Macht der Steuerpflichtige geltend, der gemeine Wert von Grundvermögen sei niedriger als der typisierte Wert, obliegt es ihm nach § 198 BewG, einen niedrigeren gemeinen Wert nachzuweisen. Das Finanzgericht ist nicht verpflichtet, ein Sachverständigengutachten zur Bestimmung des Grundbesitzwerts einzuholen.

Nach § 12 Abs. 3 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes i.V.m. § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BewG sind Grundbesitzwerte gesondert festzustellen, wenn die Werte für die Erbschaft- oder Schenkungsteuer von Bedeutung sind.
Gegenstand der Bewertung sind die wirtschaftlichen Einheiten des Grundvermögens (§ 157 Abs. 3 Satz 1 BewG), zu denen der Grund und Boden, die Gebäude, die sonstigen Bestandteile und das Zubehör gehören (§ 176 Abs. 1 Nr. 1 BewG). Deren Wert ist unter Anwendung der §§ 159 und 176 bis 198 BewG zu ermitteln.
Der Wert für ein Gebäude auf fremdem Grund und Boden ist nach § 195 Abs. 1 BewG gesondert zu ermitteln. Bei Ein- und Zweifamilienhäusern ist nach § 195 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 182 Abs. 4 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 3 BewG die Bewertung im Sachwertverfahren mit dem Gebäudesachwert nach § 190 BewG vorzunehmen. Eine vorrangige Heranziehung des Vergleichswertverfahrens ist -im Gegensatz zur Bewertung eines Erbbaugrundstücks nach § 194 Abs. 1 BewG1- für Gebäude auf fremden Grund und Boden nicht vorgesehen2.
Im Rahmen des Sachwertverfahrens ist nach § 190 Abs. 4 Satz 1 BewG vom Gebäuderegelherstellungswert eine Alterswertminderung abzuziehen. Nach § 190 Abs. 4 Satz 5 BewG ist der nach Abzug der Alterswertminderung verbleibende Gebäudewert jedoch regelmäßig mit mindestens 30 % des Gebäuderegelherstellungswerts anzusetzen. Der Mindestwert ist allerdings nach § 195 Abs. 2 Sätze 2 und 5 BewG bei Gebäuden auf fremdem Grund und Boden nicht anzusetzen, wenn der Nutzer verpflichtet ist, das Gebäude bei Ablauf des Nutzungsrechts zu beseitigen. In diesen Fällen bemisst sich nach § 195 Abs. 2 Satz 4 BewG die Alterswertminderung i.S. des § 190 Abs. 4 Sätze 1 bis 3 BewG nach dem Alter des Gebäudes am Bewertungsstichtag und der tatsächlichen Gesamtnutzungsdauer. Die Mindestrestwertregelung berücksichtigt typisierend, dass auch ein älteres Gebäude, das laufend instand gehalten wird, einen Wert hat und unterstellt einen durchschnittlichen Erhaltungszustand3.
Bei der Bewertung von Grundstücken für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer ist grundsätzlich der gemeine Wert zugrunde zu legen (§ 177 BewG). Ungeachtet dessen unterliegt das Bewertungsrecht einer starken Typisierung, die im Einzelfall dazu führen kann, dass ein viel höherer Wert als der gemeine Wert festzustellen ist. Dies nimmt das Bewertungsrecht in Kauf.
Einer Überbewertung von Grundvermögen kann der Steuerpflichtige entgegentreten, indem er nachweist, dass der gemeine Wert der wirtschaftlichen Einheit am Bewertungsstichtag niedriger ist als der nach den §§ 179, 182 bis 196 BewG ermittelte Wert, denn dann ist dieser Wert anzusetzen (§ 198 Satz 1 BewG in der zum streitgegenständlichen Stichtag geltenden Fassung; heute § 198 Abs. 1 Satz 1 BewG).
Unter der für die Rechtslage zum Stichtag ergangenen Rechtsprechung konnte der Nachweis durch einen im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zeitnah zum maßgeblichen Besteuerungsstichtag erzielten Kaufpreis für das zu bewertende Grundstück oder durch die Vorlage des Gutachtens eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen geführt werden4. Zwar könnten im Einzelfall auch andere Belege schlüssig einen niedrigeren Wert nahelegen, jedoch ist es im Rahmen einer Typisierung zulässig, speziell an ein Sachverständigengutachten die Vermutung einer erhöhten Wahrscheinlichkeit dafür zu knüpfen, dass weitere Beweiserhebungen entbehrlich sind5. Allein eine Wertangabe in einem Übertragungsvertrag stellt keinen Nachweis dar.
Das Finanzgericht ist nicht verpflichtet, von Amts wegen Beweis über einen etwaigen niedrigeren gemeinen Wert nach § 198 BewG zu erheben.
Nach § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen (Amtsermittlungsgrundsatz). Es muss zur Herbeiführung der Spruchreife alles aufklären, was aus seiner Sicht entscheidungserheblich ist, und hierfür alle verfügbaren Beweismittel ausnutzen. Hierbei haben die Beteiligten mitzuwirken (§ 76 Abs. 1 Sätze 2 und 3 FGO).
Die nach § 198 BewG dem Steuerpflichtigen zugewiesene Nachweislast geht über die reine Darlegungs- und Feststellungslast hinaus. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs muss der Steuerpflichtige den Nachweis selbst erbringen, etwa durch Vorlage eines geeigneten Gutachtens. Der Nachweis kann insbesondere nicht dadurch geführt werden, dass der Steuerpflichtige lediglich beantragt, das Gericht möge ein Sachverständigengutachten einholen6.
Damit gilt die Verpflichtung des Finanzgericht zur Sachverhaltsaufklärung von Amts wegen im Rahmen von § 198 BewG -anders als bei anderen Wertermittlungen7- aufgrund der Nachweispflicht des Steuerpflichtigen nur eingeschränkt8.
Die Regelung des § 198 Satz 1 BewG ist hinsichtlich der dadurch dem Steuerpflichtigen auferlegten Nachweislast verfassungsgemäß9.
Da der Hauseigentümerin die Nachweislast für einen niedrigeren Wert oblag, ist die Sachaufklärungspflicht des Gerichts gemäß § 76 Abs. 1 FGO dementsprechend eingeschränkt. Soweit die Hauseigentümerin wirtschaftliche Hinderungsgründe bezüglich der Beauftragung eines Sachverständigen geltend gemacht hat, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass sie lediglich vorgetragen hat, sie beziehe Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch, ohne dies zu belegen. Auch hat sie keine Angaben dazu gemacht, ob sie weiteres Einkommen oder Vermögen hat. Zudem hat sie keinen PKH-Antrag gestellt, obwohl sie sich bereits im finanzgerichtlichen Verfahren durch einen Rechtsanwalt vertreten ließ. Vor diesem Hintergrund bestand für das Finanzgericht keine Pflicht gemäß § 76 Abs. 2 FGO, ggf. auf die Möglichkeit der PKH hinzuweisen. Die Hauseigentümerin war fachkundig vertreten, so dass das Finanzgericht davon ausgehen konnte, dass der Prozessvertreter die geeignete prozessuale Lösung finden würde10.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 17. November 2021 – II R 26/20
- vgl. BFH, Urteil vom 14.10.2020 – II R 7/18, BFHE 271, 190, BStBl II 2021, 665, Rz 15[↩]
- vgl. Mannek/Krause in Stenger/Loose, Bewertungsrecht, § 195 BewG Rz 17; Schnitter in Wilms/Jochum, ErbStG/BewG/GrEStG, § 195 BewG Rz 23, Stand 01.08.2020[↩]
- vgl. Gleich lautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder zur Umsetzung des Steueränderungsgesetzes 2015 vom 08.01.2016, unter II. Sachwertverfahren, 11. Alterswertminderung, Abs. 5 Sätze 2 und 3, BStBl I 2016, 173[↩]
- vgl. BFH, Urteile vom 15.03.2017 – II R 10/15, BFH/NV 2017, 1153, Rz 22; und vom 05.12.2019 – II R 9/18, BFHE 267, 380, BStBl II 2021, 135, Rz 14 ff., m.w.N.; BFH, Beschluss vom 12.01.2021 – II B 61/19, BFH/NV 2021, 529, Rz 22[↩]
- BFH, Beschluss in BFH/NV 2021, 529, Rz 22[↩]
- ständige Rechtsprechung, vgl. BFH, Urteil in BFHE 267, 380, BStBl II 2021, 135, Rz 13, m.w.N.[↩]
- vgl. etwa BFH, Urteile vom 21.07.2020 – IX R 26/19, BFHE 270, 133, Rz 45; und vom 02.12.2020 – II R 5/19, BFHE 272, 377, BStBl II 2022, 15, Rz 28[↩]
- vgl. zu den Vorgängervorschriften des § 198 BewG, BFH, Urteile vom 10.11.2004 – II R 69/01, BFHE 207, 352, BStBl II 2005, 259, unter II. 3.; und vom 06.07.2016 – II R 28/13, BFHE 254, 38, BStBl II 2017, 147, Rz 20; BFH, Beschluss vom 25.03.2009 – II B 62/08, BFH/NV 2009, 1091, unter II. 1.a; jeweils m.w.N.[↩]
- BFH, Beschlüsse vom 27.10.2004 – II B 129/03, BFH/NV 2005, 507, unter II. 1.; vom 14.12.2006 – II B 53/06, BFH/NV 2007, 403, unter II.a; und vom 25.11.2010 – II B 3/10, BFH/NV 2011, 415, Rz 16, jeweils zur Vorgängervorschrift: § 145 Abs. 3 Satz 3 des Bewertungsgesetzes i.d.F. des jeweiligen Streitjahrs[↩]
- vgl. BFH, Beschluss vom 16.03.2016 – X B 202/15, BFH/NV 2016, 1050, Rz 13 f., m.w.N.[↩]