Die Ersatzorganisation ist ein Personenzusammenschluss, der an Stelle der verbotenen Vereinigung deren verfassungswidrige Nah, Teil- oder Endziele ganz oder teilweise, kürzere oder längere Zeit, örtlich oder überörtlich, offen oder verhüllt weiterverfolgt oder weiterverfolgen will. Sie muss davon geprägt sein, die Ziele der verbotenen Vereinigung weiterzuverfolgen. Der in § 8 Abs. 1 VereinsG enthaltene Begriff der Organisation ist erfüllt, wenn sich innerhalb des Bundesgebiets mehrere Personen zur Verfolgung gemeinsamer verfassungsfeindlicher Ziele im Sinne von Art. 9 Abs. 2 GG auf eine gewisse Dauer zusammengeschlossen haben oder mit ihrem Willen zusammengeschlossen worden sind. Die Organisation kann lockerer gefügt sein als eine Vereinigung oder ein Verein.

Die Bildung einer Ersatzorganisation (§ 8 Abs. 1 Alt. 1 VereinsG) liegt vor, wenn eine Organisation nach dem Zeitpunkt der äußeren Wirksamkeit des nach § 3 VereinsG ausgesprochenen Vereinsverbots gegründet wird und sie von ihrem Beginn an die verfassungswidrigen Bestrebungen im Sinne von Art. 9 Abs. 2 GG der verbotenen Vereinigung weiterverfolgt. § 8 Abs. 1 Alt. 2 VereinsG ist anzuwenden, wenn eine Organisation nach ihrer Gründung zunächst keine oder anderweitige, aus Sicht des Vereinsgesetzes unerhebliche Aktivitäten entfaltet hat und erst später die verfassungswidrigen Bestrebungen der verbotenen Vereinigung weiterverfolgt.
Nach § 8 Abs. 1 VereinsG ist es verboten, Organisationen zu bilden, die verfassungswidrige Bestrebungen (Art. 9 Abs. 2 GG) eines nach § 3 VereinsG verbotenen Vereins an dessen Stelle weiterverfolgen (Ersatzorganisationen) oder bestehende Organisationen als Ersatzorganisationen fortzuführen.
Dieser Bestimmung liegt ein weiter Organisationsbegriff zugrunde. Dies ergibt sich aus ihrem Wortlaut, der nicht auf § 2 VereinsG verweist, und – unter gesetzessystematischen Gesichtspunkten – aus § 8 Abs. 2 Satz 1 VereinsG, der eine ausdrückliche Feststellung auf Grund einer besonderen Verfügung nur in den Fällen verlangt, in denen die als Ersatzorganisation verbotene Organisation ein Verein im Sinne von § 2 Abs. 1 VereinsG ist. Vor allem aber lässt sich das Erfordernis eines weiten Organisationsbegriffs aus dem Sinn und Zweck der Regelung herleiten. Da es sich bei dem Verbot einer Vereinigung nach § 3 Abs. 1 VereinsG nicht nur um ein formales Verbot handelt, sondern der Vereinigung Aktivitäten und Aktionsmöglichkeiten in der Öffentlichkeit untersagt werden, widerspräche es dem Sinn und Zweck einer effektiven Gefahrenabwehr, wenn von der Erstreckung eines Vereinsverbots auf Ersatzorganisationen die Betätigungen solcher Organisationen nicht erfasst wären, die noch nicht als Verein im Sinne von § 2 VereinsG anzusehen sind und auf diese Weise das Verbot des Vereins unterlaufen könnten1. Eine Organisation ist daher gegeben, wenn sich innerhalb des Bundesgebiets mehrere Personen zur Verfolgung gemeinsamer verfassungsfeindlicher Ziele im Sinne von Art. 9 Abs. 2 GG auf eine gewisse Dauer zusammengeschlossen haben oder mit ihrem Willen zusammengeschlossen worden sind2. Sie kann hiernach lockerer gefügt sein als eine Vereinigung oder gar ein Verein3.
Die erste Alternative des § 8 Abs. 1 VereinsG – die Bildung einer Ersatzorganisation – kommt zur Anwendung, wenn eine Organisation nach dem Zeitpunkt der äußeren Wirksamkeit des nach § 3 VereinsG ausgesprochenen Vereinsverbots gegründet wird und sie von ihrem Beginn an die verfassungswidrigen Bestrebungen im Sinne von Art. 9 Abs. 2 GG der verbotenen Vereinigung weiterverfolgt. Demgegenüber sind die Merkmale der zweiten Alternative erfüllt, wenn eine Organisation nach ihrer Gründung zunächst keine oder anderweitige, aus Sicht des Vereinsgesetzes unerhebliche Aktivitäten entfaltet hat und erst später die verfassungswidrigen Bestrebungen der verbotenen Vereinigung weiterverfolgt. Diese Alternative erfasst vor allem diejenigen Fälle, in denen eine Organisation für den Fall des Verbots einer Vereinigung nach § 3 VereinsG von den Verantwortlichen der verbotenen Vereinigung „auf Vorrat“ gegründet oder von diesen unterwandert wird4.
Die Zuständigkeit des Bundesministeriums des Innern folgt aus § 8 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VereinsG. Danach ist das BMI Verbotsbehörde für Ersatzorganisationen, deren Organisation oder Tätigkeit sich über das Gebiet eines Landes hinaus erstreckt. Die zweite Alternative ist anzunehmen, wenn die betroffene Organisation über das Gebiet eines Landes hinaus durch nicht ganz unbedeutende Aktivitäten anhaltend in Erscheinung tritt, auch wenn diese für sich genommen nicht den Verbotstatbestand erfüllen5.
Die Ersatzorganisation muss nicht vor Erlass der Verbotsverfügung angehört werden. Es entspricht ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass eine Verbotsbehörde vor Erlass eines Vereinsverbots von einer Anhörung nach § 28 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG absehen kann, wenn Anhaltspunkte bestehen, dass sonst aufgrund des mit der Anhörung verbundenen „Ankündigungseffekts“ Beweismittel und Vermögenswerte beiseitegeschafft und dem behördlichen Zugriff entzogen werden6. Diese Grundsätze gelten auch bei dem Verbot einer Ersatzorganisation7. Die Entscheidung über den Verzicht auf die Anhörung steht im behördlichen Ermessen, bedarf einer Abwägung aller für und gegen den Verzicht sprechenden Gesichtspunkte sowie einer Begründung, die erkennen lässt, auf welchen Erwägungen das Absehen von der Anhörung beruht8.
Gemäß § 8 Abs. 1 VereinsG ist eine Ersatzorganisation eine Organisation, die die verfassungswidrigen Bestrebungen (Art. 9 Abs. 2 GG) eines nach § 3 VereinsG verbotenen Vereins an dessen Stelle weiterverfolgt. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass sie „funktionell“ dasselbe will wie die zuvor verbotene Vereinigung9. Auf die Form und die räumliche Ausdehnung der neuen Organisation kommt es dabei nicht entscheidend an10. Ebenso wenig steht der Annahme einer Ersatzorganisation entgegen, dass die bisherigen Nah, Teil- und Endziele der verbotenen Vereinigung durch Vorhaben vordergründiger Art verschleiert oder die Ziele auf mehrere Organisationen verteilt werden, um ihr so neue, als legal erscheinende Plattformen zu verschaffen. Die Ersatzorganisation ist mithin ein Personenzusammenschluss, der an Stelle der verbotenen Vereinigung deren verfassungswidrige Nah, Teil- oder Endziele ganz oder teilweise, kürzere oder längere Zeit, örtlich oder überörtlich, offen oder verhüllt weiterverfolgt oder weiterverfolgen will11. Da es sich bei dem Verbot als Ersatzorganisation um einen schwerwiegenden Eingriff in Art. 9 Abs. 1 GG handelt, muss die Organisation davon geprägt sein, die Ziele der verbotenen Vereinigung weiterzuverfolgen.
Ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist unter anderem anhand der in der Organisation wirkenden Kräfte, ihrer Betätigung, ihrer Ziele, den von ihr Angesprochenen und der Geschehensabläufe zwischen dem Verbot der Vereinigung und der Bildung der neuen Organisation zu beurteilen. Es sind die Umstände zu prüfen, die zur Gründung der neuen Organisation geführt haben, wobei ein enger zeitlicher Zusammenhang mit der Auflösung der verbotenen Vereinigung regelmäßig bedeutsam ist. Ebenso kommt es darauf an, ob frühere, etwa gar besonders hervorgetretene Mitglieder oder Funktionäre der verbotenen Vereinigung bei der Gründung mitgewirkt oder maßgeblichen Einfluss ausgeübt haben. Für eine Ersatzorganisation kann auch sprechen, wenn Umstände wie ein überörtlicher Zusammenhang mit der Gründung ähnlicher Organisationen oder eine Zusammenarbeit mit solchen auf eine einheitliche, planmäßige Steuerung durch Kräfte der aufgelösten verbotenen Vereinigung hindeuten. Letztlich entscheidend kommt es aber nicht auf einzelne Kriterien an, vielmehr sind die Umstände in ihrer Gesamtheit zu würdigen12.
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 14. Dezember 2022 – 6 A 6.21
- vgl. auch BT-Drs. 4/430 S. 17 f.[↩]
- vgl. dazu BGH, Urteile vom 09.10.1964 – 3 StR 34/64 – BGHSt 20, 45 <52 f.> und vom 09.02.1968 – 3 StR 24/66 – NJW 1968, 1100 <1101>[↩]
- in diesem Sinne ebenso zum Begriff der Ersatzorganisation des § 46 Abs. 3 BVerfGG a. F.: BVerwG, Urteil vom 16.05.1958 – 7 C 3.58, BVerwGE 6, 333 <335>[↩]
- vgl. BT-Drs. 4/430 S. 17 f.[↩]
- vgl. BVerwG, Urteil vom 14.05.2014 – 6 A 3.13, Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 62 Rn. 17 m. w. N.[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.07.2018 – 1 BvR 1474/12 u. a., BVerfGE 149, 160 Rn. 161; BVerwG, Urteile vom 13.01.2016 – 1 A 2.15, Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 69 Rn. 34; und vom 26.01.2022 – 6 A 7.19 36; Beschluss vom 21.09.2020 – 6 VR 1.20 11 f.[↩]
- vgl. BVerwG, Gerichtsbescheid vom 28.10.1999 – 1 A 4.98, Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 31 S.19; Beschluss vom 09.06.2022 – 6 VR 2.21 15[↩]
- vgl. BVerwG, Urteil vom 26.01.2022 – 6 A 7.19 36; Beschluss vom 09.06.2022 – 6 VR 2.21 15[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 21.03.1957 – 1 BvB 2/51, BVerfGE 6, 300 <307> BVerwG, Urteil vom 16.05.1958 – 7 C 3.58, BVerwGE 6, 333 <335> Gerichtsbescheid vom 28.10.1999 – 1 A 4.98, Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 31 S.19; Beschluss vom 06.09.1995 – 1 VR 2.95, Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 23 S. 67; BGH, Urteil vom 18.09.1961 – 3 StR 25/61 – BGHSt 16, 264 <266>[↩]
- BVerfG, Beschluss vom 21.03.1957 – 1 BvB 2/51, BVerfGE 6, 300 <307>[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 18.09.1961 – 3 StR 25/61 – BGHSt 16, 264 <266 f.>[↩]
- vgl. zum Vorstehenden: BVerwG, Gerichtsbescheid vom 28.10.1999 – 1 A 4.98, Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 31 S.19; Beschluss vom 06.09.1995 – 1 VR 2.95, Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 23 S. 67; BVerfG, Beschluss vom 21.03.1957 – 1 BvB 2/51, BVerfGE 6, 300 <307> BGH, Urteil vom 18.09.1961 – 3 StR 25/61 – BGHSt 16, 264 <267 f.>[↩]
Bildnachweis:
- Bundesverwaltungsgericht hdr: Robert Windisch