Die disquotale Aufstockung der Kapitalrücklage einer GmbH – als freigebige Zuwendung zugunsten der Mitgesellschafter

Haben Gesellschafter einer GmbH wirksam vereinbart, dass Leistungen in die Kapitalrücklage gesellschafterbezogen zugeordnet werden, wird jedoch die Kapitalrücklage im Zusammenhang mit einer Kapitalerhöhung abweichend hiervon allen Gesellschaftern entsprechend ihren Beteiligungsquoten zugerechnet, kann der Verzicht auf einen angemessenen Wertausgleich durch den Gesellschafter, der die Leistungen erbracht hat, eine freigebige Zuwendung zugunsten der Mitgesellschafter darstellen.

Die disquotale Aufstockung der Kapitalrücklage einer GmbH – als freigebige Zuwendung zugunsten der Mitgesellschafter

Nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG gilt als Schenkung unter Lebenden jede freigebige Zuwendung, soweit der Bedachte durch sie auf Kosten des Zuwendenden bereichert wird. Ob der Bedachte bereichert ist, bestimmt sich ausschließlich nach der Zivilrechtslage1. Als Bereicherung kommt dabei grundsätzlich jede Vermögensmehrung sowie jede Minderung von Schulden oder Belastungen beim Bedachten in Betracht2. Auch ein Forderungsverzicht kann Gegenstand einer freigebigen Zuwendung sein3.

Danach hat das erstinstanzlich mit dem hier entschiedenen Fall befasste Finanzgericht Baden-Württemberg4 das Vorliegen einer freigebigen Zuwendung im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG zu Unrecht mit der Begründung verneint, der Verzicht des – V auf einen vollen Wertausgleich für seine Kapitalzuführungen führe nicht zu einer Bereicherung seiner Mitgesellschafter, weil die Kapitalrücklage jedem der Gesellschafter in Höhe ihrer Beteiligungsquoten zugestanden habe.

Das Finanzgericht hat verkannt, dass eine von den Beteiligungsquoten abweichende Zuordnung der Kapitalrücklage zivilrechtlich zulässig und grundsätzlich auch steuerrechtlich anzuerkennen ist.

Die Kapitalrücklage ist zwar Bestandteil des Eigenkapitals der Gesellschaft; dieses steht allein der Gesellschaft und nicht dem Gesellschafter zu5. Insbesondere erwirbt der Gesellschafter im Fall einer Einlage in das Gesellschaftsvermögen nicht ein selbständiges Wirtschaftsgut „Beteiligung an der Kapitalrücklage“. Die Einzahlung in die Kapitalrücklage ist vielmehr in rechtlicher Hinsicht aufzuspalten in die Zuführung von Kapital zum Vermögen der Gesellschaft (Einlage) und die anschließende Einstellung des zugeführten Betrags in die Kapitalrücklage. Nur Erstere betrifft das Verhältnis zwischen Gesellschafter und Gesellschaft; die spätere Einstellung in die Rücklage ist ein rein gesellschaftsinterner Vorgang, der die Stellung des Gesellschafters gegenüber der Gesellschaft nicht berührt. Deshalb entsteht auch bei Zuführung des Kapitals zu einer Kapitalrücklage nicht eine Berechtigung des Gesellschafters speziell in Bezug auf diese Rücklage, sondern die Einlage verstärkt lediglich die aus der Beteiligung erwachsende Gesellschafterstellung6.

Die Zuordnung der Kapitalrücklage zum Eigenkapital der Gesellschaft schließt es nach allgemeiner Auffassung im Schrifttum jedoch nicht aus, dass Leistungen eines Gesellschafters in die Kapitalrücklage in entsprechender Anwendung von § 29 Abs. 3 Satz 2, § 72 Satz 2 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) in der Weise gesellschafterbezogen zugeordnet werden können, dass etwa im Fall der Liquidation oder der Auflösung der Kapitalrücklage die geleisteten Beträge nur den Gesellschaftern zustehen sollen, die die Leistung ursprünglich erbracht haben, sodass die übrigen Gesellschafter nicht über ihre Beteiligung von der eingelegten Leistung profitieren. Dies gilt jedenfalls dann, wenn eine von den Beteiligungsverhältnissen abweichende Zuordnung der Kapitalrücklage nach der Satzung der GmbH möglich ist und die Gesellschafter wirksam einen entsprechenden Beschluss fassen7. Liegen diese Voraussetzungen vor, ist eine zivilrechtlich wirksam zustande gekommene gesellschafterbezogene Zuordnung der Kapitalrücklage grundsätzlich auch in steuerrechtlicher Hinsicht anzuerkennen8.

Eine gesellschaftsrechtlich zulässige und auch in steuerrechtlicher Hinsicht anzu Vereinbarung entsprechender disquotaler Rückzahlungsansprüche in Bezug auf die Kapitalrücklage kann dazu führen, dass ein späterer Verzicht auf eine derartige Forderung im Verhältnis der Gesellschafter untereinander einen schenkungsteuerbaren Vorgang nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG auslöst. Das Finanzgericht ist hingegen von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Denn aus der Prämisse, die disquotale Einlage stelle Eigenkapital der Gesellschaft dar und stehe nicht den Gesellschaftern zu, hat es unzutreffend geschlussfolgert, dass die Kapitalrücklage den Gesellschaftern stets nur in Höhe ihrer Beteiligungsquoten zuzurechnen ist und der Verzicht auf disquotale Rückzahlungsansprüche, die auf einem Gesellschafterbeschluss beruhen, nicht zu einem schenkungsteuerbaren Vorgang führen kann. 

Im vorliegenden Fall haben die Gesellschafter der GmbH – ein Vater und seine beiden Söhne – wirksam eine von den Beteiligungsverhältnissen abweichende Zuordnung der Kapitalrücklage zugunsten des Vaters beschlossen. Daher hat der Vater, indem er im Zusammenhang mit der Kapitalerhöhung der GmbH auf einen vollen Ausgleich der von ihm aufgebrachten Kapitalrücklage verzichtet hat, eine freigebige Zuwendung im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG im Verhältnis zum Sohn bewirkt.

Die Gesellschafter der GmbH haben wirksam eine von den Beteiligungsverhältnissen abweichende Zuordnung der Kapitalrücklage zugunsten des Vaters beschlossen. Die Gesellschafter der GmbH haben mit Beschluss vom 01.07.2006 bestimmt, dass „insbesondere bei disquotalen Einlagen jeder Gesellschafter Rechtsinhaber und Eigentümer seines Anteils der Kapitalrücklagen bleibt, die Kapitalrücklagen also nicht im Verhältnis der Beteiligungen zu je 1/3 den Gesellschaftern zugerechnet werden“. Dieser Beschluss stand im Einklang mit der in § 9 Nr. 2 der Satzung enthaltenen Öffnungsklausel, die den Gesellschaftern ausdrücklich die Befugnis einräumte, eine von den Beteiligungsverhältnissen abweichende Regelung in Bezug auf die „Zuweisung und Auflösung von Kapitalrücklagen“ zu treffen. Der Beschluss vom 01.07.2006 beruhte danach auf einer satzungsmäßigen Grundlage, sodass er ohne Beachtung der für eine Satzungsänderung nach § 53 Abs. 3 Satz 1 GmbHG erforderlichen notariellen Beurkundung wirksam war9. Der Wirksamkeit des Gesellschafterbeschlusses vom 01.07.2006 steht auch nicht entgegen, dass § 19 der Satzung vorsah, dass nicht nur Satzungsänderungen, sondern auch Nebenabreden der notariellen Beurkundung bedurften. Denn im Unterschied zu den gesetzlichen Beurkundungspflichten führt die Verletzung einer nur durch Satzung aufgestellten Beurkundungsvorschrift nicht zur Nichtigkeit, sondern lediglich zur Anfechtbarkeit des Beschlusses10. Haben aber -wie hier- sämtliche Gesellschafter zugestimmt, kann der Beschluss von keinem der Gesellschafter angefochten werden, denn die Zustimmung aller Gesellschafter führt für jeden Gesellschafter zum Verlust der Anfechtungsberechtigung11. Der einstimmige und nicht anfechtbare Beschluss vom 01.07.2006 über die disquotale Zuweisung der Kapitalrücklage war damit zivilrechtlich wirksam und bindend. Er ist mangels entgegenstehender Gründe auch in steuerrechtlicher Hinsicht anzuerkennen.

Die disquotale Zurechnung der Kapitalrücklage ging auch nicht deswegen ins Leere, weil es, wie der Kläger geltend macht, von vornherein an einer wirksamen Beschlussfassung der Gesellschafter über die Einstellung der Leistungen des – V in die Kapitalrücklage der GmbH gefehlt habe. Ausweislich der im Jahr 2007 gefassten Gesellschafterbeschlüsse wurden die zunächst auf dem Gesellschafter-Verrechnungskonto des – V bestehenden Verbindlichkeiten in die Kapitalrücklage der GmbH als „Kapitalrücklage V“ umgebucht. Diese Beschlüsse wurden satzungsgemäß von der Mehrheit der Gesellschafter gefasst und waren daher wirksam. Sie waren auch deswegen bindend, weil sie durch den an der Beschlussfassung nicht teilnehmenden Gesellschafter nicht angefochten wurden.

Durch den Verzicht auf einen vollen Ausgleich des von ihm aufgebrachten Betrags der Kapitalrücklage im Zusammenhang mit der Kapitalerhöhung bei der GmbH hat der Vater eine freigebige Zuwendung im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG an den  Sohn bewirkt. Dessen objektive Bereicherung liegt darin, dass er aufgrund des Forderungsverzichts des Vaters die bei diesem aufgrund der Kapitalerhöhung entstandene Wertminderung seines Anteils nicht vollständig ausgleichen musste. Obwohl die Kapitalrücklage nach dem Gesellschafterbeschluss vom 01.07.2006 allein dem Vater zustand, wurde sie in der Wertverlustberechnung vom 15.11.2012 allen Gesellschaftern in Höhe ihrer jeweiligen Beteiligungsquote zugerechnet. Sie wurde damit trotz abweichender Beschlussfassung auch auf die beiden Söhne verteilt, ohne dass diese hierfür einen entsprechenden Ausgleich zu leisten hatten. Hierin liegt ein vermögenswerter Vorteil, um den die beiden Söhne bereichert worden sind.

Die Söhne sind auch, wie es § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG erfordert, auf Kosten des Vaters bereichert worden. Denn soweit dieser auf einen vollen Ausgleich der bei ihm eingetretenen Wertminderung verzichtet hat, ist bei ihm eine entsprechende Vermögensminderung eingetreten. Diese Vermögensminderung war auch nicht nur rein vorläufiger Natur. In der notariellen Urkunde vom 15.11.2012 wurde festgelegt, dass „die Veränderung der Kapitalbeteiligung (…) auch zu einer Veränderung der Ansprüche der Gesellschafter an und auf die Kapitalrücklage“ führt. Zugleich erkannten sämtliche Gesellschafter die Wertverlustberechnung als „verbindlich“ an. Diese getroffenen Vereinbarungen können nicht anders verstanden werden, als dass der Vater auf einen vollen Ausgleich der bei ihm entstandenen Wertminderung endgültig verzichtet hat.

Auch das subjektive Erfordernis einer freigebigen Zuwendung, nämlich der Wille des Vaters zur Freigebigkeit, ist im vorliegenden Fall erfüllt. 

Hierfür genügt es, wenn sich der Zuwendende der (Teil-)Unentgeltlichkeit seiner Leistung bewusst ist. Bei Unausgewogenheit gegenseitiger Verträge reicht regelmäßig das Bewusstsein des einseitig benachteiligten Vertragspartners über den Mehrwert seiner Leistung aus; auf die Kenntnis des genauen Ausmaßes des Wertunterschieds kommt es hingegen nicht an. Die Kenntnis des Zuwendenden hinsichtlich der Umstände, aus denen sich die objektive Bereicherung des Zuwendungsempfängers ergibt, ist dabei regelmäßig prima facie zu unterstellen. Ein auf die Bereicherung des Empfängers gerichteter Wille im Sinne einer Bereicherungsabsicht ist nicht erforderlich12.

Danach liegt der subjektive Tatbestand einer freigebigen Zuwendung vor. Dem Vater war bekannt, dass bei der Bestimmung der vom Sohn zu erbringenden Ausgleichsleistung die Kapitalrücklage der GmbH den Gesellschaftern im Verhältnis ihrer quotalen Beteiligung am Gesellschaftsvermögen zugerechnet worden war, obwohl die Gesellschafter mit Beschluss vom 01.07.2006 bindend festgelegt hatten, dass jeder Gesellschafter Rechtsinhaber und Eigentümer seines Anteils der Kapitalrücklage bleibt, die Kapitalrücklage also nicht im Verhältnis der Beteiligungen sämtlichen Gesellschaftern zugerechnet werden sollte. Die Wertverlustberechnung, in der die Kapitalrücklage entsprechend den Beteiligungsquoten aufgeteilt wurde, wurde auch vom Vater unterzeichnet und als Anlage zur notariellen Urkunde vom 15.11.2012 genommen. Damit war dem Vater im Zusammenhang mit der Durchführung der Kapitalerhöhung bewusst, dass die von seinen beiden Söhnen an ihn zu leistende Ausgleichszahlung den entstandenen Wertverlust nur teilweise ausgleichen würde. Das reicht für die Annahme des Bewusstseins der (Teil-)Unentgeltlichkeit aus, ohne dass es darauf ankommt, welche konkreten Motive für die Zuwendung des Vaters im Vordergrund standen.

Der Annahme einer freigebigen Zuwendung im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG aufgrund des Forderungsverzichts des – V steht schließlich nicht entgegen, dass die Aufstockung der Kapitalrücklage der GmbH auf disquotalen Einlagen beruht, die nach der im Zeitpunkt der Einlageleistung maßgebenden Rechtslage nicht der Besteuerung nach § 7 Abs. 8 Satz 1 ErbStG unterlagen (vgl. § 37 Abs. 7 Satz 1 ErbStG). Denn Gegenstand des angefochtenen Schenkungsteuerbescheids sind nicht die Einlageleistungen des Vaters, sondern dessen Verzicht auf einen vollen Ausgleich der von ihm aufgebrachten Kapitalrücklage.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 19. Juni 2024 – II R 40/21

  1. BFH, Urteil vom 27.08.2014 – II R 43/12, BFHE 246, 506, BStBl II 2015, 241, Rz 37, 45[]
  2. BFH, Urteil vom 17.03.2004 – II R 3/01, BFHE 204, 311, BStBl II 2004, 429, unter II. 1.[]
  3. BFH, Urteile vom 30.08.2017 – II R 46/15, BFHE 259, 370, BStBl II 2019, 38, Rz 28 f.; und vom 16.09.2020 – II R 33/19, BFH/NV 2021, 317, Rz 23[]
  4. FG Baden-Württemberg, Urteil vom 24.06.2020 – 7 K 2351/17[]
  5. vgl. BFH, Urteil vom 20.07.2018 – IX R 5/15, BFHE 262, 135, BStBl II 2019, 194, Rz 22, m.w.N.[]
  6. BFH, Urteil vom 27.04.2000 – I R 58/99, BFHE 192, 428, BStBl II 2001, 168, unter III. 5.b[]
  7. vgl. z.B. Priester, Deutsches Steuerrecht -DStR- 2001, 795, 797; Blumers/Beinert/Witt, DStR 2002, 616, 617 f.; Schulze/Osterloh, Betriebs-Berater 2018, 427, 428; Kotzenberg/Riedel, Der Betrieb -DB- 2019, 2655, 2656; Ott, DStR 2021, 897, 899; Karsten Schmidt/Scheller in Scholz, GmbHG, 12./13. Aufl., § 72 Rz 2a; vgl. auch BFH, Urteil vom 28.09.2021 – VIII R 25/19, BFHE 274, 457, Rz 14[]
  8. so auch R E 7.5 Abs. 11 Satz 14 der Erbschaftsteuer-Richtlinien 2019[]
  9. vgl. BGH, Urteil vom 02.07.2019 – II ZR 406/17, DB 2019, 1783, Rz 57; vgl. auch Lawall, DStR 1996, 1169; MünchKomm-GmbHG/Harbarth, 4. Aufl., § 53 Rz 47; Priester/Tebben in Scholz, GmbHG, 12./13. Aufl., § 53 Rz 27a; Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 21. Aufl., § 53 Rz 33[]
  10. BGH, Urteil vom 16.07.2024 – II ZR 71/23, DB 2024, 1875, Rz 37; vgl. auch Noack in Noack/Servatius/Haas, GmbHG, 23. Aufl., Anhang nach § 47 Rz 49; Schmidt/Nachtwey in Prinz/Winkeljohann, Beck’sches Handbuch der GmbH, 6. Aufl., § 4 Rz 174[]
  11. BFH, Urteil vom 28.09.2022 – VIII R 20/20, BFHE 278, 231, Rz 31; Lawall, DStR 1996, 1169, 1174; MünchKomm-GmbHG/Harbarth, 4. Aufl., § 53 Rz 53; Priester/Tebben in Scholz, GmbHG, 12./13. Aufl., § 53 Rz 30a; Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 21. Aufl., § 53 Rz 30[]
  12. BFH, Urteile vom 29.10.1997 – II R 60/94, BFHE 183, 253, BStBl II 1997, 832; und vom 12.07.2005 – II R 8/04, BFHE 210, 474, BStBl II 2005, 845[]