Die ohne digitale Signatur und vor Eröffnung des elektronischen Rechtsverkehrs in Strafsachen per E-Mail mittels eines angehängten und mit seiner eingescannten Unterschrift versehenen PDF-Dokuments eingelegte Berufung eines Angeklagten genügt dem Schrifterfordernis des § 314 Abs. 1 StPO, wenn das PDF-Dokument bei Gericht aufforderungsgemäß und fristwahrend ausgedruckt und zu den Akten genommen wird und an der Urheberschaft des Verfassers und an dessen Willen, das Rechtsmittel einzulegen, kein Zweifel besteht.

Verfahrensvorschriften sind kein Selbstzweck. Auch sie dienen letztlich der Wahrung der materiellen Rechte der Prozessbeteiligten, sollen also die einwandfreie Durchführung des Prozesses unter Wahrung der Rechte aller Beteiligten sicherstellen und nicht behindern. In diesem Sinne hat die Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes durchgängig das Schriftlichkeitserfordernis, soweit es durch prozessrechtliche Vorschriften zwingend gefordert wird, ausgelegt. Die Schriftlichkeit soll gewährleisten, dass aus dem Schriftstück der Inhalt der Erklärung, die abgegeben werden soll, und die Person, von der sie ausgeht, hinreichend zuverlässig entnommen werden können; nicht unbedingt notwendig ist eine handschriftliche Unterzeichnung1, es sei denn, diese ist gesetzlich vorgeschrieben (z.B. in § 172 Abs. 3 Satz 2 StPO, § 130 Nr. 6 ZPO). Außerdem muss feststehen, dass es sich bei dem Schriftstück nicht nur um einen Entwurf handelt, sondern dass es mit Wissen und Willen des Berechtigten dem Gericht zugeleitet worden ist2.
Entsprechend der technologisch fortschreitenden Entwicklungen haben auch in der Vergangenheit moderne Kommunikationsmittel Einzug in die Justiz gehalten. Dementsprechend erlaubt § 41a Abs. 1 StPO für den Bereich der Strafrechtspflege mittlerweile vom Grundsatz her, dass an das Gericht gerichtete Erklärungen, Anträge oder deren Begründung, die nach dem Gesetz ausdrücklich schriftlich abzufassen oder zu unterzeichnen sind, auch als elektronisches Dokument eingereicht werden können, wenn die näheren Voraussetzungen der Norm (qualifizierte elektronische Signatur nach dem Signaturgesetz, Zulassung des elektronischen Rechtsverkehrs für den jeweiligen Bereich durch die dafür zuständige Stelle, § 41a Abs. 2 StPO) vorliegen.
Nicht abschließend geklärt ist der Fall, dass Dokumente als (z.B. eingescannte) Anlagen zu elektronischen Nachrichten versandt werden. Für den Zivilrechtsbereich hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass der Ausdruck einer an eine elektronische Nachricht angehängten Bilddatei – nicht jedoch die Bilddatei selbst – ein schriftliches Dokument darstellt, sofern bei der Bilddatei die sonstigen Formerfordernisse eingehalten sind. Maßgeblich für den – ggf. fristwahrenden – Eingang der Erklärung bei Gericht ist dann das Datum des Ausdrucks der Bilddatei3.
Diese Rechtsprechung erachtet das Oberlandesgericht als ohne weiteres auf den Bereich des Strafrechts übertragbar. Hier wie dort soll das Schriftformerfordernis gewährleisten, dass aus dem Schriftstück der Inhalt der Erklärung, die abgegeben werden soll, und die Person, von der sie stammt, hinreichend zuverlässig entnommen werden können. Ebenso muss sich ergeben, dass es sich bei dem Schriftstück nicht nur um einen Entwurf handelt, sondern dass es mit Wissen und Willen des Berechtigten dem Gericht zugeleitet worden ist. Bei diesen Anforderungen vermag das Oberlandesgericht keine Unterschiede zwischen den Bedürfnissen des Zivil- und Strafrechts zu erkennen.
Zwar ist der elektronische Rechtsverkehr in Strafsachen im Land Mecklenburg-Vorpommern – erlaubtermaßen – bislang überhaupt nicht eröffnet (§ 41a Abs. 2 StPO, § 1 ERVVO M-V i.V.m. Anlage zu § 1), so dass unabhängig vom Vorliegen einer qualifizierten Signatur für die Gerichte keine Verpflichtung besteht, elektronische Post in Strafsachen überhaupt zur Kenntnis zu nehmen und z.B. ggf. risikobehaftete Öffnungen von Anhängen zu E-Mails (Schadsoftware) vorzunehmen. Damit naturgemäß verbundene Risiken im Hinblick auf Form- und Fristwahrung gehen zulasten des Absenders, der die für ihn risikobehaftete Art der Schriftsatzübermittlung selbst gewählt hat.
Wenn es einem Beschuldigten allerdings – wie hier – im Einzelfall gelingt, auf diesem Wege mit einem Gericht zu kommunizieren und Ausdrucke der elektronischen Post zu den Akten gelangen, sind diese Ausdrucke Gegenstand der Prüfung, ob sie ein form- und fristgerecht angebrachtes Rechtsmittel beinhalten. Das Oberlandesgericht sieht es insoweit als unerheblich an, auf welchem Wege ein Dokument Eingang in die Gerichtsakten findet.
Die danach gebotene Überprüfung der ausgedruckt bei den Akten befindlichen, am 14.09.2015 beim Amtsgericht eingegangenen Berufungsschrift ergibt im Lichte vorstehender Ausführungen, dass der Angeklagte form- und fristgerecht Berufung gegen das amtsgerichtliche Urteil vom 10.09.2015 eingelegt hat. Schon die Ausführungen in dem Schreiben lassen für das Oberlandesgericht unzweifelhaft die Urheberschaft und den unbedingten und unbeschränkten Anfechtungswillen des Angeklagten erkennen. Die – wenn auch möglicherweise nur eingescannte – Unterschrift unter dem Dokument stammt, soweit bei einem Vergleich mit Unterschriftsleistungen des Angeklagten an anderen Stellen der Akte ersichtlich; vom Beschwerdeführer; selbst ihr Fehlen würde nach Auffassung des Oberlandesgerichts das Schriftformerfordernis der Eingabe nicht tangieren.
Oberlandesgericht Rostock, Beschluss vom 6. Januar 2017 – 20 Ws 311/16