Einbürgerung – und die Verurteilung wegen einer Verkehrsstraftat

Bleibt eine strafgerichtliche Verurteilung – z.B. wegen einer Verkehrsstraftat – wegen der geringen Höhe der verhängten Geld- oder Bewährungsstrafe bei der Anspruchseinbürgerung außer Betracht, kann die zusätzlich (unselbständig) angeordnete Maßregel der Besserung und Sicherung (hier: Entziehung der Fahrerlaubnis und Wiedererteilungssperre, §§ 69, 69a StGB) der Einbürgerung nicht entgegengehalten werden.

Einbürgerung – und die Verurteilung wegen einer Verkehrsstraftat

In dem hier vom Bundesverwaltungsgericht in Leipzig entschiedenen Fall lebt der 1984 geborene Einbürgerungsbewerber, ein brasilianischer Staatsangehöriger, seit 2002 im Bun­des­ge­biet und ist seit 2009 im Be­sitz ei­ner Nie­der­las­sungs­er­laub­nis. 2011 be­an­trag­te er sei­ne Ein­bür­ge­rung. Mit Straf­be­fehl aus dem Jahr 2012 wur­de er we­gen fahr­läs­si­ger Trun­ken­heit im Ver­kehr zu ei­ner Geld­stra­fe von 30 Ta­ges­sät­zen ver­ur­teilt. Fer­ner wur­de ihm die Fahr­erlaub­nis ent­zo­gen und ei­ne Sper­re für de­ren Wie­der­er­tei­lung bis Mai 2013 an­ge­ord­net. Da er im Ein­bür­ge­rungs­ver­fah­ren die­se Stra­fe nicht an­ge­ge­ben hat­te, wur­de er im Jahr 2014 zu ei­ner wei­te­ren Geld­stra­fe von 60 Ta­ges­sät­zen ver­ur­teilt. Die Staats­an­ge­hö­rig­keits­be­hör­de lehn­te den Ein­bür­ge­rungs­an­trag im Au­gust 2015 ab. Die Straf­ur­tei­le blie­ben zwar im Ein­bür­ge­rungs­ver­fah­ren au­ßer Be­tracht, weil die Straf­hö­he un­ter­halb der im Staats­an­ge­hö­rig­keits­ge­setz (StAG) ge­re­gel­ten Un­be­acht­lich­keits­gren­ze lie­ge. Die mit Straf­be­fehl von 2012 an­ge­ord­ne­te Ent­zie­hung der Fahr­erlaub­nis sei aber bis zur Til­gungs­rei­fe im Bun­des­zen­tral­re­gis­ter ein­bür­ge­rungs­recht­lich re­le­vant. Die im Rah­men der ge­bo­te­nen Ein­zel­fall­ent­schei­dung vor­zu­neh­men­de Ab­wä­gung der be­trof­fe­nen In­ter­es­sen füh­re hier da­zu, dass das öf­fent­li­che In­ter­es­se an der Nicht­ein­bür­ge­rung über­wie­ge.

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Die hier­ge­gen ge­rich­te­te Kla­ge hat das Ver­wal­tungs­ge­richt München ab­ge­wie­sen1. Auf die Be­ru­fung des Klä­gers hat dagegen der Bayerische3 Ver­wal­tungs­ge­richts­hof der Kla­ge statt­ge­ge­ben2, da die im Straf­be­fehl un­selb­stän­dig an­ge­ord­ne­te Ma­ß­re­gel der Bes­se­rung und Si­che­rung be­reits nicht zu be­rück­sich­ti­gen sei, so dass es kei­ner Er­mes­sens­ent­schei­dung be­dür­fe. Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Rechtsauffassung bestätigt und die Revision der Landesanwaltschaft Bayern zurückgewiesen:

Ein Anspruch auf Einbürgerung nach § 10 StAG setzt u.a. voraus, dass der Ausländer weder wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt noch gegen ihn auf Grund seiner Schuldunfähigkeit eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG). Bleiben, wie hier, Verurteilungen bei der Einbürgerung außer Betracht, weil sie die im StAG geregelten Unbeachtlichkeitsgrenzen (§ 12a Abs. 1 Sätze 1 bis 3 StAG) nicht überschreiten, bleibt die in einem Strafurteil zusätzlich (unselbständig) angeordnete Maßregel der Besserung und Sicherung unberücksichtigt.

Bereits nach dem Wortlaut des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG sind bei schuldfähigen Tätern nur Verurteilungen zu Strafen zu berücksichtigen und nicht zusätzlich angeordnete Maßregeln. Maßregeln der Besserung und Sicherung hat der Gesetzgeber einbürgerungsrechtlich nur bei schuldunfähigen Straftätern Bedeutung beigemessen, bei denen es mangels einer verhängten Strafe an einem anderweitigen Kriterium für die Bemessung des Gewichts der Straftat fehlt.

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Die 2007 erfolgte Neuregelung des einbürgerungsrechtlichen Unbescholtenheitserfordernisses knüpft schon in ihrem Wortlaut an das zweispurige System von Strafen (§§ 38 ff. StGB) einerseits und Maßregeln der Besserung und Sicherung (§§ 61 ff. StGB) andererseits an, welches das Strafrecht prägt. Auch Gesetzessystematik und Normzweck sprechen dafür, dass gegenüber schuldfähigen Tätern unselbständig angeordnete Maßregeln der Besserung und Sicherung von vornherein nicht einbürgerungshindernd sind und nicht erst im Rahmen einer Ermessensentscheidung (§ 12a Abs. 1 Satz 4 StAG) außer Betracht bleiben können.

Der ordnungsrechtliche Zweck des sog. Unbescholtenheitserfordernisses des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG, die Einbürgerung von Personen zu verhindern, die straffällig geworden sind und sich nicht erfolgreich in Staat und Gesellschaft integriert haben, erfordert bei schuldfähigen Tätern nicht die einbürgerungsrechtliche Berücksichtigung von zusätzlich zu einer Strafe angeordneten Maßregeln der Besserung und Sicherung. Denn diese sind keine zusätzliche Bestrafung oder Nebenstrafe, die auf die Verletzung eines strafrechtlich bewehrten Schutzgutes reagieren, sondern dienen der Gefahrenabwehr, beim Fahrerlaubnisentzug der Sicherheit des Straßenverkehrs. Diese präventive Funktion behalten die Maßregeln der Besserung und Sicherung auch dann, wenn sie zusätzlich (unselbständig) zu einer Strafe angeordnet worden sind.

BVer­wG – Ur­teil vom 22. Fe­bru­ar 2018 – 1 C 4.17

  1. VG München, Urteil vom 20.01.2016 – M 25 K 15.4003[]
  2. BayVGH, Urteil vom 23.01.2017 – 5 B 16.1007[]
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