Für den Käufer eines von dem Diesel-Skandal betroffenen Fahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung besteht kein Anspruch auf Schadensersatz gegen die Bundesrepublik Deutschland.

Mit dieser Begründung hat das Landgericht Frankfurt am Main in den hier vorliegenden Fällen die Klagen auf Staatshaftungsansprüche abgewiesen. Weder habe der Staat europäisches Recht unzureichend in nationales Recht umgesetzt, noch sei gegen Kontrollpflichten in Bezug auf die Automobilindustrie verstoßen worden. Außerdem bezwecke keine unionsrechtliche Norm individuelle Rechte (der Diesel-Fahrer) zu schützen.
Geklagt hatten vier Käufer, die PKWs von Audi und VW fuhren, in denen eine nicht zulässige Abschalteinrichtung verbaut worden war, durch die im Prüfverfahren verbesserte Stickoxidwerte ausgewiesen wurden.
Von dem 2015 bekannt gewordenen Abgas-Skandal ist schon längst nicht mehr nur ein Fahrzeug bzw. ein Motor (EA189) betroffen, sondern eine Vielzahl von Fahrzeugen, in denen auch der Nachfolgemotor EA288 verbaut worden sein kann. Auch wenn der VW-Konzern sich gegen eine Klagewelle unbekannten Ausmaßes zu wehren versucht, geben diverse Gerichte den Schadensersatzklagen von Fahrzeugbesitzern statt, in deren Fahrzeug entweder der Motor EA189 oder EA288 verbaut worden ist1. Außerdem hat der Europäische Gerichtshof im Dezember 2020 entschieden, dass jede Art von Abschalteinrichtung bei einem Dieselfahrzeug unzulässig ist2.
In den hier vorliegenden Fällen haben sich die Kläger mit ihrem Schadensersatzbegehren nicht an den Fahrzeughersteller, sondern gegen die Bundesrepublik Deutschland gewandt.
In seiner Urteilsbegründung hat das Landgericht Frankfurt am Main ausgeführt, dass die Umsetzung der „Richtlinie 2007/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007 zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge„3 in nationales Rechts ordnungsgemäß von Deutschland umgesetzt worden ist. Den Mitgliedsstaaten stehen verschiedene Möglichkeiten der Sanktionierung bei Verstößen gegen die Richtlinie zur Verfügung. Nach Auffassung des Landgerichts Frankfurt sei die Vermutung der Kläger, härtere Sanktionen wie etwa in den USA hätten eher vor Manipulationen abgeschreckt, mit keinerlei Tatsachen belegt.
Genauso wenig habe die Bundesrepublik die Automobilindustrie unzureichend überwacht. So reiche es für einen qualifizierten Verstoß auch nicht aus, dass das Kraftfahrzeugbundesamt den Herstellerangaben zu Laufstandmessungen vertraute.
Darüber hinaus fehle es für einen Schadensersatzanspruch der vom Abgas-Skandal betroffenen Fahrzeugbesitzer an einer unionsrechtlichen Norm. Nach Meinung des Landgerichts gehe es dem Unionsgesetzgeber nicht um den Schutz von individuellen Rechten, sondern um Allgemeininteressen. So dass die Vermögensinteressen von Kraftfahrzeugerwerbern lediglich durch Ansprüche an die Fahrzeughersteller auf Schadensersatz verfolgt werden können. Zum gleichen Ergebnis kommt auch das Oberlandesgericht Köln4, nach dem es bereits an der Voraussetzung einer individualschützenden Rechtsnorm fehle. Denn die Richtlinie 2007/46/EG diene nicht dem Schutz der Vermögensinteressen des Individuums. Vielmehr zielen die zur vollständigen Harmonisierung der technischen Anforderungen für Fahrzeuge erlassenen Rechtsakte der Europäischen Union nach Meinung des Oberlandesgerichts Köln vor allem auf eine hohe Verkehrssicherheit, hohen Gesundheits- und Umweltschutz, rationelle Energienutzung und wirksamen Schutz vor unbefugter Benutzung ab.
Den Dieselfahrern stehen nach Auffassung des Landgerichts Frankfurt am Main keine Schadensersatzansprüche gegen die Bundesrepublik Deutschland zu.
Landgericht Frankfurt am Main, Urteile vom 21. Oktober 2020 – 2–04 O 425/19; 2–04 O 449/19; 2–04 O 455/19 und 2–04 O 123/20