Entscheidungen des Beschwerdegerichts verstoßen gegen das Recht des Beschwerdeführers auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art.20 Abs. 3 GG, wenn das Beschwerdegericht die Rechtsbeschwerde jeweils nicht zugelassen und damit die maßgebliche verfahrensrechtliche Vorschrift in unhaltbarer Weise gehandhabt hat.

Maßstab für die verfassungsrechtliche Prüfung ist vorrangig das Rechtsstaatsprinzip, aus dem auch die Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes abzuleiten ist1. Das Gebot effektiven Rechtsschutzes beeinflusst die Auslegung und Anwendung der Bestimmungen, die für die Eröffnung eines Rechtswegs und die Beschreitung eines Instanzenzugs von Bedeutung sind. Hat der Gesetzgeber sich für die Eröffnung einer weiteren Instanz entschieden und sieht die betreffende Prozessordnung dementsprechend ein Rechtsmittel vor, so darf der Zugang dazu nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden2. Mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes unvereinbar sind eine den Zugang zur Rechtsbeschwerde erschwerende Auslegung und Anwendung des hier einschlägigen § 70 Abs. 2 Satz 1 FamFG dann, wenn sie sachlich nicht zu rechtfertigen sind, sich damit als objektiv willkürlich erweisen und dadurch den Zugang zur nächsten Instanz unzumutbar einschränken.
Dies ist hier bei der unterlassenen Anwendung des § 70 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 FamFG durch das Landgericht Leipzig3 der Fall:
Gemäß § 70 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 FamFG ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Dies ist der Fall, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt4. Die willkürliche Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde in solchen Fällen verletzt Grundrechte der im Ausgangsverfahren unterliegenden Partei5.
Wenn die Entscheidung über die Nichtzulassung nicht näher begründet ist, kommen die Feststellung einer mit dem Justizgewährungsanspruch unvereinbaren Handhabung der Zulassungspflicht und die Aufhebung durch das Bundesverfassungsgericht gleichwohl in Betracht, wenn die Zulassung des Rechtsmittels unterblieben ist, obwohl sie nahe gelegen hätte und die Nichtzulassungsbeschwerde nicht eröffnet ist. Hat das Beschwerdegericht das Rechtsmittel nicht zugelassen, obwohl die Zulassung des Rechtsmittels objektiv nahe lag, und finden sich weder in der Entscheidung noch anderweitig Anhaltspunkte dafür, aufgrund welcher – die Nichtzulassung möglicherweise sachlich rechtfertigenden – Überlegungen das Gericht von der Zulassung abgesehen hat, ist im Rahmen der verfassungsgerichtlichen Überprüfung einer Entscheidung, gegen die die Nichtzulassungsbeschwerde nicht eröffnet ist, grundsätzlich von einer verfassungswidrigen Nichtzulassung auszugehen6. Zwar gilt der Grundsatz, dass letztinstanzliche Entscheidungen, eingeschlossen solche über die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde, von Verfassungs wegen keiner Begründung bedürfen, auch dann, wenn gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde durch das Beschwerdegericht die Nichtzulassungsbeschwerde nicht eröffnet ist. Weil dann jedoch das Beschwerdegericht, indem es die Rechtsbeschwerde nicht zulässt, gleichsam in eigener Sache unanfechtbar darüber entscheidet, dass seine Entscheidung durch das Rechtsbeschwerdegericht nicht mehr überprüft werden kann, muss, wenn die Zulassung des Rechtsmittels nahe gelegen hätte, mangels nachvollziehbarer Begründung oder anderweitiger Anhaltspunkte grundsätzlich angenommen werden, dass sich das Beschwerdegericht in sachlich nicht zu rechtfertigender Weise der Kontrolle durch das Rechtsbeschwerdegericht entzogen hat.
Hier hat das Landgericht die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde nur formelhaft beziehungsweise gar nicht begründet. Angesichts des damaligen Fehlens einer klärenden höchstrichterlichen Entscheidung und der uneinheitlichen Maßstäbe der obergerichtlichen Rechtsprechung ist diese Entscheidung nicht selbsterklärend. Die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde stellt daher einen Ausschluss des verfassungsrechtlichen gebotenen Zugangs zur Rechtsbeschwerdeinstanz dar und ist mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes nicht mehr zu vereinbaren.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 28. Mai 2019 – 1 BvR 2006/16
- vgl. BVerfGE 54, 77, 291; 80, 103, 107; 85, 337, 345; stRspr[↩]
- vgl. BVerfGE 69, 381, 385; 74, 228, 234; 77, 275, 284; 104, 220, 232; 125, 104, 137[↩]
- LG Leipzig, Beschlüsse vom 20.07.2016 – 01 T 54/16; und vom 22.07.2016 – 02 T 602/16[↩]
- vgl. zu § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO: BGHZ 154, 288, 291; zu § 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO: BGHZ 159, 135, 137[↩]
- vgl. BVerfGK 12, 298, 301 f.; BVerfG, Beschluss vom 26.05.2004 – 1 BvR 172/04, NJW 2004, S. 2584 – jeweils Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG durch willkürliche Nichtzulassung der Berufung; BVerfGK 2, 202, 204 – Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG durch willkürliche Nichtzulassung der Revision[↩]
- vgl. BVerfGK 19, 364, 366 f.; BVerfG, Beschluss vom 23.04.2014 – 1 BvR 2851/13 23 ff.; Beschluss vom 07.09.2015 – 1 BvR 1863/12 16, jeweils zu Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG[↩]