Windenergieanlagen – in der Umgebung eines Vogelschutzgebiets

Eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung stellt eine endgültige Entscheidung im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 3 des Windenergieflächenbedarfsgesetzes -WindBG- dar. Auf die Bestandskraft dieser Genehmigung kommt es nicht an. Die Prüfung, ob der Erteilung einer Genehmigung ein artenschutzrechtliches Verbot nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG entgegensteht, ist auf die naturräumlichen Gegebenheiten einschließlich der faunistischen Ausstattung im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung beschränkt.

Windenergieanlagen – in der Umgebung eines Vogelschutzgebiets

In dem hier vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall wendet sich eine Umweltvereinigung gegen eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung zur Errichtung und dem Betrieb von fünf Windenergieanlagen im Landkreis Göttingen, die mit umfangreichen Nebenbestimmungen (unter anderem Abschaltungen von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang in der Zeit von März bis August) zum Schutz des Rotmilans und weiterer Greifvögel verbunden ist. Die Windenergieanlagen sollen 1.300 m (nord-)östlich eines Vogelschutzgebiets und westlich eines Flora-Fauna-Habitat-Gebiets errichtet werden.

Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat festgestellt, dass der Genehmigungsbescheid des beklagten Landkreises wegen verschiedener formeller und materieller Mängel rechtswidrig und nicht vollziehbar ist1. Unter anderem hat es das Fehlen einer Natura 2000-Verträglichkeitsprüfung bemängelt. Zudem sei bei der Prüfung, ob durch das Vorhaben zulasten des Rotmilans das artenschutzrechtliche Tötungsverbot verletzt wird, versäumt worden, auch sehr wahrscheinliche zukünftige Ansiedlungen von Vögeln zu berücksichtigen. Genehmigungserleichterungen im Zuge der EU-Notfall-Verordnung und des Windenergieflächenbedarfsgesetzes kämen dem Vorhaben nicht zugute.

Das Bundesverwaltungsgericht hat die hiergegen gerichtete Revision der Bauherrin -und zukünftigen Anlagenbetreiberin- zurückgewiesen und das Erfordernis eines ergänzenden Verfahrens bestätigt, innerhalb dessen die fehlende Natura 2000-Verträglichkeitsprüfung nachzuholen sein wird:

Das Oberverwaltungsgericht hat in Einklang mit Bundesrecht festgestellt, dass die angefochtene Genehmigung rechtswidrig und nicht vollziehbar ist.

Die Klage ist zulässig. Die angefochtene Genehmigung ist eine Entscheidung im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwRG über die Zulässigkeit eines Vorhabens, für das eine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) bestehen kann, gegen die der Kläger als anerkannte Umweltvereinigung nach § 2 Abs. 1 Satz 1 UmwRG Rechtsbehelfe einlegen kann, ohne eine Verletzung in eigenen Rechten geltend machen zu müssen.

Die Pflicht zur Durchführung einer UVP ergibt sich vorliegend bereits aus § 7 Abs. 3 UVPG und ist nicht nach § 6 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 3 des Gesetzes zur Festlegung von Flächenbedarfen und zur Genehmigungserleichterung für Windenergieanlagen an Land und für Anlagen zur Speicherung vom Strom oder Wärme aus erneuerbaren Energien in bestimmten Gebieten (Windenergieflächenbedarfsgesetz – WindBG) vom 20.07.20222, zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes vom 12.08.20253, nachträglich entfallen.

Ein nachträglicher Entfall einer UVP-Pflicht (§ 6 Abs. 1 Satz 1 WindBG) kommt nicht mehr in Betracht, wenn im Zeitpunkt der Antragstellung eine endgültige Entscheidung im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 3 WindBG bereits ergangen ist. Dies hat das Oberverwaltungsgericht vorliegend zu Recht bejaht. Der Antrag der Anlagenbetreiberin auf Genehmigungserleichterungen nach dem Windenergieflächenbedarfsgesetz vom Dezember 2023 ist erst nach der Erteilung der mit Teilabhilfebescheid vom 03.01.2022 ergangenen, hier angefochtenen Genehmigung erfolgt. Diese immissionsschutzrechtliche Genehmigung stellt eine endgültige Entscheidung im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 3 WindBG dar. Auf die Bestandskraft einer Genehmigung – gegebenenfalls erst nach Abschluss eines (mehrinstanzlichen) gerichtlichen Verfahrens – kommt es entgegen der Auffassung der Anlagenbetreiberin und einer in der Rechtsprechung vertretenen Auffassung4 demgegenüber nicht an.

Die Genehmigungserleichterungen nach dem Windenergieflächenbedarfsgesetz gehen auf die Verordnung (EU) 2022/2577 des Rates vom 22.12.2022 zur Festlegung eines Rahmens für einen beschleunigten Ausbau der Nutzung erneuerbarer Energien5 zurück. Nach Art. 1 Abs. 3 VO (EU) 2022/2577 können die Mitgliedstaaten die Verordnung auch auf laufende Verfahren zur Genehmigungserteilung anwenden, bei denen vor dem 30.12.2022 noch keine endgültige Entscheidung ergangen ist. Diese Formulierung greift § 6 Abs. 2 Satz 3 WindBG auf. Zugleich bestimmt Art. 2 Abs. 1 Buchst. b VO (EU) 2022/2577, dass das „Verfahren zur Genehmigungserteilung“ alle behördlichen Stufen umfasst und mit der Mitteilung der endgültigen Entscheidung über das Ergebnis des Verfahrens durch die zuständige Behörde endet. In diesem Sinne wird im 7. Erwägungsgrund der Verordnung erläutert, dass sich die Möglichkeit der Anwendung der Bestimmungen auf laufende Verfahren auf Konstellationen bezieht, in denen die zuständige Behörde noch keine endgültige Entscheidung getroffen hat. Damit wird deutlich, dass das Unionsrecht, an dem die einschlägige Regelung des Windenergieflächenbedarfsgesetzes unmittelbar anknüpft, allein den Abschluss der Entscheidungsfindung seitens der zuständigen Behörde und nicht auch ein sich gegebenenfalls anschließendes gerichtliches Rechtsschutzverfahren mit seinen nationalen Besonderheiten und einer gegebenenfalls stark variierenden Verfahrensdauer in den Blick nimmt. Dies gilt umso mehr, als die Verordnung (EU) 2022/2577 ein zeitlich begrenztes Instrument vorübergehender Notfallvorschriften (Art. 1 Abs. 1 VO (EU) 2022/2577) darstellt, um die in ihren Anwendungsbereich fallenden Genehmigungsverfahren zu straffen6.

Die Klage ist begründet. Die angefochtene Genehmigung verstößt gegen Rechtsvorschriften, die für diese Entscheidung von Bedeutung sind (§ 2 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 i. V. m. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwRG).

Die angefochtene Genehmigung ist – anders als vom Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht angenommen – frei von beachtlichen Verfahrens- oder Formfehlern.

Soweit das Oberverwaltungsgericht eine fehlende Anhörung nach § 71 VwGO von einer erstmaligen Beschwer Betroffener – namentlich der Nachbarschaft – im Widerspruchsverfahren vor Erlass des Teilabhilfebescheides vom 03.01.2022 bemängelt, fehlt es an jedem vom Tatsachengericht festgestellten konkreten Anhaltspunkt, dass dies die Entscheidung in der Sache beeinflusst haben könnte (§ 4 Abs. 1a UmwRG i. V. m. § 46 VwVfG). Insbesondere genügt der Hinweis im angefochtenen Urteil auf die von Anwohnern im Genehmigungsverfahren erhobenen Einwendungen wegen der Schallauswirkungen des Vorhabens nicht. Es fehlt an jeden tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts, dass die maßgeblichen Richtwerte nicht eingehalten werden. Dafür ist auch sonst nichts ersichtlich. Im Gegenteil lassen die im Widerspruchsverfahren verfügten erheblichen Betriebsbeschränkungen eine Reduktion der Schallauswirkungen erwarten.

Soweit eine weitere Beteiligung von Umweltverbänden, die keine Verletzung in eigenen Rechten geltend machen, im Widerspruchsverfahren in Rede steht, ist § 71 VwGO, der eine Beschwer Betroffener voraussetzt, nicht anwendbar. Dies hat das Oberverwaltungsgericht zutreffend erkannt. Entgegen seiner Auffassung erfolgt eine solche Pflicht aber nicht aus den Gründen, die das Bundesverwaltungsgericht im Planfeststellungsrecht für die unter bestimmten Umständen notwendige erneute Beteiligung von Umweltverbänden entwickelt hat. Dem steht entgegen, dass für das immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren das Bundes-Immissionsschutzgesetz und die Verordnung über das Genehmigungsverfahren (Neunte Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes – 9. BImSchV –7), spezielle Regelungen für die Beteiligung bei nachträglichen Änderungen und nachträglich vorgenommenen Untersuchungen und eingegangenen Stellungnahmen in § 10 Abs. 3 Satz 7 BImSchG (§ 10 Abs. 3 Satz 3 BImSchG a. F.) enthält. Danach sind weitere Informationen, die für den Erlass eines Abhilfe- oder Widerspruchsbescheides, der eine Entscheidung über die Zulässigkeit eines nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz genehmigungspflichtigen Vorhabens enthält, von Bedeutung sein können und die der zuständigen Behörde erst nach Beginn der Auslegung vorliegen, der Öffentlichkeit nach den Bestimmungen über den Zugang zu Umweltinformationen zugänglich zu machen. In ähnlicher Weise bestimmt § 10 Abs. 1 Satz 7 9. BImSchV, dass zusätzliche behördliche Stellungnahmen oder von ihr angeforderte Unterlagen, die Angaben über die Auswirkungen der Anlage auf die Nachbarschaft und die Allgemeinheit oder Empfehlungen zur Begrenzung dieser Auswirkungen enthalten, der Öffentlichkeit nach den Bestimmungen des Bundes und der Länder über den Zugang zu Umweltinformationen zugänglich zu machen sind. Eine planwidrige Regelungslücke, zu deren Schließung es – wie vom Oberverwaltungsgericht angenommen – der Übertragung einer zur Planfeststellung ergangenen Rechtsprechung bedürfen könnte, besteht hiernach nicht. Daraus resultierende Defizite in der Beteiligung und im Rechtsschutz von Umweltvereinigungen sind nicht ersichtlich. Die Naturschutzverbände sind keine allgemeinen Begleiter des behördlichen Verfahrens8. Der Zugang der Verbände zu einem Überprüfungsverfahren vor einem Gericht wird durch die geltenden Regelungen nicht erschwert, die mithin auch den Anforderungen des Art. 9 Abs. 2 AK gerecht werden.

Das vom Oberverwaltungsgericht gerügte Fehlen inhaltlicher Angaben zu den Auswirkungen eines – wie hier – UVP-pflichtigen Vorhabens, das geeignet ist, ein Natura 2000-Gebiet erheblich zu beeinträchtigen, auf die Erhaltungsziele des Gebiets im UVP-Bericht (§ 4e Abs. 1 Satz 2 9. BImSchV), ist eine Frage des materiellen Rechts. Verfahrensfehler im Sinne des § 4 UmwRG sind nur Verstöße gegen Rechtsvorschriften, die die äußere Ordnung des Verfahrens, das heißt den Verfahrensablauf als solchen betreffen. Hierzu gehören etwa Regelungen über den Beginn des Verfahrens, die Beteiligung anderer Behörden und der Öffentlichkeit sowie sonstige Verfahrensschritte. Hiervon zu unterscheiden sind die Anforderungen an die inhaltliche Ausgestaltung von Verfahrensschritten nach materiell-rechtlichen Maßstäben9. Hierzu gehört auch die hier aufgeworfene Frage, welche Angaben im Einzelnen zum notwendigen Inhalt eines UVP-Berichts gehören10.

Die angefochtene Genehmigung verstößt jedoch – wie vom Oberverwaltungsgericht im Einklang mit Bundesrecht angenommen – gegen materielles Recht.

Entgegen der Annahme des beklagten Landkreises bedurfte es vor der Erteilung der Genehmigung mit Bezug auf das Vogelschutzgebiet V 19 über die durchgeführte Vorprüfung hinaus einer Natura 2000-Verträglichkeitsprüfung (§ 34 Abs. 1 BNatSchG). Eine solche ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erforderlich, wenn und soweit Beeinträchtigungen eines Natura 2000-Gebiets nicht offensichtlich ausgeschlossen werden können, also zumindest vernünftige Zweifel am Ausbleiben von erheblichen Beeinträchtigungen bestehen11.

Auf der Grundlage der das Bundesverwaltungsgericht bindenden tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts (vgl. § 137 Abs. 2 VwGO) können projektbedingte Beeinträchtigungen des Vogelschutzgebiets V 19 „Unteres Eichsfeld“ nicht offensichtlich ausgeschlossen werden.

Der Fauna-Flora-Habitat-Gebietsschutz beschränkt sich flächenmäßig grundsätzlich auf festgesetzte Schutzgebiete in ihren administrativen Grenzen. Hinsichtlich von Fauna-Flora-Habitat-Gebieten definiert Art. 1 FFH-RL in diesem Sinne unter Buchstabe j ein „Gebiet“ als „ein geographisch definierter Bereich mit klar abgegrenzter Fläche“ und unter Buchstabe l ein „besonderes Schutzgebiet“ als „ein […] ausgewiesenes Gebiet, in dem die Maßnahmen, die zur Wahrung oder Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes der natürlichen Lebensräume und/?oder Populationen der Arten, für die das Gebiet bestimmt ist, erforderlich sind, durchgeführt werden“. Das schließt es nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aus, den Gebietsschutz mit Blick auf Folgewirkungen von Beeinträchtigungen gebietsexterner Flächen über die Gebietsgrenzen hinaus auszudehnen. Hiernach wäre es im Grundsatz verfehlt, gebietsexterne Flächen, die von im Gebiet ansässigen Vorkommen geschützter Tierarten zur Nahrungssuche genutzt werden, in den Gebietsschutz einzubeziehen. Sind die dem Gebietsschutz unterfallenden Vorkommen auf die betreffenden gebietsexternen Nahrungshabitate zwingend angewiesen, um in einem günstigen Erhaltungszustand zu verbleiben, so ist das Gebiet im Regelfall des Art. 4 Abs. 1 Satz 1 FFH-RL falsch abgegrenzt. Dagegen wäre es systemwidrig, Habitate losgelöst von der Gebietsabgrenzung als durch die Erhaltungsziele des Gebiets mitumfasst zu behandeln12. In diesem Sinne ergibt sich der Bezug des gewährten Schutzes auf einen geographisch definierten Bereich – im Gegensatz zum ubiquitären Artenschutz – aus der Natur der Sache.

In der Rechtsprechung ist andererseits auch geklärt, dass der gebietsbezogene Schutz nach § 34 BNatSchG nicht von vornherein außer Betracht bleibt, wenn sich das in Rede stehende Projekt außerhalb der administrativen Grenzen des betroffenen Schutzgebiets befindet. Mit Bezug auf den Schutz von Fauna-Flora-Habitat-Gebieten hat das Bundesverwaltungsgericht in Anknüpfung an den Gerichtshof der Europäischen Union13 entschieden, dass die Anwendbarkeit von Art. 6 Abs. 3 FFH-RL vom Ansatz her nicht dadurch ausgeschlossen wird, dass sich das Projekt nicht in dem betroffenen FFH-Gebiet, sondern in erheblicher Entfernung hiervon befindet. Sind bestimmte Arten als geschützte Bestandteile eines solchen FFH-Gebiets betroffen, kann ein rechtlich beachtlicher Kausalzusammenhang gegeben sein, wenn für diese Arten die Erreichbarkeit des Gebiets etwa durch eine Einwirkung auf Flugrouten oder Wanderkorridore gestört wird14.

Gemessen an diesen Grundsätzen war eine Verträglichkeitsprüfung hier erforderlich. Mit Blick auf die im vorliegenden Einzelfall durch das Oberverwaltungsgericht festgestellten Umstände kann nicht offensichtlich ausgeschlossen werden, dass die Verwirklichung des Vorhabens das Ziel des Vogelschutzgebiets V 19, Habitate des Rotmilans zu erhalten oder wiederherzustellen, erheblich zu gefährden droht. Zwar liegen die genehmigten WEA außerhalb des Vogelschutzgebiets und der Abstand zu dessen Gebietsgrenze beträgt nach Angabe der Anlagenbetreiberin etwa 1 350 Meter. Jedoch ist zum einen festgestellt, dass aufgrund einer geringen Reproduktionsrate bereits Einzelverluste des Rotmilans dessen Erhaltungszustand im Schutzgebiet erheblich beeinträchtigen können. Zum anderen werden die WEA nach den tatrichterlichen Feststellungen wiederkehrend von im Vogelschutzgebiet lebenden Rotmilanen zur Nahrungssuche in Richtung des benachbarten Fauna-Flora-Habitat-Gebiets 134 „Sieber, Oder, Rhume“ überquert. Zudem wird die Bedeutung des Gebiets V 19 für die Erhaltung des Rotmilans im Bundesgebiet im Standarddatenbogen des Gebiets V 19 als „sehr hoch“ eingestuft. Mithin sind die Faktoren einer Störung der Erreichbarkeit des Vogelschutzgebiets durch eine Einwirkung auf Flugrouten zwischen diesem Gebiet und einem nahe gelegenen weiteren Natura 2000-Gebiet, eine hohe Fragilität der Population des Rotmilans im Schutzgebiet und eine sehr hohe Bedeutung des Schutzgebiets festgestellt15. Jedenfalls in der Kumulation dieser Faktoren ist die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, es verblieben vernünftige Zweifel am Ausbleiben erheblicher Beeinträchtigungen, nicht zu beanstanden.

Insoweit bleibt auch festzuhalten, dass es für den Fall, dass sich die WEA als geeignet erweisen, das Vogelschutzgebiet V 19 erheblich zu beeinträchtigen, im UVP-Bericht aus Gründen des materiellen Rechts Angaben zu deren Auswirkungen auf die Erhaltungsziele des Schutzgebiets – namentlich hinsichtlich des Rotmilans – bedarf (§ 4e Abs. 1 Satz 2 9. BImSchV).

Hinsichtlich der vom Oberverwaltungsgericht schon dem Grunde nach kritisierten Maßstabsbildung bei der vom beklagten Landkreis durchgeführten Vorprüfung weist das Bundesverwaltungsgericht klarstellend darauf hin, dass im Rahmen der Vorprüfung, die sich auf die Frage beschränkt, ob nach Lage der Dinge ernsthaft die Besorgnis nachteiliger Auswirkungen besteht und die keiner formalisierten Durchführung bedarf, die Heranziehung des im Artenschutzrecht entwickelten Maßstabs einer signifikanten Erhöhung des Tötungs- und Verletzungsrisikos für Exemplare betroffener Arten (vgl. § 44 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BNatSchG) zur Beurteilung der Gefahr einer Beeinträchtigung von Natura 2000-Gebieten auf der Grundlage fachlicher Einschätzung in geeigneten Einzelfällen sachgerecht sein kann.

Die Auffassung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts, wonach im Zeitpunkt der Genehmigungserteilung sehr wahrscheinliche zukünftige Entwicklungen bei der Prüfung, ob der Erteilung einer Genehmigung ein artenschutzrechtliches Verbot nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG entgegensteht, zu berücksichtigen sind, steht mit Bundesrecht nicht in Einklang. Die artenschutzrechtliche Prüfung ist vielmehr auf die im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung vorhandenen naturräumlichen Gegebenheiten einschließlich der faunistischen Ausstattung beschränkt.

Das Oberverwaltungsgericht erkennt selbst, dass mit der von ihm vertretenen Auffassung ein Verlust an Berechenbarkeit verbunden wäre. Soweit es diesen dadurch abzumildern sucht, dass die Wahrscheinlichkeit berücksichtigungsfähiger zukünftiger Entwicklungen „sehr hoch“ sein müsse, entschärft dies nicht die mit seinem Ansatz verbundene Problematik, sondern verlagert sie auf die dann erforderliche und ihrerseits mit Unsicherheiten verbundene Abgrenzung zwischen verschiedenen Wahrscheinlichkeitsgraden. Es besteht auch keine Notwendigkeit zu einer derartigen prognostischen Betrachtung. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass sich aufgrund der Anknüpfung an den Zeitpunkt der Genehmigungserteilung die Feststellungswirkung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung nicht auf nachträgliche Änderungen der Sach- oder Rechtslage erstreckt16. In der Konsequenz können und müssen auch mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu erwartende zukünftige Entwicklungen der Genehmigungserteilung nicht zugrunde gelegt werden. Zur Bewältigung erst nach der Erteilung einer Genehmigung eintretender Entwicklungen kommen zum gegebenen Zeitpunkt – auf der Grundlage der Einschätzung der Auswirkungen der in Betrieb befindlichen Anlage – nachträgliche Anordnungen oder – wenn sich anders keine rechtmäßigen Zustände herstellen lassen – ein (Teil-)Widerruf in Betracht.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 11. September 2025 – 7 C 10.24

  1. Nds. OVG, Urteil vom 10.09.2024 – 12 KS 34/22[]
  2. BGBl. I S. 1353[]
  3. BGBl. I Nr. 189[]
  4. VG Schwerin, Urteil vom 27.11.2023 – 2 A 1310/20 SN 29 ff.[]
  5. ABl. L 335 S. 36[]
  6. vgl. 4. Erwägungsgrund der VO (EU) 2022/2577[]
  7. i. d. F. der Bekanntmachung vom 29.05.1992 , zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes zur Verbesserung des Klimaschutzes bei Immissionsschutz, zur Beschleunigung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren und zur Umsetzung von EU-Recht vom 03.07.2024[]
  8. vgl. BVerwG, Urteil vom 06.11.2012 – 9 A 17.11 18[]
  9. BVerwG, Urteil vom 28.11.2017 ?- 7 A 17.12, BVerwGE 161, 17 Rn. 29 und 32[]
  10. vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 02.03.2023 – 4 B 16.22 21[]
  11. vgl. nur BVerwG, Urteil vom 29.09.2011 – 7 C 21.09, NVwZ 2012, 176 Rn. 40 m. w. N.[]
  12. vgl. BVerwG, Urteil vom 14.04.2010 ?- 9 A 5.08, BVerwGE 136, 291 Rn. 32[]
  13. EuGH, Urteil vom 26.04.2017 – C-142/16 [ECLI:?EU:?C:?2017:?301], Rn. 29[]
  14. BVerwG, Urteil vom 27.11.2018 – 9 A 8.17, BVerwGE 163, 380 Rn. 88; vgl. auch Urteile vom 14.04.2010 – 9 A 5.08, BVerwGE 136, 291 Rn. 33; und vom 29.05.2018 – 7 C 18.17 – UPR 2019, 18 Rn. 37[]
  15. vgl. zum Kriterium der Gebietsbedeutung auch BVerwG, Urteil vom 27.11.2018 – 9 A 8.17, BVerwGE 163, 380 Rn. 90 m. w. N.[]
  16. BVerwG, Urteil vom 19.12.2023 – 7 C 4.22, BVerwGE 181, 186 Rn. 18; vgl. BVerwG, Urteile vom 23.10.2008 – 7 C 48.07, BVerwGE 132, 224 Rn. 27; und vom 30.04.2009 – 7 C 14.08, NVwZ 2009, 1441 Rn. 22, jeweils für Rechtsänderungen; Seibert, in: Landmann/?Rohmer, Umweltrecht, Stand Mai 2025, § 13 BImSchG Rn. 123; zur insoweit vergleichbaren seeanlagenrechtlichen Genehmigung vgl. BVerwG, Urteil vom 29.04.2021 – 4 C 2.19, BVerwGE 172, 271 Rn. 33[]