Verlagerung der Steuerschuldnerschaft – und die Anforderungen an den Leistungsempfänger

Für die Verlagerung der Steuerschuldnerschaft nach § 13b Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 UStG kommt es nicht auf die Verwendung einer gültigen Umsatzsteuer-Identifikationsnummer durch den Leistungsempfänger an. Die Verlagerung der Steuerschuldnerschaft vom leistenden Unternehmer auf den Leistungsempfänger wirkt zugunsten des leistenden Unternehmers und führt zu einer den leistenden Unternehmer hinsichtlich der Voraussetzungen des § 13b Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1, Abs. 1 UStG treffenden Feststellungslast. Eine Entscheidung auf Grundlage der Feststellungslast kann im finanzgerichtlichen Verfahren erst im Falle einer Unaufklärbarkeit des Sachverhalts getroffen werden.

Verlagerung der Steuerschuldnerschaft – und die Anforderungen an den Leistungsempfänger

Damit beantwortete der Bundesfinanzhof die Frage, welche Anforderungen ein im übrigen Gemeinschaftsgebiet ansässiger Unternehmer, der im Inland sonstige Leistungen nach § 3a Abs. 2 oder Abs. 5 UStG an Unternehmer und Nichtunternehmer erbringt, zu erfüllen hat, damit er von einer Steuerschuldnerschaft seiner unternehmerischen Leistungsempfänger nach § 13b UStG ausgehen kann.

Für sonstige Leistungen im Sinne von § 3a Abs. 2 UStG, die ein im übrigen Gemeinschaftsgebiet ansässiger Unternehmer an einen im Inland ansässigen Unternehmer erbringt, besteht eine Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers.

Nach § 13b Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 und Abs. 1 UStG schuldet der Leistungsempfänger die Steuer für eine nach § 3a Abs. 2 UStG im Inland steuerpflichtige sonstige Leistung eines im übrigen Gemeinschaftsgebiet ansässigen Unternehmers, wenn der Leistungsempfänger ein Unternehmer ist. Unternehmer ist nach § 2 Abs. 1 Satz 1 UStG, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt. Gewerblich oder beruflich ist jede nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen, auch wenn die Absicht, Gewinn zu erzielen, fehlt (§ 2 Abs. 1 Satz 3 UStG).

Unionsrechtlich beruht § 13b Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 und Abs. 1 UStG auf Art.196 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL). Danach schuldet die Mehrwertsteuer der Steuerpflichtige, für den eine Dienstleistung nach Art. 44 MwStSystRL erbracht wird, wenn die Dienstleistung von einem nicht in diesem Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen erbracht wird. Hängt die Bestimmung des Ortes der Dienstleistung davon ab, ob es sich bei dem Dienstleistungsempfänger um einen Steuerpflichtigen oder um einen Nichtsteuerpflichtigen handelt, so wird gemäß Art. 17 Abs. 1 der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 282/2011 des Rates vom 15.03.2011 zur Festlegung von Durchführungsvorschriften zur Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem der Status des Dienstleistungsempfängers nach den Art. 9 bis 13 und 43 MwStSystRL bestimmt, wobei nach Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 MwStSystRL als „Steuerpflichtiger“ gilt, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbständig ausübt. Wirtschaftliche Tätigkeiten sind unter anderem alle Tätigkeiten eines Händlers (Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 MwStSystRL).

Für die Verlagerung der Steuerschuldnerschaft nach § 13b Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 UStG kommt es nicht auf die Verwendung einer gültigen USt-IdNr. durch den Leistungsempfänger an.

Sowohl § 13b Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 UStG als auch Art.196 MwStSystRL stellen darauf ab, dass der Leistungsempfänger Unternehmer (Steuerpflichtiger) ist. Dazu muss der Leistungsempfänger die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 UStG und der Art. 9, 10 MwStSystRL erfüllen. Dies setzt nicht die Erteilung oder ein Tätigwerden unter einer gültigen USt-IdNr. voraus1. Zudem sehen § 3a Abs. 2 Satz 3 UStG, auf den § 13b Abs. 1 UStG verweist, und Art.196 MwStSystRL für die Verlagerung der Steuerschuld auf nicht unternehmerisch tätige juristische Personen ausdrücklich vor, dass diesen eine USt-IdNr. erteilt worden sein muss. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass dies für Unternehmer und Steuerpflichtige im Sinne des § 2 Abs. 1 UStG und der Art. 9, 10 MwStSystRL gerade nicht erforderlich ist.

Für eine Verlagerung der grundsätzlich den leistenden Unternehmer nach § 13a Abs. 1 Nr. 1 UStG treffenden Steuerschuld durch § 13b Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 UStG muss jedenfalls die Person des Leistungsempfängers hinreichend bekannt, das heißt identifizierbar sein.

Eine Vorschrift, die dem leistenden Unternehmer einen bestimmten (buch- und belegmäßigen) Nachweis hinsichtlich der Person des Leistungsempfängers im Sinne des § 13b Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 UStG auferlegt, gibt es nicht. § 13b Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 und Abs. 1 UStG geben nicht vor, welche Angaben und/oder Unterlagen der leistende Unternehmer den Finanzbehörden hinsichtlich der Person des Leistungsempfängers vorlegen muss, damit die Voraussetzungen für eine Verlagerung der Steuerschuldnerschaft als erfüllt angesehen werden. Solche Vorgaben enthält auch § 22 Abs. 2 Nr. 8 UStG nicht. § 14 Abs. 4 UStG ist gemäß § 14 Abs. 7 Satz 1 UStG für nicht im Inland ansässige Unternehmen nicht einschlägig.

Eine Einschränkung der Sachaufklärungspflicht ergibt sich auch nicht daraus, dass § 13b Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1, Abs. 1 UStG eine Sonderregelung zu § 13a Abs. 1 Nr. 1 UStG ist. Die Verlagerung der Steuerschuldnerschaft vom leistenden Unternehmer auf den Leistungsempfänger wirkt zwar zugunsten des leistenden Unternehmers, was zu einer den leistenden Unternehmer hinsichtlich der Voraussetzungen des § 13b Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1, Abs. 1 UStG treffenden Feststellungslast führt2. Allerdings kann eine Entscheidung auf Grundlage der Feststellungslast (objektive Beweislast) im finanzgerichtlichen Verfahren erst im Falle einer Unaufklärbarkeit des Sachverhalts getroffen werden3. Daran fehlt es im Streitfall mangels hinreichender Sachaufklärung durch das Finanzgericht.

Entgegen der Auffassung des Finanzgerichtes musste – X die von ihr aufgezeichneten Angaben der Leistungsempfänger auch nicht selbst in der Weise dahingehend überprüfen, ob aus den Angaben und Unterlagen zu den Leistungsempfängern und aufgrund der Überprüfung objektiv oder „schlüssig“ auf die Unternehmereigenschaft und Identität der Leistungsempfänger geschlossen werden konnte. Denn selbst für den Fall, dass dem Unternehmer -wie beispielsweise im Falle grenzüberschreitender Steuerbefreiungen (§ 6 Abs. 4, § 6a Abs. 3 UStG i.V.m. §§ 8 ff., 17a ff. UStDV)- buch- und belegmäßige Nachweise auferlegt werden, muss er keinen objektiven, „schlüssigen“ oder überzeugenden Nachweis der nachzuweisenden Tatsache beibringen4, die beigebrachten Angaben unterliegen jedoch der Nachprüfung durch die Finanzverwaltung5.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 31. Januar 2024 – V R 20/21

  1. vgl. EuGH, Urteil VSTR vom 27.09.2012 – C-587/10, EU:C:2012:592, Rz 40 und 49 zu Art. 28c Teil A Buchst. a Unterabs. 1, Art. 4 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17.05.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern[]
  2. vgl. z.B. zum Bereich der Steuersatzermäßigung BFH, Urteil vom 12.05.2022 – V R 19/20, BFHE 277, 496, BStBl II 2023, 885, Rz 26[]
  3. vgl. z.B. BFH, Urteil vom 19.01.2017 – III R 28/14, BFHE 256, 403, BStBl II 2017, 743, Rz 20, mit Hinweis zur sogenannten „Beweisrisikosphäre“[]
  4. vgl. zu § 6a Abs. 3 UStG, §§ 17a ff. UStDV BFH, Urteil vom 12.05.2009 – V R 65/06, BFHE 225, 264, BStBl II 2010, 511, Rz 41[]
  5. s. zu § 6a Abs. 3 UStG, §§ 17a ff. UStDV BFH, Urteil vom 12.05.2009 – V R 65/06, BFHE 225, 264, BStBl II 2010, 511, Rz 42 und zu § 6 Abs. 4 UStG, §§ 8 ff. UStDV BFH, Urteil vom 23.04.2009 – V R 84/07, BFHE 225, 243, BStBl II 2010, 509, Rz 21[]