Weservertiefung

Auf die Klage des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND) gegen den Planfeststellungsbeschluss für den Ausbau der Weser hat das Bundesverwaltungsgericht das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union Fragen zur Auslegung der Wasserrahmenrichtlinie vorgelegt. Außerdem hat es die Beteiligten darauf hingewiesen, dass unabhängig von den Fragen des Wasserrechts gegen die Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbeschlusses Bedenken bestehen.

Weservertiefung

Durch den Planfeststellungsbeschluss der Wasser- und Schifffahrtsdirektion Nordwest vom 15. Juli 2011 soll die Erreichbarkeit der Häfen Bremerhaven, Brake und Bremen verbessert werden. Die Außenweser soll vertieft werden, so dass Bremerhaven tideunabhängig von Großcontainerschiffen mit einem Abladetiefgang bis zu 13,5 m erreicht werden kann. Die Unterweser soll vertieft werden, so dass Brake von Schiffen mit einem Abladetiefgang bis zu 12,8 m und Bremen von Schiffen mit einem Abladetiefgang bis zu 11,1 m – jeweils tideabhängig – erreicht werden kann.

Ob die Vertiefung der Weser mit der in deutsches Recht umgesetzten Wasserrahmenrichtlinie der Europäischen Union vereinbar ist, hängt von noch ungeklärten Fragen des Unionsrechts ab, deren Beantwortung dem Gerichtshof der Europäischen Union vorbehalten ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat dem Gerichtshof vier Fragen zur Auslegung der Wasserrahmenrichtlinie vorgelegt (Anhang). Klärungsbedürftig sind für das Bundesverwaltungsgericht vier Fragen:

  1. Ist Art. 4 Abs. 1 Buchst. a) i) der Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik, zuletzt geändert durch die Richtlinie 2009/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 – im Folgenden Wasserrahmenrichtlinie – dahin auszulegen, dass die Mitgliedstaaten – vorbehaltlich der Erteilung einer Ausnahme – verpflichtet sind, die Zulassung eines Projekts zu versagen, wenn dieses eine Verschlechterung des Zustandes eines Oberflächenwasserkörpers verursachen kann oder handelt es sich bei dieser Regelung um eine bloße Zielvorgabe für die Bewirtschaftungsplanung?
  2. Ist der Begriff „Verschlechterung des Zustands“ in Art. 4 Abs. 1 Buchst. a) i) der Wasserrahmenrichtlinie dahin auszulegen, dass er nur nachteilige Veränderungen erfasst, die zu einer Einstufung in eine niedrigere Klasse gemäß Anhang V der Richtlinie führen?
  3. Falls die Frage 2 zu verneinen ist:
    Unter welchen Voraussetzungen liegt eine „Verschlechterung des Zustands“ im Sinne des Art. 4 Abs. 1 Buchst. a) i) der Wasserrahmenrichtlinie vor?
  4. Ist Art. 4 Abs. 1 Buchst. a) ii) sowie iii) der Wasserrahmenrichtlinie dahin auszulegen, dass die Mitgliedstaaten – vorbehaltlich der Erteilung einer Ausnahme – verpflichtet sind, die Zulassung eines Projekts zu versagen, wenn dieses die Erreichung eines guten Zustands eines Oberflächengewässers bzw. eines guten ökologischen Potentials und eines guten chemischen Zustands eines Oberflächengewässers zu dem nach der Richtlinie maßgeblichen Zeitpunkt gefährdet oder handelt es sich bei dieser Regelung um eine bloße Zielvorgabe für die Bewirtschaftungsplanung?

Die Fragen sind entscheidungserheblich, da die von der Wasser- und Schifffahrtsdirektion vorsorglich zugelassene Ausnahme vom Verschlechterungsverbot nicht auf einer hinreichenden Tatsachenermittlung und -bewertung beruht, und sie eine eigenständige Bedeutung des Verbesserungsgebots für die Zulassung der Vorhaben verneint hat.

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Unabhängig von den wasserrechtlichen Fragen bestehen für das Bundesverwaltungsgericht durchgreifende Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbeschlusses. Sie würden in einer abschließenden Entscheidung im gegenwärtigen Zeitpunkt zur Feststellung der Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses führen. Die Fragen zur Auslegung der Wasserrahmenrichtlinie verlieren dadurch nicht ihre Entscheidungserheblichkeit. Sollte der Planfeststellungsbeschluss auch wegen eines Verstoßes gegen das Wasserrecht rechtswidrig sein, müsste das Bundesverwaltungsgericht dies in seinem Urteil feststellen, damit gegebenenfalls auch dieser Fehler in einem ergänzenden Verfahren behoben werden kann.

Gegen die Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbeschlusses bestehen folgende Bedenken:

Die Wasser- und Schifffahrtsdirektion ist davon ausgegangen, dass der Ausbau der Außenweser bis Bremerhaven und der Ausbau der Unterweser von Bremerhaven bis Bremen jeweils selbstständige Vorhaben sind, die unabhängig voneinander verwirklicht werden können. Sie hat über die Zulassung dieser Vorhaben nicht aufgrund jeweils gesonderter Umweltverträglichkeitsprüfungen, Abweichungsprüfungen im Rahmen des FFH- und des Wasserrechts und fachplanungsrechtlicher Abwägungen entschieden, sondern jeweils lediglich die sogenannte Überlagerungsvariante geprüft, d.h. eine Gesamtprüfung für den Fall der kumulativen Verwirklichung beider Vorhaben vorgenommen. Die von den einschlägigen Gesetzen geforderte Prüfung der Zulassungsfähigkeit jedes Einzelvorhabens wird durch eine solche Gesamtprüfung jedoch nicht entbehrlich. Die mit dem Ausbau der Außenweser verfolgten Ziele können zur Rechtfertigung der Vertiefung der Unterweser nichts beitragen; Gleiches gilt umgekehrt. Abgesehen hiervon sind die Vertiefung der Unterweser von Bremerhaven bis Brake und von Brake bis Bremen ebenfalls selbstständige Vorhaben, denn auch diese Maßnahmen können unabhängig voneinander verwirklicht werden, ohne dass die Zielerreichung auch nur teilweise beeinträchtigt wird; die Fahrrinne der Unterweser von Bremerhaven bis Brake ist bereits heute tiefer als die Fahrrinne von Brake bis Bremen nach dem Planfeststellungsbeschluss sein soll. Zudem hätten die Umweltverträglichkeitsprüfungen auf die durch eine Planänderung in das Verfahren eingeführte „Vermeidungslösung“ erstreckt werden müssen; die „Vermeidungslösung“ soll einen Anstieg des Salzgehalts im Grabensystem binnendeichs verhindern.

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Unabhängig hiervon leidet die Prüfung der FFH-Verträglichkeit im Hinblick auf die im EU-Vogelschutzgebiet „Unterweser“ nistenden Wiesenbrüter, die ausbaubedingte Stromaufverschiebung der Brackwasserzone und die Auflagen zum Schutz der Fischart Finte an Fehlern. Die Fristen für die Umsetzung der Maßnahmen zur Sicherung der Kohärenz der beeinträchtigten Natura-2000-Gebiete sind zu lang, ihre Verwirklichung ist, soweit sie des Einvernehmens Dritter bedürfen, nicht hinreichend sichergestellt. Eine erhebliche Beeinträchtigung des Naturschutzgebiets „Untere Wümme“ durch eine Zunahme der schon heute stattfindenden Ufererosionen hätte ebenfalls nicht verneint werden dürfen.

Im Übrigen bestehen nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts keine Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbeschlusses.

Gegenwärtig darf mit dem Ausbau der Weser nicht begonnen werden. Durch die Vorlage an den Unionsgerichtshof dürfte sich der Baubeginn nun auch nicht unerheblich verzögern.

Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 11. Juli 2013 – 7 A 20.11