Abgabe von Speisen in einer Betriebskantine – und der Umsatzsteuersatz

Ein Unternehmer, der in einer Betriebskantine Speisen portioniert, auf Mehrweggeschirr mit Mehrwegbesteck ausgibt sowie das Geschirr und Besteck nach dessen Rückgabe reinigt, erbringt eine sonstige Leistung, die außerhalb des Anwendungsbereichs des § 12 Abs. 2 Nr. 15 UStG dem Regelsteuersatz unterliegt.

Abgabe von Speisen in einer Betriebskantine – und der Umsatzsteuersatz

Das Sächsische Finanzgericht hat demgegenüber zu Unrecht angenommen, dass der Unternehmer Lieferungen ausgeführt habe1. Vielmehr hat er, soweit er Speisen auf Mehrweggeschirr mit Mehrwegbesteck ausgegeben, dieses wieder zurückgenommen und gereinigt hat, sonstige Leistungen erbracht, die in den Streitjahren (2011 bis 2016) dem Regelsteuersatz unterlagen.

Nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG ermäßigt sich die Steuer auf 7 % für „die Lieferungen“ der in Anlage 2 bezeichneten Gegenstände.

Nach § 3 Abs. 1 UStG sind Lieferungen eines Unternehmers Leistungen, durch die er oder in seinem Auftrag ein Dritter den Abnehmer oder in dessen Auftrag einen Dritten befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen (Verschaffung der Verfügungsmacht). Demgegenüber sind sonstige Leistungen nach § 3 Abs. 9 UStG Leistungen, die keine Lieferungen sind.

§ 3 Abs. 1 und 9 UStG beruhten in den Streitjahren unionsrechtlich auf Art. 14 Abs. 1, Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem)), wonach als Lieferung eines Gegenstands die Übertragung der Befähigung gilt, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen; als Dienstleistung gilt jede Leistung, die keine Lieferung eines Gegenstands ist.

Zudem ist Art. 6 Abs. 1 MwSt-DVO zumindest insoweit zu berücksichtigen, als er rückwirkend Begriffe klärt, die sich bereits zuvor in der Richtlinie 77/388/EWG befunden haben2.

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Bei der tatbestandlichen Abgrenzung von Lieferungen und sonstigen Leistungen beim Verzehr von Speisen an Ort und Stelle ist von folgenden Rechtsgrundsätzen der Rechtsprechung des EuGH auszugehen, denen der Bundesfinanzhof folgt3.

Ob bestimmte Umsätze Lieferungen von Gegenständen oder Dienstleistungen sind, richtet sich nach ihrem „Wesen“; dieses ist im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zu ermitteln4. Dazu ist nicht nur die quantitative, sondern auch die qualitative Bedeutung der Dienstleistungselemente im Vergleich zu den Elementen der Lieferung zu bestimmen5.

Da die Vermarktung eines Gegenstands stets mit einer minimalen Dienstleistung (z.B. dem Darbieten der Waren in Regalen, dem Ausstellen einer Rechnung) verbunden ist, sind bei der Beurteilung des Anteils der Dienstleistungen an der Gesamtheit eines komplexen Geschäfts nur diejenigen Dienstleistungen zu berücksichtigen, die sich von denen unterscheiden, die notwendig mit der Vermarktung eines Gegenstands verbunden sind6.

Restaurantumsätze enthalten eine Reihe von Komponenten, von denen nur ein Teil in der Lieferung von Nahrungsmitteln besteht, während die Dienstleistungen bei Weitem überwiegen; etwas anderes gilt hingegen, wenn sich der Umsatz auf Nahrungsmittel zum Mitnehmen bezieht und daneben keine Dienstleistungen erbracht werden, die den Verzehr an Ort und Stelle in einem geeigneten Rahmen ansprechend gestalten sollen7.

Die Abgabe von Nahrungsmitteln und Getränken zum sofortigen Verzehr ist das Ergebnis einer Reihe von Dienstleistungen vom Zubereiten bis zum Darreichen dieser Speisen, wobei dem Gast zugleich eine organisatorische Gesamtheit zur Verfügung gestellt wird, die u.a. einen Speisesaal und auch das Mobiliar und das Geschirr umfasst8. Wenn die Abgabe von Nahrungsmitteln nur mit der Bereitstellung behelfsmäßiger Vorrichtungen (d.h. ganz einfacher Verzehrtheken ohne Sitzgelegenheit, die nur einer beschränkten Zahl von Kunden den Verzehr an Ort und Stelle im Freien ermöglichen) einhergeht und dadurch nur ein geringfügiger personeller Einsatz erforderlich ist, stellen diese Elemente geringfügige Nebenleistungen dar, die am Vorliegen einer Lieferung nichts ändern können9.

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Unter Anwendung dieser Grundsätze hat der Bundesfinanzhof z.B. entschieden, dass die Abgabe von standardisiert zubereiteten Speisen durch einen Imbissstand zum Verzehr an einem Tisch mit Sitzgelegenheiten zu einem dem Regelsteuersatz unterliegenden Restaurantumsatz führt; dies ist darauf zurückzuführen, dass die Bereitstellung von Geschirr, Besteck oder Mobiliar (Tische mit Sitzgelegenheit) -im Unterschied zur bloßen Bereitstellung einer behelfsmäßigen Infrastruktur im Fall von Imbissständen, Imbisswagen oder Kinos- einen gewissen personellen Einsatz erfordert, um das gestellte Material herbeizuschaffen, zurückzunehmen und ggf. zu reinigen10. Der Bundesfinanzhof hat außerdem bereits entschieden, dass es für die Annahme einer der Regelbesteuerung i.S. des § 12 Abs. 1 UStG zu unterwerfenden sonstigen Leistung i.S. des § 3 Abs. 9 UStG ausreicht, wenn ein Unternehmer, der Speisen in einem Kindergarten abgibt, über die Speisenlieferung hinaus einen Speiseplan erstellt, Speisen durch eine Servicekraft portioniert und das Geschirr und Besteck reinigt11.

Nach diesen Grundsätzen hat das Sächsische Finanzgericht zu Unrecht angenommen, der Kantinenbetreiber habe Speisen geliefert. Die Vorentscheidung ist deshalb aufzuheben.

Das Finanzgericht hat u.a. angenommen, der Kantinenbetreiber habe keine unterstützenden Dienstleistungen erbracht und die Ausgabe und Rücknahme sowie Reinigung von Mehrweggeschirr habe nur eine untergeordnete Bedeutung.

Dies ist nicht frei von Rechtsfehlern; denn es widerspricht dem BFH, Urteil in BFH/NV 2013, 1950. Die unterstützenden Leistungen des Kantinenbetreibers sind unter der Prämisse des Finanzgericht, der Aufenthaltsbereich und das darin befindliche Mobiliar seien dem Kantinenbetreiber nicht zuzurechnen, mit den Leistungen der dortigen Kantinenbetreiberin vergleichbar und führen daher nach den vorgenannten Grundsätzen -entgegen der Ansicht des Sächsischen Finanzgerichts- zur Annahme einer sonstigen Leistung.

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Das Sächsische Finanzgericht hat insoweit außerdem nicht berücksichtigt, dass auch nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union12 sowie der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs13 bei einem Partyservice schon die Bereitstellung und Rücknahme von Geschirr und Besteck sowie dessen Reinigung ausreicht, um den Regelsteuersatz zur Anwendung zu bringen, weil diese Leistungen (im Unterschied zur bloßen Bereitstellung einer behelfsmäßigen Infrastruktur im Fall von Imbissständen, Imbisswagen oder Kinos) einen gewissen personellen Einsatz verlangen, um das gestellte Material herbeizuschaffen, zurückzunehmen und ggf. zu reinigen14. Dies gilt aus Gründen der Wahrung des Grundsatzes der Neutralität ebenso für den Kantinenbetreiber, der insoweit nach den tatsächlichen Feststellungen des Finanzgericht (mit der Sauberhaltung des Raumes einschließlich der sich dort befindlichen Möbel) sogar umfassendere unterstützende Leistungen als ein (mit dem Regelsteuersatz besteuerter) Partyservice erbringt. Ob die Ausgabe, Rücknahme und Reinigung des Geschirrs und Bestecks rund um den Verzehr von Speisen (wie beim Kantinenbetreiber) in einem Aufenthaltsbereich, der nach Auffassung des Finanzgericht der X-GmbH zuzurechnen ist, oder (wie beim Partyservice) an einem anderen Ort erfolgt, der nicht dem Leistenden zuzurechnen ist, führt insoweit zu keinem abweichenden Ergebnis; denn am erforderlichen personellen Einsatz für die Ausgabe, Rücknahme und Reinigung von Geschirr und Besteck ändert der Ort des Verzehrs nichts.

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Diese Beurteilung widerspricht nicht den Ausführungen des Unionsgerichtshofs15. Dies ist bei einer Kantine wie hier nicht der Fall.

Ob das Finanzgericht zu Recht angenommen hat, dass der Aufenthaltsbereich nicht als unterstützende Dienstleistung des Kantinenbetreibers zu berücksichtigen ist16, kann danach im Streitfall ebenso dahin stehen wie die Frage, ob die Speisen des Kantinenbetreibers ganz oder teilweise (Imbiss) „Standardspeisen“ waren (und ob diese Einstufung in den Streitjahren noch von Bedeutung war).

Bundesfinanzhof, Urteil vom 20. Oktober 2021 – XI R 2/21

  1. Sächs. FG, Urteil vom 16.12.2020 – 2 K 1072/19[]
  2. zur Präzisierung der bisherigen Auslegung durch Art. 6 MwSt-DVO s. EuGH, Urteil „Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Katowicach“ vom 22.04.2021 – C-703/19, EU:C:2021:314, Rz 55 ff.; BFH, Urteil vom 03.08.2017 – V R 15/17, BFHE 258, 566, Rz 18; BFH, Beschluss vom 15.09.2021 – XI R 12/21 (XI R 25/19).[]
  3. vgl. ausführlich BFH, Beschluss vom 15.09.2021 – XI R 12/21 (XI R 25/19) m.w.N.[]
  4. EuGH, Urteil Faaborg-Gelting Linien vom 02.05.1996 – C-231/94, EU:C:1996:184, Rz 12[]
  5. vgl. EuGH, Urteile „Bog u.a.“ vom 10.03.2011 – C-497/09, EU:C:2011:135, Rz 61 und 62; „Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Katowicach“, EU:C:2021:314, Rz 48 und 49[]
  6. vgl. EuGH, Urteile Hermann vom 10.03.2005 – C-491/03, EU:C:2005:157, Rz 22; Bog u.a., EU:C:2011:135, Rz 63; Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Katowicach, EU:C:2021:314, Rz 50[]
  7. vgl. EuGH, Urteile Faaborg-Gelting Linien, EU:C:1996:184, Rz 14; Bog u.a., EU:C:2011:135, Rz 64; Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Katowicach, EU:C:2021:314, Rz 51[]
  8. vgl. EuGH, Urteile Faaborg-Gelting Linien, EU:C:1996:184, Rz 13; Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Katowicach, EU:C:2021:314, Rz 52[]
  9. vgl. EuGH, Urteile Bog u.a., EU:C:2011:135, Rz 70; Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Katowicach, EU:C:2021:314, Rz 53[]
  10. vgl. BFH, Urteile vom 26.10.2006 – V R 58, 59/09, BFHE 215, 360, BStBl II 2007, 487; vom 30.06.2011 – V R 18/10, BFHE 234, 496, BStBl II 2013, 246, Rz 37 und 38; in BFHE 258, 566, Rz 16 f.; s.a. BFH, Beschluss vom 14.03.2018 – V B 142/17, BFH/NV 2018, 732[]
  11. BFH, Urteil vom 28.05.2013 – XI R 28/11, BFH/NV 2013, 1950, Rz 30; möglicherweise sogar weiter gehend zur Abgabe von Speisen in Wärmebehältern zu festgelegten Zeitpunkten: BFH, Urteil vom 22.12.2011 – V R 47/10, BFH/NV 2012, 812, Rz 16[]
  12. EuGH, Urteil „Fleischerei Nier“ – C-502/09; siehe auch EuGH, Urteil „Bog u.a.“, EU:C:2011:135, Rz 75 ff.[]
  13. vgl. BFH, Urteile vom 10.08.2006 – V R 55/04, BFHE 214, 474, BStBl II 2007, 480; vom 18.12.2008 – V R 55/06, BFHE 223, 539, unter II. 6.; vom 23.11.2011 – XI R 6/08, BFHE 235, 563, BStBl II 2013, 253, Rz 43; vom 12.10.2011 – V R 66/09, BFHE 235, 525, BStBl II 2013, 250, Rz 20; vom 10.06.2011 – V B 74/09, BFH/NV 2011, 1547, Rz 5; vom 11.04.2013 – V R 28/12, BFH/NV 2013, 1638, Rz 17[]
  14. EuGH, Urteil Bog u.a., EU:C:2011:135, Rz 74[]
  15. EuGH, Urteile „Bog“, „CinemaxX“ und „Lohmeyer“ – C-497/09; C-499/09; und C-501/09, weil der EuGH auch dort darauf abgestellt hat, dass ganz überwiegend kein Geschirr, kein Mobiliar und kein Gedeck bereitgestellt wurden, sondern nur behelfsmäßige Vorrichtungen, die nur einen geringfügigen personellen Einsatz erforderten ((EuGH, Urteil Bog u.a., ebenda, Rz 69, 70 und 71[]
  16. s. dazu allgemein BFH, Urteile in BFHE 258, 566, Rz 17; in BFH/NV 2018, 63; BFH, Beschlüsse vom 24.07.2017 – XI B 37/17, BFH/NV 2017, 1635; vom 13.03.2019 – XI B 89/18, BFH/NV 2019, 945; s.a. BFH, Urteil vom 26.08.2021 – V R 42/20, DStR 2021, 2785[]
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