Aus einer im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen angeordneten Telefonüberwachung gewonnene Erkenntnisse, die sich auf einen nicht in § 100a StPO aufgeführten Straftatbestand beziehen, dürfen von den Finanzbehörden im Besteuerungsverfahren nicht verwendet werden.

Zufallserkenntnisse, die bei einer gegen einen anderen Beschuldigten durchgeführten Telefonüberwachung gewonnen worden sind, dürfen mithin in einem Besteuerungsverfahren gegen den Betroffenen (hier: Inanspruchnahme als Haftender wegen Begehung oder Beteiligung an einer Straftat) nicht verwendet werden (Verwertungsverbot), wenn die dem Betroffenen im Haftungsbescheid zur Last gelegte Straftat strafprozessrechtlich die Anordnung einer Telefonüberwachung nicht gerechtfertigt hätte.
In dem jetzt vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall hatte das Hauptzollamt den Kläger als Haftenden für Tabaksteuer in Anspruch genommen. Ihm wurde im Haftungsbescheid zur Last gelegt, den Verkauf von unverzollten und nicht versteuerten Zigaretten zwischen Dritten vermittelt zu haben. Der Verkäufer der Zigaretten war deshalb vom Amtsgericht wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei verurteilt worden. Dem Kläger konnte im Strafverfahren eine Beteiligung allerdings nicht nachgewiesen werden. Im Haftungsbescheid ging das Hauptzollamt gleichwohl davon aus, dass der Kläger den Verkauf vermittelt habe und stützte sich dabei auf die Protokolle einer (aus anderen Gründen angeordneten) Telefonüberwachung aus dem Jahr 2007. Nach damals geltendem Recht durfte eine Telefonüberwachung wegen des Verdachts der Begehung von Steuerstraftaten nicht angeordnet werden. Das Finanzgericht hat den Haftungsbescheid aufgehoben mit der Begründung, die zufälligen Erkenntnisse aus der Telefonüberwachung dürften gegen den Kläger nicht verwertet werden.
Diese Rechtsansicht hat der Bundesfinanzhof für offensichtlich zutreffend erklärt, ohne dass dies in einem Revisionsverfahren geprüft werden müsse. § 477 Abs. 2 StPO lasse die Verwertung in einem anderen Strafverfahren gewonnener Erkenntnisse nur zu, wenn diese durch die betreffende Maßnahme auch unmittelbar zur Aufklärung der dem Beschuldigten bzw. Haftungsschuldner vorgeworfenen Straftat hätten gewonnen werden können. Zufallserkenntnisse aus einer Telefonüberwachung dürften jedoch zu Beweiszwecken nur verwertet werden, wenn sich die Erkenntnisse auf Katalogtaten im Sinne des § 100a StPO bezögen. Selbst nach der inzwischen in Kraft getretenen Neufassung dieser Vorschrift gehört dazu die einfache (d.h. nicht gewerbs- oder bandenmäßig begangene) Steuerhehlerei nicht.
Erkenntnisse, die dem Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis unterliegen, zu denen durch eine Telefonüberwachung gewonnene Erkenntnisse gehören, dürfen nach § 393 Abs. 3 Satz 2 AO von der Finanzbehörde im Besteuerungsverfahren verwendet werden, soweit sie diese rechtmäßig im Rahmen eigener strafrechtlicher Ermittlung gewonnen hat oder soweit nach den Vorschriften der Strafprozessordnung den Finanzbehörden Auskunft erteilt werden darf.
Gemäß der 2. Alternative des § 393 Abs. 3 Satz 2 AO dürfen daher die Erkenntnisse aus den TÜ-Protokollen im Besteuerungsverfahren nur verwendet werden, soweit nach den Vorschriften der Strafprozessordnung den Finanzbehörden Auskunft erteilt werden darf. Insoweit ist § 474 Abs. 2 und § 477 Abs. 2 Satz 2 StPO einschlägig. Auskünfte aus Strafverfahren an die Finanzbehörden zur Feststellung eines Haftungsanspruchs wegen einer begangenen Steuerhehlerei (§ 71 AO) sind zwar gemäß § 474 Abs. 2 Nr. 1 und 2 StPO i.V.m. § 116 AO grundsätzlich zulässig, unterliegen aber den besonderen Voraussetzungen einer Informationsübermittlung gemäß § 477 StPO1.
Nach § 477 Abs. 2 Satz 2 StPO dürfen aufgrund einer nur bei Verdacht bestimmter Straftaten zulässigen Maßnahme erlangte personenbezogene Daten ohne Einwilligung des Betroffenen zu Beweiszwecken in anderen Strafverfahren nur zur Aufklärung solcher Straftaten verwendet werden, zu deren Aufklärung eine solche Maßnahme nach der StPO hätte angeordnet werden dürfen. Die Voraussetzungen einer Informationsübermittlung nach dieser Vorschrift sind im Streitfall nicht gegeben. Zwar erscheint es zweifelhaft, ob die Auskunftserteilung im Streitfall bereits deshalb unzulässig ist, weil die Erkenntnisse aus den TÜ-Protokollen nicht zu Beweiszwecken in einem anderen Strafverfahren, sondern zum Nachweis der Haftungsvoraussetzungen in einem Besteuerungsverfahren verwendet werden sollen, denn § 393 Abs. 3 AO, der im Besteuerungsverfahren gerade der Verwertung der dem Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis unterliegender Erkenntnisse aus dem Strafverfahren dienen soll, liefe dann weitgehend leer.
Jedenfalls steht aber § 477 Abs. 2 Satz 2 StPO der Verwertung sog. Zufallserkenntnisse aus einer Telefonüberwachung zu Beweiszwecken entgegen, wenn sich diese Erkenntnisse nicht auf die sog. Katalogtaten des § 100a StPO beziehen2. Daher könnten im Streitfall die aus der Telefonüberwachung gewonnenen Erkenntnisse nicht in einem gegen den Kläger geführten Strafverfahren wegen Steuerhehlerei verwendet werden, weil dieser Straftatbestand in § 100a StPO nicht aufgeführt ist. Die Verwertung solcher sich nicht auf Katalogtaten beziehenden Zufallserkenntnisse für Zwecke des Besteuerungsverfahrens unterliegt keinen geringeren Anforderungen. Insoweit ist zwar nach dem BGH-Urteil vom 27. November 20083 auf die aktuelle Rechtslage, d.h. auf § 100a StPO in seiner derzeitigen Fassung und nicht in der im Jahr 2007 geltenden Fassung abzustellen. Auch nach der aktuellen Fassung des § 100a Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c StPO sind jedoch Maßnahmen zur Überwachung der Telekommunikation nur beim Verdacht auf Steuerhehlerei gemäß § 374 Abs. 2 AO, also beim Verdacht gewerbs- oder bandenmäßiger Begehung zulässig. Dass ein derartiger Verdacht gegen den Kläger besteht, ist weder seitens des Hauptzollamt vorgetragen noch ersichtlich. Das Hauptzollamt hat den Steuerhaftungsbescheid auf den Tatbestand der Steuerhehlerei gemäß § 374 Abs. 1 AO gestützt.
Für die Zulässigkeit einer Informationsübermittlung zu präventiven Zwecken gemäß § 477 Abs. 2 Satz 3 StPO bestehen ebenfalls keine Anhaltspunkte.
Bundesfinanzhof, Beschluss vom 24. April 2013 – VII B 202/12