fall, wenn der Gesellschafter, der durch Leistungen der Kapitalgesellschaft Vorteile erhält, mehr als 50% der Stimmrechte hat9.
Hält ein Gesellschafter –wie im Streitfall der Kläger– nicht mehr als 50 % der Gesellschaftsanteile, kann er nach ständiger Rechtsprechung einem beherrschenden Gesellschafter gleichgestellt werden, wenn er mit anderen gleichgerichtete materielle, d.h. finanzielle Interessen verfolgenden Gesellschaftern zusammenwirkt, um eine ihren Gesellschafterinteressen entsprechende Willensbildung der Kapitalgesellschaft herbeizuführen10. Tatsachen, die vorliegend auf gleichgerichtete materielle Interessen der beiden im nämlichen Umfang an der GmbH beteiligten Gesellschafter schließen lassen, sind im Streitfall jedoch weder festgestellt noch vorgetragen. Allein der Umstand, dass die Gesellschafter Eheleute sind, kann eine entsprechende Vermutung jedenfalls nicht begründen11.
Ein Zufluss des Weihnachtsgeldes bereits mit Fälligkeit kommt im Streitfall daher nicht in Betracht. Die vom Finanzamt aufgeworfene Frage, ob der Kläger rechtzeitig vor Fälligkeit wirksam auf seinen Anspruch auf Weihnachtsgeld verzichtet hat, braucht der Bundesfinanzhof deshalb nicht zu entscheiden. Denn sie ist vorliegend ohne Bedeutung.
Schließlich hat der Kläger durch den Verzicht auf das Weihnachtsgeld keine Zufluss begründende (weil vermögensumschichtende) verdeckte Einlage bewirkt. Der Verzicht des Klägers hat nicht zum Wegfall einer zuvor passivierten Verbindlichkeit bei der GmbH und damit zu einer Vermehrung ihres Vermögens und ihrer Ertragsfähigkeit geführt. Denn das streitige Weihnachtsgeld ist zu keinem Zeitpunkt als Aufwandsposten in die Bücher der GmbH eingegangen. Damit hat der Kläger im Streitfall durch den Verzicht sein Vermögen nicht in Beteiligungskapital umgeschichtet, sondern eine tatsächliche Vermögenseinbuße erlitten.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 3. Februar 2011 – VI R 4/10
- ständige Rechtsprechung, vgl. etwa BFH, Urteile vom 02.11.1962 – VI 284/61 S, BFHE 76, 270, BStBl III 1963, 96; vom 14.05.1982 – VI R 124/77, BFHE 135, 542, BStBl II 1982, 469; vom 14.02.1984 – VIII R 221/80, BFHE 140, 542, BStBl II 1984, 480; vom 02.03.1993 – VIII R 13/91, BFHE 171, 48, BStBl II 1993, 602; vom 24.03.1993 – X R 55/91, BFHE 171, 191, BStBl II 1993, 499; vom 02.09.1994 – VI R 35/94, BFH/NV 1995, 208; vom 11.05.1999 – VIII R 70/95, BFH/NV 2000, 18; vom 30.10.2001 – VIII R 15/01, BFHE 197, 126, BStBl II 2002, 138; vom 18.12.2001 – IX R 74/98, BFH/NV 2002, 643, m.w.N.; vom 28.10.2008 – VIII R 36/04, BFHE 223, 166, BStBl II 2009, 190; und vom 11.02.2010 – VI R 47/08, BFH/NV 2010, 1094[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 12.04.2007 – VI R 89/04, BFHE 217, 555, BStBl II 2007, 719, m.w.N.[↩]
- BFH, Urteile in BFHE 140, 542, BStBl II 1984, 480; vom 16.11.1993 – VIII R 33/92, BFHE 174, 322, BStBl II 1994, 632[↩]
- vgl. Schmidt/Drenseck, EStG, 29. Aufl., § 11 Rz 10[↩]
- BFH, Urteil vom 11.02.1965 – IV 213/64 U, BFHE 82, 440, BStBl III 1965, 407[↩]
- BFH (GrS), Beschluss vom 09.06.1997 – GrS 1/94, BFHE 183, 187, BStBl II 1998, 307, m.w.N.[↩]
- BFH (GrS), Beschluss in BFHE 183, 187, BStBl II 1998, 307[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 05.10.2004 – VIII R 9/03, BFH/NV 2005, 526[↩]
- vgl. z.B. BFH, Urteile vom 13.12.1989 – I R 99/87, BFHE 159, 338, BStBl II 1990, 454; vom 26.07.1978 – I R 138/76, BFHE 125, 557, BStBl II 1978, 659; vom 21.10.1981 – I R 230/78, BFHE 134, 315, BStBl II 1982, 139; und vom 08.01.1969 – I R 91/66, BFHE 95, 215, BStBl II 1969, 347[↩]
- vgl. z.B. BFH, Urteile vom 04.12.1991 – I R 63/90, BFHE 166, 279, BStBl II 1992, 362, m.w.N.; vom 13.12.1989 – I R 45/84, BFH/NV 1990, 455; vom 28.02.1990 – I R 83/87, BFHE 160, 192, BStBl II 1990, 649; und vom 10.03.1993 – I R 51/92, BFHE 171, 58, BStBl II 1993, 635, m.w.N.[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.03.1985 – 1 BvR 571/81, 1 BvR 494/82, 1 BvR 47/83, BVerfGE 69, 188, BStBl II 1985, 475[↩]