Europäischer Haftbefehl – und die Sachverhaltsdarstellung bei Serienstraftaten

Bei Serienstraftaten sind an die Sachverhaltsdarstellung in einem Europäischen Haftbefehl regelmäßig geringere Anforderungen zu stellen als bei einem inländischen Haftbefehl oder einer Anklageschrift. Bei einer Vielzahl gleichgelagerter Taten genügt es, wenn der Europäische Haftbefehl eine Darstellung des Gesamttatzeitraums, der Tatörtlichkeiten, der Strukturen des personellen Zusammenschlusses und der Einbindung des Betroffenen in diese, des modus operandi und der Anzahl der Serienstraftaten nebst jedenfalls aussagekräftiger exemplarischer Beschreibung einzelner Taten enthält.

Europäischer Haftbefehl – und die Sachverhaltsdarstellung bei Serienstraftaten

Gemäß § 83a Abs. 1 Nr. 5 IRG, Art. 8 Abs. 1 Buchst. e RbEuHb setzt die Auslieferung aufgrundlage eines Europäischen Haftbefehls unter anderem voraus, dass dieser eine Beschreibung der Umstände enthält, unter denen die Straftat begangen wurde, einschließlich der Tatzeit, des Tatortes und der (Art der) Tatbeteiligung der gesuchten Person. Hierzu ist es notwendig, dass die Haftanordnung eine ausreichende Konkretisierung des Tatvorwurfs enthält, welche einen zureichenden Rückschluss auf das dem Verfolgten vorgeworfene Geschehen ermöglicht1. Hiermit wird dem im Auslieferungsrecht geltenden Grundsatz der Spezialität (§ 83h IRG) Rechnung getragen, der eine hinreichend präzise Bezeichnung der Tat und Beschreibung der dieser zugrundeliegenden tatsächlichen Umstände voraussetzt, da seine Wahrung anderenfalls nicht effektiv überprüft werden kann2. Gleichzeitig gilt für die Praxis der internationalen Rechtshilfe im Hinblick auf den Europäischen Haftbefehl das Gebot einer knappen Sachverhaltsdarstellung3.

Bei Serienstraftaten sind an die Sachverhaltsdarstellung herabgesetzte Anforderungen zu stellen4. Diese muss regelmäßig weder dieselbe Detailliertheit wie ein inländischer Haftbefehl nach § 114 StPO aufweisen noch die inhaltlichen Voraussetzungen einer Anklageschrift nach § 200 StPO erfüllen.

Bei einer Vielzahl gleichgelagerter Taten genügt es, wenn – wie vorliegend – der Europäische Haftbefehl eine Darstellung des Gesamttatzeitraums, der Tatörtlichkeiten, der Strukturen des personellen Zusammenschlusses und der Einbindung des Betroffenen in diese, des modus operandi und der Anzahl der Serienstraftaten nebst jedenfalls aussagekräftiger exemplarischer Beschreibung einzelner Taten enthält. Hiermit ist dem Zweck der Regelung, namentlich der Überprüfbarkeit der Wahrung des Spezialitätsgrundsatzes durch den um Rechtshilfe ersuchten Staat und damit dem Schutz seiner Souveränität5 ebenso wie dem Anspruch des Verfolgten auf rechtliches Gehör und der Möglichkeit einer effektiven Verteidigung hinreichend Genüge getan.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 8. Juli 2025 – 3 StR 192/25

  1. s. hierzu OLG Karlsruhe, Beschluss vom 11.08.2016 – 1 AK 28/16 16; BeckOK StPO/Inhofer, 55. Ed., RB (EU) 2002/584/JI Anhang Rn. 9; Ambos/König/Rackow/Meyer, Rechtshilferecht in Strafsachen, 2. Aufl., § 83a IRG Rn. 946 ff.; Schomburg/Lagodny/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 6. Aufl., § 83a IRG Rn. 11[]
  2. s. BVerfG, Beschluss vom 15.02.2023 – 2 BvR 2009/22, NStZ-RR 2023, 152, 154[]
  3. Ambos/König/Rackow/Heger/Wolter, Rechtshilferecht in Strafsachen, 2. Aufl., RbEuHb Anhang A. II. Rn. 724; s. auch BeckOK StPO/Inhofer, 55. Ed., RB (EU) 2002/584/JI Anhang Rn. 9 mit Hinweis auf fahndungsspezifische Probleme in Bezug auf längere Sachverhaltsschilderungen und Anlagen; s. auch RiStBV Anlage F Nr. 6[]
  4. so auch BeckOK StPO/Inhofer, 55. Ed., RB (EU) 2002/584/JI Anhang Rn. 9; Ambos/König/Rackow/Meyer, Rechtshilferecht in Strafsachen, 2. Aufl., § 83a IRG Rn. 949; Schomburg/Lagodny/Zimmermann, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 6. Aufl. § 81 IRG Rn. 23; Schomburg/Lagodny/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 6. Aufl., § 83a IRG Rn. 11; OLG Karlsruhe, Beschlüsse vom 11.08.2016 – 1 AK 28/16 16; vom 10.11.2015 – AK 111/14 29; vom 22.01.2013 – 1 AK 76/12 6; OLG Köln, Beschluss vom 11.12.2019 – 6 AuslA 110/19 unter anderem 25; vgl. auch BGH, Beschluss vom 24.09.2010 – 1 StR 373/10, BGHR IRG § 83h Abs. 1 Nr. 1 Spezialitätsgrundsatz 1; strengere Maßstäbe anlegend OLG Stuttgart, Beschluss vom 06.05.2014 – 1 Ausl 64/14 8; offen gelassen von BVerfG, Beschluss vom 15.02.2023 – 2 BvR 2009/22, NStZ-RR 2023, 152, 155[]
  5. BGH, Beschluss vom 11.05.2016 – 1 StR 627/15, NStZ-RR 2016, 290, 293; vgl. zu der in ähnlich gelagerten Fallkonstellationen fehlenden Beeinträchtigung der Interessen des ersuchten Staates, BGH, Beschlüsse vom 24.09.2010 – 1 StR 373/10, BGHR IRG § 83h Abs. 1 Nr. 1 Spezialitätsgrundsatz 1; vom 25.04.1995 – 1 StR 18/95, NStZ 1995, 608[]