Der Beginn der einmonatigen Berufungsfrist des § 517 ZPO setzt die Zustellung einer Ausfertigung – nicht einer beglaubigten Abschrift – des in vollständiger Form abgefassten Urteils voraus.

Die Monatsfrist zur Einlegung der Berufung beginnt nach § 517 ZPO mit Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils. Die Zustellung erfolgt nach § 317 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 166 Abs. 2 ZPO von Amts wegen. Freilich bleibt das Original des Urteils stets bei den Akten. Stattdessen ist eine Ausfertigung zuzustellen1.
Eine Ausfertigung ist eine in gesetzlich bestimmter Form gefertigte Abschrift, die dem Zweck dient, die bei den Akten verbleibende Urschrift nach außen zu vertreten2. Durch die Ausfertigung soll dem Zustellungsempfänger die Gewähr der Übereinstimmung mit der bei den Akten verbleibenden Urteilsurschrift geboten werden3. Der Ausfertigungsvermerk bezeugt als eine besondere Art der Beurkundung, dass die Ausfertigung mit der Urschrift des Urteils übereinstimmt. Wegen dieser Besonderheit verlangt das Gesetz, dass die Ausfertigung von einem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu unterschreiben und mit dem Gerichtssiegel zu versehen ist (§ 317 Abs. 4 ZPO).
Mit der Unterschrift erklärt der Urkundsbeamte, dass die in der Ausfertigung wiedergegebenen Teile des Urteils gleich lautend mit denen der Urschrift sind. Diese Erklärung braucht nicht wörtlich in dem Ausfertigungsvermerk enthalten zu sein. Das Gesetz sieht eine bestimmte äußere Form für den Ausfertigungsvermerk nicht vor4. Die Urteilsabschrift muss aber zumindest durch die Unterschrift des Urkundsbeamten, das Gerichtssiegel oder den Dienststempel und Worte wie „Ausfertigung“ oder „ausgefertigt“ erkennen lassen, dass es sich um eine Ausfertigung im Sinne des § 317 Abs. 4 ZPO handeln soll5. Der Bundesgerichtshof hat deswegen bereits mehrfach die Zustellung beglaubigter Abschriften, die den Beglaubigungsvermerk nicht enthielten oder ihn unvollständig wiedergaben, für unwirksam gehalten, weil es damit für den Zustellungsempfänger an der Gewähr fehle, dass das ihm zugestellte Schriftstück der Urschrift entsprach6.
Ob an Stelle einer Urteilsausfertigung auch eine beglaubigte Urteilsabschrift die Zustellungswirkung des § 517 ZPO begründen kann, ist in der Literatur umstritten7.
Teilweise wird vertreten, dass die in § 517 ZPO vorausgesetzte Amtszustellung statt in der Form einer vollständigen Urteilsausfertigung auch durch eine beglaubigte Abschrift des Urteils erfolgen kann8.
Überwiegend wird allerdings unter Hinweis auf die Bedeutung einer Ausfertigung und die Vorschrift des § 317 Abs. 1 und 4 ZPO vertreten, dass nur die Zustellung einer Ausfertigung der gerichtlichen Entscheidung die Berufungsfrist nach § 517 ZPO in Lauf setzen kann9.
Der Bundesgerichtshof schließt sich der letztgenannten Auffassung an:
Die nach § 166 Abs. 2 ZPO von Amts wegen zuzustellenden Dokumente können grundsätzlich in Urschrift, Ausfertigung oder (beglaubigter) Abschrift zugestellt werden. Dabei ist die Zustellung einer beglaubigten Abschrift stets dann ausreichend, wenn das Gesetz keine andere Regelung enthält10. Denn eine besondere Form der Zustellung hat der Gesetzgeber ausdrücklich speziellen materiell- oder prozessrechtlichen Vorschriften vorbehalten11. Eine solche spezielle Vorschrift enthält das Gesetz in § 317 ZPO für die Zustellung von Urteilen.
Dass die Übergabe einer bloßen Abschrift des Urteils nicht die Anforderungen an eine ordnungsgemäße und wirksame Zustellung erfüllt, hat der Bundesgerichtshof bereits entschieden12. Soweit die Zustellung einer beglaubigten Abschrift für ausreichend erachtet wird, geht dies auf das frühere Recht zurück, das bis Juni 1977 eine Zustellung im Parteibetrieb vorsah. Die darauf beruhende Rechtsprechung beschränkt sich deswegen auf Fälle, in denen eine beglaubigte Abschrift einer bereits vorliegenden Urteilsausfertigung zugestellt wurde13. Auf die Zustellung einer beglaubigten Abschrift des Urteils ohne vorliegende Ausfertigung des Urteils ist diese Rechtsprechung nicht übertragbar. Solange keine Ausfertigung der in den Akten verbleibenden Urschrift des Urteils erstellt ist, ist der Zweck, das Urteil nach außen zu vertreten, nicht erreicht14. Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entspricht die Form der Ausfertigung der besonderen Bedeutung und Wichtigkeit der kundzugebenden Entscheidung. Erst der Ausfertigungsvermerk verleiht der Ausfertigung die Eigenschaft einer öffentlichen Urkunde und bezeugt deren Übereinstimmung mit der in den Akten verbleibenden Urschrift15. Entsprechend lautet die amtliche Überschrift des § 317 ZPO auch „Urteilszustellung und -ausfertigung“ und für schriftlich vorliegende Urteile sieht § 317 Abs. 4 ZPO lediglich die Erstellung von Ausfertigungen und Auszügen vor.
Für die Zustellung als Voraussetzung für den Beginn der Rechtsmittelfrist kommt es entscheidend auf äußere Form und Inhalt der zur Zustellung verwendeten Ausfertigung an; bei Abweichungen zwischen Urschrift und Ausfertigung ist allein die Ausfertigung maßgeblich, weil allein sie nach außen in Erscheinung tritt und die Beschwerdepartei ihre Rechte nur anhand der Ausfertigung wahrnehmen kann und muss16.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 9. Juni 2010 – XII ZB 132/09
- Wieczorek/Schütze/Rensen ZPO 3. Aufl. § 317 Rdn. 7[↩]
- BGH, Beschluss vom 30.05.1990 – XII ZB 33/90, FamRZ 1990, 1227[↩]
- BGHZ 100, 234, 237 = NJW 1987, 2868 m.w.N.; sowie BGH, Beschlüsse vom 20.06.1989 – X ZB 12/87; und vom 28.11.2006 – VIII ZB 116/05[↩]
- BGH, Urteil vom 13.03.1969 – III ZR 178/67, VersR 1969, 709, 710[↩]
- BGH, Urteil vom 18.05.1994 – IV ZR 8/94, VersR 1994, 1495[↩]
- vgl. BGHZ 100, 234, 237 f. = NJW 1987, 2868[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 18.05.1994 – IV ZR 8/94, VersR 1994, 1495[↩]
- Thomas/Putzo/Reichold, ZPO 30. Aufl., § 517 Rdn. 2; Hk-ZPO/Wöstmann 3. Aufl. § 517 Rdn. 2 und MünchKommZPO/Rimmelspacher 3. Aufl. § 517 Rdn. 9[↩]
- Zöller/Vollkommer ZPO 28. Aufl. § 317 Rdn. 4; Musielak/Musielak ZPO 7. Aufl. § 317 Rdn. 3; Wieczorek/Schütze/ Rensen ZPO 3. Aufl. § 317 Rdn. 7 und Prütting/Gehrlein/Lemke ZPO § 517 Rdn. 5[↩]
- Zöller/Stöber ZPO 28. Aufl. § 166 Rdn. 5[↩]
- BT-Drs. 14/4554 S. 15[↩]
- BGH, Beschluss vom 20.06.1989 – X ZB 12/87[↩]
- BGH, Urteil vom 10.06.1964 – VIII ZR 286/63, MDR 1964, 916; und Beschlüsse vom 01.07.1974 – VIII ZB 17/74, BGHWarn 1974, 475; und vom 29.09.1959 – VIII ZB 5/59, NJW 1959, 2117, 2118 m.w.N.[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 28.11.2006 – VIII ZB 116/05[↩]
- BGHZ 100, 234, 237 = NJW 1987, 2868 m.w.N.; vgl. auch § 47 BeurkG[↩]
- BGH, Beschlüsse vom 24.01.2001 – XII ZB 75/00, NJW 2001, 1653, 1654; und vom 25.05.2006 – IV ZB 47/05, FamRZ 2006, 1114, 1115[↩]