Der Eigentümer von Schlachtrindern kann weder nach § 66 Nr. 5 noch nach § 72c TierSG von der Tierseuchenkasse Entschädigung für Erlöseinbußen und Aufwendungen zur Beseitigung von Risikomaterial verlangen, die infolge amtstierärztlich angeordneter Sicherungsmaßnahmen nach einem BSE-Verdacht entstanden sind, der sich später nicht bestätigt hat.

Der Eigentümer der Rinder kann mithin Entschädigung weder für die Verluste verlangen, die ihr aus der angeordneten Zwischenlagerung und verzögerten Verwertung von Schlachtfleisch entstanden sind, noch für Aufwendungen im Zusammenhang mit der sofortigen Beseitigung von Risikomaterial. Diese Ansprüche lassen sich weder auf das Tierseuchengesetz noch auf europäisches Gemeinschaftsrecht stützen.
Kein Anspruch nach § 66 Nr. 5 TierSG
§ 66 Nr. 5 TierSG ist nicht einschlägig. Diese Vorschrift begründet unter den weiter genannten Voraussetzungen einen Anspruch auf Entschädigung für Rinder, deren Fleisch nach der Schlachtung auf Grund einer tierseuchenrechtlichen Vorschrift oder einer auf eine solche Vorschrift gestützten behördlichen Anordnung gemaßregelt worden ist. Das Berufungsgericht ist ohne Verstoß gegen revisibles Recht davon ausgegangen, dass die amtstierärztlichen Anordnungen nicht auf Grund einer tierseuchenrechtlichen Rechtsgrundlage ergangen sind. Das Bundesverwaltungsgericht hat im Urteil vom 21. Oktober 20101 entschieden, dass als tierseuchenrechtlich nur eine Maßnahme anzusehen ist, die ihre Rechtsgrundlage im Tierseuchengesetz selbst oder in einer auf Grund der darin enthaltenen Ermächtigungen erlassenen Rechtsverordnung hat. Das war hier nicht der Fall. Für amtliche Maßnahmen nach dem Aufkommen eines BSE-Verdachts bei einem geschlachteten Rind bietet das unmittelbar geltende Verordnungsrecht der Europäischen Union spezielle, dem deutschen Recht vorgehende Rechtsgrundlagen. Von diesen Befugnissen hat der Amtstierarzt Gebrauch gemacht: Die Sperrung des Betriebes war unmittelbar auf der Grundlage von Art. 12 Abs. 1 UAbs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 999/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22.05.2001 mit Vorschriften zur Verhütung, Kontrolle und Tilgung bestimmter transmissibler spongiformer Enzephalopathien2 möglich; die Anordnung der vorsorglichen Beseitigung und Lagerung von Körperteilen aller BSE-verdächtiger oder nach europäischem oder deutschem Recht zusätzlich als verdächtig geltender Tiere der Schlachtlinie konnte sich auf Art. 12 Abs. 3 dieser Verordnung stützen.
Kein Anspruch nach § 72c TierSG
Der Anspruch auf Entschädigung ergibt sich auch nicht aus § 72c TierSG. Danach gelten die §§ 66 bis 72b hinsichtlich der Entschädigungen für Tierverluste auf Grund einer Vorschrift eines unmittelbar geltenden Rechtsaktes der Europäischen Gemeinschaft entsprechend, soweit ein solcher Rechtsakt im Anwendungsbereich des Tierseuchengesetzes nicht entgegensteht oder seine Durchführung es erfordert. Die Vorschrift dient der Umsetzung von Entschädigungspflichten für Tierverluste auf Grund unmittelbar geltender Vorschriften in Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft3. Der Anwendungsbereich der Vorschrift ist darüber hinaus auf zusätzliche Beseitigungspflichten zu erstrecken, die das deutsche Recht anknüpfend an eine gemeinschaftsrechtliche Mindestvorgabe begründet4.
§ 72c TierSG erfasst den vorliegenden Fall nicht unmittelbar, denn ein unmittelbar geltender Rechtsakt des Gemeinschaftsrechts fordert es nicht, den Eigentümern der betroffenen Rinder Entschädigung zu gewähren. Maßgeblich ist die Verordnung (EG) Nr. 999/2001. Sie begründet in Art. 13 Abs. 4 eine Pflicht zur Entschädigung für den Verlust solcher Tiere, die gemäß Art. 12 Abs. 2 und Art. 13 Abs. 1 Buchst. a und c getötet bzw. beseitigt werden, also selbst an BSE erkrankt sind (Art. 13 Abs. 1), oder bei denen die Möglichkeit einer solchen Infektion nicht ausgeschlossen werden kann (Art. 12 Abs. 2). Einer der dort erfassten Sachverhalte lag nicht vor: Die Rinder der Klägerin waren nicht an BSE erkrankt und bei ihnen konnte aufgrund des endgültigen Testergebnisses auch die Möglichkeit einer Infektion ausgeschlossen werden.
Keine Entschädigung nach Unionsrecht
Ebenso wenig ergibt sich eine Entschädigungspflicht aus der Verordnung (EG) Nr. 999/2001 seit ihrer Ergänzung durch die Verordnung (EG) Nr. 1248/2001 vom 22.06.20015. Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht die in Nr.06.5 des neuen Anhangs III, Kap. A, Abschn. I vorgenommene Erstreckung der Beseitigungspflicht auf dem positiv getesteten Schlachtkörper vorausgehende und nachfolgende Tiere zum Anlass genommen, den Anwendungsbereich des § 72c TierSG auf sämtliche Tiere zu erweitern, die nach europäischem oder deutschem Recht zusätzlich zum positiv getesteten Schlachtkörper zu beseitigen sind6. Diese Auslegung des § 72c TierSG setzt aber voraus, dass die Schlachtkörper vernichtet worden sind. Dies war hier nicht der Fall; denn eine Anordnung nach § 4 der Verordnung zur fleischhygienerechtlichen Untersuchung von geschlachteten Rindern auf BSE (BSE-UntersV), hier noch i.d.F. der Bekanntmachung vom 18.09. 20027, ist nicht ergangen. § 4 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 BSE-UntersV ermächtigte zu Maßnahmen lediglich bei einem nachgewiesenen BSE-Fall. Bei Anordnung der amtstierärztlichen Maßnahmen bestand hingegen lediglich ein dahingehender Verdacht.
Es ist nicht gerechtfertigt, Verwertungsverluste und weitere Aufwendungen, die dem Eigentümer von Schlachtrindern im Rahmen der Vorbereitung einer Entscheidung über die Maßregelung im Sinne des § 4 BSE-UntersV infolge der Dauer der amtlichen Überprüfung und durch vorläufige Sicherungsmaßnahmen faktisch entstehen, in den Anwendungsbereich des § 72c TierSG einzubeziehen. Das europäische Gemeinschaftsrecht gebietet nicht, hierfür eine Entschädigung zu gewähren, denn die auf der Grundlage der Verordnung (EG) Nr. 999/2001 in vorläufigen Verdachtsfällen ergriffenen Sicherungsmaßnahmen sind von der Entschädigungspflicht des Art. 13 Abs. 4 der Verordnung nicht umfasst. Das zeigt auch der Erwägungsgrund 13 der Verordnung, der eine Entschädigung für Maßnahmen nur bei „amtlicher Bestätigung eines TSE-Falles“ vorsieht.
Keine Entschädigung unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten
Es ist auch unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten nicht geboten, Eigentümern von Schlachtrindern auf der Grundlage des § 72c TierSG Entschädigung für jedwede Erlöseinbußen und Aufwendungen zu gewähren, die ihnen im Zusammenhang mit lebensmittelrechtlichen Maßnahmen der Fleischhygiene entstehen. Soweit das Gemeinschaftsrecht oder eine darauf beruhende nationale Regelung keine Entschädigung veranlasst, bleibt es vielmehr bei der grundsätzlich gewollten Trennung der Regelungsregime tierseuchenrechtlicher und lebensmittelrechtlicher Vorschriften und der ihr zugrunde liegenden Entscheidung des deutschen Rechts, dass Maßnahmen aufgrund anderer als im Tierseuchengesetz enthaltener Vorschriften ohne Entschädigung durch die Tierseuchenkasse bleiben sollen8. Dazu gehören jene Fälle, in denen Fleisch in einer fleischhygienerechtlichen Entscheidung wie auf Grund von § 4 Abs. 2 BSE-UntersV die Verkehrsfähigkeit abgesprochen wird, aber erst recht solche, die im Vorfeld einer solchen Maßregelung der Überprüfung dienen, ob ein BSE-Fall vorliegt. Diese Überprüfung ist nicht anders als die fleischhygienerechtliche Maßregelung eine staatliche Maßnahme zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des Fleischmarktes. Dies rechtfertigt nach der Absicht des Gesetzgebers, absehbare finanzielle „Mehrbelastungen“, die durch lebensmittelrechtliche Vorsorgemaßnahmen verursacht werden, der Fleisch- und Landwirtschaft zu überbürden und der Regulierung durch den Marktpreis zu überlassen9.
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 26. Mai 2011 – 3 C 15.10
- BVerwG, Urteil vom 21.10.2010 – 3 C 41.09, NVwZ-RR 2011, 102 [↩]
- ABl Nr. L 147 vom 31.05.2001, S. 1 ff.[↩]
- vgl. BT-Drucks 14/7153 S. 10 f.[↩]
- BVerwG, Urteil vom 21.10.2010 a.a.O. [↩]
- ABl Nr. L 173 vom 27.06.2001, S. 12[↩]
- vgl. BVerwG, Urteil vom 21.10.2010 a.a.O.[↩]
- BGBl I S. 3730[↩]
- vgl. BVerwG, Urteil vom 21.10.2010 a.a.O. [↩]
- vgl. BVerwG, Urteil vom 21.10.2010 a.a.O. m.w.N.[↩]