Übergehen eines Beweisantrags durch das Finanzgericht – und der Verlust des Rügerechts

Weist das Finanzgericht ausdrücklich darauf hin, dass es im Rahmen einer bereits angesetzten mündlichen Verhandlung über den Beweisantrag eines Beteiligten und das weitere prozessuale Vorgehen entscheiden möchte, geht das Rügerecht wegen Vernachlässigung der eigenen prozessualen Mitwirkungspflichten verloren, wenn der betreffende Beteiligte eben dieser mündlichen Verhandlung unentschuldigt fernbleibt und sich damit selbst der Möglichkeit begibt, zu einem Beweisantrag weiter vorzutragen.

Übergehen eines Beweisantrags durch das Finanzgericht – und der Verlust des Rügerechts

Das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde dient nicht dazu, einen bewussten Verzicht auf die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung zu kompensieren und dem Betroffenen eine weitere Gelegenheit zu bieten, die im ersten Rechtsgang versäumte Möglichkeit des weiteren Vortrags in einem zweiten Rechtsgang nachzuholen.

Es ist ein allgemein anerkannter prozessualer Grundsatz, dass zwischen den Pflichten des Gerichts aus § 76 FGO und der prozessualen Mitwirkung der Beteiligten eine Wechselwirkung besteht1.

Daraus hat die Rechtsprechung zunächst in Bezug auf die richterlichen Hinweispflichten aus § 76 Abs. 2 FGO gefolgert, dass, wer zur mündlichen Verhandlung trotz ordnungsgemäßer Ladung unentschuldigt nicht erscheint, regelmäßig anschließend eine Verletzung des § 76 Abs. 2 FGO nicht mehr rügen kann2.

Ebenso hat der VII. Senat des Bundesfinanzhofs in Bezug auf den Untersuchungsgrundsatz aus § 76 Abs. 1 FGO entschieden, dass das Übergehen eines Beweisantrages oder eine unvollständige Zeugeneinvernahme im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde nicht mehr mit der Verfahrensrüge angegriffen werden könne, wenn der ordnungsgemäß geladene Beteiligte zur mündlichen Verhandlung unentschuldigt nicht erscheine und damit auf die Wahrnehmung seiner Rechte verzichte. Da der im finanzgerichtlichen Verfahren geltende Untersuchungsgrundsatz eine Verfahrensvorschrift sei, auf deren Einhaltung ein Beteiligter ausdrücklich oder durch Unterlassen einer Rüge verzichten könne (§ 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung), habe die Unterlassung der rechtzeitigen Rüge den endgültigen Rügeverlust -zum Beispiel auch zur Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde- zur Folge3.

Ob dem in dieser Allgemeinheit zu folgen ist, braucht hier nicht entschieden zu werden. Denn jedenfalls dann, wenn das Finanzgericht ausdrücklich darauf hinweist, dass es im Rahmen einer bereits angesetzten mündlichen Verhandlung über den Beweisantrag eines Beteiligten und das weitere prozessuale Vorgehen entscheiden möchte, geht das Rügerecht wegen Vernachlässigung der eigenen prozessualen Mitwirkungspflichten verloren, wenn der betreffende Beteiligte eben dieser mündlichen Verhandlung unentschuldigt fernbleibt und sich damit selbst der Möglichkeit begibt, zu einem Beweisantrag weiter vorzutragen. Das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde dient nicht dazu, einen bewussten Verzicht auf die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung zu kompensieren und dem Betroffenen eine weitere Gelegenheit zu bieten, den im ersten Rechtsgang versäumten weiteren Vortrag in einem zweiten Rechtsgang nachzuholen.

In dem hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Streitfall hat das Finanzgericht Düsseldorf4 die Mitteilung, dass der für den 15.05.2024 festgesetzte Termin zur mündlichen Verhandlung ohne den Zeugen K durchgeführt werde, mit dem Hinweis verbunden, dass „über den Beweisantrag und das weitere Vorgehen“ im Rahmen der Verhandlung entschieden werden solle. Auf die Möglichkeit, dass bei Nichterscheinen des Vertreters auch ohne diesen verhandelt und entschieden werden könne (§ 91 Abs. 2 FGO), waren die Kläger hingewiesen worden. Der Prozessbevollmächtigte der Kläger ist ungeachtet dessen zu dem Termin nicht erschienen, ohne hierfür einen Grund zu nennen. Auch die Beschwerdebegründung enthält hierzu keine Ausführungen. Die Klägerseite hat damit ihre prozessualen Mitwirkungspflichten verletzt und folglich das Rügerecht in Bezug auf die unterlassene Beweisaufnahme verloren. Die in der Beschwerdebegründung genannten Gründe, warum das Finanzgericht nach Ansicht der Klägerseite nicht ohne Einvernahme des Zeugen K hätte entscheiden dürfen, hätte der Prozessbevollmächtigte der Kläger in dem Termin zur mündlichen Verhandlung vortragen können und müssen. Von dieser Möglichkeit hat er keinen Gebrauch gemacht. Daher kann er den behaupteten Verstoß gegen § 76 Abs. 1 FGO nicht mehr rügen.

Bundesfinanzhof, Beschluss vom 20. Oktober 2025 – X B 44/24

  1. s. ausführlich BFH, Urteile vom 15.02.1989 – X R 16/86, BFHE 156, 38, BStBl II 1989, 462, unter 3.; und vom 30.07.2003 – X R 28/99, BFH/NV 2004, 201, unter II. 1.; ebenso BFH, Urteil vom 19.10.1993 – VIII R 61/92, BFH/NV 1994, 790, unter II. 1.b; BFH, Beschlüsse vom 15.06.2004 – VI B 220/00, BFH/NV 2004, 1419, unter 1.; und vom 06.05.2005 – XI B 239/03, BFH/NV 2005, 1605, unter II. 2.a[]
  2. BFH, Beschlüsse vom 29.10.1999 – III B 32/99, BFH/NV 2000, 580, unter 3.; und vom 23.02.2005 – VII B 133/04, BFH/NV 2005, 1325, unter 1.[]
  3. BFH, Beschluss vom 02.03.2005 – VII B 142/04, BFH/NV 2005, 1576, unter 3.; s.a. BFH, Urteil vom 05.09.2013 – XI R 26/12, BFH/NV 2014, 313, Rz 23; BFH, Beschluss vom 19.09.2012 – X B 40/11, BFH/NV 2013, 941, Rz 16; BFH, Beschlüsse vom 08.09.2015 – XI B 33/15, BFH/NV 2015, 1690, Rz 18; und vom 20.10.2022 – VI B 33/22, BFH/NV 2023, 41, Rz 5[]
  4. FG Düsseldorf, Urteil vom 15.05.2024 – 15 K 2390/22 E, G, U[]

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