Die Annahme oder Erneuerung eines Nationalpasses des Ausländers führt nicht in jedem Fall automatisch zu einem Erlöschen seiner Rechtsstellung als Asylberechtigter bzw. Flüchtling gemäß § 72 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG/AsylG und somit zu einem Entfallen des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 53 Abs. 3 AufenthG. Vielmehr kommt diesem Verhalten eine Indizwirkung dahin zu, dass sich der Betroffene wieder unter den Schutz seines Heimatlandes stellen will, die aber durch die Umstände des Einzelfalles entkräftet werden kann.

Gemäß § 72 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG/AsylG erlischt die Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, wenn der Ausländer sich freiwillig durch Annahme oder Erneuerung eines Nationalpasses oder durch sonstige Handlungen erneut dem Schutz des Staates, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, unterstellt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts1 führt die Annahme oder Verlängerung des Nationalpasses nicht in jedem Fall ohne Weiteres zum Erlöschen der Rechtsstellung. Vielmehr muss die Vornahme dieser Handlung objektiv als eine Unterschutzstellung zu werten sein. Einer Passausstellung oder -verlängerung kommt lediglich eine Indizwirkung dahin zu, dass sich der Betreffende wieder unter den Schutz seines Heimatstaates stellen will. Der äußere Geschehensablauf kann jedoch dieser Indizwirkung entgegenstehen. Hierzu ist auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen. Lassen sich aus dem Verhalten des Asylberechtigten Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass mit der Passerteilung keine Wiedererlangung des vollen diplomatischen Schutzes bezweckt war, fehlt es an dieser weiteren subjektiven Voraussetzung für das Erlöschen der Rechtsstellung2. So kann die bloße Inanspruchnahme einer Dienstleistung der Auslandsvertretung des Heimatstaates zur Überwindung bürokratischer Hindernisse für Amtshandlungen von Behörden der Bundesrepublik Deutschland nicht ausreichend sein, um den Rechtsverlust herbeizuführen3. Auch Reisen eines Asylberechtigten oder Flüchtlings in seine Heimat führen nicht zwingend zu der Annahme, dass sich der Ausländer dem Schutz seines Heimatstaates erneut unterstellen will4.
Ob die Annahme des (hier: türkischen) Reisepasses seitens des Klägers den Erlöschenstatbestand des § 72 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG/AsylG erfüllt, lässt sich daher ohne weitere tatsächliche Feststellungen zu dem damit verbundenen Zweck und den Einzelumständen nicht beurteilen.
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 27. Juli 2017 – 1 C 28.16
- BVerwG, Urteil vom 02.12 1991 – 9 C 126.90, BVerwGE 89, 231, 235 ff. zur Vorgängernorm § 15 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG; vgl. auch BayVGH, Urteil vom 08.02.2007 – 23 B 06.31053 u.a. 52 und UNHCR, Handbuch und Richtlinien über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, Neuauflage Genf, Dezember 2011, Deutsche Version 2013, Art. 1 Abschnitt C Nr. 1 Genfer Flüchtlingskonvention, GK Rn. 119 ff.[↩]
- vgl. BVerwG, Urteil vom 02.12 1991 – 9 C 126.90, BVerwGE 89, 231, 238[↩]
- BVerwG, Urteil vom 02.12 1991 – 9 C 126.90, BVerwGE 89, 231, 237; Marx, AsylG, 9. Aufl.2017, § 72 Rn. 10 m.w.N.[↩]
- vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Stand Februar 2017, § 72 AsylG Rn. 16[↩]