Den vom gegenüberliegenden Gehsteig kommenden und auf einem Fußgängerüberweg die Fahrbahn in einem Zug überquerenden Pedelec-Fahrer trifft bei einer Kollision mit einem Kraftfahrzeug ein Verschulden nach § 10 StVO. Als nicht abgestiegener Fahrer eines Pedelec – mithin als Radfahrer – unterfällt er nicht dem Schutzbereich des § 26 StVO.

Eine Reaktion des Kraftfahrzeugführers ist nicht bereits dann gefordert, wenn der Pedelec Fahrer vom linksseitigen Rad-/Gehweg auf den Zebrastreifen auf der Gegenfahrbahn auffährt. Eine Reaktionsaufforderung ist erst zu dem Zeitpunkt gegeben, zu dem – vom Pedelec-Fahrer zu beweisen – konkrete Anhaltspunkte erkennbar wurden, dass der Pedelec-Fahrer durchfahren und nicht auf der Mittelinsel halten würde, um der Kraftfahrerin ihren Vorrang zu gewähren.
So nahm das Oberlandesgericht Hamm in einem solchen Fall eine Haftungsquote des PKW-Fahrers von 1/3 aus §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, 823 Abs. 1 BGB bzw. 823 Abs. 2 BGB, 229 StGB i.V.m. 115 Abs. 1 VVG an:
Höhere Gewalt i.S. des § 7 Abs. 2 StVG liegt nicht vor. Eine ‑vom OLG Hamm im übrigen verneinte- Unabwendbarkeit des Unfalls i.S. des § 17 Abs. 3 StVG würde die Haftung hier nicht schon von vornherein ausschließen, da der E‑Bike-Fahrer im Hinblick auf § 1 Abs. 3 StVG als Radfahrer an dem streitgegenständlichen Unfall beteiligt war. anach kommt es für die Frage der Haftungsquote maßgeblich auf die gem. §§ 9 StVG, 254 BGB vorzunehmende Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge an, bei der jeweils zu Lasten einer Seite nur unstreitige bzw. bewiesene Umstände berücksichtigt werden können.
Dem Pedelec-Fahrer ist dabei ein gravierender Verstoß gegen § 10 StVO unter Missachtung des Vorranges der PKW-Fahrers anzulasten [1]. Insbesondere unterfiel der nicht abgestiegene Fahrer des Pedelec – mithin als Radfahrer – nicht dem Schutzbereich des § 26 StVO [2]. Der wegen des Zusammenhanges mit seinem Einfahrmanöver i.S. des § 10 StVO von vornherein für einen unfallursächlichen Verstoß gegen § 10 StVO sprechende Anschein [3] war im vorliegenden Fall auch nicht erschüttert, sondern stand aufgrund des Verkehrsverstoßes sogar positiv fest. Damit hat der Pedelec-Fahrer die erste und auch entscheidende Ursache für den streitgegenständlichen Verkehrsunfall gesetzt. Weitere unfallursächliche Verkehrsverstöße des Pedelec-Fahrers – insbesondere auch hinsichtlich des hier sicherlich besonders tragischen Nichttragens eines Schutzhelmes – konnten vom OLG dagegen nicht angenommen bzw. in die Abwägung eingestellt werden.
Ob hier auf Grundlage des verwerteten Sachverständigengutachtens tatsächlich ein unfallursächlicher Verkehrsverstoß – namentlich gegen § 1 Abs. 2 StVO durch mangelnde Aufmerksamkeit und/oder Reaktion – hinreichend sicher feststeht, erschien dem Oberlandesgericht Hamm bereits durchaus fraglich. Denn aus Sicht des Oberlandesgerichts ginge es zu weit, anzunehmen, die PKW-Fahrerin hätte in jedem Falle bereits reagieren müssen, als der E‑Bike-Fahrer vom linksseitigen Rad-/Gehweg auf den Zebrastreifen auf der Gegenfahrbahn auffuhr. Nach Auffassung des OLG Hamm musste die PKW-Fahrerin vielmehr erst zu einem Zeitpunkt reagieren, als aufgrund – hier für den Zeitpunkt des Einfahrens auf die Gegenfahrbahn bislang kaum hinreichend sicher feststellbarer; und vom Pedelec-Fahrer zu beweisender – konkreter Anhaltspunkte erkennbar wurde, dass der Pedelec-Fahrer durchfahren und nicht auf der Mittelinsel halten würde, um der Kfz-Fahrerin ihren Vorrang zu gewähren. Dass zu diesem – bislang schon nicht feststehenden – Zeitpunkt die Kfz-Fahrerin noch unfallvermeidend hätte reagieren können, lies sich auf Grundlage des vorliegenden Sachverständigengutachtens nicht feststellen.
Ein zusätzlich geltend gemachter unfallursächlicher Verstoß der PKW-Fahrerin lies sich – eine höhere Geschwindigkeit als 30 km/h stand nach dem vorliegenden Gutachten ohnehin schon nicht fest – ebenfalls nicht feststellen. Dass die PKW-Fahrerin (noch) langsamer hätte fahren müssen, ist für das Oberlandesgericht nicht ersichtlich, zumal der E‑Bike-Fahrer – wie ausgeführt – nicht in den Schutzbereich des § 26 StVO fällt und grundsätzlich nicht mit einem plötzlichen Einfahren des E‑Bike-Fahrers auf Zebrastreifen und Fahrbahn gerechnet werden musste.
Letztlich konnten für das Oberlandesgericht – angesichts der von Seiten der PKW-Fahrerin und ihrer Haftpflichtversicherung hingenommenen, rechtskräftig ausgeurteilten Haftungsquote der PKW-Fahrerin von 1/3 – die soeben erörterten Fragen indes offen bleiben und bedurfte es insoweit keinesfalls noch einer weiteren Sachaufklärung. Denn eine höhere Haftungsquote der PKW-Fahrerin als 1/3 kommt nach Auffassung des OLG Hamm angesichts des hier gegebenen massiven und in jedem Fall ein etwa letztlich anzunehmendes unfallursächliches Verschulden PKW-Fahrerin deutlich überwiegenden unfallursächlichen Verstoßes des E‑Bike-Fahrers gegen § 10 StVO auf keinen Fall in Betracht.
In so eine Situation – als Beteiligter eines Unfalls – kann man schneller geraten als man denkt. Fraglich ist dann immer, wer die Schäden trägt. Da ein Pedelec bzw. E‑Bike nicht gerade günstig in der Anschaffung ist, macht sich eine abgeschlossene E‑Bike Versicherung oftmals bezahlt.
Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 2. März 2018 – 9 U 54/17
- vgl. dazu allgemein nur Hentschel/König, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl., § 10 StVO, Rn. 6; Oberlandesgericht, DAR 2016, 265, dort Rn. 22[↩]
- vgl. dazu allgemein nur Hentschel/König, a.a.O., § 26 StVO, Rn. 14; Geigel/Freymann, Der Haftpflichtprozess, 27. Aufl., Kap. 27, Rn. 616; Rogler in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl.2016, § 26 StVO, Rn.32 ff., jeweils m. w. Nachw.[↩]
- vgl. dazu allgemein nur Hentschel/König, a.a.O., § 10 StVO, Rn. 11 m. w. Nachw.[↩]