Insolvenzanfechtung im Schneeballsystem

Wird dem Anleger in einem Schneeballsystem neben Scheingewinnen auch die Einlage ausgezahlt, kann sich der anfechtende Insolvenzverwalter nicht darauf berufen, die Einlage sei durch Verluste und Verwaltungsgebühren teilweise aufgebraucht.

Insolvenzanfechtung im Schneeballsystem

Der Insolvenzverwalter kann die Auszahlung von in „Schneeballsystemen“ erzielten Scheingewinnen durch den späteren Insolvenzschuldner als objektiv unentgeltliche Leistung nach § 134 Abs. 1 InsO anfechten1. Auszahlungen, mit denen – etwa nach einer Kündigung der Mitgliedschaft in der Anlegergemeinschaft – vom Anleger erbrachte Einlagen zurückgewährt worden sind, sind dagegen als entgeltliche Leistungen nicht anfechtbar2.

In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Streitfall wurde innerhalb des Anfechtungszeitraums (vier Jahre vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, § 134 Abs. 1 InsO) das gesamte ausgewiesene Guthaben der beklagten Anlegerin ausgezahlt und ihr Konto aufgelöst. Das Guthaben setzte sich aus der geleisteten Einlage und den der Beklagten zugeschriebenen fiktiven Gewinnanteilen zusammen. Die bei Teilauszahlungen zu beantwortende Frage, ob und in welchem Umfang von der Schuldnerin auf Scheingewinne oder auf die Einlage gezahlt wurde, stellt sich hier nicht.

In dem über den Betrag der Einzahlung hinausgehenden Umfang handelte es sich um die Auszahlung von Scheingewinnen, die als unentgeltliche Leistung der Anfechtung nach § 134 Abs. 1 InsO unterliegt.

Soweit die Auszahlung auf die ungeschmälerte Einlage erfolgte, sind die Voraussetzungen einer Schenkungsanfechtung hingegen nicht gegeben. Auf eine teilweise Unentgeltlichkeit auch dieses Teils der Auszahlung kann sich der Kläger nicht berufen.

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Eine unentgeltliche Verfügung liegt vor, wenn der Schuldner einen Vermögenswert zugunsten einer anderen Person aufgibt, ohne dass ihm ein entsprechender Gegenwert zufließen soll. Entgeltlich ist dagegen eine Verfügung, wenn der Schuldner für seine Leistung etwas erhalten hat, was objektiv ein Ausgleich für seine Leistung war oder jedenfalls subjektiv nach dem Willen der Beteiligten sein sollte3. Erbringt der Schuldner eine Leistung im Rahmen eines entgeltlichen Vertrags, ist seine Leistung entgeltlich, soweit durch sie eine bestehende Verbindlichkeit erfüllt wird. Gegenleistung ist dann die vom Schuldner erlangte Befreiung von seiner Schuld4. Die Rückzahlung der Einlage der Beklagten war daher grundsätzlich nur insoweit entgeltlich, als die Schuldnerin nach den vertraglichen Vereinbarungen verpflichtet war, die Einlage an die Beklagte zurückzuzahlen.

Der Vertrag zwischen der Schuldnerin und der Beklagten war nicht nach § 138 BGB nichtig. Sittenwidrig war lediglich das von der Schuldnerin tatsächlich betriebene, nicht aber das mit der gutgläubigen Beklagten vereinbarte System der Kapitalanlage5. Soweit der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 22. April 20106 in nicht entscheidungserheblicher Weise eine andere Beurteilung anklingen ließ, wird daran nicht festgehalten.

Die Beklagte war von Anfang an berechtigt, den vertragsgemäß eingezahlten Betrag zurückzuverlangen (§ 675 Abs. 1, § 667 Fall 1 BGB). Nach den vereinbarten Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Schuldnerin sollten allerdings Verluste aus den Anlagegeschäften mit den Beiträgen des Anlegers verrechnet werden und die Schuldnerin als Vergütung eine monatliche Verwaltungsgebühr von 0,5% vom jeweiligen Vermögensstand erhalten. Diese Klauseln berücksichtigt die vom Kläger nachträglich erstellte „Verteilung des realen Handelsergebnisses und Neuberechnung der Gebühren“ in Verbindung mit der auf das Guthaben der Beklagten bezogenen „Realen Gewinn- und Verlustverteilung“, in welcher der Kläger die Entwicklung des Kontos der Beklagten abweichend von den tatsächlich übersandten Kontoauszügen unter Verrechnung von in den Jahren 2000 bis 2003 eingetretenen Verlusten und angefallenen Verwaltungsgebühren darzustellen versucht.

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Entgegen der Ansicht der Revision kann sich der Kläger auf diese Nachberechnung nicht stützen. Eine Verrechnung der anteiligen Verluste aus den in geringem Umfang noch getätigten Anlagegeschäften und der Verwaltungsgebühr mit der Einzahlung der Beklagten verstößt unter den gegebenen Umständen gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB).

Den Anspruch auf die Verwaltungsgebühr hat die Schuldnerin verwirkt. Nach gefestigter Rechtsprechung kann ein an sich begründeter Vergütungsanspruch nach dem Rechtsgedanken des § 654 BGB verwirkt sein, wenn ein Dienstverhältnis eine besondere Treuepflicht begründet und der Dienstleistende in schwerwiegender Weise diese Treuepflicht verletzt und sich dadurch als seines Lohnes unwürdig erweist. Das ist der Fall, wenn die Treuepflicht vorsätzlich, wenn nicht gar arglistig, mindestens aber in einer grob leichtfertigen Weise verletzt wird, die dem Vorsatz nahekommt7. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Unstreitig hat die Schuldnerin die schon in den Jahren vor dem Beitritt der Beklagten eingetretenen hohen Verluste zu verschleiern versucht, indem sie zunächst Buchungen manipulierte, später fiktive gewinnbringende Anlagegeschäfte über ein nicht existierendes Konto vortäuschte und die Einzahlungen der Anleger entgegen der vertraglichen Vereinbarung weit überwiegend nicht mehr für neue Anlagen, sondern für Auszahlungen an Altkunden und für die laufenden Kosten verwendete.

Das dargestellte Vorgehen der Schuldnerin, die in betrügerischer Weise neue Anleger warb und ihre vertraglichen Verpflichtungen entsprechend ihrer vorgefassten Absicht grob verletzte, verbietet es auch, die Beklagte in der Weise am Vertrag festzuhalten, dass ihr Anspruch auf Rückzahlung der Einlage um die Verluste aus den wenigen noch getätigten Anlagegeschäften zu vermindern wäre.

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Bundesgerichtshof, Urteil vom 9. Dezember 2010 – IX ZR 60/10

  1. BGH, Urteile vom 11.12.2008 – IX ZR 195/07, BGHZ 179, 137 Rn. 6; und vom 22.04.2010 – IX ZR 163/09, ZIP 2010, 1253 Rn. 6; jeweils mwN[]
  2. BGH, Urteil vom 22.04.2010 – IX ZR 225/09, ZIP 2010, 1455 Rn. 11[]
  3. BGH, Urteile vom 29.11.1990 – IX ZR 29/90, BGHZ 113, 98, 101 f; und vom 18.03.2010 – IX ZR 57/09, ZInsO 2010, 807 f., Rn. 9[]
  4. MünchKomm-InsO/Kirchhof, 2. Aufl. § 134 Rn. 17a, 26; HK-InsO/Kreft, 5. Aufl. § 134 Rn. 11[]
  5. vgl. BGH, Urteil vom 21.03.2005 – II ZR 140/03, ZIP 2005, 753, 756; und vom 23.11.2010 – XI ZR 26/10; Bitter/Heim, ZIP 2010, 1569, 1570[]
  6. BGH, Urteil vom 22.04.2010 – IX ZR 163/09, ZIP 2010, 1253, Rn. 8, 12[]
  7. BGH, Beschluss vom 06.05.2004 – IX ZB 349/02, BGHZ 159, 122, 131 f; Urteil vom 19.05.2005 – III ZR 322/04, WM 2005, 1480, 1481; Beschluss vom 23.09.2009 – V ZB 90/09, NZI 2009, 820 Rn. 8 f, 15; jeweils mwN.[]