Taschengeld für Schwerbehinderte im Strafvollzug

Die Mehrbedarfsregelung des § 30 Abs. 1 SGB-XII ist bei der Bemessung von Taschengeld für Strafgefangene nach § 43 NJVollzG nicht anzuwenden. Es erfolgt daher keine Erhöhung des Taschengeldes im Strafvollzug bei Schwerbehinderung.

Taschengeld für Schwerbehinderte im Strafvollzug

Gemäß § 43 NJVollzG ist einem Gefangenen auf Antrag ein angemessenes Taschengeld zu gewähren, soweit er unverschuldet bedürftig ist. Die Vorschrift entspricht nach dem Willen des Gesetzgebers § 46 StVollzG in der gemäß § 199 Abs. 1 StVollzG gültigen Fassung mit einigen redaktionellen Änderungen, die der Präzisierung dienen1. Da die Höhe des Taschengeldes bundesrechtlich nur in der VV zu § 46 StVollzG geregelt ist, sieht § 44 NJVollzG die Ermächtigung zum Erlass einer Verordnung über die Höhe des Taschengeldes vor2. Allerdings ist eine solche Verordnung bislang nicht erlassen worden. Daher gelten nach der Übergangsregelung des § 201 Abs. 1 NJVollzG die Vorschriften des StVollzG über die Bemessung des Arbeitsentgeltes und der Ausbildungsbeihilfe sowie die Strafvollzugsvergütungsordnung fort. Davon umfasst ist auch die Bemessung des Taschengeldes nach der VV zu § 46 StVollzG. Diese wird zwar nicht ausdrücklich in der Übergangsregelung erwähnt. Nach den Gesetzesmaterialien soll die Übergangsregelung aber „weiterhin“ die Anwendung der „entsprechenden bundesrechtlichen Regelungen“ ermöglichen, damit insoweit kein rechtloser Zustand eintritt3. Das Taschengeld beträgt nach Abs. 2 Satz 1 der VV zu § 46 StVollzG 14 % der Eckvergütung nach § 43 Abs. 2 StVollzG. Die Berechnung der Eckvergütung selbst ist verfassungsgemäß4.

Die Taschengeldregelungen in § 43 NJVollzG bzw. § 46 StVollzG sind abschließend; weder sie noch die Berechnungsvorschriften sehen eine Erhöhung des Taschengeldes im Fall einer Schwerbehinderung vor. Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist auch § 30 Abs. 1 SGB XII, wonach für Personen, die die Altersgrenze nach § 41 Abs. 2 noch nicht erreicht haben, aber voll erwerbsgemindert nach SGB VI sind und durch einen Bescheid der nach § 69 Abs. 4 SGB IX zuständigen Behörde oder einen Ausweis nach § 69 Abs. 5 SGB IX die Feststellung des Merkzeichens G nachweisen, ein Mehrbedarf von 17 % der Regelbedarfsstufe anerkannt wird, auf die Bemessung des Taschengeldes nach § 43 NJVollzG nicht anzuwenden. Die Bestimmung des § 30 Abs. 1 SGB XII setzt nämlich die Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 27 SGB XII voraus und knüpft an die dafür vorgesehenen Regelbedarfsstufen an. Aufgrund des Nachrangprinzips gemäß § 2 Abs. 2 SGB XII und der abschließenden Regelungen in § 43 NJVollzG und § 46 StVollzG besteht jedoch kein ergänzender Sozialhilfeanspruch für Strafgefangene5.

Auch eine entsprechende Anwendung von § 30 Abs. 1 SGB XII auf den vorliegenden Fall scheidet aus. Es fehlt bereits an einer planwidrigen Regelungslücke. Der Bundesgesetzgeber hat das Taschengeld unter Entlehnung dieses Begriffs aus dem Sozialhilferecht gerade für den Fall eingeführt, dass einem Gefangenen „aus Gründen seines Alters, seiner Gebrechlichkeit oder Krankheit Arbeit nicht zugewiesen werden kann“6. Hiernach bleibt kein Raum für die Anerkennung eines Mehrbedarfs auf Grund einer vollen Erwerbsminderung.

Es liegt auch keine vergleichbare Interessenlage vor. Denn der Mehrbedarf nach § 30 SGB XII dient mit der Anknüpfung an den Regelbedarf der Sicherung des Lebensunterhalts, also der Grundversorgung, die der Gefangene von der Vollzugsbehörde bereits auf andere Weise erhält. Demgegenüber soll das Taschengeld dem Gefangenen nur „ein Minimum an Mitteln zur Befriedigung persönlicher Bedürfnisse“ verschaffen7. Es dient also gerade nicht der Grundversorgung.

Aus den vorgenannten Gründen liegt in der Ablehnung der Erhöhung auch keine Verletzung von Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG. Denn der Antragsteller ist nicht der Gruppe voll erwerbsgeminderter Menschen gleichzusetzen, die allein auf sich gestellt außerhalb einer Einrichtung ausschließlich mit den Leistungen der Sozialhilfe ihren gesamten Lebensunterhalt bestreiten müssen8. Dies zeigt sich auch daran, dass die Ermittlung der Regelbedarfsstufen für die Hilfe zum Lebensunterhalt, auf die § 30 SGB XII sich bezieht, völlig anderen Regeln folgt als die Bemessung des Taschengeldes für Strafgefangene. Während die Regelbedarfsstufen gemäß § 28 Abs. 2 SGB XII nach den tatsächlichen Verbrauchsausgaben unterer Einkommensstufen ermittelt werden, berechnet sich das Taschengeld als ein Bruchteil der Eckvergütung nach § 43 Abs. 2 StVollzG. Es dient nämlich nur als Ausgleich dafür, dass ein Gefangener aus Gründen, die er nicht zu vertreten hat, weder Arbeitsentgelt noch Ausbildungshilfe erhält9. Diese Ausgangslage ist aber bei allen unverschuldet bedürftigen Gefangenen – behinderten und nicht behinderten – gleich.

Oberlandesgericht Celle, Beschluss vom 25. September 2013 – 1 Ws 375/13 (StrVollz)

  1. LT-Drucks. 15/3565 S. 125[]
  2. LT-Drucks. aaO[]
  3. LT-Drucks. 15/3565 S. 226[]
  4. vgl. BVerfG NJW 2002, 2023[]
  5. vgl. OLG Hamburg NStZ-RR 2009, 127; OVG NRW ZfStrVo 1988, 364; Laubenthal in Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, StVollzG 6. Aufl. § 46 Rn. 1; Arloth StVollzG 3. Aufl. § 46 Rn. 6[]
  6. vgl. BT-Drucks. 7/918 S. 69[]
  7. vgl. BT-Drucks. aaO[]
  8. vgl. BVerfGK 14, 99[]
  9. vgl. Laubenthal aaO Rn. 8[]