Mit dem Angriff auf die Entschlussfreiheit des Führers eines Kraftfahrzeugs durch eine vorgetäuschte Polizeikontrolle hatte sich aktuell der Bundesgerichtshof zu befassen:

Nach der Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs vom 20.11.20031 erfasst der Tatbestand des (gemeinschaftlichen) räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer gemäß § 316a StGB als taugliches Tatopfer nur den Führer (oder den Mitfahrer) eines Kraftfahrzeugs. Erforderlich ist, dass das Tatopfer diese Eigenschaft zum Tatzeitpunkt, d.h. bei Verüben des Angriffs, besitzt. Das Landgericht hat nicht verkannt, dass der Nebenkläger bei dem Angriff auf dem Parkplatz nicht mehr Führer des LKW war. Zwar hielt sich das Tatopfer noch im Fahrzeug auf. Es war aber zu diesem Zeitpunkt nach den Feststellungen nicht mehr mit der Bewältigung von Betriebs- oder Verkehrsvorgängen befasst, damit nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht mehr Führer des LKW und deshalb zu diesem Zeitpunkt kein taugliches Angriffsziel im Sinne des § 316a StGB2.
Indem die Täter ihr Opfer zuvor durch die vorgetäuschte Polizeikontrolle zu diesem Halt zwangen, lag jedoch die für die Tatbestandsmäßigkeit erforderliche zeitliche Verknüpfung zwischen dem Verüben des Angriffs und der Führereigenschaft des Angegriffenen vor3.
Für die insoweit allein problematische Frage, ob die Angeklagten einen Angriff auf die Entschlussfreiheit des Führers des LKW verübt haben, gilt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs das Folgende4:
Einen solchen Angriff verübt, wer in feindseliger Absicht auf dieses Rechtsgut einwirkt. Ausreichend, aber auch erforderlich ist eine gegen die Entschlussfreiheit gerichtete Handlung, sofern das Opfer jedenfalls deren objektiven Nötigungscharakter wahrnimmt; die feindliche Willensrichtung des Täters braucht das Opfer dagegen nicht erkannt zu haben. Ebenfalls nicht vorausgesetzt ist, dass der verübte Angriff sich bereits unmittelbar gegen das Eigentum bzw. das Vermögen des Opfers richtet.
Dadurch, dass die Tätger den LKW-Fahrer veranlassten, mit seinem LKW die Auto- bahn zu verlassen und den Rastplatz aufzusuchen, haben sie im vorbezeichneten Sinn einen tatbestandsmäßigen Angriff auf die Entschlussfreiheit des Führers eines Kraftfahrzeugs verübt. Der LKW-Fahrer befand sich bereits zu diesem Zeitpunkt objektiv in einer Nötigungssituation.
Zwar reicht es für das Merkmal des „Angriffs“ nach der (neueren) Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der herrschenden Meinung in der Literatur nicht aus, wenn auf den Führer eines Kraftfahrzeugs mit List eingewirkt wird, um ihn in eine Situation zu bringen, in der ein Raub durchgeführt werden soll. Dies ist etwa der Fall, wenn ein vermeintlicher Fahrgast beim Taxifahrer ein falsches Fahrtziel angibt5; das Gleiche gilt für das Vortäuschen einer Autopanne (jedenfalls außerhalb des Anwendungsbereichs des § 323c StGB) sowie in den Anhalterfällen. Hiervon abzugrenzen sind aber Handlungen, welche auf den Führer eines Kraftfahrzeugs eine objektiv nötigungsgleiche Wirkung haben6. Es kommt hierfür nicht darauf an, ob diese Wirkung vorgetäuscht ist oder ob der objektiv Genötigte von einer Rechtswidrigkeit der Einwirkung ausgeht.
Fälle einer – wie hier – vorgetäuschten Polizeikontrolle unterscheiden sich daher substantiell von bloßen Vortäuschungen allgemein motivierender Umstände der oben genannten Art; sie entsprechen vielmehr der Konstellation einer Straßensperre. Denn dem Kraftfahrzeugführer ist bei der Einwirkung durch das Haltezeichen eines Polizeibeamten kein Ermessen eingeräumt; er ist vielmehr bei Androhung von Geldbuße (§ 49 Abs. 3 Nr. 1 StVO) verpflichtet, Haltezeichen Folge zu leisten, wobei der Bundesgerichtshof dahinstehen lässt, ob die Täter hier eine Weisung zur Regelung einer konkreten Verkehrssituation nach § 36 Abs. 1 StVO oder eine solche zur Durchführung einer allgemeinen Verkehrskontrolle nach § 36 Abs. 5 StVO vorgespiegelt haben7. Der Nebenkläger sollte jedenfalls das Vorgehen der Täter im fließenden Verkehr als polizeiliche Weisung verstehen und hat dies auch so verstanden; das Tragen von Zivilkleidung steht der von den Angeklagten und ihren Tatgenossen angestrebten Vorgabe einer Polizeikontrolle nicht entgegen8.
Auf die Entschlussfreiheit eines Kraftfahrzeugführers wird daher bereits dann durch einen Angriff eingewirkt, wenn vom Täter eines geplanten Raubes eine Polizeikontrolle vorgetäuscht wird und sich der Geschädigte dadurch zum Anhalten gezwungen sieht9.
Die Angeklagten und ihre Tatgenossen haben als Mittäter bei der Begehung der Tat in der tatbestandsmäßigen Absicht die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs ausgenutzt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist dieses zusätzliche Tatbestandsmerkmal in der Regel erfüllt, wenn der Angriff im Sinne des § 316a StGB zu einem Zeitpunkt erfolgt, an dem sich der Fahrer mit dem Kraftfahrzeug im fließenden Verkehr befindet10; so liegt es auch hier.
Gleichzeitig haben sich die Tätger in weiterer Tateinheit der Freiheitsberaubung gemäß § 239 StGB schuldig gemacht haben; dieser Straftatbestand tritt nicht in Gesetzeskonkurrenz zurück, weil der schwere Raub bereits mit der Abfahrt des „gekaperten“ LKW vom Autobahn-Parkplatz nicht nur vollendet, sondern auch beendet gewesen ist11.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 23. April 2015 – – 4 StR 607/14
- BGH, Urteil vom 20.11.2003 – 4 StR 150/03, BGHSt 49, 8 ff.[↩]
- vgl. BGH, aaO; NK-StGB/Herzog, 4. Aufl., § 316a Rn. 16[↩]
- vgl. dazu auch BGH, Beschlüsse vom 28.06.2005 – 4 StR 299/04, BGHSt 50, 169, 170 f.; und vom 25.09.2007 – 4 StR 338/07, BGHSt 52, 44, 45 f.[↩]
- vgl. insbesondere BGH, Urteile vom 20.11.2003 – 4 StR 150/03, BGHSt 49, 8, 12 f.; Beschluss vom 14.07.1987 – 4 StR 324/87, BGHR StGB § 316a Abs. 1 Angriff 1[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 20.11.2003 – 4 StR 150/03, BGHSt 49, 8, 13 f.[↩]
- vgl. dazu im Einzelnen Fischer, StGB, 62. Aufl., § 316a Rn. 6 f.; Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl., § 316a Rn. 2; jew. mwN[↩]
- vgl. zur Abgrenzung OLG Köln, VRS 67, 293; Janker in Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 23. Aufl., § 36 StVO Rn. 3 f., 12[↩]
- Kudlich, JA 2015, 235, 236; vgl. hierzu auch BayObLGSt 1974, 137; OLG Düsseldorf, NZV 1996, 458, 459; OLG Hamm, NJW 1972, 1769 für die telefonische Weisung eines „Kreispolizeibeamten“; zw. Jahn, JuS 2014, 1135, 1137[↩]
- König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl., § 316a StGB Rn. 2; SSW-StGB/Ernemann, 2. Aufl., § 316a Rn. 9; Sander in MünchKomm-StGB, 2. Aufl., § 316a Rn. 11; LK-StGB/Sowada, 12. Aufl., § 316a Rn. 11; Sternberg-Lieben/Hecker in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 316a Rn. 4; SK-StGB/Wolters, § 316a Rn. 3c [„psychische Autofalle“]; Roßmüller/Rohrer, NZV, 1995, 253, 263; Steinberg, NZV 2007, 545, 550; Geppert, DAR 2014, 128, 130; in der Tendenz ebenso schon BGH, Beschlüsse vom 23.07.2014 – 2 StR 104/14, NStZ-RR 2014, 342, und 2 StR 105/14; aA Krüger, NZV 2004, 161, 165 f.; Duttge/Nolden, JuS 2005, 193, 197; wohl auch Bosch JK 1/2015 StGB § 316a[↩]
- BGH, Urteil vom 20.11.2003 – 4 StR 150/03, BGHSt 49, 8, 14 f.; Beschlüsse vom 28.06.2005 – 4 StR 299/04, BGHSt 50, 169, 172 f.; und vom 22.08.2012 – 4 StR 244/12, NStZ 2013, 43[↩]
- vgl. LK-StGB/Vogel, 12. Aufl., § 249 Rn. 67; s. auch zu einer ähnlichen Fallgestaltung BGH, Beschluss vom 06.07.2006 – 4 StR 48/06, NStZ 2007, 35, 36[↩]