Ist der Schluss von der Verweigerung einer im behördlichen Verfahren angeordneten ärztlichen Begutachtung auf die dauernde Dienstunfähigkeit eines Beamten wegen der Rechtswidrigkeit der behördlichen Untersuchungsanordnung nicht zulässig, hat das Verwaltungsgericht die Frage der Dienstunfähigkeit des Betreffenden – bezogen auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe der letzten Verwaltungsentscheidung – grundsätzlich im gerichtlichen Verfahren zu klären.

Verweigert der Beamte eine ärztliche Begutachtung, darf nur dann auf seine dauernde Dienstunfähigkeit geschlossen werden, wenn feststeht, dass ihm die Aufforderung zur ärztlichen Untersuchung auch tatsächlich zugegangen ist. Ist dies zweifelhaft, muss das Gericht den Zugang des Einladungsschreibens aufklären.
Ist eine Verwaltungsentscheidung, wie hier nach § 44 Abs. 1 Satz 1 BBG, gebunden, ohne dass der Behörde ein Beurteilungsspielraum zusteht und trifft die von der Behörde für ihre Entscheidung gegebene Begründung inhaltlich nicht zu, so obliegt dem Gericht nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO die Prüfung, ob der Verwaltungsakt aus anderen als den von der Behörde genannten Gründen rechtmäßig ist [1]. Erweist sich die von der Behörde für die Annahme der Dienstunfähigkeit gegebene Begründung als nicht tragfähig, so hat das Verwaltungsgericht deshalb zu klären, ob der betroffene Beamte zu dem für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Zurruhesetzungsverfügung maßgeblichen Zeitpunkt tatsächlich dienstunfähig war [2].
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kommt es für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Zurruhesetzungsverfügung auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung an [3]. Dementsprechend haben die Gerichte durch Beweisaufnahme zu klären, ob der betroffene Beamte zum maßgeblichen Zeitpunkt wegen seines körperlichen Zustandes oder aus gesundheitlichen Gründen zur Erfüllung der ihm obliegenden Dienstpflichten dauernd unfähig war. Eine Beweisaufnahme durch das Gericht kommt allerdings nur in Betracht, wenn tatsächlich konkrete Umstände vorliegen, die die Dienstunfähigkeit des Betroffenen als nahe liegend erscheinen lassen [4]. Die Aufklärung des Sachverhalts durch das Gericht scheidet erst dann aus, wenn die rückblickende, auf den Zeitpunkt der Zustellung des Widerspruchsbescheids bezogene Klärung der Dienstunfähigkeit im gerichtlichen Verfahren wegen der konkreten Umstände des Einzelfalls, z.B. weil tatsächlich unmöglich, von vornherein ausgeschlossen ist.
In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist auch anerkannt, dass es im Rahmen freier Beweiswürdigung zum Nachteil eines Beteiligten gewertet werden kann, wenn dieser sich ohne Grund einer rechtmäßig angeordneten ärztlichen Untersuchung entzieht. Verhindert ein Beteiligter die Klärung seines Gesundheitszustandes, so kann dies für die Richtigkeit des Vorbringens des Gegners sprechen, auch wenn dieser Schluss nicht notwendigerweise gezogen werden muss. Die Verpflichtung, sich zur Nachprüfung des Gesundheitszustandes ärztlich untersuchen zu lassen, ginge ins Leere, wenn aus einer unberechtigten Weigerung keine Rückschlüsse gezogen werden könnten. Andernfalls hätte es der Beamte in der Hand, die für die Klärung seines Zustandes erforderliche ärztliche Untersuchung erheblich zu erschweren oder zu vereiteln. Dieser aus §§ 427, 444 und 446 ZPO abgeleitete Rechtsgrundsatz gilt im Verwaltungsverfahren wie auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren [5].
§ 46 VwVfG oder inhaltsgleiche Vorschriften des Landesverwaltungsverfahrensrechts sind auch auf Verwaltungsakte anwendbar, die einen Beamten wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzen [6]. Die Annahme der „Offensichtlichkeit“ im Sinne von § 46 VwVfG oder vergleichbaren Vorschriften des Landesrechts ist nach der Rechtsprechung des Senats bereits dann ausgeschlossen, wenn nach den Umständen des Falls die konkrete Möglichkeit besteht, dass ohne den Verfahrensfehler eine andere Entscheidung getroffen worden wäre [7]. Von diesen Grundsätzen ist auch das Oberverwaltungsgericht ausgegangen. Ob es diese Grundsätze auf den konkreten Einzelfall zutreffend angewendet hat, ist keine Frage von rechtsgrundsätzlicher Bedeutung.
Die für einen Verfahrensbeteiligten nachteilige Wertung der Verweigerung einer vom Gericht zur Klärung des Sachverhalts angeordneten ärztlichen Untersuchung nach dem Rechtsgedanken der §§ 427, 444 und 446 ZPO setzt voraus, dass der betroffene Beamte von den vom Gutachter festgesetzten Untersuchungsterminen überhaupt Kenntnis erlangt hat. Andernfalls kann dem Beamten nicht vorgehalten werden, die Begutachtung vorwerfbar verweigert zu haben. Erweist sich der Zugang der Einbestellung zur ärztlichen Untersuchung im gerichtlichen Verfahren als zweifelhaft, muss das Gericht diesen entscheidungserheblichen Umstand aufklären und darf sich nicht mit Annahmen und nicht belegten Vermutungen begnügen. Auch im Beschwerdeverfahren konnte die Frage des Zugangs der Einladungsschreiben des Gesundheitsamtes nicht geklärt werden.
Im Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht war unklar, unter welcher Anschrift der Kläger tatsächlich im Schriftverkehr erreichbar ist. Das erste Anschreiben des Gesundheitsamtes vom 06.11.2012, das an die auch vom Bevollmächtigten des Klägers im Schriftsatz vom 20.11.2012 genannte Meldeadresse des Klägers, …straße …, gerichtet war, ging an das Gesundheitsamt mit dem Vermerk „unbekannt“ zurück. Die weiteren, nicht zurückgesendeten Einladungsschreiben des Gesundheitsamtes waren an die Anschrift …Straße … gerichtet, unter der sich der Kläger noch im Februar 2013 an das Verwaltungsgericht gewandt hatte. Allerdings war der Kläger nach der vom Berufungsgericht eingeholten Meldeauskunft vom März 2013 aus dieser Wohnung bereits im Mai 2009 ausgezogen. Das Oberverwaltungsgericht ist in seinem Schreiben an das Gesundheitsamt vom 07.02.2013 davon ausgegangen, dessen Aufforderungen seien sämtlich an die Meldeadresse des Klägers gerichtet worden. Dass diese Annahme nicht zutrifft, ergibt sich bereits aus den Mitteilungen des Gesundheitsamtes an das Berufungsgericht. Denn in diesen ist als Adresse die frühere Anschrift des Klägers, …Straße …, vermerkt.
Angesichts der Bedeutung, die das Oberverwaltungsgericht der Verweigerung der im gerichtlichen Verfahren angeordneten Begutachtung beigemessen hat, hätte es bei dieser Sachlage den tatsächlichen Zugang der Einladungsschreiben des Gesundheitsamtes beim Kläger klären müssen. Im Vorfeld der Berufungsverhandlung hätte das Gericht z.B. beim Bevollmächtigten des Klägers entsprechend nachfragen können. Dies entspricht nicht nur der Funktion des Bevollmächtigten eines Klägers im verwaltungsgerichtlichen Verfahren (§ 67 Abs. 6 Satz 5 VwGO), sondern lag auch angesichts der Art der beim Kläger vermuteten gesundheitlichen Probleme nahe.
Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 5. November 2013 – 2 B 60.13
- BVerwG, Urteile vom 19.08.1988 – 8 C 29.87, BVerwGE 80, 96, 97 f. = Buchholz 406.11 § 135 BBauG Nr. 30 S. 2 f. und vom 30.05.2013 – 2 C 68.11 – juris Rn. 38 f. = ZBR 2013, 348; Beschluss vom 04.09.2008 – 9 B 2.08, Buchholz 310 § 113 Abs. 1 VwGO Nr. 32 Rn. 3[↩]
- BVerwG, Urteil vom 30.05.2013 a.a.O.[↩]
- BVerwG, Urteile vom 17.10.1966 – 6 C 56.63, Buchholz 232 § 42 Nr. 7 S. 34 f., vom 21.10.1966 – 6 C 46.63, Buchholz 232 § 42 Nr. 8 S. 42 f., vom 16.10.1997 – 2 C 7.97, BVerwGE 105, 267, 269 = Buchholz 232 § 42 BBG Nr. 22 S. 4 f., vom 26.03.2009 – 2 C 73.08, BVerwGE 133, 297 = Buchholz 232 § 42 BBG Nr. 25, jeweils Rn. 12, vom 26.01.2012 – 2 C 7.11, Buchholz 237.95 § 208 SHLBG Nr. 1 Rn. 11 und vom 26.04.2012 – 2 C 17.10, Buchholz 237.6 § 226 NdsLBG Nr. 1 Rn. 9[↩]
- BVerwG, Urteil vom 30.05.2013 a.a.O. Rn. 39[↩]
- BVerwG, Urteile vom 26.09.1958 – 4 C 14.57, BVerwGE 8, 29, 30 f., vom 27.06.1991 – 2 C 40.89, Buchholz 239.1 § 60 BeamtVG Nr. 1 S. 5, vom 18.09.1997 – 2 C 33.96, Buchholz 237.5 § 51 HeLBG Nr. 2 S. 3, vom 26.01.2012 – 2 C 7.11 – a.a.O. Rn. 14 und vom 26.04.2012 – 2 C 17.10 – a.a.O. Rn. 12[↩]
- BVerwG, Urteile vom 26.01.2012 a.a.O. Rn.20 f. und vom 30.05.2013 a.a.O. Rn. 31 bis 33[↩]
- BVerwG, Urteile vom 08.06.1995 – 4 C 4.94, BVerwGE 98, 339, 361 f. = Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 102 S. 39 f., vom 25.01.1996 – 4 C 5.95, BVerwGE 100, 238, 250 = Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 107 S. 66, vom 13.12.2007 – 4 C 9.06, BVerwGE 130, 83 = Buchholz 442.40 § 8 LuftVG Nr. 30, jeweils Rn. 38, vom 26.01.2012 a.a.O. Rn.20 und 23 und vom 30.05.2013 a.a.O. Rn. 31 f.[↩]