Der Abfindungshöchstbetrag im Sozialplan – und die mittelbare Altersdiskriminierung

Eine Regelung in einem Sozialplan, die einen Abfindungshöchstbetrag festlegt, bewirkt regelmäßig keine gegen § 75 Abs. 1 BetrVG verstoßende mittelbare Benachteiligung älterer Arbeitnehmer, wenn die maximal zu zahlende Abfindung die durch den Verlust des Arbeitsplatzes entstehenden Nachteile substantiell abmildert und die Regelung in der Sache nur eine Begrenzung der durch die Berücksichtigung von Alter und Betriebszugehörigkeit im Rahmen der Abfindungsberechnung bewirkten besonderen Begünstigung dieser Arbeitnehmergruppe darstellt.

Der Abfindungshöchstbetrag im Sozialplan – und die mittelbare Altersdiskriminierung

Eine derartige Beschränkung der Sozialplanabfindung auf den Höchstbetrag verstößt nicht gegen den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz nach § 75 Abs. 1 BetrVG.

Arbeitgeber und Betriebsrat haben nach § 75 Abs. 1 BetrVG darüber zu wachen, dass jede Benachteiligung von Personen aus den in der Vorschrift genannten Gründen unterbleibt. § 75 Abs. 1 BetrVG enthält nicht nur ein Überwachungsgebot, sondern verbietet zugleich Vereinbarungen, durch die Arbeitnehmer aufgrund der dort aufgeführten Merkmale benachteiligt werden. Der Gesetzgeber hat die in § 1 AGG geregelten Benachteiligungsverbote in § 75 Abs. 1 BetrVG übernommen. Die unterschiedliche Behandlung der Betriebsangehörigen aus einem in § 1 AGG genannten Grund ist daher nur unter den im AGG normierten Voraussetzungen zulässig1.

Zwar enthält die Höchstbetragsregelung in dem Sozialplan keine unmittelbare Benachteiligung älterer Arbeitnehmer im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG, da sie nicht an das Alter der Arbeitnehmer anknüpft, sondern die Abfindung für alle Arbeitnehmer der von ihr erfassten Personengruppe gleichermaßen altersunabhängig auf einen maximalen Betrag von 75.000, 00 Euro begrenzt. Die dem Anschein nach neutrale Regelung kann jedoch Arbeitnehmer bestimmter Altersgruppen im Sinne von § 3 Abs. 2 Halbs. 1 AGG in besonderer Weise benachteiligen. Dies führt gleichwohl nicht zu einer mittelbaren Benachteiligung wegen des Alters, weil die Ungleichbehandlung nach § 3 Abs. 2 Halbs. 2 AGG gerechtfertigt ist.

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Die Begrenzung der Sozialplanabfindung auf 75.000, 00 Euro ist geeignet, Arbeitnehmer einer bestimmten Alterskohorte in besonderer Weise zu benachteiligen, da sie typischerweise bei diesen eingreifen kann. Die im hier streitgegenständlichen Sozialplan vorgesehene Berechnungsformel ermöglicht für 51- bis 60-jährige Arbeitnehmer eine – im Verhältnis zu den anderen Altersgruppen – besonders hohe Abfindung. Zum einen ergibt sich dies aus dem Umstand, dass der für die Berechnung anzusetzende Faktor bei Arbeitnehmern ab einem Alter von 51 Jahren – am Stichtag 30.06.2019 – von 0,35 auf 0,75 und ab einem Alter von 56 Jahren auf 0,95 ansteigt. Auch bei den zu diesem Zeitpunkt 59- und 60-jährigen Arbeitnehmern ist noch ein Faktor von 0, 85 zugrunde zu legen. Zum anderen fällt die Sozialplanabfindung aufgrund der Berechnungsformel umso höher aus, je länger die Betriebszugehörigkeit war. Eine längere Betriebszugehörigkeit geht wiederum – allein aufgrund der dafür erforderlichen Dauer des Erwerbslebens – regelmäßig mit einem relativ hohen Lebensalter einher2. Hieraus ergibt sich, dass Arbeitnehmer der Altersgruppe 51 bis 60 Jahre typischerweise eine deutlich höhere Abfindung nach dem Sozialplan erhalten als jüngere oder rentennähere und damit eher von der Deckelung betroffen sein können. Soweit das Bundesarbeitsgericht vor Inkrafttreten des AGG angenommen hat, die Begrenzung einer Sozialplanabfindung auf einen Maximalbetrag vermöge ältere Arbeitnehmer schon deshalb nicht zu benachteiligen, weil diese nicht anders, sondern genauso behandelt würden wie die jüngeren3, hält er hieran nicht mehr fest.

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Eine mittelbare Benachteiligung wegen des Alters im Sinne von § 3 Abs. 2 AGG ist jedoch deshalb nicht gegeben, weil die Begrenzung der Sozialplanabfindung auf den Betrag von höchstens 75.000, 00 Euro durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt ist und die Mittel zu dessen Erreichung erforderlich und angemessen sind.

Die sozialplanmäßige Höchstbetragsregelung dient einem rechtmäßigen Ziel.

Das mit dem neutralen Kriterium verfolgte „rechtmäßige“ Ziel, das über das Vorliegen einer mittelbaren Diskriminierung entscheidet, muss zwar kein „legitimes“ Ziel im Sinne von § 10 Satz 1 AGG sowie Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG – insbesondere aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung – sein, sondern schließt andere von der Rechtsordnung anerkannte Gründe für die Verwendung des neutralen Kriteriums ein. Es muss sich aber um ein objektives Ziel handeln, das selbst nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des verbotenen Anknüpfungsgrundes nach § 1 AGG zu tun hat. Rechtmäßige Ziele in diesem Sinne können daher nur solche sein, die nicht ihrerseits diskriminierend und auch ansonsten legal sind4. Dabei muss das mit einer Regelung verfolgte Ziel nicht ausdrücklich benannt werden. Auch aus dem allgemeinen Kontext der Regelung können sich Anhaltspunkte ergeben, die es ermöglichen, den Zweck der Regelung festzustellen und dadurch Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit der Bestimmung zu überprüfen5.

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Mit der Festlegung einer maximal zu zahlenden Abfindung soll ersichtlich dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die für den Sozialplan zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel limitiert sind. Da die Abfindungen für Arbeitnehmer der Altersgruppe 51 bis 60 Jahre wegen der höheren Faktoren und ihrer regelmäßig längeren Betriebszugehörigkeit typischerweise besonders hoch ausfallen, bezweckt die Regelung die Sicherstellung von Verteilungsgerechtigkeit. Vor dem Hintergrund begrenzter Sozialplanmittel soll möglichst allen vom Arbeitsplatzverlust betroffenen Arbeitnehmern eine verteilungsgerechte Überbrückungshilfe gewährt werden.

Damit dient die Norm einem rechtmäßigen Ziel im Sinne von § 3 Abs. 2 Halbs. 2 AGG. Die Gewährung eines Ausgleichs für die Zukunft in Sozialplänen entsprechend den Bedürfnissen der betroffenen Arbeitnehmer, die der Notwendigkeit einer gerechten Verteilung der begrenzten finanziellen Mittel Rechnung trägt, stellt sogar ein legitimes Ziel im Sinne von § 10 Satz 1 AGG dar6.

Die Höchstbetragsregelung ist zudem geeignet, erforderlich und angemessen7.

Sie ist geeignet, das Ziel der Verteilungsgerechtigkeit unter Berücksichtigung des beschränkten Sozialplanvolumens zu erreichen. Durch die festgelegte Obergrenze der Abfindungshöhe wird ein – durch die Faktoren der Berechnungsformel ermöglichter – erheblicher Anstieg der Abfindung für die Altersgruppe der 51- bis 60-jährigen Arbeitnehmer verhindert und dadurch gewährleistet, dass auch für die anderen von der Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer noch Mittel zur Zahlung von Sozialplanabfindungen zur Verfügung stehen.

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Die Bestimmung ist auch erforderlich, um möglichst allen betroffenen Arbeitnehmern eine verteilungsgerechte Überbrückungshilfe zu gewähren. Es ist weder vorgetragen noch erkennbar, dass dieses Ziel mit gleicher Genauigkeit durch anderweitige Maßnahmen erreicht werden könnte, die keine Ungleichbehandlung wegen des Alters bewirken. Eine höhere Obergrenze hätte – bei Einhaltung des Dotierungsrahmens – aufgrund der dann erforderlichen Absenkung der einzelnen Faktoren zu einer Verringerung der Abfindungen jüngerer und rentennäherer Arbeitnehmer geführt.

Die Begrenzung der Sozialplanabfindung auf den Betrag von höchstens 75.000,00 € ist schließlich angemessen. Die Regelung führt nicht zu einer übermäßigen Beeinträchtigung der legitimen Interessen der von ihr betroffenen Arbeitnehmer.

Sozialpläne haben typischerweise eine zukunftsbezogene Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion. Die in ihnen vorgesehenen Leistungen sind kein zusätzliches Entgelt für die in der Vergangenheit erbrachten Dienste, sondern sollen die voraussichtlich entstehenden wirtschaftlichen Folgen eines durch Betriebsänderung verursachten Arbeitsplatzverlusts ausgleichen oder zumindest abmildern8. Dabei müssen die Betriebsparteien die mit der Betriebsänderung verbundenen Nachteile nicht vollständig kompensieren. Der von ihnen vereinbarte Sozialplan darf lediglich den Normzweck nicht verfehlen, die wirtschaftlichen Nachteile zu mildern. Dies kann regelmäßig nur in typisierender und pauschalierender Form geschehen9, weil die Betriebsparteien die für den einzelnen Arbeitnehmer zu erwartenden Nachteile nicht konkret voraussehen können.

Dass die Zahlung einer Abfindung iHv. 75.000, 00 Euro nicht zumindest eine substantielle Milderung der Nachteile der vom Arbeitsplatzverlust betroffenen Arbeitnehmer darstellen würde, ist weder erkennbar noch wird dies vom Arbeitnehmer behauptet. Die Höchstbetragsregelung beeinträchtigt die legitimen Interessen der von ihr erfassten Arbeitnehmer auch nicht aus anderen Gründen unangemessen. Deren überproportionale Betroffenheit von der Kappungsgrenze steht im unmittelbaren Zusammenhang mit der im Sozialplan angelegten Bevorzugung durch die Berücksichtigung sowohl eines altersabhängigen Faktors als auch der Betriebszugehörigkeit für die Berechnung der Abfindungshöhe. In der Sache beschränkt der vereinbarte Höchstbetrag lediglich die durch diese Berechnungsweise bewirkte Begünstigung der Arbeitnehmer10.

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Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 7. Dezember 2021 – 1 AZR 562/20

  1. BAG 16.07.2019 – 1 AZR 842/16, Rn. 11 mwN; 13.10.2015 – 1 AZR 853/13, Rn. 17 mwN, BAGE 153, 46[]
  2. vgl. BAG 18.09.2018 – 9 AZR 20/18, Rn. 31 mwN; 26.05.2009 – 1 AZR 198/08, Rn. 30, BAGE 131, 61[]
  3. BAG 21.07.2009 – 1 AZR 566/08, Rn. 22 mwN, BAGE 131, 244[]
  4. BAG 15.12.2016 – 8 AZR 454/15, Rn. 38 mwN, BAGE 157, 296; vgl. auch BAG 29.09.2020 – 9 AZR 364/19, Rn. 63[]
  5. BAG 16.07.2019 – 1 AZR 537/17, Rn. 21 mwN[]
  6. vgl. BAG 7.05.2019 – 1 ABR 54/17, Rn. 36; vgl. auch EuGH 19.09.2018 – C-312/17 – [Bedi] Rn. 61; 6.12.2012 – C-152/11 – [Odar] Rn. 40 ff., 68[]
  7. ausf. zu diesen Erfordernissen bei einer mittelbaren Benachteiligung BAG 15.12.2016 – 8 AZR 454/15, Rn. 39 mwN, BAGE 157, 296[]
  8. vgl. BAG 15.05.2018 – 1 AZR 20/17, Rn. 10[]
  9. vgl. BAG 9.12.2014 – 1 AZR 102/13, Rn. 23 mwN, BAGE 150, 136[]
  10. im Ergebnis ebenso: Fitting BetrVG 30. Aufl. § 112 Rn. 156 mwN; MünchKomm-BGB/Thüsing 9. Aufl. § 10 AGG Rn. 37; Schmidt FS Kreutz 2010 S. 451, 460[]

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