Geschäftsführerhaftung für Kartellbußgelder

Der Bundesgerichtshof hat dem Gerichtshof der Europäischen Union die Rechtsfrage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob Art. 101 AEUV einer Regelung im nationalen Recht entgegensteht, nach der ein Unternehmen, gegen das ein Bußgeld wegen eines Kartellrechtsverstoßes verhängt worden ist, seine Geschäftsführer oder Vorstandsmitglieder dafür in Regress nehmen kann.

Geschäftsführerhaftung für Kartellbußgelder

In dem derzeit beim Bundesgerichtshof anhängigen Verfahren haben eine GmbH und eine Aktiengesellschaft geklagt, die Teil einer in der Edelstahlproduktion tätigen Unternehmensgruppe sind. Der beklagte Manager war Geschäftsführer der GmbH und zugleich Vorstandsmitglied, zuletzt Vorstandsvorsitzender der AG. Er beteiligte sich von 2002 bis 2015 an einem Preiskartell unter Unternehmen der Stahlindustrie. Die Kartellbeteiligten vereinbarten ein branchenweit einheitliches Preissystem und stimmten Schrott- und Legierungszuschläge ab. Deswegen verhängte das Bundeskartellamt Bußgelder gegen die GmbH in Höhe von 4,1 Mio. € und gegen den beklagten Manager in Höhe von 126.000 €. Die beiden Gesellschaften verlangen von ihrem ehemaligen Geschäftsführer bzw. Vorstand die Erstattung des gegen die GmbH verhängten und bezahlten Bußgelds sowie Ersatz für der AG zur Abwehr des Bußgelds entstandene IT- und Anwaltskosten in Höhe von 1 Mio. €. Darüber hinaus begehren sie die Feststellung, dass der Manager ihnen alle weiteren Schäden zu ersetzen hat, die aus dem Kartellverstoß folgen. Sie machen geltend, der Manager habe durch seine Beteiligung an den Kartellabsprachen seine Pflichten als Geschäftsführer und Vorstandsmitglied verletzt.

Das erstinstanzlich hiermit befasste Landgericht Düsseldorf hat die Klagen auf Erstattung des Bußgelds und der Rechtsverteidigungskosten abgewiesen, jedoch festgestellt, dass der Manager zum Ersatz der aus dem Kartellverstoß resultierenden weiteren Schäden verpflichtet ist1. Die hiergegen gerichteten Berufungen der beiden Gesellschaften wie auch des und des Managers sind vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf erfolglos geblieben2. Das Oberlandesgericht hat angenommen, die gesellschaftsrechtlichen Vorschriften, nach denen Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder, die ihre Pflichten verletzen, der Gesellschaft den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen haben, erstreckten sich nicht auf solche Schäden, die der Gesellschaft wegen gegen sie verhängter Kartellbußgelder entstehen. Könnte die Gesellschaft bei ihrem Leitungsorgan Regress nehmen, würde der Zweck des Kartellbußgelds vereitelt. Mit der Unternehmensgeldbuße solle gerade das Vermögen der Gesellschaft nachhaltig getroffen werden. Daher müsse der Manager auch keine IT- und Rechtsanwaltskosten der Gesellschaft zur Abwehr des Bußgelds ersetzen. 

Die GmbH und die Aktiengesellschaft verfolgen mit ihren Revisionen die Zahlungsanträge weiter, der Manager möchte mit der Anschlussrevision die Feststellung seiner Schadensersatzpflicht zeitlich beschränkt wissen. Der Bundesgerichtshof hat daraufhin zunächst ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union gerichtet:

Nach § 43 Abs. 2 GmbHG und § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG haften Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder, die ihre Obliegenheiten verletzen, der Gesellschaft für den entstandenen Schaden. Die Beteiligung des Managers an dem nach Art. 101 AEUV verbotenen Preiskartell ist eine vorsätzliche Pflichtverletzung. Im Revisionsverfahren ist auch davon auszugehen, dass der Klägerin zu 1 infolge des Bußgelds ein Schaden entstanden ist. Allerdings könnte der Rückgriff auf das Vermögen des Geschäftsführers Sinn und Zweck der Verbandsbuße widersprechen. Dann könnte eine einschränkende Auslegung des § 43 Abs. 2 GmbHG geboten sein. Ob das der Fall ist, ist umstritten.

Für die Beantwortung dieser Frage ist auch erheblich, ob das Unionsrecht eine einschränkende Auslegung des § 43 Abs. 2 GmbHG und § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG gebietet. Die nähere Ausgestaltung der Geldbußen fällt zwar in die Kompetenz der Mitgliedstaaten. Nach der Rechtsprechung des EuGH haben die Mitgliedstaaten aber sicherzustellen, dass die nationalen Wettbewerbsbehörden wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Geldbußen gegen Unternehmen verhängen können, wenn diese vorsätzlich oder fahrlässig gegen Art. 101 AEUV verstoßen. Mit diesen Geldbußen sollen rechtswidrige Handlungen der betreffenden Unternehmen geahndet und sowohl diese Unternehmen als auch andere Wirtschaftsteilnehmer von künftigen Verletzungen der Wettbewerbsregeln des Unionsrechts abgeschreckt werden. Die danach gebotene Wirksamkeit von Geldbußen gegenüber Unternehmen könnte beeinträchtigt sein, wenn sich die Gesellschaft von der Bußgeldlast durch Rückgriff auf das Leitungsorgan vollständig oder teilweise entlasten könnte. Wie der EuGH zu erkennen gegeben hat, könnte eine Geldbuße sehr viel von ihrer Wirksamkeit einbüßen, wenn das betroffene Unternehmen berechtigt wäre, sie auch nur teilweise steuerlich abzusetzen. Daher stellt sich auch die Frage, ob die Abwälzung der Geldbuße des Unternehmens auf den Geschäftsführer nach Maßgabe gesellschaftsrechtlicher Vorschriften den Zweck der kartellrechtlichen Geldbuße beeinträchtigt.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 11. Februar 2025 – KZR 74/23

  1. LG Düsseldorf, Urteil vom 10. Dezember 2021 – 37 O 66/20 [Kart][]
  2. OLG Düsseldorf, Urteil vom 27. Juli 2023 – VI-6 U 1722 (Kart) []

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