Sprechen gewichtige Gründe für eine identifizierende Tatschilderung seitens des Opfers, muss diese auch dann hingenommen werden, wenn sie (aufgrund einer Prangerwirkung oder Stigmatisierung) schwerwiegende Folgen für die Persönlichkeitsentfaltung des Täters hat. In der Abwägung der Interessen des Opfers an der Verbreitung der Wahrheit über eine Tat und die Identität des Täters einerseits und dem Persönlichkeitsrecht des Täters andererseits wird das Gewicht der Meinungsfreiheit des Opfers verstärkt, wenn die von ihm geschilderte Tat eine die Öffentlichkeit bzw. den Adressatenkreis des Opferberichts wesentlich berührende Frage ist und ein Interesse der Gesellschaft daran besteht, aus der Opferperspektive über die Tat informiert zu werden1.

Derartige Äußerungen können die Vorgeschichte der Tat, die Tat selbst sowie das Nachtatverhalten des Täters gegenüber dem Opfer betreffen und sind dabei einer gemeinsamen rechtlichen Beurteilung zu unterziehen.
Die Äußerungen greifen in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Täters ein. Nicht betroffen ist allerdings die absolut geschützte Intimsphäre des Täters.
In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts ist anerkannt, dass die Begehung einer Sexualstraftat nicht zur Intimsphäre des Täters zählt2. Es ist sehr zweifelhaft, ob ein sexuell grenzüberschreitendes (d.h. die Intimsphäre eines anderen verletzendes), aber nicht strafbares Verhalten unter den absoluten Schutz der Intimsphäre des Handelnden fällt, wie das Oberlandesgericht Frankfurt am Main meint. Dies kann aber dahinstehen, da die hier zu unterstellende Tat des Täters auch schon im Zeitpunkt ihrer Begehung (2015) strafbar war. Einschlägig ist hier der Straftatbestand des sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen gem. § 179 StGB in der bis 9.11.2016 gültigen Fassung vom 27.12.2003. Nach § 179 Abs. 1 Nr. 1 StGB a.F. macht sich strafbar, wer eine andere Person, die wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung zum Widerstand unfähig ist, dadurch missbraucht, dass er unter Ausnutzung der Widerstandsunfähigkeit sexuelle Handlungen an ihr vornimmt. Eine Qualifikation mit einer Strafandrohung von Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren stellt es gemäß § 179 Abs. 5 Nr. 1 StGB a.F. dar, wenn der Täter dabei mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder ähnliche sexuelle Handlungen an ihm vornimmt, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs handelt es sich bei Schlaf um eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung i.S.d. § 179 Abs.1 Nr. 1 StGB a.F.3. Dabei reicht es für die Vollendung dieses Tatbestands aus, dass der Täter mit einer sexuellen Handlung am Körper des widerstandsunfähigen Opfers beginnt, auch wenn dieses infolge der sexuellen Handlung aufwacht4.
Die Äußerungen greifen aber deshalb in das Recht des Täters auf Schutz seiner Persönlichkeit und seines guten Rufs und in seine persönliche Ehre ein, weil sie sein Fehlverhalten öffentlich bekannt machen und seine Person in den Augen der Adressaten negativ qualifizieren5. Das gilt auch für die Äußerung über die Entschuldigung des Täters, weil sich diese auf das Fehlverhalten bezieht und es bestätigt.
Der Eingriff muss allerdings auch rechtswidrig sein.
Über die Unterlassungsanträge ist aufgrund einer Abwägung des Rechts des Täters auf Schutz seiner Persönlichkeit und seines guten Rufs aus Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK mit dem in Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK verankerten Recht des Opfers auf Meinungsfreiheit sowie mit ihrem durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit zu entscheiden. Wegen der Eigenart des Persönlichkeitsrechts als eines Rahmenrechts liegt seine Reichweite nicht absolut fest, sondern muss erst durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden, bei der die besonderen Umstände des Einzelfalls sowie die betroffenen Grundrechte und Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention interpretationsleitend zu berücksichtigen sind. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt6.
Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit ist in die Abwägung aufseiten des Opfers trotz des Umstandes einzustellen, dass es sich bei ihren Äußerungen um Tatsachenbehauptungen handelt. Denn der Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG erstreckt sich auch auf die Äußerung von Tatsachen, soweit sie – wie zweifellos hier – Dritten zur Meinungsbildung dienen können7.
Bei ansehensbeeinträchtigenden Tatsachenbehauptungen wie im vorliegenden Fall wird die Abwägung zwischen den widerstreitenden Interessen ganz wesentlich vom Wahrheitsgehalt der Behauptungen bestimmt. Wahre Tatsachenbehauptungen müssen in der Regel hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen sind, unwahre dagegen nicht. Auch wahre Tatsachenbehauptungen sind indes nicht unbeschränkt zulässig. Vielmehr können sie rechtswidrig in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen eingreifen, wenn sie einen Persönlichkeitsschaden anzurichten drohen, der außer Verhältnis zu dem Interesse an der Verbreitung der Wahrheit steht8.
Die genannten Grundsätze gelten nicht nur für eine Berichterstattung über eine Straftat oder ein Fehlverhalten durch die Presse, sondern auch dann, wenn das Opfer selbst über ein solches Verhalten berichtet9. Allerdings kann das Äußerungsinteresse des Opfers einer Straftat höher zu veranschlagen sein als das Dritter oder der Medien, die identifizierend über Straftaten berichten10. Denn die Äußerung des Opfers über die erlittene Tat betrifft sein höchstpersönliches Lebensschicksal. Jede Person hat aber die Freiheit zu entscheiden, ob sie sich mit Erlebnissen dieser Art überhaupt an andere oder an die Öffentlichkeit wendet. Entschließt sie sich dazu, liegt in dem Verbot, das höchstpersönliche Schicksal zu schildern, regelmäßig eine einschneidende Beeinträchtigung der Kommunikationsmöglichkeiten und der Persönlichkeitsentfaltung11.
Sprechen gewichtige Gründe für eine identifizierende Tatschilderung seitens des Opfers, muss diese auch dann hingenommen werden, wenn sie (aufgrund einer Prangerwirkung oder Stigmatisierung) schwerwiegende Folgen für die Persönlichkeitsentfaltung des Täters hat12. In der Abwägung der Interessen des Opfers an der Verbreitung der Wahrheit über eine Tat und die Identität des Täters einerseits und dem Persönlichkeitsrecht des Täters andererseits wird das Gewicht der Meinungsfreiheit des Opfers verstärkt, wenn die von ihm geschilderte Tat eine die Öffentlichkeit bzw. den Adressatenkreis des Opferberichts wesentlich berührende Frage ist und ein Interesse der Gesellschaft daran besteht, aus der Opferperspektive über die Tat informiert zu werden13.
Für die den Täter identifizierende Berichterstattung der Presse über Straftaten ist im Übrigen anerkannt, dass derjenige, der den Rechtsfrieden bricht und durch seine Tat oder ihre Folgen Mitmenschen angreift oder verletzt, es dulden muss, dass das von ihm selbst erregte Informationsinteresse der Öffentlichkeit auf den dafür üblichen Wegen befriedigt wird. Dies schließt eine Identifizierung des Täters dann ein, wenn die damit verbundene Beeinträchtigung seines Persönlichkeitsrechts im angemessenen Verhältnis zur Schwere des Fehlverhaltens oder zu seiner sonstigen Bedeutung für die Öffentlichkeit steht; letztere kann sich unterhalb der Schwelle der Schwerkriminalität auch aus den Besonderheiten in der Person oder Stellung des Täters, der Art der Tat oder des Tathergangs ergeben14.
Das Opfer einer Straftat, das sich entschließt, sich mit einer wahrheitsgemäßen Schilderung der Tat unter Identifizierung des Täters an die Öffentlichkeit zu wenden, kann im Hinblick auf sein Grundrecht auf Meinungsfreiheit insoweit jedenfalls keinen strengeren Beschränkungen als die Presse unterliegen. Sein Äußerungsinteresse kann vielmehr, wie dargelegt, höher zu veranschlagen sein als das Berichterstattungsinteresse der Medien10.
Nach diesen Grundsätzen hielt in dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall die Beurteilung des in der Vorinstanz tätigen Oberlandesgerichts Frankfurt am Main15, in der Abwägung überwögen die Interessen des Täters selbst bei Wahrunterstellung des Vortrags des Opfers über den Vorfall diejenigen des Opfers, rechtlicher Überprüfung nicht stand. Zwar sind die Folgen der streitgegenständlichen Äußerungen für den Täter schwerwiegend. Der Vorwurf, mit einer schlafenden Frau den Geschlechtsverkehr vollzogen zu haben, hat, wie dargelegt, ein strafbares Verhalten (Verbrechen) zum Gegenstand. Er wiegt umso schwerer, wenn dies gegen den zuvor geäußerten Willen der Frau geschehen ist. Der Vorwurf ist geeignet, den aufgrund der Namensnennung identifizierbaren Täter in der (berufsbezogenen) Facebookgruppe mit immerhin knapp 600 Teilnehmern zu stigmatisieren und sein Ansehen als erfolgreicher Künstler und als Veranstalter erheblich zu beschädigen. Auch in seiner Tätigkeit an einem Gymnasium droht ihm ein empfindlicher Vertrauensverlust, sollten die Behauptungen über die Facebookgruppe hinaus verbreitet werden.
Andererseits ist es der Täter, der – bei Wahrunterstellung der Behauptungen des Opfers – den Rechtsfrieden gebrochen und die Intimsphäre und das sexuelle Selbstbestimmungsrecht des Opfers erheblich verletzt hat. Sein Interesse daran, dass diese seine Tat für sich behalten oder jedenfalls nicht in die Öffentlichkeit der Facebookgruppe tragen werde, überwiegt die schutzwürdigen Interessen des Opfers nicht. Das durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützte Recht des Opfers, sich mit ihrem persönlichen Erlebnis an die – ohnehin begrenzte – Öffentlichkeit der beruflichen Kollegen in der Facebookgruppe zu wenden, ist aufgrund ihrer Opferstellung höher zu veranschlagen als wenn es sich um die Berichterstattung eines Dritten über ein fremdes Schicksal handelte. Dafür, dass sie dies tun und dabei den Täter als Täter identifizieren durfte, sprechen gewichtige Gründe. Denn das Interesse der berufsbezogenen Facebookgruppe, über Tat und Täter informiert zu werden, ist auch unabhängig von der in dieser Gruppe geführten Debatte über sexuell grenzüberschreitendes Verhalten in der Szene schon aufgrund des unmittelbaren Bezugs von Tat und Täter zu dieser Szene als hoch einzustufen: Die Straftat wurde nach einer Szene-Veranstaltung von einem erfolgreichen und preisgekrönten Künstler und -Veranstalter begangen. Sie wurde durch die Unterbringung der Teilnehmer der Veranstaltung in einem Mehrbettzimmer begünstigt. Die Tat steht in einem greifbaren Widerspruch zu der Vorbildfunktion, die der Täter aufgrund seiner hervorgehobenen Stellung in der Szene hatte. Schon wegen der so gearteten Einbindung von Tat und Täter in die Szene ist ein Bedürfnis der vom Opfer angesprochenen Facebookgruppe an der Darstellung und Aufarbeitung dieses Geschehens in der Gruppe ersichtlich.
Diesem ohnehin schon als hoch einzustufenden Informationsinteresse ist im Hinblick auf die in der Facebookgruppe seit 2018 geführte Debatte, im Rahmen derer das Opfer ihr Erlebnis zeitlich nach den Schilderungen anderer Frauen und dem Beitrag des Täters gepostet hat, zusätzliches Gewicht beizumessen. Dies gilt entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts Frankfurt unabhängig davon, ob die von anderen Frauen im Rahmen dieser Debatte geschilderten Vorfälle durch die Ausnutzung einer Zwangslage oder durch einen strukturellen Machtmissbrauch gekennzeichnet waren und ob dies nach dem Aussagegehalt der streitgegenständlichen Äußerungen des Opfers auch bei der Tat des Täters der Fall war. Denn in der Debatte ging es jedenfalls um sexuell grenzüberschreitende Verhaltensweisen von Personen der einschlägigen Kunst-Szene und die Aufforderung, hierüber zu reflektieren. So thematisierte der Post von X. nicht nur das sexistische Verhalten eines der Künstler auf und hinter der Bühne, sondern rief auch dazu auf, darüber nachzudenken, wie innerhalb der Szene mit Sexismus umgegangen werden solle, wie der Nachwuchs geschützt werden und wie man sich um mehr Respekt gegenüber den persönlichen Grenzen der Mitmenschen bemühen könne. In diese allgemeine Richtung – Verletzung der Grenzen der sexuellen Selbstbestimmung eines anderen und Austausch hierüber – zielte ausweislich seines Posts auch der Täter, der dafür plädierte, dass jeder für sich selbst überprüfen müsse, „an welcher Stelle er oder sie sich falsch verhalten“ habe, der das Ergebnis seiner eigenen Überprüfung mitteilte, diejenigen, die sich durch ihn verletzt fühlten, aufforderte, das (private) Gespräch mit ihm zu suchen, und seiner Hoffnung Ausdruck verlieh, „dass wir auf diesem Weg weitermachen, gemeinsam, nicht gespalten, aufarbeiten, versuchen entstandene Verletzungen zu heilen und dass wir uns in Zukunft alle auch in dieser Hinsicht wohler fühlen können.“ Y. schilderte sodann in ihrem Post unteranderem einen Vorfall, bei dem ein Veranstalter den Geschlechtsverkehr mit ihr vollzogen habe, als sie geschlafen habe. Als Reaktion auf eben diesen Post erfolgten die Äußerungen des Opfers mit der Schilderung einer Situation, die aus ihrer Sicht „nahezu identisch“ gewesen sei, was jedenfalls hinsichtlich des Kerns des äußeren Geschehensablaufs zutrifft.
Der Post des Opfers fügte sich damit zweifellos in das Thema „sexuell grenzüberschreitendes Verhalten innerhalb der einschlägigen Kunst-Szene“ ein. Auch wenn die in der Debatte bis dahin geschilderten konkreten Vorfälle solche mit Ausnutzung einer Zwangslage oder Machtmissbrauch gewesen sein sollten und nur sie die typischen Merkmale eines „MeToo-Vorwurfs“ erfüllen sollten, luden schon der Post von X. , aber auch der Post des Täters selbst zu einem darüber hinausgehenden Austausch ein. Selbst wenn es an einer solchen Einladung gefehlt hätte und es erst das Opfer gewesen wäre, die mit ihrem Post das Thema von grenzüberschreitendem Verhalten mit Machtmissbrauch auf ein solches ohne Machtmissbrauch erweitert hätte, änderte dies nichts daran, dass nicht nur ihr als Opfer eines sexuellen Übergriffs innerhalb der Szene ein gewichtiges Äußerungsinteresse innerhalb der Facebookgruppe zuzugestehen ist, sondern dass dieses – auch und gerade aufgrund des offenbaren Zusammenhangs mit dem Thema der bis dahin geführten Debatte – von einem berechtigten und gewichtigen Interesse der Facebookgruppe an der Information über Tat und Täter flankiert wird.
In der Abwägung ist zugunsten des Opfers weiter zu berücksichtigen, dass sie ausweislich ihres Posts nicht nur für sich selbst den Zeitpunkt gekommen sah, die „Dinge auf den Tisch zu bringen“, sondern auch hoffte, „dass sich auch andere Betroffene trauen, das zu tun“, sie seien „nicht allein“. Ihr Post war damit geeignet, gesellschaftlicher Tabuisierung sexueller Übergriffe entgegenzuwirken und andere Betroffene zu eigenen Äußerungen und Handlungen zu ermutigen16.
Weiter hat sich das Opfer nicht kommentarlos auf die Mitteilung des tatbestandsmäßigen Kerngeschehens des sexuellen Missbrauchs einer schlafenden Person beschränkt, sondern auch ihre eigene Rolle in dem Geschehen offengelegt (Einverständnis, das Einzelbett mit dem Täter zu teilen, Geschehenlassen nach dem Aufwachen) und sich damit kritisch auseinandersetzt („dumme Idee“, „irrwitzigen Gedanken“). Sie hat ergänzt, dass sie sich durch den Vorfall nicht traumatisiert sehe, ferner, dass der Täter von sich aus das Gespräch gesucht und sich bei ihr für den Vorfall entschuldigt und ihre Sicht der Dinge erfragt habe. Damit hat sie Umstände aufgezeigt, die geeignet sind, sich mildernd auf die Ansehensminderung des Täters auswirken.
Ob der Zeitablauf zwischen dem Geschehen und der Veröffentlichung desselben in die Abwägung auch dann einzubeziehen ist, wenn es nicht um eine Presseberichterstattung17, sondern um den Bericht des Opfers selbst geht, kann hier dahinstehen. Denn seit dem Aufflammen der Debatte über sexuelle Übergriffe in der einschlägigen Kunst-Szene im Jahr 2018 gab es jedenfalls einen aktuellen Anlass für die öffentliche Aufarbeitung diesbezüglicher Ereignisse aus der Vergangenheit. Wie auch das Oberlandesgericht Frankfurt am Main grundsätzlich einräumt, ist ein Bedürfnis der Opfer anzuerkennen, das Erlebte auch nach Jahren aufzuarbeiten und sich hierzu zu äußern.
Nicht zuletzt ist in der Abwägung zu berücksichtigen, dass der Täter sich selbst in die Debatte eingeschaltet und erklärt hat, er habe sich nie wissentlich über ein „Nein“ oder ein „Stopp“ hinweggesetzt, und zu verstehen gegeben hat, dass er auf grenzüberschreitendes Verhalten (in privaten Gesprächen) hingewiesen werden wolle. Angesichts der hier als wahr zu unterstellenden Straftat musste er mit einer Reaktion seines Opfers rechnen, auch damit, dass sich dessen Reaktion nicht auf ein privates Gespräch beschränken und sein Ansehen in der Facebookgruppe mindern würde. Zugleich gab ihm der Post des Opfers die Möglichkeit, hierauf zu antworten und seine Sicht der Dinge darzustellen. Da die Äußerungen des Opfers in einer geschlossenen Facebookgruppe erfolgten und sich ihr unmittelbarer Wirkungsgrad auf diese beschränkte, bestanden für den Täter gute Chancen, dass eine Reaktion seinerseits von den Mitgliedern der Facebookgruppe zur Kenntnis genommen werden würde.
Auch die Äußerungen „Ich weiß, dass er wohl mehrere angerufen hat. Und sich wohl behandeln lässt“ verletzen den Täter nicht in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht.
Diese Äußerungen sind in dem Kontext des Posts dahingehend zu verstehen, dass der Täter sein Verhalten nicht nur gegenüber ihr, sondern auch gegenüber anderen Personen hinterfragt und als möglicherweise grenzüberschreitend erkannt und deswegen diese Personen angerufen haben soll; ferner, dass er sich wegen seines grenzüberschreitenden Verhaltens ihr gegenüber und möglicherweise auch gegenüber anderen Personen in Behandlung begeben hat. Trotz der Einleitung „ich weiß“ wird durch den Zusatz „wohl“ und durch den weiteren Satz „Ich weiß auch nicht, ob dem tatsächlich so ist“ deutlich, dass sie hierzu (naturgemäß) keine Erkenntnisse aus eigener Wahrnehmung, sondern nur vom Hörensagen hat.
Ein Anspruch auf Unterlassung der Äußerung „Ich weiß, dass er wohl mehrere angerufen hat“ scheitert an der Selbstöffnung des Täters.
In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass der Schutz der Privatsphäre vor öffentlicher Kenntnisnahme dort entfallen kann, wo sich der Betroffene selbst damit einverstanden gezeigt hat, dass bestimmte, gewöhnlich als privat geltende Angelegenheiten öffentlich gemacht werden; die Erwartung, dass die Umwelt die Angelegenheiten oder Verhaltensweisen in einem Bereich mit Rückzugsfunktion nur begrenzt oder nicht zur Kenntnis nimmt, muss situationsübergreifend und konsistent zum Ausdruck gebracht werden18.
Ein solcher Fall der Selbstöffnung liegt hier vor. Nach dem Post des Täters hat dieser selbst zuvor öffentlich gemacht, er habe „vor ein paar Jahren angefangen, zu überprüfen, an welchen Stellen“ er sich „falsch verhalten habe, und begonnen aufzuarbeiten, zu verstehen, was schiefgelaufen“ sei, und „es abgestellt“. Er bitte diejenigen, die ihn „in grenzüberschreitender Weise empfunden“ hätten und mit denen es noch nicht zu einem Gespräch gekommen sei, sich bei ihm privat zu melden, damit sie „offen darüber reden“ könnten. Dies impliziert, dass der Täter bereits Gespräche mit Personen über möglicherweise grenzüberschreitendes Verhalten seinerseits geführt hat. Mit dem weiteren Satz: „Ich bin nie wissentlich über ein ‚Nein‘ oder ‚Stopp‘ oder ähnliches hinweggegangen, ich habe aber sicher ein paar Situationen und ganz allgemein Nähe auf der eigenen Suche nach Nähe und Zuneigung falsch eingeschätzt und war zu sehr im eigenen Tunnel, um richtig wahrzunehmen und klar zu sehen“ hat der Täter Fehlverhalten jedenfalls in Ansätzen eingeräumt. Da die Äußerung des Opfers, der Täter habe „wohl mehrere angerufen“ auch in dem Kontext, in dem sie gefallen ist, keinerlei Aussage dazu trifft, welche Qualität das von ihm selbst als problematisch erkannte Verhalten gegenüber anderen Personen hatte, geht sie insoweit über den Aussagegehalt des Posts des Täters nicht hinaus.
Die Äußerung „Und er sich wohl behandeln lässt“, greift in das Recht des Täters auf Achtung der Privatsphäre ein. Der Eingriff ist aber nicht rechtswidrig.
Das durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht gemäß Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleistete19 Recht auf Achtung der Privatsphäre gesteht jedermann einen autonomen Bereich der eigenen Lebensgestaltung zu, in dem er seine Individualität unter Ausschluss anderer entwickeln und wahrnehmen kann. Dazu gehört auch das Recht, für sich zu sein, sich selbst zu gehören und den Einblick durch andere auszuschließen. Thematisch umfasst der Schutz der Privatsphäre insbesondere Angelegenheiten, die wegen ihres Informationsgehalts typischerweise als „privat“ eingestuft werden, etwa weil ihre öffentliche Erörterung oder Zurschaustellung als unschicklich gilt, das Bekanntwerden als peinlich empfunden wird oder nachteilige Reaktionen der Umwelt auslöst20. Dies ist bei einer Information darüber, dass sich eine namentlich benannte Person wegen ihres sexuell grenzüberschreitenden Verhaltens in Behandlung begeben habe, ohne Weiteres der Fall. Betroffen ist insoweit der innere Bereich der Privatsphäre21.
Nicht berührt ist dagegen die absolut geschützte Intimsphäre des Täters. Wie oben ausgeführt, zählt die Begehung einer Sexualstraftat nicht zur Intimsphäre des Täters. Dies gilt auch für die weiteren Umstände der Tat, etwa die Beziehung des Täters zu seinem Opfer22, sowie für sonstige Gesichtspunkte, die einen unmittelbaren Bezug zu der Sexualstraftat aufweisen23. Da die Mitteilung des Opfers, der Täter habe sich nach der von ihr geschilderten Sexualstraftat wegen seines von ihm selbst als problematisch erkannten Verhaltens in Behandlung begeben, einen unmittelbaren Bezug zu der Tat aufweist, greift sie nicht in die Intimsphäre des Täters ein.
Der Eingriff in die innere Privatsphäre des Täters ist nicht rechtswidrig. Das Schutzinteresse des Täters überwiegt das durch Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 Abs. 1 EMRK geschützte Recht auf Meinungsfreiheit des Opfers nicht.
Auch hier ist das durch Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleistete Interesse des Täters am Schutz seines Persönlichkeitsrechts mit dem in Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 Abs. 1 EMRK verankerten Recht des Opfers auf Meinungsfreiheit abzuwägen. Da die Äußerung die Privatsphäre betrifft, ist von entscheidender Bedeutung, ob sie sich durch ein berechtigtes Informationsinteresse rechtfertigen lässt24.
Dies ist hier der Fall. Zwar haben konkrete Informationen über den (körperlichen oder geistigen) Gesundheitszustand einer anderen Person in der Öffentlichkeit regelmäßig nichts zu suchen25. Dasselbe gilt grundsätzlich für Äußerungen darüber, dass und weshalb sich eine andere Person ärztlich oder therapeutisch behandeln lässt. Der hier zu beurteilende Einzelfall weist aber die Besonderheit auf, dass die Information darüber, dass sich der Täter wegen seines sexuell grenzüberschreitenden Verhaltens behandeln lasse, im unmittelbaren Zusammenhang mit der Straftat des Täters steht, über die das Opfer berichtet hat und berichten durfte. Sie enthält weitere Aspekte der Opferperspektive auf das Geschehen und rundet den Opferbericht ab. So trägt es zur Glaubhaftigkeit der Tatschilderung des Opfers bei, wenn der Täter sein Verhalten im Nachhinein als problematisch und sich selbst deshalb als behandlungsbedürftig erkannt hat. Zudem kann der Umstand, dass der Täter sein Verhalten nunmehr hinterfragt und professionelle Hilfe in Anspruch nimmt, diesen in einem günstigeren Licht erscheinen lassen. Die Information, die das Opfer ihrem Post zufolge nicht „vorenthalten“ wollte und die somit auch aus ihrer Sicht als Opfer erwähnenswert erscheint, vervollständigt den Bericht hinsichtlich der Konsequenzen, die der Täter bislang aus seiner Tat gezogen hat. Daran hat die (berufsbezogene) Facebookgruppe ein ebenso berechtigtes Interesse wie an der Mitteilung der Tat selbst. Zugleich ist die Information geeignet, die Intensität des Eingriffs in die Ehre des Täters, die aus der – berechtigten – Schilderung der Straftat resultiert, abzumildern. Da Art und Inhalt der Behandlung nicht mitgeteilt werden, die Äußerung insoweit also substanzarm bleibt, wiegt zudem der Eingriff in das Recht auf Achtung der Privatsphäre nicht besonders schwer. Unter diesen besonderen Umständen ist somit auch die – hier als wahr zu unterstellende – Behauptung, der Täter lasse sich behandeln, zulässig.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 17. Oktober 2023 – VI ZR 192/22
- vgl. BVerfGE 97, 391, 406 f. 53, 57[↩]
- BGH, Urteile vom 16.02.2016 – VI ZR 367/15, NJW-RR 2017, 31 Rn. 17; vom 17.12.2013 – VI ZR 211/12, BGHZ 199, 237 Rn. 17; vom 19.03.2013 – VI ZR 93/12, AfP 2013, 250 Rn. 21 ff. mwN; BVerfG, AfP 2009, 365 Rn. 26[↩]
- BGH, Urteile vom 24.09.1991 – 5 StR 364/91, BGHSt 38, 68, 71 12; vom 21.03.2013 – 1 StR 108/13 juris, mwN[↩]
- BGH, Urteil vom 24.09.1991 – 5 StR 364/91, BGHSt 38, 68, 71 12[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 18.06.2019 – VI ZR 80/18, BGHZ 222, 196 Rn.19 mwN; vom 16.02.2016 – VI ZR 367/15, NJW-RR 2017, 31 Rn. 17[↩]
- st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 16.02.2016 – VI ZR 367/15, NJW-RR 2017, 31 Rn. 18 mwN[↩]
- st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteile vom 22.11.2011 – VI ZR 26/11, AfP 2012, 53 Rn. 14; vom 03.02.2009 – VI ZR 36/07, VersR 2009, 555 Rn. 11; vom 22.04.2008 – VI ZR 83/07, BGHZ 176, 175 Rn. 16; jeweils mwN; BVerfGE 99, 185, 197 52 f.[↩]
- st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 18.06.2019 – VI ZR 80/18, BGHZ 222, 196 Rn. 21 mwN[↩]
- vgl. BVerfGE 97, 391, 405 49[↩]
- BVerfGE 97, 391, 403 44[↩][↩]
- vgl. BVerfGE 97, 391, 402 41[↩]
- vgl. BVerfGE 97, 391, 406 53[↩]
- vgl. BVerfGE 97, 391, 407 57[↩]
- vgl. nur BGH, Urteil vom 18.06.2019 – VI ZR 80/18, BGHZ 222, 196 Rn. 22 mwN[↩]
- OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 09.06.2022 – 16 U 281/20[↩]
- vgl. zu diesem Gesichtspunkt auch BVerfGE 97, 391, 407 56[↩]
- vgl. hierzu nur BGH, Urteil vom 18.06.2019 – VI ZR 80/18, BGHZ 222, 196 Rn. 22 mwN[↩]
- vgl. nur BGH, Urteil vom 14.12.2021 – VI ZR 403/19, VersR 2022, 449 Rn. 16 mwN[↩]
- vgl. nur BGH, Urteile vom 10.11.2020 – VI ZR 62/17, AfP 2021, 32 Rn. 15; vom 26.11.2019 – VI ZR 12/19, AfP 2020, 149 Rn. 13[↩]
- vgl. nur BGH, Urteil vom 14.12.2021 – VI ZR 403/19, VersR 2022, 449 Rn. 14 mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 14.12.2021 – VI ZR 403/19, VersR 2022, 449 Rn. 13[↩]
- BVerfG, AfP 2009, 365 Rn. 26[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 19.03.2013 – VI ZR 93/12, AfP 2013, 250 Rn. 15, 24 f.[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 14.12.2021 – VI ZR 403/19, VersR 2022, 449 Rn.19; vom 10.11.2020 – VI ZR 62/17, AfP 2021, 32 Rn. 22; vom 29.11.2016 – VI ZR 382/15, NJW 2017, 1550 Rn. 16; BVerfG, BVerfGE 99, 185, 196 f.[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 14.03.2023 – VI ZR 338/21, NJW 2023, 2479 Rn. 41[↩]
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