In der gerichtlichen Entscheidung über die Versagung von Akteneinsicht kann eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör eines Verfahrensbeteiligten liegen.
Abs. 1 GG sichert den Anspruch auf rechtliches Gehör. Der Einzelne soll nicht nur Objekt der richterlichen Entscheidung sein, sondern vor einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort kommen, um als Subjekt Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu können1. Wenn ein Gericht eine Entscheidung abändern will und dadurch in die Rechtsstellung des durch diese Entscheidung Begünstigten eingreift, muss dieser Gelegenheit erhalten, sich in Kenntnis der dem Gericht vorliegenden Stellungnahme der Gegenseite zumindest einmal umfassend zur Sach- und Rechtslage zu äußern2. Der Umfang des Äußerungsanspruchs entspricht in diesem Fall dem eines vom Gericht noch nicht angehörten Beteiligten in erster Instanz und hängt nicht davon ab, ob neue Tatsachen oder Beweisergebnisse vorliegen3. Diese Maßstäbe finden ihren einfachgesetzlichen Niederschlag im hier relevanten Zusammenhang in § 308 Abs. 1 Satz 1 StPO, wonach das Beschwerdegericht die angefochtene Entscheidung nicht zum Nachteil des Gegners des Beschwerdeführers ändern darf, ohne dass diesem die Beschwerde zur Gegenerklärung mitgeteilt worden ist.
Dadurch, dass das in dem hier entschiedenen Fall Landgericht München I die Verfügungen der Staatsanwaltschaft und den Beschluss des Amtsgerichts aufgehoben und das Akteneinsichtsgesuch der Beschwerdeführerin als unbegründet zurückgewiesen hat, ohne ihr zuvor die Beschwerdeschriften und -begründungen der Beschwerdeführer des Ausgangsverfahrens zur Kenntnis zu geben, hat es nicht nur gegen § 308 Abs. 1 Satz 1 StPO verstoßen, sondern zugleich auch den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Unerheblich ist, ob die Beschwerdeführerin Verletzte im Sinne von § 406e Abs. 1 StPO ist. Die Verletzteneigenschaft ist eine Voraussetzung für die Akteneinsicht nach § 406e Abs. 1 StPO und bestimmt den Inhalt der Beschwerdeentscheidung, nicht aber das hierbei zu beachtende Verfahren. Anspruch auf rechtliches Gehör hat vielmehr jeder, der an einem gerichtlichen Verfahren als Partei oder in ähnlicher Stellung beteiligt ist oder unmittelbar rechtlich von dem Verfahren betroffen wird4. Unmittelbar betroffen ist neben dem förmlich am Prozess Beteiligten auch derjenige, dem gegenüber die richterliche Entscheidung materiell-rechtlich wirkt5. Dies ist vorliegend der Fall. Durch die angegriffenen stattgebenden Beschlüsse des Landgerichts wird die Entscheidung der Vorinstanz zum Nachteil der Beschwerdeführerin abgeändert, indem ihr die (teilweise) eingeräumte Akteneinsicht wieder entzogen wird. Die Versagung der Akteneinsicht beeinträchtigt unmittelbar die rechtlichen Interessen der Beschwerdeführerin.
Die Beschlüsse des Landgerichts beruhen auch auf der Gehörsverletzung. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Entscheidungen bei Gewährung rechtlichen Gehörs anders ausgefallen wären6. Aus der Verfassungsbeschwerde geht hinreichend hervor, was die Beschwerdeführerin bei ordnungsgemäßer Gewährung rechtlichen Gehörs vorgebracht hätte. So vertritt sie die Ansicht, aus der Einholung des Sachverständigengutachtens zur Schadenswahrscheinlichkeit folge, dass der Fall nach Auffassung des Landgerichts Düsseldorf gerade nicht mit den vom Landgericht München I bereits entschiedenen Schadensersatzklagen vergleichbar sei. Sie argumentiert ausführlich gegen die Vergleichbarkeit der Fälle und gegen die Einstufung der Akteneinsicht als unzulässige Ausforschung. Anders könnte es sich nur dann verhalten, wenn festzustellen wäre, dass dem Begehren der Beschwerdeführerin ganz unabhängig von jeglichem Vorbringen von Rechts wegen nicht hätte entsprochen werden dürfen. Eine solche Feststellung lässt sich jedoch seitens des Bundesverfassungsgerichts, das die primäre Zuständigkeit der Fachgerichte für die Anwendung und Auslegung des einfachen Rechts zu respektieren hat7 hier nicht treffen8.
Der Gehörsverstoß wurde nicht im Rahmen des Anhörungsrügeverfahrens geheilt. Eine Heilung ist – wie bereits ausgeführt – schon deshalb ausgeschlossen, weil der Beschwerdeführerin die Schriftsätze der Gegenseite auch nicht nachträglich ihrem vollen Inhalt nach zur Kenntnis gebracht wurden und sie damit weiter nicht in der Lage war, unter Berücksichtigung des Vortrags der anderen Beteiligten eine eigene Stellungnahme abzugeben. Hieran ändert auch die Wiedergabe der wesentlichen Argumente der Beschwerdebegründungen in den angegriffenen Beschlüssen nichts. Da der Beschwerdeführerin die Beschwerdebegründungen selbst nicht bekannt waren, konnte sie nicht auf die Vollständigkeit und Richtigkeit der Wiedergabe vertrauen, zumal die Gerichte nicht gehalten sind, sich mit jedem rechtlichen und tatsächlichen Vorbringen der Beteiligten ausdrücklich zu befassen9. Dementsprechend ging die Beschwerdeführerin auf den Vortrag der Gegenseite, wie er in den angegriffenen Beschlüssen zusammengefasst ist, nicht ein, sondern verlangte die Nachholung rechtlichen Gehörs. Es liegt – mangels Möglichkeit einer Stellungnahme in voller Kenntnis des Beschwerdevorbringens der Gegenseite – folglich keine Situation vor, in der das Landgericht einem Gehörsverstoß durch bloße Rechtsausführungen im Anhörungsrügebeschluss abhelfen konnte10.
Angesichts des festgestellten Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 1 GG kann offen bleiben, ob die Verfassungsbeschwerde auch insoweit begründet ist, als die Beschwerdeführerin eine Verletzung des Willkürverbots rügt.
Gemäß § 95 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG ist festzustellen, dass die Beschlüsse des Landgerichts München I vom 03.07.2015 die Beschwerdeführerin jeweils in ihrem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzen. Die angegriffenen Beschlüsse sind aufzuheben und die Sache an das Landgericht München I zurückzuverweisen (§ 93c Abs. 2 i.V.m. § 95 Abs. 2 BVerfGG).
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 25. Januar 2018 – 2 BvR 1362/16
- BVerfGE 107, 395, 409[↩]
- vgl. BVerfGE 7, 95, 98 f.; 11, 29, 30; 14, 54, 56; 17, 188, 190; 17, 262, 264 f.; 34, 157, 159; 65, 227, 234; stRspr[↩]
- BVerfGE 65, 227, 234[↩]
- BVerfGE 65, 227, 233; 75, 201, 215; 101, 397, 404; stRspr[↩]
- vgl. BVerfGE 60, 7, 13; 89, 381, 390 f.; 92, 158, 183[↩]
- vgl. BVerfGE 11, 29, 30; 14, 54, 56; 86, 133, 147; 89, 381, 392 f.; stRspr[↩]
- vgl. BVerfGE 18, 85, 92; stRspr[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 15.11.2010 – 2 BvR 1183/09 31[↩]
- vgl. BVerfGE 79, 51, 61; 86, 133, 146[↩]
- vgl. BVerfGK 15, 116, 119 f.; BVerfG, Beschluss vom 15.08.2014 – 2 BvR 969/14 50; Beschluss vom 15.07.2016 – 2 BvR 857/14 11; Beschluss vom 14.09.2016 – 1 BvR 1304/13 28[↩]











