Die verfassungsrechtlichen Maßstäbe für die Kompetenzen des Vermittlungsausschusses ergeben sich aus Art.20 Abs. 2, Art. 38 Abs. 1 Satz 2, Art. 42 Abs. 1 Satz 1 und Art. 76 Abs. 1 GG.

Die Kompetenzen des Vermittlungsausschusses und ihre Grenzen sind in der Verfassung nicht ausdrücklich geregelt. Sie ergeben sich aber aus seiner Funktion und Stellung im Gesetzgebungsverfahren und sind in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt [1].
Die Einrichtung des Vermittlungsausschusses beruht auf der bundesstaatlichen Ausgestaltung des Gesetzgebungsverfahrens [2]. Gemäß Art. 77 Abs. 1 Satz 1 GG werden die Bundesgesetze vom Bundestag beschlossen. Danach sind sie unverzüglich dem Bundesrat zuzuleiten (Art. 77 Abs. 1 Satz 2 GG), dem im Gesetzgebungsverfahren Mitwirkungsrechte zukommen (Art. 50 GG). Der Bundesrat kann durch einen Einspruch oder die Verweigerung einer erforderlichen Zustimmung Einfluss auf die Gesetzgebung nehmen [3]. Verweigert der Bundesrat einem zustimmungspflichtigen Gesetz die Zustimmung, so kommt das Gesetz vorerst nicht zustande (Art. 78 GG). In diesem Falle können die in Art. 76 Abs. 1 GG genannten Initiativberechtigten den Vermittlungsausschuss anrufen [4]. Sofern der Vermittlungsausschuss die Änderung oder Aufhebung des Gesetzesbeschlusses vorschlägt, hat der Bundestag darüber Beschluss zu fassen (Art. 77 Abs. 2 Satz 5 GG); der Bundesrat muss sodann erneut über eine Zustimmung entscheiden. Für die Behandlung des Vorschlages des Vermittlungsausschusses im Bundestag gelten besondere; vom üblichen Gesetzgebungsverfahren zum Teil abweichende Regelungen. Nach § 10 Abs. 2 der Gemeinsamen Geschäftsordnung des Bundestages und des Bundesrates für den Ausschluss nach Artikel 77 des Grundgesetzes (GO-VermA) stimmt der Bundestag nur über den Einigungsvorschlag ab, wobei zu dem Vorschlag vor der Abstimmung Erklärungen abgegeben werden können. Ein Antrag zur Sache ist indes nicht zulässig, eine Debatte über den Einigungsvorschlag somit grundsätzlich ausgeschlossen [5].
Der Vermittlungsausschuss hat kein eigenes Gesetzesinitiativrecht (Art. 76 Abs. 1 GG), sondern vermittelt zwischen den zuvor parlamentarisch beratenen Regelungsalternativen [6]; über eine Entscheidungskompetenz verfügt er nicht. Vielmehr gibt er Empfehlungen für die Entscheidungen der Gesetzgebungsorgane Bundestag und Bundesrat ab [6]; nach seiner Stellung im Gesetzgebungsverfahren zielt seine Tätigkeit nur auf die Vorbereitung und Ausgestaltung eines Kompromisses [7]. Diese jeder Vermittlungstätigkeit innewohnende faktische Gestaltungsmacht ist jedoch durch die verfassungsrechtliche Ausgestaltung des Gesetzgebungsverfahrens beschränkt [8]. Der Vermittlungsausschuss erarbeitet Änderungsvorschläge, ausgehend vom Anrufungsbegehren, nur auf der Grundlage des bisherigen Gesetzgebungsverfahrens.
Das zum Anrufungsbegehren führende Gesetzgebungsverfahren wird durch die in dieses eingeführten Anträge und Stellungnahmen der Abgeordneten, aber auch des Bundesrates sowie im Falle einer Regierungsvorlage gegebenenfalls der Bundesregierung bestimmt [9]. Dabei kommt es nicht darauf an, ob und in welcher Form der Bundestag die Anträge und Stellungnahmen in seinem Gesetzesbeschluss berücksichtigt [9]. Der Vermittlungsvorschlag muss dem Bundestag aber auf dem Boden der dort geführten parlamentarischen Debatte zurechenbar sein [10]. Der Vermittlungsvorschlag ist deshalb inhaltlich und formal an den durch den Deutschen Bundestag vorgegebenen Rahmen gebunden [11]. Die andernfalls eintretende Verlagerung des Zentrums der politischen Entscheidung in den Vermittlungsausschuss und die damit verbundene Entparlamentarisierung der Gesetzgebung wären unvereinbar mit der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung zwischen den Gesetzgebungsorganen, mit den Rechten der Abgeordneten, mit der Öffentlichkeit der parlamentarischen Debatte und mit der von ihr abhängigen demokratischen Kontrolle der Gesetzgebung [12].
Die Kompetenz des Vermittlungsausschusses beschränkt sich danach darauf, mit dem Beschlussvorschlag eine Brücke zwischen Regelungsalternativen zu schlagen, die bereits zuvor in den Gesetzgebungsorganen erörtert worden oder jedenfalls erkennbar geworden sind. Der Vermittlungsausschuss darf mit seinem Vorschlag weder ein ihm nicht zustehendes Gesetzesinitiativrecht beanspruchen noch das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren verkürzen und der öffentlichen Aufmerksamkeit entziehen. Der Bundestag muss den Vermittlungsvorschlag auf der Grundlage seiner Debatte über ihm vorliegende Anträge und Stellungnahmen als ein ihm zuzurechnendes und von ihm zu verantwortendes Ergebnis seines parlamentarischen Verfahrens erkennen und anerkennen können. Die Reichweite eines Vermittlungsvorschlags ist deshalb durch diejenigen Regelungsgegenstände begrenzt, die bis zur letzten Lesung im Bundestag in das jeweilige Gesetzgebungsverfahren eingeführt waren [13]. Auch wenn diese Einführung in das Gesetzgebungsverfahren nicht in Form eines ausformulierten Gesetzentwurfs erfolgt sein muss, so muss der Regelungsgegenstand, der zur Grundlage eines Vorschlags im Vermittlungsausschuss werden kann, doch in so bestimmter Form vorgelegen haben, dass seine sachliche Tragweite dem Grunde nach erkennbar war. Eine allgemeine Zielformulierung genügt hierfür nicht [14]. Dabei ist auch von Bedeutung, ob die Stellungnahme einen hinreichend klaren Bezug zu dem jeweiligen Gesetzgebungsverfahren aufweist [15].
Nach diesen Maßstäben beurteilte das Bundesverfassungsgericht in dem hier entschiedenen Fall die Bestimmung des § 58a AufenthG über die Abschiebung von „Gefährdern“ als formell verfassungsmäßig zustande gekommen:
Der Vermittlungsausschuss hat die Grenzen seines Vermittlungsauftrages nicht überschritten. Die Behandlung der Änderungsanträge sowie der zugehörigen Begründungen der Fraktion der CDU/CSU im Innenausschuss (4. Ausschuss) am 7.05.2003 erlaubten es dem Vermittlungsausschuss, die in § 58a AufenthG getroffene Regelung in seinen Einigungsvorschlag aufzunehmen.
Dem Vermittlungsausschuss war ein weiter Vermittlungsrahmen eröffnet, weil das Anrufungsbegehren nicht beschränkt war. Die Bundesregierung verlangte mit Schreiben vom 02.07.2003 die Einberufung des Vermittlungsausschusses gemäß Art. 77 Abs. 2 GG, ohne konkrete Meinungsverschiedenheiten zu nennen [16].
Der im Vermittlungsausschuss erzielte Kompromiss, der den Vorschlag für § 58a AufenhG enthielt, bewegt sich innerhalb des durch das Gesetzgebungsverfahren gezogenen Vermittlungsrahmens. Der Einigungsvorschlag [17] ist deshalb dem Deutschen Bundestag zurechenbar. Er beinhaltet Regelungsgegenstände, die jedenfalls dem Grunde nach im Gesetzgebungsverfahren erkennbar geworden und auf der Grundlage des Gesetzesbeschlusses und des vorherigen Gesetzgebungsverfahrens erarbeitet worden sind. Die Änderungsanträge waren nach Struktur und Umfang auch einer angemessenen parlamentarischen Beratung zugänglich. Unschädlich ist daher, dass die konkrete Regelung im Wesentlichen erst im März 2004 im Zuge der Beratungen durch das Bundesministerium des Innern vorgeschlagen wurde [18], und dass die endgültige Fassung in Spitzengesprächen zwischen den Fraktionen im Mai und Juni 2004 als Teil des sogenannten Zuwanderungskompromiss festgelegt und am 30.06.2004 als Nr. 42 der den Kompromiss umsetzenden Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses dem Bundestag vorgelegt wurde.
Denn ausweislich der Gesetzesmaterialien hatte die Möglichkeit einer Ausweisung bei (bloßem) Terrorismusverdacht schon zuvor eine Rolle gespielt. So wiesen die Änderungsanträge der Fraktion der CDU/CSU zu Art. 1 des Zuwanderungsgesetzes vom 07.05.2003 Bezüge zu der später in § 58a Abs. 1 Satz 1 AufenthG geregelten Abschiebungsanordnung auf und fanden Eingang in die Beschlussempfehlung und den Bericht des Innenausschusses vom 07.05.2003 [19]. Zu nennen sind insbesondere die Änderungsanträge zu § 5 AufenthG [20], § 11 Abs. 1 Satz 5 – neu – und Abs. 2 AufenthG [21], § 55 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 8 – neu – AufenthG [22] und § 60 Abs. 8 Satz 1, Satz 2 und 3 – neu – AufenthG [23] sowie die Formulierung, dass wesentlicher Grundzug der Änderungsanträge eine Überarbeitung des Entwurfs in sicherheitsrechtlicher Hinsicht sei, wozu insbesondere auch die Möglichkeit der Ausweisung bei Terrorismusverdacht gehöre [24].
Eine wertende Gesamtbetrachtung dieser vorgeschlagenen Änderungen einschließlich der jeweiligen Begründung rechtfertigen die Annahme, dass sie die ausländerrechtliche Normierung der später in § 58a AufenthG geregelten Abschiebungsanordnung vorbereiteten, indem sie die Grundlage der parlamentarischen Beratung ausweiteten. Der Vermittlungsausschuss erarbeitete sodann auf dieser Basis einen Kompromiss zwischen einer reinen Verdachtsausweisung und dem Verzicht auf jegliche Änderungen im Ausweisungsrecht [25].
In den genannten Änderungsanträgen und den zugehörigen Begründungen kam die Forderung nach einer effektiven Abwehr terroristischer Aktivitäten durch eine Verschärfung der Versagungsgründe, lebenslange Einreisesperren, die Erweiterung der Ausweisungstatbestände sowie durch zusätzliche Ausnahmen von den gesetzlich geregelten Abschiebungsverboten zum Ausdruck. Gemeinsamer Ausgangspunkt dieser Änderungsanträge war es, entsprechende Regelungen bereits für den Fall des Terrorismusverdachts vorzusehen. Im Innenausschuss wurde die Frage verhandelt, ob hinreichend konkrete Verdachtsmomente für die Zugehörigkeit zu oder Unterstützung von terroristischen Vereinigungen oder von Vereinigungen, die sich in extremistischer Weise verfassungsfeindlich betätigen, genügen sollen, um ausländerrechtliche Maßnahmen zu ergreifen. Dies ist auch der Regelungsansatz des § 58a Abs. 1 Satz 1 AufenthG, der eine Abschiebungsanordnung ohne vorhergehende Ausweisung und Abschiebungsandrohung (mit der Möglichkeit der freiwilligen Ausreise) allein auf Grund einer auf Tatsachen gestützten Prognose zur Abwehr einer besonderen Gefahr für die Bundesrepublik Deutschland ermöglicht.
Der Umstand, dass die Änderungsanträge die neuartige Maßnahme einer einstufigen Abschiebungsanordnung einschließlich der Folgeänderungen zu Rechtsschutzfragen in § 58a Abs. 1 Satz 2 und Abs. 4 AufenthG sowie § 50 Nr. 3 VwGO noch nicht vorsahen, stellt diese Einschätzung nicht in Frage. Denn ein vom Vermittlungsvorschlag vorgelegter Einigungsvorschlag muss nicht in den parlamentarischen Beratungen bereits ausformuliert vorgelegen haben. Es reicht aus, wenn er aus der parlamentarischen Debatte im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens abgeleitet werden konnte. Dies ist hier der Fall.
Die Änderungsanträge waren auch ordnungsgemäß und rechtzeitig ins parlamentarische Verfahren eingeführt worden; sie waren am 7.05.2003 und damit vor der Beschlussfassung des Bundestages am 9.05.2003 eingebracht worden. Dass sie im Innenausschuss abgelehnt und im (ersten) Gesetzesbeschluss des Bundestages unberücksichtigt geblieben sind, ist unschädlich. Schließlich ist nichts dafür ersichtlich, dass der Verfahrensgang darauf angelegt gewesen wäre, einen von vornherein als notwendig erkannten politischen Kompromiss unter Vermeidung der Öffentlichkeit einer parlamentarischen Debatte erst im Vermittlungsausschuss herbeizuführen.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 24. Juli 2017 – 2 BvR 1487/17
- vgl. BVerfGE 72, 175, 187 ff.; 78, 249, 271; 101, 297, 306 ff.; 120, 56, 73 ff.; 125, 104, 121 ff.[↩]
- BVerfGE 120, 56, 73[↩]
- BVerfGE 120, 56, 73 f.; 125, 104, 123[↩]
- vgl. BVerfGE 101, 297, 305; 120, 56, 74[↩]
- vgl. BVerfGE 101, 297, 305 f.[↩]
- vgl. BVerfGE 101, 297, 306[↩][↩]
- vgl. BVerfGE 140, 115, 156 ff. Rn. 105 ff.[↩]
- BVerfGE 120, 56, 73 f.; 125, 104, 122[↩]
- vgl. BVerfGE 101, 297, 307; 120, 56, 75; 125, 104, 122[↩][↩]
- vgl. BVerfGE 120, 56, 76; 125, 104, 122[↩]
- vgl. BVerfGE 101, 297, 307; 125, 104, 122[↩]
- vgl. ausführlich BVerfGE 120, 56, 74 ff.; 125, 104, 122 ff.[↩]
- BVerfGE 101, 297, 307; 120, 56, 75[↩]
- vgl. BVerfGE 120, 56, 76; 125, 104, 123[↩]
- BVerfGE 125, 104, 123[↩]
- BT-Drs. 15/1365[↩]
- BT-Drs. 15/3479 S. 9 f.[↩]
- vgl. Erbslöh, NVwZ 2007, S. 155, 156[↩]
- BT-Drs. 15/955[↩]
- BT-Drs. 15/955, S. 7 f.[↩]
- BT-Drs. 15/955, S. 10[↩]
- BT-Drs. 15/955, S. 25[↩]
- BT-Drs. 15/955, S. 25 ff.[↩]
- BT-Drs. 15/955, S. 49[↩]
- vgl. Möller, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl.2016, § 58a Rn. 4[↩]
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