Die Schätzung des Finanzgerichts – und die Nichtzulassungsbeschwerde

Einwendungen gegen die Richtigkeit von Steuerschätzungen in Gestalt von Verstößen gegen anerkannte Schätzungsgrundsätze, Denkgesetze und Erfahrungssätze sowie behauptete materielle Rechtsfehler sind als Rügen einer falschen Rechtsanwendung und tatsächlichen Würdigung durch das Finanzgericht im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren grundsätzlich unbeachtlich1.

Die Schätzung des Finanzgerichts – und die Nichtzulassungsbeschwerde

Ein darüber hinausgehender, ausnahmsweise zur Zulassung der Revision führender qualifizierter Rechtsanwendungsfehler des Finanzgerichts im Sinne des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO liegt jedoch vor, wenn das vom Finanzgericht bestätigte Schätzungsergebnis wirtschaftlich unmöglich und damit schlechthin unvertretbar ist oder sich als offensichtlich realitätsfremd darstellt2. Das Vorliegen dieser besonderen Umstände ist in der Beschwerdebegründung darzulegen3.

Im hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall4 rügte die Beschwerde diesbezüglich allerdings ohne Erfolg, dass sie die Schätzung, nach der lediglich 10 % der Umsätze „zum Mitnehmen“ waren, für unzutreffend („völlig irreal“ und „realitätsfremd“) hält:

Denn aus den Darlegungen der Gastronomin ergibt sich schon nicht, warum das Schätzungsergebnis des Finanzamtes schlechthin unvertretbar oder offensichtlich realitätsfremd wäre. Zudem beachtet die Gastronomin nicht, dass das Finanzgericht dem Finanzamt nur teilweise gefolgt ist und der Klage teilweise stattgegeben hat, weil es die tatsächlichen Verhältnisse in einem Biergarten anders eingeschätzt hat als das Finanzamt, und dass nach den Ermittlungen der Außenprüferin die Gastronomin ihre Kunden nicht dazu befragt hat, ob die erworbenen Speisen „zum Mitnehmen“ sind, was erst dazu geführt hat, dass dieser Anteil geschätzt werden musste. Aufzeichnungen zu den Umsätzen zum Verzehr vor Ort und zum Mitnehmen im Sinne des § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG, getrennt nach Steuersätzen, hat die Gastronomin nicht vorgelegt. Daraus konnten das Finanzamt und das Finanzgericht für die Gastronomin nachteilige Schlüsse ziehen, da die Tatsache, welcher Anteil der Umsätze „zum Mitnehmen“ ist, aus der Wissens- und Einflusssphäre der Gastronomin stammt5. Eine nicht (z.B. durch eine Kundenbefragung über einen repräsentativen Zeitraum zu späterer Zeit o.Ä., verbunden mit dem Nachweis, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse gegenüber dem Jahr 2017 nicht wesentlich geändert haben, oder in anderer Form) tatsächlich untermauerte, rein pauschale Behauptung, dass der vom Finanzgericht geschätzte Prozentsatz aus Sicht der Gastronomin zu hoch sei, genügt als Darlegung eines schwerwiegenden Rechtsanwendungsfehlers des Finanzgerichts nicht.

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Bundesfinanzhof, Beschluss vom 12. Juli 2023 – XI B 1/23

  1. vgl. BFH, Beschlüsse vom 26.03.2021 – X B 113/20, Rz 13, m.w.N.; vom 20.01.2022 – X B 132-133/20, Rz 21[]
  2. BFH, Beschlüsse vom 08.08.2019 – X B 117/18, Rz 30, 32; vom 29.11.2022 – VIII B 141/21, Rz 11[]
  3. vgl. BFH, Beschluss vom 05.03.2020 – VIII B 30/19, Rz 5[]
  4. Nds. FG, Urteil vom 24.11.2022 – 5 K 57/22[]
  5. vgl. grundlegend BFH, Urteil vom 15.02.1989 – X R 16/86, BFHE 156, 38, BStBl II 1989, 462[]

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