Eine vertragliche Kündigungsfrist kann sich gegen die maßgebliche gesetzliche Kündigungsfrist nur durchsetzen, wenn sie in jedem Fall zu einer späteren Beendigung des Arbeitsverhältnisses führt. Es genügt nicht, dass die vertragliche Regelung für die längere Zeit innerhalb eines Kalenderjahres den besseren Schutz gewährt.

Eine einzelvertragliche Verkürzung der Fristen des § 622 Abs. 2 BGB ist – vorbehaltlich einer Abrede iSv. § 622 Abs. 4 Satz 2 BGB – nicht möglich. Zulässig ist gemäß § 622 Abs. 5 Satz 3 BGB allein die einzelvertragliche Vereinbarung längerer Kündigungsfristen als der in Abs. 2 der Norm vorgesehenen. Ob eine im Sinne des Gesetzes „längere“ Kündigungsfrist vereinbart wurde, ist durch einen Günstigkeitsvergleich zu ermitteln.
Eine einzelvertragliche Regelung von Kündigungsfrist (hier sechs Monate) und Kündigungstermin (hier 30.06.oder 31.12) ist regelmäßig als Einheit zu betrachten. Für den Günstigkeitsvergleich zwischen vertraglicher und gesetzlicher Regelung ist deshalb grundsätzlich ein Gesamtvergleich (auch Ensemble- oder Gruppenvergleich) vorzunehmen1. Eine isolierte Betrachtung der Kündigungsfrist kommt nur dann in Betracht, wenn die Parteien mit einer Beschränkung der Kündigungstermine besondere, eigenständige Ziele verfolgt haben2. Das ist hier nicht der Fall.
Vergleichszeitpunkt war im Streitfall der 15.03.2005. An diesem Tag wurde die vertragliche Abrede getroffen und schon damals war § 622 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 BGB die für eine potentielle Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien einschlägige Vorschrift. Vertragsschluss und Zeitpunkt der erstmaligen Kollision mit dieser – vorbehaltlich der Regelungen des § 622 Abs. 4 BGB – halbzwingenden Norm fielen zusammen.
Entgegen einer im Schrifttum teilweise vertretenen Auffassung3 kann – was hier freilich zum selben Ergebnis führte – für den Günstigkeitsvergleich nicht auf den Zeitpunkt des Ausspruchs der konkreten Kündigung abgestellt werden. Vielmehr ist abstrakt die vertragliche Gesamtregelung auf ihre Vereinbarkeit mit den gesetzlichen Bestimmungen hin zu überprüfen4. Spätestens mit dem Eintritt des Arbeitnehmers in die jeweilige „Stufe“ des § 622 Abs. 2 BGB muss feststehen, welche Regelung als die günstigere vorgehen wird. § 622 Abs. 2, Abs. 5 Satz 3 BGB besagt nicht, dass die im konkreten Fall längere Frist zur Anwendung gelangen müsste. Der Grundsatz, dass der Verwender sich nicht auf die Unwirksamkeit seiner eigenen Vertragsgestaltung berufen kann5, der für den Vergleich im konkreten Kündigungszeitpunkt sprechen könnte, gilt allein für die hier nicht in Rede stehende Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB. Auch dort führt er im Übrigen „nur“ dazu, dass eine Vertragsbestimmung vom Verwender in jedem Fall; und vom Verwendungsgegner in keinem Fall zu beachten ist. Das steht grds. schon im Zeitpunkt des Vertragsschlusses fest.
Das Bundesarbeitsgericht lässt offen, ob eine einheitliche, von der Dauer der Betriebszugehörigkeit unabhängige einzelvertragliche Kündigungsfrist solange Anwendungsvorrang genießen kann, bis sie schließlich mit einer für den Arbeitnehmer günstigeren Frist gemäß der Stufenregelung des § 622 Abs. 2 Satz 1 BGB kollidiert6. Dafür spricht, dass es sich bei den einzelnen Stufen des Gesetzes um jeweils selbständige Bestimmungen handeln dürfte7. Für einen solchen Anwendungsvorrang streitet auch, dass bei dem gesetzlich ausdrücklich normierten Günstigkeitsvergleich nach § 4 Abs. 3 TVG – erst – auf den Zeitpunkt der Kollision mit der betreffenden Tarifnorm abzustellen sein soll8. Demgegenüber dürfte unerheblich sein, ob die Vertragsparteien mit einer einheitlichen, „starren“ Frist ein „Gesamtpaket“ aus einer anfangs längeren, zuletzt dafür kürzeren Frist als im Gesetz vorgesehen „schnüren“ wollten.
Die einzelvertragliche Kombination einer kürzeren als der gesetzlich einschlägigen Kündigungsfrist mit eingeschränkten Kündigungsterminen (zB nur zum Quartals- oder Halbjahresende) setzt sich nicht schon dann gegen das Gesetz durch, wenn sie – wie hier in acht von zwölf Monaten – für die längere Zeit innerhalb eines Kalenderjahres den besseren Schutz gewährt9.
Eine derartige Abrede ist nicht – stets – günstiger als die gesetzliche Regelung. Sie sieht sowohl längere als auch kürzere Fristen vor. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu § 4 Abs. 3 TVG können sich solche teils günstigeren, teils ungünstigeren Vereinbarungen jedenfalls gegen Tarifrecht nicht durchsetzen10.
Auch die Auslegung von § 622 BGB ergibt, dass in Abs. 2 der Vorschrift Mindestfristen bestimmt sind, die dem Arbeitnehmer – vorbehaltlich der Möglichkeiten des § 622 Abs. 4 BGB – ausnahmslos zur Verfügung stehen sollen. Für eine Durchschnittsbetrachtung bezogen auf ein Kalenderjahr gibt die Norm nichts her. Nach § 622 Abs. 5 Satz 3 BGB müssen einzelvertraglich vereinbarte Kündigungsfristen „länger“ und nicht „meistens länger“ sein. Das entspricht dem Zweck des Gesetzes. Der Fristenlauf soll dem Arbeitnehmer vor allem die Suche nach einem neuen Arbeitsplatz während des – noch – fortbestehenden Arbeitsverhältnisses (vgl. § 629 BGB) und damit einen nahtlosen Übergang in eine Anschlussbeschäftigung ermöglichen11. Diese zeitlich begrenzte Schutzfunktion der Kündigungsfristen aktualisiert sich erst bei Ausspruch einer – wirksamen – Kündigung. Der Zweck dieses temporären Bestandsschutzes würde nur unvollkommen verwirklicht, wenn die Anwendung einer bloß „tendenziell“ günstigeren Regelung im konkreten Kündigungsfall zu einer das gesetzliche Mindestmaß unterschreitenden Frist führen könnte12. Die Übergangsvorschrift in Art. 222 Nr. 1 EGBGB zum Gesetz zur Vereinheitlichung der Kündigungsfristen von Arbeitern und Angestellten vom 07.10.199313, mit dem § 622 BGB seine heutige Gestalt erhielt, unterstreicht, dass die gesetzlichen Mindestfristen bei jedem – dort: durch den Zugang der Kündigung bereits angebrochenen, aber noch nicht abgeschlossenen – „kündigungsrechtlichen Sachverhalt“14 zugunsten des Arbeitnehmers „voll effektiv“ werden sollen.
Da die vertragliche Kündigungsfrist sich im Vergleich mit der gesetzlichen Regelung nicht als durchweg länger erweist, musste die Arbeitgeberin gemäß § 622 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 BGB eine Frist von sieben Monaten zum Monatsende einhalten. Die zu wahrende Kündigungsfrist betrug nicht etwa sieben Monate zum Halbjahresende. Die Parteien wollten eingeschränkte Kündigungstermine nur im Verbund mit einer auf sechs Monate verkürzten Kündigungsfrist vereinbaren. Diesen Willen respektiert § 622 BGB. Auch insofern gilt, dass die Vorschrift lediglich Mindeststandards setzen möchte. Versteht man sie als Gebotsnorm, tritt eine für den Arbeitnehmer ungünstigere Vereinbarung insgesamt lediglich hintan, bleibt aber rechtlich als solche existent. Es gilt der Anwendungsvorrang des Gesetzes. Ordnet man § 622 Abs. 2 BGB als Verbotsnorm (§ 134 BGB) ein, ist die vertragliche Regelung in Gänze unwirksam (§ 139 BGB).
Die nicht fristgerechte Kündigung ist jedoch nicht insgesamt unwirksam, sie kann in eine fristgerechte Kündigung umgedeutet werden (§ 140 BGB), sofern es keine Anhalt dafür gibt, dass die Arbeitgeberin eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausschließlich zum 30.06.2013 gewollt hätte. Die Überzeugung des Arbeitgebers, er habe mit zutreffender Frist gekündigt, hindert nicht die Annahme, er hätte bei Kenntnis der objektiven Fehlerhaftigkeit der seiner Kündigung beigelegten Frist das Arbeitsverhältnis nicht fortsetzen, sondern zum nächstzulässigen Termin beenden wollen15.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 29. Januar 2015 – 2 AZR 280/14
- vgl. BAG 4.07.2001 – 2 AZR 469/00, zu II 3 b der Gründe, BAGE 98, 205[↩]
- vgl. BAG 4.07.2001 – 2 AZR 469/00, zu II 3 a der Gründe, aaO[↩]
- vgl. KDZ/Zwanziger 9. Aufl. § 622 BGB Rn. 50[↩]
- zutreffend APS/Linck 4. Aufl. § 622 BGB Rn. 182; Schaub/Linck ArbR-Hdb. 15. Aufl. § 126 Rn. 28[↩]
- vgl. BAG 27.10.2005 – 8 AZR 3/05, zu II 1 a der Gründe mwN[↩]
- so Persch BB 2010, 181, 184 f.[↩]
- vgl. BAG 4.07.2001 – 2 AZR 469/00, zu II 2 b der Gründe, BAGE 98, 205 für die Prüfung, ob eine Abweichung von der – jeweiligen – gesetzlichen Regelung vorliegt[↩]
- vgl. BAG 25.11.1970 – 4 AZR 534/69[↩]
- so aber Diller NZA 2000, 293, 296 mit ausführlichen Berechnungsbeispielen; vgl. tendenziell auch BAG 4.07.2001 – 2 AZR 469/00, zu II 3 e der Gründe, BAGE 98, 205[↩]
- vgl. BAG 12.04.1972 – 4 AZR 211/71, BAGE 24, 228; 17.04.2002 – 5 AZR 644/00, zu II 4 b der Gründe[↩]
- zu den Gesetzeszwecken vgl. im Einzelnen Kaiser FS Konzen 2006 S. 381, 385 ff.[↩]
- so auch Lambrich Anm. zu BAG 4.07.2001 – 2 AZR 469/00 – EzA § 622 BGB nF Nr. 63[↩]
- BGBl. I S. 1668[↩]
- vgl. BT-Drs. 12/4902 S. 9[↩]
- BAG 1.09.2010 – 5 AZR 700/09, Rn. 29, BAGE 135, 255[↩]