Mit den Voraussetzungen einer wiederholten Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist mit Einwilligung des Gegners hatte sich aktuell der Bundesgerichtshof zu befassen:

In dem zugrunde liegenden Verfahren um Schadensersatz im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Dieselfahrzeugs wendet sich der Kläger gegen die Verwerfung seiner Berufung durch das Oberlandesgericht Oldenburg1. Die Berufung gegen das klageabweisende Urteil des Landgerichts hat der Kläger zunächst fristgerecht eingelegt. Die Frist zur Berufungsbegründung hat die Vorsitzende des Oberlandesgerichts Oldenburg auf jeweiligen Antrag des Klägers wegen starker Arbeitsüberlastung seines Prozessbevollmächtigten zunächst bis zum 23.08.2022 und sodann unter Hinweis auf das versicherte Einverständnis der Beklagten mit dem Zusatz „letztmalig“ bis zum 23.09.2022 verlängert. Mit Schriftsatz vom 23.09.2022 hat der Kläger beantragt, die Berufungsbegründungsfrist im versicherten Einverständnis der Gegenseite wegen starker Arbeitsüberlastung nochmals bis zum 7.10.2022 zu verlängern. Die Vorsitzende des Oberlandesgerichts Oldenburg hat die weitere Verlängerung mit Verfügung vom 27.09.2022 zurückgewiesen und mitgeteilt, es sei beabsichtigt, die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Notwendigkeit des zügigen Betreibens der Vielzahl beim Bundesgerichtshof anhängiger Verfahren wiege schwerer als die in der eigenen organisatorischen Verantwortung der Prozessbevollmächtigten liegende dortige Arbeitsbelastung.
Am 7.10.2022 hat der Kläger die Berufung begründet und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Zur Begründung dieses Antrags hat er vorgetragen, sein Prozessbevollmächtigter, dem der Hinweis „letztmalig“ unverschuldet verborgen geblieben sei, habe auf die Gewährung einer weiteren Fristverlängerung vertrauen dürfen. Die Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist sei dem Prozessbevollmächtigten des Klägers infolge des Ausscheidens mehrerer Rechtsanwälte aus der Kanzlei einschließlich des ursprünglichen Bearbeiters und der damit einhergehenden erheblichen Arbeitsmehrbelastung nicht möglich gewesen. Die Gegenseite sei auf diese besonderen Umstände hingewiesen worden und habe sich mit einer weiteren Fristverlängerung einverstanden erklärt. Im Übrigen sei das Vertrauen in die Gewährung einer weiteren Fristverlängerung auch deshalb berechtigt gewesen, weil der Bundesgerichtshof in seiner Pressemitteilung vom 01.07.2022 den Instanzgerichten im Hinblick auf die Schlussanträge des Generalanwalts vom 02.06.2022 und die erwartete Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Rechtssache C-100/21 zu einem Zuwarten geraten habe.
Das Oberlandesgericht Oldenburg hat mit Beschluss vom 20.12.2022 die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt und die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde, mit der er die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses erstrebt und auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist anträgt.
Auf die hiergegen eingelegte Rechtsbeschwerde hat der Bundesgerichtshof den Verwerfungsbeschluss des Oberlandesgerichts Oldenburg aufgehoben und die Sache an das Oberlandesgericht zurückverwiesen:
Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Das Oberlandesgericht Oldenburg hat das Verfahrensgrundrecht des Klägers auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt. Es hat dem Kläger zu Unrecht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist verweigert und damit den Zugang zur Berufungsinstanz ungerechtfertigt versagt.
Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.
Das Oberlandesgericht Oldenburg hat die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Begründung verweigert, der Kläger habe die Berufungsbegründungsfrist nicht schuldlos versäumt. Sein Prozessbevollmächtigter habe nicht auf die Bewilligung einer dritten Fristverlängerung vertrauen dürfen. Auch bei Einwilligung des Gegners bestehe kein generell schutzwürdiges Vertrauen auf die Bewilligung einer dritten Fristverlängerung, weil dem Berufungsgericht stets ein Ermessensspielraum verbleibe. Ein Vertrauen könne allenfalls gerechtfertigt sein, wenn das Ermessen auf null reduziert sei, etwa wenn der Verlängerungsantrag auf besondere Gründe gestützt werde. Besondere Gründe, die ein Vertrauen des Prozessbevollmächtigten des Klägers in die Gewährung einer dritten Fristverlängerung hätten rechtfertigen können, hätten nicht vorgelegen. Die Empfehlung des Bundesgerichtshofs in der Pressemitteilung vom 01.07.2022 (Nr. 104/2022) könne sich nur auf solche Verfahren beziehen, in denen die in den Schlussanträgen des Generalanwalts vom 02.06.2022 in der Rechtssache C-100/21 aufgeworfenen Rechtsfragen entscheidungserheblich seien, was erst nach Eingang der Berufungsbegründung geprüft werden könne. Die geschilderte Arbeitsbelastung seines Prozessbevollmächtigten aufgrund des Ausscheidens insbesondere des bis dahin betrauten Bearbeiters aus der Kanzlei rechtfertige ein Vertrauen des Klägers in die Gewährung der Fristverlängerung nicht, da dieser Umstand nicht mitgeteilt worden sei. Ein Vertrauen auf die Bewilligung der beantragten Fristverlängerung sei insbesondere deshalb nicht gerechtfertigt gewesen, weil die Vorsitzende die Frist „letztmalig“ bis zum 23.09.2022 verlängert und damit zum Ausdruck gebracht habe, dass unter unveränderten Umständen eine Fristverlängerung nicht gewährt werde. Dass dieser Hinweis dem Prozessbevollmächtigten des Klägers ohne dessen Verschulden verborgen geblieben sei, ergebe sich aus seinem Vortrag zur erstrebten Wiedereinsetzung nicht.
Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Der Kläger war entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts Oldenburg ohne sein Verschulden und ohne ein ihm gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares Verschulden seines Prozessbevollmächtigten an der Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist verhindert (§ 233 ZPO), weil er darauf vertrauen durfte, sein rechtzeitig gestellter Antrag, die bis zum 23.09.2022 verlängerte Berufungsbegründungsfrist im Einverständnis mit der Beklagten um zwei weitere Wochen zu verlängern, werde nicht abgelehnt werden.
Der Rechtsmittelführer ist generell mit dem Risiko belastet, dass der Vorsitzende des Rechtsmittelgerichts in Ausübung des ihm eingeräumten pflichtgemäßen Ermessens eine beantragte Verlängerung der Rechtsmittelbegründungsfrist versagt. Im Wiedereinsetzungsverfahren kann sich der Rechtsmittelführer deshalb nur dann mit Erfolg auf sein Vertrauen in eine Fristverlängerung berufen, wenn deren Bewilligung mit großer Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte2.
So verhielt es sich hier.
Gemäß § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO kann die Frist zur Berufungsbegründung auf Antrag wiederholt verlängert werden, wenn der Gegner einwilligt. Die Bewilligung der Fristverlängerung hängt auch bei der wiederholten Fristverlängerung entgegen der Rechtsmeinung des Oberlandesgerichts Oldenburg nicht davon ab, dass der Rechtsmittelführer hierfür erhebliche Gründe geltend machen kann, die er deshalb auch nicht darlegen muss3. Das Vertrauen in die Gewährung einer wiederholten Fristverlängerung ist im Regelfall erst erschüttert, wenn aus Sicht eines Rechtsmittelführers Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass die Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens trotz der Einwilligung zu einer Ablehnung der begehrten Fristverlängerung führen kann.
Solche Anhaltspunkte lagen nicht vor. Weder war der Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist missbräuchlich4 noch bedurfte der Rechtsstreit nach Ablauf der zweifach verlängerten Frist (nunmehr) der Beschleunigung5. Die aus der verfassungsrechtlichen Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art.20 Abs. 3 GG) resultierende Verpflichtung der Fachgerichte, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zu einem Abschluss zu bringen6, trat ohne Rücksicht darauf, ob hier aufgrund der ausstehenden Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Rechtssache C-100/21 ein Abwarten der Instanzgerichte angezeigt war, zurück, solange der Gegner mit der weiteren Fristverlängerung einverstanden war7.
Dass zahlreiche ähnlich gelagerte Rechtsstreitigkeiten bei Instanzgerichten anhängig sind, ändert im Übrigen nichts an der Gültigkeit allgemeiner prozessualer Grundsätze8.
Der mit der zweiten Fristverlängerung verbundene Hinweis der Vorsitzenden auf eine „letztmalige“ Verlängerung stand dem Vertrauen des Prozessbevollmächtigten des Klägers in die Fristverlängerung ohne Rücksicht darauf nicht entgegen, ob er ihn bei Aufwendung der gebotenen Sorgfalt zur Kenntnis nehmen konnte. Ein solcher Hinweis entbindet das Gericht nicht davon, die in § 520 Abs. 2 ZPO angelegte Differenzierung danach, ob der Gegner eingewilligt hat oder nicht, und die vom Gesetzgeber9 beabsichtigte vereinfachte Verlängerungsmöglichkeit bei erteilter Einwilligung zu beachten10. Entsprechend darf ein Rechtsmittelführer und durfte hier der Kläger davon ausgehen, dass das Berufungsgericht bei einer Einwilligung des Gegners in eine weitere Fristverlängerung sein Ermessen erneut pflichtgemäß ausüben werde, ohne sich an die Kundgabe der vorangegangenen Fristverlängerung als letztmalig gebunden zu halten oder wegen dieser Kundgabe andere Maßstäbe an die Begründetheit des Fristverlängerungsantrags anzulegen als die gesetzlich vorgegebenen. Eine Erschütterung des Vertrauens eines Rechtsmittelführers aufgrund eines entsprechenden Zusatzes hätte allenfalls in Betracht kommen können, wenn das Berufungsgericht mit der Fristverlängerung tragfähige und zum Zeitpunkt der Ermessensausübung fortgeltende Erwägungen offenlegt hätte, aus denen eine weitere Verlängerung der Frist zur Berufungsbegründung nicht in Betracht kam. Das war hier nicht der Fall.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 31. Juli 2023 – VIa ZB 1/23
- OLG Oldenburg, Beschluss vom 20.12.2022 – 14 U 114/22[↩]
- BGH, Beschluss vom 04.07.1996 – VII ZB 14/96, NJW 1996, 3155; Beschluss vom 21.02.2000 – II ZB 16/99, NJW-RR 2000, 947; Beschluss vom 09.07.2009 – VII ZB 111/08, NJW 2009, 3100 Rn. 8; Beschluss vom 30.01.2023 – VIa ZB 15/22, NJW 2023, 1449 Rn. 10, jeweils mwN[↩]
- BGH, Beschluss vom 09.07.2009 – VII ZB 111/08, NJW 2009, 3100 Rn. 9; Beschluss vom 30.01.2023 – VIa ZB 15/22, NJW 2023, 1449 Rn. 11[↩]
- vgl. zu einer Versagung unter diesem Gesichtspunkt Althammer in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl., § 520 Rn. 13[↩]
- vgl. dazu Gerken in Wieczorek/Schütze, ZPO, 5. Aufl., § 520 Rn. 39[↩]
- vgl. BVerfGE 93, 1, 13; BVerfG, NZA 2015, 1403 Rn. 11 mwN[↩]
- vgl. MünchKomm-ZPO/Krüger, 6. Aufl., § 551 Rn. 13[↩]
- aA für Fristverlängerungen in „Massenverfahren“ OLG Bamberg, Beschluss vom 25.04.2019 – 8 U 2/19 22[↩]
- BT-Drs. 14/4722, S. 95[↩]
- BGH, Beschluss vom 30.01.2023 – VIa ZB 15/22, NJW 2023, 1449 Rn. 11 mwN[↩]