Sittenwidrige Schädigung in einem Dieselfall – und die fehlende Rückrufanordnung des KBA

Ist ein Fahrzeug von keiner Rückrufanordnung des Kraftfahrtbundesamtes betroffen und ist auch sonst nicht erkennbar, dass wegen Einschränkung der Abgasreinigung derzeit oder zukünftig Betriebsbeschränkungen drohen, liegt kein Schaden i.S. d. § 826 BGB vor. 

Sittenwidrige Schädigung in einem Dieselfall – und die fehlende Rückrufanordnung des KBA

Ein Anspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung aus § 826 BGB besteht in diesem Fall nicht. Die Autoherstellerin hat den (Gebrauchtwagen-)Käufer nicht vorsätzlich sittenwidrig geschädigt; dem Autokäufer ist kein Schaden entstanden.

Das Fahrzeug des Autokäufers ist von einer Rückrufanordnung des Kraftfahrtbundesamtes nicht betroffen. Der Autokäufer ist deshalb nicht durch den Abschluss eines ungewollten Vertrages geschädigt. Ein Schaden kann zwar auch darin bestehen, dass jemand durch ein haftungsbegründendes Verhalten zum Abschluss eines Vertrages gebracht wird, den er sonst nicht geschlossen hätte. Zum Vermögensschaden kommt es dadurch, dass die Leistung für die Zwecke des Autokäufers nicht brauchbar ist. Die Bejahung eines Vermögensschadens setzt aber voraus, dass die durch den unerwünschten Vertrag erlangte Leistung nicht aus rein subjektiv willkürlicher Sicht als Schaden angesehen wird, sondern dass auch die Verkehrsanschauung bei Berücksichtigung der obwaltenden Umstände den Vertragsschluss als unvernünftig, den konkreten Vermögensinteressen nicht angemessen und damit als nachteilig ansieht1. Dieser Argumentation liegt der Erfahrungssatz zugrunde, dass nach der allgemeinen Lebenserfahrung und der Art des zu beurteilenden Geschäfts auszuschließen ist, dass ein Käufer ein Fahrzeug erwirbt, dem eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung droht und bei dem im Zeitpunkt des Erwerbs in keiner Weise absehbar ist, ob dieses Problem behoben werden kann2.

Die Gebrauchsuntersagung oder sonstige Betriebsbeschränkung droht dem klägerischen Fahrzeug aber nicht. Der Autokäufer hat in seiner persönlichen Anhörung durch das Landgericht auch angegeben, dass er die Klage rechtswahrend erhoben hat, für den Fall, dass ihm finanzielle oder rechtliche Nachteile in irgendeiner Form aufgrund der Funktionsweise des Motors drohen. Es ist damit gar nicht erkennbar, dass dem Autokäufer wegen der Einschränkung der Abgasreinigung derzeit oder zukünftig Betriebsbeschränkungen drohen.

Wenn ein Autohersteller vor Vertragsschluss offenlegt, dass zum Motorschutz und zur Reduzierung von Versottung durch erhöhte Kondensation bei bestimmten Temperaturen diese Abgasrückführung reduziert werde, so schließt dies nicht praktisch aus, dass Käufer das Auto erwerben, es sei denn, sie dürften deswegen mit dem Fahrzeug nicht fahren. Denn die Reduzierung von Belastungen für den Motor hätte für die Käufer erhebliche Vorteile. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung legten in der Vergangenheit die meisten Autokäufer großen Wert auf Aussehen, Sparsamkeit, Sicherheit, Komfort, Langlebigkeit und Leistungsfähigkeit ihrer Fahrzeuge. Das Emissionsverhalten spielt dagegen erfahrungsgemäß – im Gegensatz zum Kraftstoffverbrauch – nur eine eher geringe Rolle. Hätte dieses im Regelfall im Mittelpunkt des Interesses der Autokäufer gestanden, so wären in der Vergangenheit in erster Linie emissionsarme Kleinwagen verkauft worden, nicht dagegen schwere Fahrzeuge wie der vom Autokäufer erworbene Kleinbus oder SUV. Es besteht deshalb kein Erfahrungssatz, wonach auszuschließen ist, dass ein Käufer auch bei Kenntnis der negativen Emissionseigenschaften des Motors dieses Fahrzeug erwerben würde.

Der Autokäufer behauptet zwar, die Umweltfreundlichkeit seines Fahrzeugs sei für ihn ein Kaufargument gewesen. Von welchen konkreten Werten gerade im Bereich des Stickoxidausstoßes er hierbei ausgegangen ist, trägt er aber nicht vor. Es ist zudem nicht vorgetragen, dass das Auto für eines dieser Klasse nicht insgesamt umweltfreundlich ist, dass es also keinen geringen Verbrauch und auch im Vergleich zu anderen Kleintransportern keine geringen Schadstoffemissionen aufweist und damit den Wünschen und Vorstellungen des Autokäufers widerspricht. Deshalb ist auch nicht auszuschließen, dass er das Auto auch bei Kenntnis der Eigenschaften der Motorsteuerung gekauft hätte.

Selbst wenn ein Schaden vorläge, fehlten weitere Voraussetzungen für einen Anspruch aus § 826 BGB.

Es fehlt an den objektiven und subjektiven Voraussetzungen des Sittenwidrigkeitsvorwurfs. Die Begründung des angefochtenen Urteils ist richtig.

Allein der Umstand, dass eine – unterstellt – unzulässige Abschalteinrichtung in Form eines Thermofensters in einem Dieselfahrzeug verbaut ist, reicht auch unter Berücksichtigung einer damit verbundenen Gewinnerzielungsabsicht des Herstellers nicht aus, um den Vorwurf der Sittenwidrigkeit zu rechtfertigen. Hierfür bedarf es vielmehr weiterer Umstände, wie zum Beispiel unzutreffenden Angaben des Herstellers über die Arbeitsweise des Abgasrückführungssystems im Genehmigungsverfahren3.

Dass die Autoherstellerin im Rahmen des Typengenehmigungsverfahrens gegenüber dem Kraftfahrtbundesamt unzutreffende Angaben gemacht hat, kann das Oberlandesgericht nicht feststellen.

Die Autoherstellerin legt dar, welche Erklärungen sie im Rahmen des Typengenehmigungsverfahrens gegenüber dem KBA abgegeben hat. In der Beschreibung des Systems heißt es, dass die AGR-Menge durch den Parameter Lufttemperatur gesteuert werde. Weitere Angaben sind nach dem Vorbringen der Autoherstellerin, das vom Autokäufer nicht bestritten worden ist, nicht gemacht worden. Diese Angabe der Autoherstellerin im Typengenehmigungsverfahren war richtig. Das Oberlandesgericht hat auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei diesen Angaben nicht wie von der Autoherstellerin vorgetragen um die in der Verwaltungspraxis vom KBA erwarteten und auch üblichen Angaben handelt. Die Autoherstellerin hat die Temperaturabhängigkeit der Steuerung ihrer Emissionskontrollsysteme mithin nicht pflichtwidrig verheimlicht, es ist nicht erkennbar, worin konkret eine Täuschungshandlung der Autoherstellerin gegenüber dem Kraftfahrtbundesamt liegen soll.

Dass weitergehende, gegebenenfalls falsche Angaben gegenüber dem KBA gemacht worden sind, kann das Oberlandesgericht ebenfalls nicht feststellen. Der Autokäufer trägt den Inhalt solcher Erklärungen nicht vor. Eine sekundäre Darlegungslast der Autoherstellerin kommt dem Autokäufer im jetzigen Verfahrensstadium nicht zugute. Denn die Autoherstellerin hat dargelegt, was sie gegenüber dem KBA im Genehmigungsverfahren erklärt hat.

Die Anspruchsgegnerin trifft die sekundäre Darlegungslast zudem nur dann, wenn die darlegungsbelastete Partei außerhalb des von ihr darzulegenden Geschehensablaufs steht und keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Tatsachen hat, während der Gegner alle wesentlichen Tatsachen kennt und ihm detaillierte Angaben zuzumuten sind. Genügt der Anspruchsgegner seiner sekundären Darlegungslast nicht, gilt die Behauptung des Anspruchsstellers nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden4. Erforderlich ist dabei, dass der Anspruchsteller ausreichende Anhaltspunkte dafür vorträgt, dass eine sittenwidrige Handlung vorlag5.

Auch daran fehlt es hier. Allein der Umstand, dass die Abgasrückführung temperaturgesteuert ist und damit die Emissionswerte im realen Betrieb höher als im Testbetrieb sind, bietet keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Zulassungsbehörde vorsätzlich getäuscht wurde. Inwieweit derartige Temperatursteuerungen rechtlich zulässig waren, war bis zur Entscheidung des EuGH6 umstritten und ungeklärt. Es ist deshalb zweifelhaft, ob überhaupt Veranlassung für die Autoherstellerin bestanden hätte, zur Erlangung der Typengenehmigung gegenüber dem KBA weitergehende falsche Angaben zu machen. Ebenso gut konnte sie die tatsächliche Konfiguration – nämlich dass eine Temperatursteuerung der Abgasrückführung vorliegt – mitteilen und abwarten, ob das KBA diese für zulässig halten oder weitere Angaben verlangen würde.

Die oben genannten Erwägungen zum Schaden sprechen ebenfalls dagegen, das Verhalten der Autoherstellerin als sittenwidrig zu werten. Wenn die Autoherstellerin davon ausging, dass die von ihr gestaltete Motorkonfiguration rechtmäßig sein konnte, und sie annahm, dass diese Vorteile für die Wartungsfreiheit und Haltbarkeit des Motors mit sich brachte, dann war es nicht verwerflich, diese auf den Markt zu bringen. Schließlich wollte sie ihren Kunden damit das zur Verfügung stellen, was diese nach der allgemeinen Lebenserfahrung in erster Linie bei ihren Fahrzeugen wünschten. Legitimen Kundenwünschen nachzukommen, verstößt nicht gegen Anstandsgefühle und ist deshalb regelmäßig nicht sittenwidrig.

Der Schadensersatzanspruch kann auch nicht auf § 831 BGB wegen einer vorsätzlichen sittenwidrige Schädigung durch einen Verrichtungsgehilfen der Autoherstellerin gestützt werden. Welcher Verrichtungsgehilfe der Autoherstellerin den Autokäufer geschädigt hat, trägt er nicht vor. Aus den oben genannten Gründen fehlt es auch am Tatbestand einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung.

Ein Anspruch ergibt sich nicht aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder Art. 5 VO 715/2007/EG wegen der Verletzung von Schutzgesetzen. Der Autokäufer stützt seinen Schadensersatzanspruch darauf, dass er von der Autoherstellerin zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst worden sei. Das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, liegt aber im Aufgabenbereich weder des § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV noch des Art. 5 VO 715/2007/EG7.

Schleswig -Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 19. August 2021 – 11 U 31/20

  1. vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 46[]
  2. BGH a.a.O. Rn. 50[]
  3. vgl. BGH VI ZR 433/19 Rn.19, 23; Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, 7 U 68/20 Rn. 68; OLG Hamm 34 U 97/20 Rn. 40; Brandenburgisches OLG, 11 U 113/20 Beschluss vom 24.03.2021, Rn. 6[]
  4. vgl. BGH VI ZR 505/19, Rn. 27[]
  5. vgl. BGH V ZR 244/17, Rn. 47[]
  6. Urteil vom 17.12.2020 – C-693/18[]
  7. vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 5/20[]

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