Notarielle Beurkundungstätigkeit im Ausland

Der Genehmigungsvorbehalt des § 11 Abs. 2, 2. Alt. BNotO erfasst auch Urkundstätigkeiten von Notaren im Ausland. Sofern die Genehmigungsfähigkeit einer notariellen Urkundstätigkeit im EU-Ausland nicht bereits am Territorialitätsprinzip scheitert, was der Bundesgerichtshof offen gelassen hat, kommt eine Genehmigung nur ausnahmsweise in Betracht, sofern objektiv gewichtige Interessen der Urkundsbeteiligten gefährdet sind, wenn nicht ein Notar ihres Vertrauens tätig werden kann. Maßgeblich sind nicht die Interessen des Notars oder die Wünsche seiner Auftraggeber, sondern allein in der beabsichtigten vorsorgenden Rechtspflege, das heißt in der Sache selbst liegende zwingende Gründe.

Notarielle Beurkundungstätigkeit im Ausland

Der Genehmigungsvorbehalt des § 11 Abs. 2, 2. Alt. BNotO bezieht sich auch auf Urkundstätigkeiten außerhalb Deutschlands. Der Wortlaut der Bestimmung enthält eine Einschränkung auf inländische auswärtige Beurkundungen nicht, und auch der Zweck der Vorschrift gebietet eine solche Begrenzung ihres Anwendungsbereichs nicht. Mag auch dem Gesetzgeber vor Augen gestanden haben, dass Beurkundungen deutscher Notare im Ausland wegen des hoheitlichen Charakters und des Territorialitätsprinzips von vornherein ausgeschlossen sind1, so ist dies doch eine Frage der Genehmigungsfähigkeit einer solchen Tätigkeit, nicht aber eine solche der Reichweite des Genehmigungsvorbehalts. Dieser Vorbehalt ist auch in Fällen einer beabsichtigten Auslandstätigkeit der Notare notwendig, um die gebotene Aufsicht der Justizverwaltung (§ 93 Abs. 1 BNotO) sicherzustellen. Diese ist gerade auch bei Tätigkeiten mit Auslandsbezug erforderlich, nicht zuletzt um völkerrechtliche und außenpolitische Komplikationen zu vermeiden.

§ 11 Abs. 2, 2. Alt. BNotO genügt dem aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) folgenden Bestimmtheitsgebot, obgleich die Voraussetzungen für die Erteilung der Genehmigung für Auswärtsbeurkundungen in der Bestimmung nicht näher definiert sind. Die konkreten Anforderungen an die Bestimmtheit einer Norm richten sich nach Art und Schwere des mit ihr verbundenen Eingriffs in die Grundrechte der Betroffenen2. Dass die Vorschrift auslegungsbedürftig ist, steht dem Bestimmtheitserfordernis nicht entgegen, solange die Auslegung unter Nutzung der juristischen Methodik zu bewältigen ist und die im konkreten Anwendungsfall verbleibenden Ungewissheiten nicht so weit gehen, dass Vorhersehbarkeit und Justiziabilität des Verwaltungshandelns gefährdet sind3. Diesen Maßstäben entspricht § 11 Abs. 2, 2. Alt. BNotO. Durch das dort normierte Genehmigungserfordernis wird der betroffene Notar lediglich in seiner Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG), nicht aber in seiner Berufswahlfreiheit (Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG) betroffen. Die Einschränkung ist zudem von geringerem Gewicht, da die Notare im Hinblick darauf, dass ihre Stellen nach den Bedürfnissen einer geordneten Rechtspflege einzurichten sind (§ 4 BNotO), in aller Regel auch ohne Auswärtsbeurkundungen ausgelastet sind und wirtschaftlich bestehen können. Die Kriterien für die Erteilung der Genehmigungen von Auswärtsbeurkundungen ergeben sich aus der die Bundesnotarordnung insgesamt bestimmenden Leitlinie, dass die Erfordernisse einer geordneten vorsorgenden Rechtspflege zu wahren sind (vgl. § 4, § 9 Abs. 1 Satz 2, § 10a Abs. 1 Satz 2, § 25 Abs. 2 Satz 1, § 53 Abs. 1 Satz 2 BNotO). Aus dem Sinn des § 11 Abs. 2 BNotO, die Beschränkungen des § 11 Abs. 1 BNotO und damit die einer den Erfordernissen einer geordneten Rechtspflege entsprechende Versorgung der Rechtsuchenden mit notariellen Leistungen zu sichern (§ 4 BNotO), sowie aus der Regelung, dass bei Gefahr im Verzug eine berechtigte auswärtige Urkundstätigkeit (§ 11 Abs. 2, 1. Alt. BNotO) vorliegen kann, lassen sich die – restriktiven – Anforderungen für die Genehmigung mit der notwendigen Klarheit ableiten.

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Bei der Frage, ob der Notar einen Anspruch auf Erteilung der beantragten Genehmigung für die in Aussicht genommene Beurkundung in anderen EU-Staaten hat, hat der Bundesgerichtshof im Blick, dass der Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 24. Mai 20114 die Urkundstätigkeit der deutschen Notare nicht als die Ausübung öffentlicher Gewalt im Sinne des Art. 45 Abs. 1 EG (= Art. 51 Abs. 1 AEUV) qualifiziert hat, die von der Niederlassungsfreiheit des Art. 43 EG (= Art. 49 AEUV) ausgenommen ist.

Hieraus ist in der Literatur verschiedentlich der Schluss gezogen worden, auch für die Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 Abs. 1 AEUV) greife hinsichtlich der notariellen Urkundstätigkeit die Bereichsausnahme zugunsten der „Ausübung öffentlicher Gewalt“ (Art. 51 Abs. 1 i.V.m. Art. 62 AEUV) nicht mehr ein, so dass deutsche Notare grundsätzlich auch im EU-Ausland beurkunden dürften5. Demgegenüber vertritt ein anderer Teil des Schrifttums6 die Auffassung, dass die Erwägungen in der Entscheidung des Gerichtshofs7 zur Bereichsausnahme des Art. 45 Abs. 1 EG (= Art. 51 Abs. 1 AEUV) in Bezug auf den Staatsangehörigkeitsvorbehalt für Notare (§ 5 BNotO a.F.) nicht auf die hier in Rede stehende Frage übertragbar sind, ob der nach deutschem Bundesrecht (schlicht) hoheitliche Charakter der notariellen Beurkundungstätigkeit und das Territorialitätsprinzip eine Beschränkung des – möglicherweise betroffenen – Rechts aus Art. 56 AEUV rechtfertigen, die in der Versagung einer Urkundstätigkeit im EU-Ausland liegen könnte. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 24.05.2011 ausdrücklich hervorgehoben hat, dass die von ihm zu behandelnde Rüge der Kommission weder den Status noch die Organisation des Notariats in der deutschen Rechtsordnung8 oder die Anwendung der Bestimmungen über den freien Dienstleistungsverkehr betreffe9. Auch das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 19.06.201210 ausgeführt, die Entscheidung des Gerichtshofs stehe der Qualifizierung der notariellen Tätigkeit als hoheitlich und den daraus folgenden Beschränkungen der Berufsausübung nicht entgegen.

Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs hierzu ist allerdings nicht veranlasst, so dass es einer Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 Abs. 1 bis 3 AEUV nicht bedarf. Denn der Notar kann im vorliegenden Fall die beantragte Genehmigung auch dann nicht beanspruchen, wenn zu seinen Gunsten unterstellt wird, dass er die unionsrechtliche Dienstleistungsfreiheit für sich in Anspruch nehmen kann, weil die Bereichsausnahme des Art. 51 Abs. 1 i.V.m. Art. 62 AEUV (Ausübung öffentlicher Gewalt) für die notarielle Urkundstätigkeit nicht gilt.

Die Genehmigung einer Beurkundung außerhalb des Amtsbezirks gemäß § 11 Abs. 2, 2. Alt. BNotO setzt, wie sich aus der – parallelen – gesetzlichen Gestattung der amtsbezirksüberschreitenden Urkundstätigkeiten bei Gefahr im Verzug (§ 11 Abs. 2, 1. Alt. BNotO) ergibt, voraus, dass ein besonderer Ausnahmefall vorliegt11. Dies ist gesetzesinterpretierend auch in Nummer VII 21 Abs. 1 der Allgemeinen Verfügung der Senatsverwaltung für Justiz des Landes Berlin über die Angelegenheiten der Notarinnen und Notare vom 30.05.2006 (AVNot)12 – entsprechend den Allgemeinen Verfügungen fast aller anderen Länder13 – so bestimmt14. Ein solcher Ausnahmefall kann etwa vorliegen, wenn es sich um objektiv gewichtige Interessen der Urkundsbeteiligten handelt, die gefährdet sind, wenn nicht ein Notar ihres Vertrauens tätig werden kann15. Maßgeblich sind nicht die Interessen des Notars oder die Wünsche seiner Auftraggeber, sondern allein in der beabsichtigten vorsorgenden Rechtspflege, das heißt in der Sache selbst liegende zwingende Gründe16. Solche mögen etwa vorliegen, wenn ein Notar ein schwieriges Vertragswerk in langen Beratungen vorbereitet hat, bei der Beurkundung die Kenntnis der Verhältnisse bedeutsam ist und die Beurkundung aus unvorhersehbaren Gründen außerhalb des Amtsbezirks erfolgen muss17.

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An diesen Kriterien gemessen, scheidet die Erteilung der vom Notar begehrten Genehmigung für die Beurkundung einer Generalvollmacht in Den Haag aus. Im gesamten Verfahren hat der Notar weder besondere Interessen seines Auftraggebers geltend gemacht, die einer Beurkundung der Generalvollmacht durch einen niederländischen Notar oder in der Geschäftsstelle des Notars entgegenstehen, noch sind solche anderweitig ersichtlich. Erst recht sind für den weitergehenden Antrag des Notars, ihm generell die Genehmigung zu Beurkundungen im EU-Ausland zu erteilen, besondere, nach dem vorstehenden Maßstab beachtliche Interessen der – unbestimmten – Urkundsbeteiligten nicht erkennbar. Diese zunächst der Verwaltung zustehende Würdigung kann der Bundesgerichtshof selbst abschließend vornehmen, da angesichts der Klarheit der Umstände ein Beurteilungsspielraum nicht mehr besteht.

Der auf Auswärtsbeurkundungen im Inland bezogene Schutzzweck des § 11 Abs. 2 BNotO greift auch hinsichtlich der beabsichtigten Beurkundungen in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ein. Die aus § 11 BNotO folgenden Beschränkungen der Berufsausübung der Notare dienen in gleicher Weise wie die in § 10a BNotO enthaltenen örtlichen Restriktionen der Sicherung der Lebensfähigkeit und gleichbleibenden Leistungsfähigkeit der Notarstellen und der insgesamt bedarfsgerechten und flächendeckenden Organisation des Notariats18. Es soll ein „Reisenotariat“ verhindert werden, das die Fundamente des Zulassungswesens unterminieren würde19. Es soll dabei nicht nur verhindert werden, dass durch die Tätigkeit auswärtiger Notare in lukrativen Bezirken eine Überversorgung entsteht. Vielmehr geht der Schutzzweck auch dahin, zu vermeiden, dass Notare, die für einen bestimmten Amtsbereich wegen des dort bestehenden Bedürfnisses bestellt wurden, ihre Tätigkeit in erheblichem Maße an einen anderen, ihnen günstiger erscheinenden Ort verlagern und so die bedarfsgerechte Versorgung mit notariellen Dienstleistungen in dem ihnen zugewiesenen Bereich gefährden20. Zwar mag, wie der Notar unter Hinweis auf den Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 9. August 200021 hervorhebt, eine gelegentliche Abwesenheit des Notars, der eine Auswärtsbeurkundung vornimmt, von seinem Amtssitz unbedenklich sein. Die vom Notar angestrebte generelle Genehmigung von Beurkundungen im Ausland würde jedoch auch eine längere Abwesenheit von seiner Geschäftsstelle ermöglichen, die die ordnungsgemäße Versorgung mit notariellen Dienstleistungen in seinem Amtsbereich beeinträchtigen kann. Deshalb kann die Genehmigung für Auslandstätigkeiten nach § 11 Abs. 2, 2. Alt. BNotO – deren grundsätzliche Zulässigkeit unterstellt – nicht anders als bei auswärtigen Urkundstätigkeiten im Inland nur in Einzelfällen, nicht aber, wie vom Notar angestrebt, generell erteilt werden. Aber auch die vom Notar konkret beabsichtigte Beurkundung der Generalvollmacht in Den Haag ist nach dem vorgenannten Schutzzweck nicht genehmigungsfähig. Um die angemessene Versorgung mit notariellen Dienstleistungen in dem Amtsbereich, für den der Notar bestellt ist, zu gewährleisten, muss die Auswärtsbeurkundung – gleichgültig, ob sie im In- oder Ausland erfolgen soll – entsprechend den für die inländische Beurkundung außerhalb des Amtsbezirks entwickelten Kriterien zu § 11 Abs. 2, 2. Alt. BNotO auf besondere Ausnahmefälle beschränkt bleiben. Der vorzitierte Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 09.08.200022 steht dem nicht entgegen. Er betrifft lediglich Beurkundungen außerhalb der Geschäftsstelle, aber innerhalb des Amtsbereichs. Es geht mithin darum, dass der Notar seiner Urkundstätigkeit in unmittelbarer geografischer Nähe zu seiner Geschäftsstelle nachgeht. Demgegenüber ist bei Beurkundungen außerhalb des Amtsbezirks typischerweise – und auch hier (Entfernung B. Den Haag) – die im Interesse der Rechtsuchenden notwendige Präsenz in seiner Geschäftsstelle erheblich gefährdet.

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Aber auch unabhängig hiervon sind die vom Notar beabsichtigten Urkundstätigkeiten in den EUM-itgliedstaaten außerhalb Deutschlands nicht genehmigungsfähig, und zwar sowohl hinsichtlich der Beurkundung der Generalvollmacht in Den Haag als auch – und erst recht – soweit er eine allgemeine Genehmigung begehrt.

Zu den aus § 17 Abs. 1 BeurkG folgenden Pflichten des Notars gehört, nach der Erforschung des Willens der Beteiligten, diesem im Rahmen des rechtlich Zulässigen in der Urkunde vollumfängliche Wirkung zu verschaffen23. Dies ist bei einer Beurkundung durch einen deutschen Notar im Ausland regelmäßig nicht möglich, selbst wenn man unterstellt, dass das Territorialitätsprinzip nicht eingreift und die Urkunden als notarielle entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs24 nicht bereits wegen Verstoßes gegen dieses Prinzip schlechthin unwirksam sind.

Eine Vollmacht, welche der Notar in Den Haag zu beurkunden beabsichtigt, richtet sich nach dem deutschen Internationalen Privatrecht grundsätzlich nach dem Recht des Landes, in dem von ihr Gebrauch gemacht wird (sog. Wirkungsstatut)25. Für die Form gilt allerdings Art. 11 EGBGB26. Nach Absatz 1 dieser Bestimmung tritt für die Formgültigkeit alternativ zum Wirkungsstatut grundsätzlich die Ortsform hinzu. Das bedeutet, dass eine Vollmacht auch dann formgültig ist, wenn sie zwar nicht den Formerfordernissen des Rechts des Staates genügt, in dem von ihr Gebrauch gemacht wird, jedoch die Form nach dem Recht des Staates gewahrt ist, in dem die entsprechende Urkunde errichtet wurde. Diese zusätzliche Möglichkeit, einer Vollmachtsurkunde Wirksamkeit in notarieller Form zu verschaffen, fehlt zumindest in der Regel, wenn ein deutscher Notar die Beurkundung im Ausland vornimmt. Er kann, wie der Notar selbst nicht verkennt, ein Urkundsgeschäft (allenfalls) nach deutschem Recht vornehmen, nicht aber eine notarielle Urkunde nach dem jeweiligen Ortsrecht errichten, sofern nicht das ausländische Recht dies zulässt. Letzteres ist aber vorliegend nicht der Fall. Das niederländische Sicherheits- und Justizministerium hat in seinem Schreiben vom 27.07.2011 den Notar ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er notarielle Amtshandlungen nach niederländischem Recht, dessen Art. 12 Abs. 1, Titel 1, 10. Buch des Burgerlijk Wetboek im Übrigen inhaltlich mit Art. 11 Abs. 1 EGBGB übereinstimmt, nicht vornehmen könne.

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Die in Aussicht genommene, vom Notar zu beurkundende Vollmacht soll eine Generalvollmacht sein, die nicht auf bestimmte Geschäfte beschränkt ist, bei denen sich die fehlende Wahrung der Ortsform möglicherweise faktisch nicht auswirken kann. Damit wäre die vom Notar zu errichtende Urkunde mit einem Wirksamkeitsdefizit behaftet, das bei einer Beurkundung im Inland nicht bestünde. Dass der Notar aus diesem Grunde seine Pflichten als Notar bei einer Auslandsbeurkundung nicht vollumfänglich einhalten kann, steht mithin nach § 11 Abs. 2, 2. Alt. BNotO der Erteilung der beantragten Genehmigung für das Rechtsgeschäft in Den Haag ebenfalls entgegen.

Das zumindest potentielle Wirksamkeitsdefizit von Urkunden, die vom Notar im Ausland errichtet würden, schließt auch die von ihm beantragte allgemeine Genehmigung einer Urkundstätigkeit in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union außerhalb Deutschlands aus.

Die aus den vorstehenden Erwägungen folgende Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit des Notars ist – sofern nicht ohnehin die Bereichsausnahme des Art. 51 Abs. 1 i.V.m. Art. 62 AEUV eingreift27 – unionsrechtlich unbedenklich.

Dass nach Auffassung des Gerichtshofs der Europäischen Union notarielle Tätigkeiten nicht mit der Ausübung öffentlicher Gewalt im Sinne des Art. 45 Abs. 1 EG (jetzt: des Art. 51 Abs. 1 AEUV) verbunden sind28, macht die einschlägigen Bestimmungen des deutschen Rechts nicht unanwendbar. Der Gerichtshof hat im Gegenteil ausdrücklich in Betracht gezogen, dass der Zweck notarieller Amtstätigkeit, die Rechtmäßigkeit und die Rechtssicherheit von Akten zwischen Privatpersonen zu gewährleisten, als zwingender Grund des Allgemeininteresses Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit aufgrund der Besonderheiten der notariellen Tätigkeit rechtfertigen könne29. Der Gerichtshof hat hierbei ausdrücklich auch Beschränkungen der örtlichen Zuständigkeit von Notaren für zulässig gehalten, soweit diese zur Erreichung der genannten Ziele geeignet und erforderlich sind30. Nichts anderes kann für die hier in Rede stehende Dienstleistungsfreiheit gelten.

Die Beschränkungen für Auswärtsbeurkundungen durch den Genehmigungsvorbehalt des § 11 Abs. 2, 2. Alt. BNotO und die restriktiven Voraussetzungen für die Erteilung der Genehmigung erfüllen diese Bedingungen. Sowohl die ausreichende Versorgung mit notariellen Dienstleistungen in den Bereichen, für die die Notare bestellt sind, als auch die Gewährleistung der möglichst umfassenden rechtlichen Wirksamkeit der Beurkundungen dienen dazu, die Rechtmäßigkeit und die Rechtssicherheit von Akten zwischen Privatpersonen zu gewährleisten und stellen daher gewichtige Allgemeininteressen dar, die Einschränkungen der notariellen Berufsausübung rechtfertigen. Sie sind auch geeignet, diese Zwecke zu erreichen. Mildere Mittel, die die Ziele in gleicher Weise verwirklichen können, stehen nicht zu Gebote. Schließlich sind die Beschränkungen auch verhältnismäßig. Die betroffenen Notare werden nur geringfügig in der Ausübung ihres Berufs beeinträchtigt, da sie im Hinblick darauf, dass Notarstellen nach den Bedürfnissen einer geordneten Rechtspflege einzurichten sind (§ 4 Satz 1 BNotO), in aller Regel auch ohne Auswärtsbeurkundungen ausgelastet sind und wirtschaftlich bestehen können. Die Interessen der Rechtsuchenden werden gleichfalls höchstens geringfügig betroffen, da es ihnen fast immer zuzumuten ist, sich eines örtlich ansässigen Notars zu bedienen oder sich in die Geschäftsstelle des auswärtigen Notars zu begeben.

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Die Richtlinie 2055/36/EG vom 07.09.2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen31 ist, wie sich aus ihrem Art. 1 ergibt, für die vorliegend inmitten stehende Frage der Genehmigung der Auslandstätigkeit eines Notars durch dessen heimatliche Aufsichtsbehörde nicht einschlägig, so dass der Notar aus ihr nichts für seine Rechtsauffassung herzuleiten vermag.

Die vorstehende Würdigung steht dem Bundesgerichtshof zu, ohne dass er den Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 Abs. 1 bis 3 AEUV um eine Vorabentscheidung ersuchen müsste. Die Vorlagepflicht letztinstanzlicher Gerichte der Mitgliedstaaten entfällt, wenn die betreffende unionsrechtliche Bestimmung bereits Gegenstand einer Auslegung durch den Gerichtshof war oder wenn die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel kein Raum mehr bleibt. Das innerstaatliche Gericht darf davon ausgehen, dass ein solcher Fall vorliegt, wenn es davon überzeugt ist, dass auch für die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten und den Gerichtshof die gleiche Gewissheit bestünde (acte clair)32.

Dass im Allgemeininteresse, insbesondere zur Gewährleistung der Rechtmäßigkeit und Rechtssicherheit von Akten zwischen Privatpersonen, die örtliche Zuständigkeit von Notaren beschränkt werden kann, hat der Gerichtshof in seinem Urteil vom 24.05.201133 ausdrücklich hervorgehoben34. Die Verhältnismäßigkeit der in Rede stehenden Beschränkungen ist angesichts des Gewichts der zu schützenden Rechtsgüter einerseits und der Geringfügigkeit der Beeinträchtigungen der objektiven Interessen der Notare und der Rechtsuchenden andererseits offenkundig.

Der auf Duldung der Beurkundungen im EU-Ausland gerichtete, hilfsweise gestellte Verpflichtungsantrag des Notars ist zwar als Form der allgemeinen Leistungsklage zulässig, da die Beklagte zu erkennen gegeben hat, gegen die vom Notar beabsichtigte Tätigkeit disziplinarisch vorzugehen, und somit dessen Rechte (Art. 2 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 GG) betroffen sind. Der Antrag ist jedoch unbegründet, da die angestrebte Urkundstätigkeit im EU-Ausland aus den vorstehenden Gründen genehmigungsbedürftig und nicht genehmigungsfähig ist.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 4. März 2013 – NotZ(Brfg) 9/12

  1. vgl. Begründung des Entwurfs des Dritten Gesetzes zur Änderung der Bundesnotarordnung und anderer Gesetze, BR-Drucks. 890/05 S. 23[]
  2. BVerfGE 110, 33, 55[]
  3. z.B. BVerfG aaO S. 56 f sowie BVerfGE 118, 168, 188[]
  4. EuGH, Urteil vom 24.05.2011 – C-54/08, NJW 2011, 2941[]
  5. Hamacher, AnwBl 2011, 913, 914, 916 f; Pohl, EWS 2011, 353, 354, 358; Ritter, EuZW 2011, 707, 708, 710; Schmidt/Pinkel, NJW 2011, 2928, 2930[]
  6. Fuchs, EuZW 2011, 475 f; Henssler/Kilian, NJW 2012, 481, 484 f; Pelikan, notar 2011, 259, 260; Preuß, ZNotP 2011, 322, 325 f[]
  7. aaO Rn. 83 ff[]
  8. EuGH, aaO Rn. 75[]
  9. EuGH, aaO Rn. 76[]
  10. BVerfG NJW 2012, 2639 Rn. 46 ff[]
  11. z.B. OLG Celle, Beschluss vom 25.04.2001 – Not 7/01; Lerch in Arndt/Lerch/Sandkühler, BNotO, 7. Aufl., § 11 Rn. 9; Schippel/Bracker/Püls, BNotO, 9. Aufl., § 11 Rn. 3[]
  12. ABl. S.2007, zuletzt geändert am 5.09.2011, ABl. S. 2155[]
  13. vgl. OLG Celle aaO; Lerch aaO[]
  14. siehe auch Nummer IX 1 RLE/BNotK [abgedruckt bei Schippel/Bracker/Görk, BNotO, 9. Aufl., S. 968][]
  15. Eylmann/Vaasen/Frenz, BNotO/BeurkG, 3. Aufl., § 11 Rn. 4; Schippel/Bracker/Püls aaO[]
  16. vgl. Schippel/Bracker/Püls aaO[]
  17. vgl. Schippel/Bracker/Püls aaO; Nummer IX 1 Buchst. b RLE/BNotK; siehe ferner auch Nummer IX 1 Buchst. d RLE/BNotK[]
  18. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zum Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung der BNotO, BT-Drucks. 11/8307, S. 18; BVerfG, NJW 2000, 3486, 3487; DNotZ 1993, 748, 749[]
  19. Lerch in Arndt/Lerch/Sandkühler, BNotO, 7. Aufl., § 10a Rn. 7[]
  20. Schippel/Bracker/Püls, BNotO, 9. Aufl., § 10a Rn. 2[]
  21. BVerfG NJW 2000, 3486, 3487[]
  22. BVerfG, aaO[]
  23. vgl. z.B. BGH, Urteile vom 09.12.2010 – III ZR 272/09, WM 2011, 571 Rn. 16; vom 22.07.2010 – III ZR 293/09, BGHZ 186, 335 Rn. 16; und vom 28.04.1994 – IX ZR 161/93, NJW 1994, 2283[]
  24. BGH, Urteil vom 30.04.1998 – IX ZR 150/97, BGHZ 138, 359, 361 f[]
  25. hM, z.B. BGH, Urteile vom 03.02.2004 – XI ZR 125/03, NJW 2004, 1315, 1316 und vom 17.11.1994 – III ZR 70/93, BGHZ 128, 41, 47; OLG München, NJW-RR 1989, 663, 664; OLG Stuttgart, DNotZ 1981, 746, jew. mwN; Erman/Hohloch, BGB, 12. Aufl., Anh I Art. 37 EGBGB Rn. 12; Palandt/Thorn, BGB, 72. Aufl., Anhang zu Art. 10 EGBGB Rn. 1[]
  26. OLG München aaO; OLG Stuttgart aaO, S. 747 jew. zu Art. 11 EGBGB a.F.; Erman/Hohloch aaO Rn.20; Palandt/Thorn aaO Rn. 2[]
  27. vgl. hierzu EuGH, Urteil vom 24.05.2011 – C-54/08, NJW 2011, 2941 Rn. 75 f; BVerfG NJW 2012, 2639 Rn. 46 ff[]
  28. EuGH, aaO Rn.93[]
  29. BVerfG aaO Rn. 46 unter Bezugnahme auf EuGH aaO, Rn. 98[]
  30. EuGH, aaO[]
  31. ABl. Nr. L 255, S. 22[]
  32. siehe z.B. BGH, Beschluss vom 22.03.2010 – NotZ 16/09, BGHZ 185, 30 Rn. 33 mwN aus der Rechtsprechung des EuGH[]
  33. EUGH NJW 2011, 2941[]
  34. EuGH, aaO Rn. 98[]
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