Die Antragsfrist des § 18 Abs. 9 UStG ist eine Ausschlussfrist, die nur durch einen vollständigen, dem amtlichen Muster in allen Einzelheiten entsprechenden Antrag gewahrt wird, wobei dem Antrag die Rechnungen und Einfuhrbelege im Original beizufügen sind. Das Verlangen nach Vorlage der Originalrechnung mit dem Vergütungsantrag kann unverhältnismäßig sein, wenn das Unvermögen des Antragstellers zur fristgerechten Vorlage der Originalrechnung vom Antragsteller nicht zu vertreten ist.

Es liegt daher kein zur Vorsteuervergütung berechtigender Antrag nach § 18 Abs. 9 UStG vor, wenn mit dem Antrag nicht das Original der Rechnung, aus der der Vorsteuerabzug geltend gemacht wird, sondern nur eine Kopie vorgelegt wird. Die spätere – nach Ablauf der Ausschlussfrist erfolgte – Vorlage der Originalrechnung im Klageverfahren heilt dieses Versäumnis nicht.
Nach § 18 Abs. 9 Satz 1 UStG kann zur Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens das Bundesministerium der Finanzen mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung die Vergütung der Vorsteuerbeträge (§ 15 UStG) an im Ausland ansässige Unternehmer, abweichend von § 16 UStG und von § 18 Abs. 1 bis 4 UStG, in einem besonderen Verfahren regeln. Der Vergütungsantrag ist gemäß § 18 Abs. 9 Satz 3 UStG binnen sechs Monaten nach Ablauf des Kalenderjahres zu stellen, in dem der Vergütungsanspruch entstanden ist. Der Unternehmer hat die Vergütung selbst zu berechnen und die Vorsteuerbeträge durch Vorlage von Rechnungen und Einfuhrbelegen im Original nachzuweisen (§ 18 Abs. 9 Satz 4 UStG).
Bei der Antragsfrist des § 18 Abs. 9 UStG handelt es sich um eine Ausschlussfrist1. Sie wird nur durch einen vollständigen, dem amtlichen Muster in allen Einzelheiten entsprechenden Antrag gewahrt2. Aus der gesetzessystematischen Stellung des § 18 Abs. 9 Satz 4 UStG zwischen § 18 Abs. 9 Sätze 3 und 5 UStG, in denen ausdrücklich der Vergütungsantrag genannt ist, ergibt sich, dass bereits mit dem Vergütungsantrag die Rechnungen und Einfuhrbelege im Original beizufügen sind3. Hieran hält der Bundesfinanzhof fest. Im vorliegenden Fall konnte weder der fristgerechte Antrag unter Beifügung nur einer Kopie der Originalrechnung noch die Vorlage der Originalrechnung mit Klageerhebung nach Ablauf der Frist des § 18 Abs. 9 UStG einen Vergütungsanspruch der Klägerin begründen.
Die hiergegen erhobenen Einwendungen greifen nicht durch. Ob und ggf. in welchem Umfang sich die im Drittlandsgebiet ansässige Klägerin auf für im Gemeinschaftsgebiet ansässige Steuerpflichtige geltende unionsrechtliche Grundsätze berufen kann, ist fraglich. Denn die dem Anwendungsbereich der Dreizehnten Richtlinie 86/560/EWG des Rates vom 17.11.1986 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Verfahren der Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Gebiet der Gemeinschaft ansässige Steuerpflichtige unterliegenden Unternehmer in Drittländern können anders behandelt werden als die dem Anwendungsbereich der Achten Richtlinie 79/1072/EWG des Rates vom 06.12 1979 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Verfahren zur Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Inland ansässige Steuerpflichtige unterliegenden Unternehmer im Unionsgebiet. Eine Ungleichbehandlung verstößt insoweit nicht gegen das Verbot der Diskriminierung nach Art. 12 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft -EGV- (Art. 18 AEUV), weil das Diskriminierungsverbot keine Anwendung im Falle einer Ungleichbehandlung zwischen Angehörigen der Mitgliedstaaten und Drittstaatsangehörigen findet4.
Der Bundesfinanzhof braucht diese Frage im hier entschiedenen Fall aber nicht zu beantworten, weil sich im vorliegenden Sachverhalt auch für einen im Gemeinschaftsgebiet ansässigen Steuerpflichtigen kein Vergütungsanspruch ergeben würde.
Aus dem Urteil „Société générale des grandes sources d`eaux minérales françaises“ des EuGH5 folgt, dass ein nicht im Inland ansässiger Steuerpflichtiger einem Erstattungsantrag grundsätzlich die Originalrechnungen und Originaleinfuhrdokumente beizufügen hat, aus denen sich die Umsatzsteuerbeträge ergeben, deren Erstattung beantragt wird6. Dabei muss aber das abgeleitete Recht die allgemeinen Rechtsgrundsätze und vor allem den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten7. Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dürfen Maßnahmen nicht über das zur Erreichung ihres Zieles Erforderliche hinausgehen8. Das Erfordernis der Vorlage der Originalrechnung ist unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit grundsätzlich berechtigt, weil es das einzige Mittel darstellt, um eine Mehrfachvergütung der Umsatzsteuer mit Sicherheit auszuschließen und die Anerkennung von Zweitschriften oder Kopien das Risiko von Mehrfachvergütungen birgt.
Allerdings folgt aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dass der für im Gemeinschaftsgebiet ansässige Steuerpflichtige geltende Art. 3 Buchst. a der Richtlinie 79/1072/EWG dahin auszulegen ist, dass es einem Mitgliedstaat nicht verwehrt ist, in seinem innerstaatlichen Recht die Möglichkeit vorzusehen, dass ein nicht im Inland ansässiger Steuerpflichtiger bei von ihm nicht zu vertretendem Abhandenkommen einer Rechnung oder eines Einfuhrdokuments den Nachweis seines Erstattungsanspruchs durch Vorlage einer Zweitschrift der Rechnung oder des fraglichen Einfuhrdokuments führt, wenn der dem Erstattungsantrag zugrunde liegende Vorgang stattgefunden hat und keine Gefahr besteht, dass weitere Erstattungsanträge gestellt werden9.
Des Weiteren folgt aus dem Diskriminierungsverbot des Art. 6 EGV, dass ein Mitgliedstaat der EU, der -wie die Bundesrepublik Deutschland- den in seinem Staatsgebiet ansässigen Steuerpflichtigen die Möglichkeit einräumt, bei von ihnen nicht zu vertretendem Abhandenkommen der Originalrechnung den Nachweis ihres Anspruchs auf Erstattung der Umsatzsteuer durch Vorlage einer Zweitschrift oder einer Ablichtung der Rechnung zu führen, diese Möglichkeit auch nicht in diesem Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen einräumen muss, wenn der dem Erstattungsantrag zugrunde liegende Vorgang zweifelsfrei stattgefunden hat, das Abhandenkommen der Rechnung oder des Einfuhrdokuments vom Steuerpflichtigen nicht zu vertreten ist und in Anbetracht der Umstände feststeht, dass die Gefahr weiterer Erstattungsanträge nicht gegeben ist10.
Es liegt weder ein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz noch gegen das Diskriminierungsverbot vor.
Ein Verzicht auf die Vorlage der Originalrechnung kommt sowohl unter dem Gesichtspunkt des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes als auch unter dem des Diskriminierungsverbotes nur in Betracht, wenn das Abhandenkommen der Rechnung oder des Einfuhrdokuments vom Steuerpflichtigen nicht zu vertreten ist11. Das Unvermögen der Klägerin, die Originalrechnung innerhalb der Frist des § 18 Abs. 9 UStG vorzulegen, beruht aber auf einem von ihr zu vertretenden Organisationsverschulden. Die Klägerin hat es versäumt, ihre Belegverwaltung so zu organisieren, dass ihr ein jederzeitiger Zugriff auf Eingangsrechnungen möglich war. Dass der Verbleib der Rechnung des B vom 13.09.2006 im Zuge eines Umzuges zwischenzeitlich über einen längeren Zeitraum unklar war, liegt im Verantwortungsbereich der Klägerin.
Bei der Versäumung von Ausschlussfristen wird dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im deutschen Recht darüber hinaus durch die verfahrensrechtlichen Regelungen in §§ 109, 110 AO Rechnung getragen. Gemäß § 109 Abs. 1 AO können Fristen zur Einreichung von Steuererklärungen und Fristen, die von einer Finanzbehörde gesetzt sind, verlängert werden und nach § 110 Abs. 1 AO ist jemandem, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, unter bestimmten weiteren Voraussetzungen auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Die Möglichkeiten, die das Verfahrensrecht durch §§ 109, 110 AO eröffnet, reichen aus, um dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in außergewöhnlichen Fällen der Fristversäumnis zu entsprechen. Die Klägerin hat von diesen Möglichkeiten aber keinen Gebrauch gemacht. Insbesondere hat sie innerhalb der Fristen von § 110 Abs. 2 und 3 AO keinen Antrag auf Fristverlängerung gestellt. Im Übrigen ist sie aus den unter II. 1.c bb genannten Gründen auch nicht ohne Verschulden verhindert gewesen, die Frist des § 18 Abs. 9 UStG einzuhalten.
Es liegt auch kein Verstoß gegen sonstige unionsrechtliche Grundsätze, den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG, gegen Art. 2 Abs. 2 des General Agreement on Trade in Services (GATS)12, gegen Art. 25 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern von Einkommen und Vermögen vom 19.01.197313 oder gegen Art. 11 Abs. 1 des Abkommens zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Bundesrepublik Deutschland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Nachlass- und Erbschaftsteuern14 vor. Der Bundesfinanzhof verweist insoweit auf seine Urteile in BFHE 242, 535, BStBl II 2014, 46, sowie in BFHE 217, 32, BStBl II 2007, 430.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 19. November 2014 – V R 39/13
- EuGH, Urteil vom 21.06.2012 – C-294/11, Elsacom, BStBl II 2012, 942; BFH, Urteil vom 08.08.2013 – V R 3/11, BFHE 242, 535, BStBl II 2014, 46[↩]
- BFH, Beschluss vom 09.01.2014 – XI B 11/13, BFH/NV 2014, 915[↩]
- BFH, Urteil vom 18.01.2007 – V R 23/05, BFHE 217, 32, BStBl II 2007, 430, m.w.N.[↩]
- EuGH, Urteil vom 04.06.2009 – C-22/08 und – C-23/08, Vatsouras Koupatantze, Slg. 2009, I-4585, Rz 52; BFH, Urteil in BFHE 242, 535, BStBl II 2014, 46[↩]
- EuGH, Urteil in Slg. 1998, I-3495[↩]
- EuGH, Urteil Société générale des grandes sources d`eaux minérales françaises in Slg. 1998, I-3495 Rz 26[↩]
- EuGH, Urteile Société générale des grandes sources d`eaux minérales françaises in Slg. 1998, I-3495, Rz 30; vom 05.07.1977 Rs. – C-114/76, Bela-Mühle, Slg. 1977, 1211, Rz 5 bis 7[↩]
- vgl. z.B. EuGH, Urteil vom 18.12 1997 – C-286/94, Molenheide u.a., Slg. 1997, I-7281, Rz 48; BFH, Urteil vom 22.07.2010 – V R 36/08, BFH/NV 2011, 316[↩]
- EuGH, Urteil Société générale des grandes sources d`eaux minérales françaises in Slg. 1998, I-3495, Rz 29 und 31[↩]
- EuGH, Urteil Sociéte générale des grandes sourced d’eaux minérales francaises in Slg. 1998, I-3495, Rz 36[↩]
- EuGH, Urteil Sociéte générale des grandes sources d’eaux minérales francaises in Slg. 1998, I-3495, Rz 29 und 36[↩]
- BGBl II 1994, 1643[↩]
- BGBl II 1973, 74[↩]
- BGBl II 1980, 1341, BStBl I 1980, 786[↩]