Altersteilzeit – und die Inflationsausgleichsprämie

Der Ausschluss von Arbeitnehmern, die sich in der Passivphase ihrer Altersteilzeit befinden; vom Bezug einer tarifvertraglich geregelten Inflationsausgleichsprämie kann unter Berücksichtigung der verfolgten Zwecke unwirksam sein.

Altersteilzeit – und die Inflationsausgleichsprämie

In dem hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall streiten Arbeitnehmer und Arbeitgeber darüber, ob dem Arbeitnehmer in der Freistellungsphase seiner Altersteilzeit eine tarifliche Inflationsausgleichsprämie zusteht. Zwischen ihnen besteht seit dem 16.02.2015 ein Arbeitsverhältnis. Nach Maßgabe des Arbeitsvertrags sind die jeweils beim Arbeitgeber geltenden Tarifverträge in ihrer jeweils gültigen Fassung auf das Arbeitsverhältnis anwendbar. Mit Altersteilzeitvertrag vom 28.05.2018 vereinbarten sie, as Arbeitsverhältnis als Altersteilzeitarbeitsverhältnis im Blockmodell fortzuführen. Sie einigten sich auf eine Arbeitsphase vom 01.05.2018 bis zum 30.04.2022 und eine Passivphase vom 01.05.2022 bis zum 30.04.2026. Der Arbeitgeberverband energie- und wasserwirtschaftlicher Unternehmungen e.V., dessen Mitglied die Arbeitgeberin ist, und die Gewerkschaften ver.di und IGBCE schlossen unter dem 24.04.2023 den „Tarifvertrag über eine einmalige Sonderzahlung gemäß § 3 Nr. 11c Einkommenssteuergesetz“ (TV IAP). Dieser lautet auszugsweise:

§ 1 Einmalige-Inflationsausgleichsprämie

  1. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (nachfolgend ‚Arbeitnehmer‘) …, … die am 31.05.2023 (Stichtag) in einem ungekündigten nicht ruhenden Arbeitsverhältnis stehen, erhalten zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitsentgelt eine Einmalzahlung (Inflationsausgleichsprämie). Mit der Einmalzahlung sollen die gestiegenen Verbraucherpreise abgemildert werden.
  2. Die Höhe der Einmalzahlung beträgt bei Arbeitnehmern unabhängig von ihrem Beschäftigungsgrad 3.000 € und bei Auszubildenden 2.100 €. Geringfügig Beschäftigte erhalten die Sonderzahlung entsprechend ihrem jeweiligen Beschäftigungsgrad zum 31.05.2023. Arbeitnehmer, die sich zum 31.05.2023 in der Passivphase der Altersteilzeit oder im Vorruhestand befinden, erhalten keine Einmalzahlung.
    Arbeitnehmer, die sich zum 31.05.2023 in Elternzeit befinden, erhalten unabhängig vom Status ihres Beschäftigungsverhältnisses1; und vom jeweiligen Beschäftigungsgrad ebenfalls eine Einmalzahlung in Höhe von 3.000 €.
  3. Die Einmalzahlung wird im Monat Juni 2023 ausgezahlt.

…       

Protokollnotiz zu § 1 Abs. 1):
Die Inflationsausgleichsprämie wird zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitsentgelt gewährt. Es handelt sich um eine Beihilfe bzw. Unterstützung des Arbeitgebers zur Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise im Sinne des § 3 Nummer 11c des Einkommenssteuergesetzes. Die Abrechnung und Auszahlung der Sonderzahlung richten sich nach den jeweils gültigen steuerlichen und sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen. Soweit Beschäftigte bereits eine Sonderzahlung nach § 3 Nr. 11c des Einkommenssteuergesetzes erhalten haben wird der über den steuerfreien Maximalbetrag von insgesamt 3.000 € hinausgehende Betrag versteuert und verbeitragt ausgezahlt.

Zugleich vereinbarten die Tarifvertragsparteien eine Anhebung der Tabellenvergütung ab dem 1.04.2023 um 6 Prozent für 15 Monate und ab dem 1.07.2024 um weitere 4, 5 Prozent für sechs Monate. Diese Erhöhungen wurden an Arbeitnehmer in der Passivphase der Altersteilzeit weitergereicht. Mit E-Mail vom 30.05.2023 wandte sich die Arbeitgeberin an die Tarifmitarbeiter, die sich nicht in der Passivphase der Altersteilzeit befanden. Darin heißt es unter dem Betreff „Anpassung der Tarifvergütung rückwirkend zum 1.04.mit der Abrechnung im Juni“ auszugsweise:

Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,

nachdem die Vergütungstarifvertragsverhandlungen nun auch formell durch wechselseitige Unterzeichnung der Tarifverträge ihren Abschluss gefunden haben, werden wir die tariflich vorgesehenen Vergütungsanhebungen (wie auch bereits in der letzten Betriebsversammlung mündlich mitgeteilt) mit der nächstmöglichen Entgeltabrechnung, d.h. bereits im Juni, rückwirkend zum 1.04.umsetzen. …

Auch die Inflationsausgleichsprämie wird nach Maßgabe der tariflichen Regelung im Juni zur Auszahlung gebracht. Diese Zahlung erhalten insbesondere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die am 31.05.diesen Jahres in einem ungekündigten, nicht ruhenden Arbeitsverhältnis standen, sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Elternzeit.

Der Arbeitnehmer hat die Zahlung der Inflationsausgleichsprämie mit der Begründung verlangt, der Leistungsausschluss von Arbeitnehmern in der Passivphase der Altersteilzeit stelle eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung dar, weil sie allein eine Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise für zum Stichtag ungekündigte Arbeitnehmer bezwecke und nicht von einer zukünftigen Arbeitsleistung abhänge. Der Anspruch folge außerdem aus einer Gesamtzusage, die der E-Mail vom 30.05.2023 zu entnehmen sei.

Das Arbeitsgericht Essen hat die Klage des Arbeitnehmers abgewiesen2, das Landesarbeitsgericht Düsseldorf seine Berufung zurückgewiesen3. Auf die Revision des Arbeitnehmers hob das Bundesarbeitsgericht die Entscheidungen der Vorinstanzen auf und verurteilte die Arbeitgeberin, an den Arbeitnehmer 3.000, 00 € zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1.07.2023 zu zahlen. Das Landesarbeitsgericht habe die Berufung des Arbeitnehmers gegen das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts zu Unrecht zurückgewiesen. Der Arbeitnehmer habe gegen die Arbeitgeberin gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 TV IAP Anspruch auf eine Inflationsausgleichsprämie in Höhe von 3.000, 00 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1.07.2023. Der Leistungsausschluss nach § 1 Abs. 2 Satz 3 TV IAP sei gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 TzBfG in Verbindung mit § 134 BGB nichtig:

Das Landesarbeitsgericht hat einen Anspruch des Arbeitnehmers auf die Inflationsausgleichsprämie gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 TV IAP zu Unrecht verneint.

Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Tarifvertragsparteien hätten den Ausschluss der in der Passivphase der Altersteilzeit befindlichen Arbeitnehmer im Rahmen der ihnen zustehenden Einschätzungsprärogative wirksam vereinbart. Die Unwirksamkeit der Regelung ergebe sich nicht aus Verstößen gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG, gegen das Verbot der Benachteiligung aufgrund des Alters nach § 7 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 1 AGG oder gegen § 4 Abs. 1 TzBfG. Die Inflationsausgleichsprämie diene nicht nur dem Zweck, die Belastung durch gestiegene Verbraucherpreise abzumildern. Sie verfolge daneben auch arbeitsleistungsbezogene Zwecke, insbesondere die Belohnung der Betriebstreue. Dies rechtfertige den Ausschluss von Arbeitnehmern in der Passivphase der Altersteilzeit. Aus dem von den Tarifvertragsparteien in Bezug genommenen § 3 Nr. 11c EStG ergebe sich nicht, dass mit der Zahlung der Inflationsausgleichsprämie keine weiteren Ziele verfolgt werden dürften.

Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten einer revisionsrechtlichen Kontrolle nicht in vollem Umfang stand.

Es bedarf keiner abschließenden Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts, ob das Landesarbeitsgericht zu Recht davon ausgegangen ist, der Arbeitnehmer sei vom Ausnahmetatbestand des § 1 Abs. 2 Satz 3 TV IAP erfasst, der den Anspruch auf die Inflationsausgleichsprämie nach § 1 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 TV IAP für Arbeitnehmer in der Passivphase von Altersteilzeit ausschließt. Dies setzt eine wirksame Vereinbarung eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses voraus. Einer solchen könnte entgegenstehen, dass der Arbeitnehmer den Altersteilzeitvertrag erst am 28.05.2018 und damit nach dem vorgesehenen Beginn der Altersteilzeit am 1.05.2018 unterzeichnet hat.

Eine rückwirkende „Umwidmung“ oder Umwandlung eines Arbeitsverhältnisses in ein Altersteilzeitarbeitsverhältnis mit Wirkung gegenüber der Sozialversicherung oder der Bundesagentur für Arbeit ist aufgrund der gesetzlichen Besonderheiten des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses grundsätzlich ausgeschlossen4. Altersteilzeit wird gesetzlich vielfach begünstigt durch Vorschriften, die der effektiven Durchsetzung der mit Altersteilzeit verfolgten arbeitsmarktpolitischen Ziele dienen (§ 3 Nr. 28 EStG, § 32b Abs. 2 Satz 1 EStG, § 237 SGB VI und § 7 Abs. 1a SGB IV). Diese Vergünstigungen beschränken die Arbeitsvertragsparteien bei der Gestaltung von Altersteilzeit. Die Leistungen können nur in Anspruch genommen werden, wenn die sozialversicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Die strikte Handhabung des Sozialrechts sichert zum einen die Interessen des Arbeitnehmers an einem sozialverträglichen Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand (§ 1 Abs. 1 AltTZG). Andernfalls bestünde zB die Gefahr, dass der zuständige Sozialversicherungsträger die zusätzlich abgeführten Rentenbeiträge nicht annimmt, die Gewährung der Altersrente nach Altersteilzeitarbeit ablehnt oder – im Blockmodell – Freistellungszeiten nicht als Beschäftigungszeit iSd. Rentenrechts anerkennt. Zum anderen soll einer rechtsmissbräuchlichen Ausnutzung der sozialversicherungsrechtlichen Vergünstigungen entgegengewirkt werden5.

Eine Ausnahme hat das Bundesarbeitsgericht anerkannt, wenn die rückwirkende Begründung des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses das Ergebnis einer (gerichtlichen) Auseinandersetzung ist. In diesem Fall geht es dem Arbeitnehmer darum, seine Interessen zu sichern. Eine Gefährdung der Interessen der Sozialversicherung und des Bundes ist für diesen Fall ausgeschlossen6.

Es kann dahinstehen, ob eine weitere Ausnahme von dem genannten Grundsatz vorzunehmen ist, wenn die sozialversicherungsrechtlichen Voraussetzungen in dem Zeitraum, um den die Altersteilzeit rückwirkend begründet werden soll, zweifellos vorlagen. Im Streitfall spricht einiges dafür, dass die Voraussetzungen bereits ab dem 1.05.2018 erfüllt waren. Letztlich kann die Frage offenbleiben, denn der Anspruch des Arbeitnehmers auf die Inflationsausgleichsprämie besteht unabhängig davon, ob zwischen den Parteien wirksam ein Altersteilzeitarbeitsverhältnis begründet wurde. Dass Arbeitnehmer außerhalb der Freistellungsphase der Altersteilteilzeit gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 TV IAP die Inflationsausgleichsprämie beanspruchen können, stellt die Arbeitgeberin nicht in Abrede.

Bei wirksamer Begründung eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses folgt der Anspruch des Arbeitnehmers auf die Inflationsausgleichsprämie ebenfalls aus § 1 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 TV IAP, da der Leistungsausschluss nach § 1 Abs. 2 Satz 3 TV IAP gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 TzBfG in Verbindung mit § 134 BGB nichtig ist.

Ein in Teilzeit beschäftigter Arbeitnehmer darf nach § 4 Abs. 1 Satz 1 TzBfG wegen der Teilzeitarbeit nicht schlechter behandelt werden als ein vergleichbarer in Vollzeit beschäftigter Arbeitnehmer, es sei denn, dass sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. Nach § 4 Abs. 1 Satz 2 TzBfG ist einem teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer Arbeitsentgelt oder eine andere teilbare geldwerte Leistung mindestens in dem Umfang zu gewähren, der dem Anteil seiner Arbeitszeit an der Arbeitszeit eines vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers entspricht. Das in § 4 Abs. 1 TzBfG geregelte Diskriminierungsverbot steht gemäß § 22 Abs. 1 TzBfG nicht zur Disposition der Tarifvertragsparteien7.

Der Ausschlusstatbestand in § 1 Abs. 2 Satz 3 TV IAP benachteiligt in Altersteilzeit beschäftigte Arbeitnehmer in der Passivphase wegen ihrer Teilzeittätigkeit gegenüber vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten.

Teilzeitbeschäftigte werden wegen der Teilzeitarbeit ungleich behandelt, wenn die Dauer der Arbeitszeit das Kriterium darstellt, an das die Differenzierung hinsichtlich der unterschiedlichen Arbeitsbedingungen anknüpft8. Dieser Prüfungsmaßstab steht im Einklang mit dem Unionsrecht in der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der Richtlinie 97/81/EG (Rahmenvereinbarung)9.

Die Regelung in § 1 Abs. 2 Satz 3 TV IAP enthält eine Differenzierung, die an die Teilzeit und damit an die Dauer der Arbeitszeit anknüpft. Sie bestimmt, dass Arbeitnehmer, die sich am 31.05.2023 in der Passivphase der Altersteilzeit befinden, keine Inflationsausgleichsprämie erhalten. § 1 Abs. 2 Satz 3 TV IAP schließt damit Altersteilzeitbeschäftigte in der Passivphase von der Gewährung der Inflationsausgleichsprämie vollständig aus. Dies hat zur Folge, dass sie die Leistung im Gegensatz zu in Vollzeit tätigen Arbeitnehmern nicht erhalten und damit schlechter behandelt werden.

Der Annahme der Ungleichbehandlung steht nicht entgegen, dass nicht alle Teilzeitbeschäftigten von dem Leistungsausschluss umfasst sind, sondern nur solche, die sich in der Passivphase ihrer Altersteilzeit befinden. Die unterschiedliche Behandlung einer Gruppe teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer gegenüber den vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern entfällt nicht dadurch, dass der Arbeitgeber eine andere Gruppe teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer nicht benachteiligt10.

Die Ungleichbehandlung knüpft nicht (nur) an die Lage der Arbeitszeit an. Die Arbeitgeberin verweist auf ein Urteil, in dem das Bundesarbeitsgericht in dem Ausschluss der Altersteilzeitarbeitnehmer im Blockmodell von Tariferhöhungen, die nach dem ersten Monat der Freistellungsphase wirksam wurden, keine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung sah. Das Bundesarbeitsgericht verneinte in diesem Fall eine Schlechterstellung der Arbeitnehmer in der Freistellungsphase der Altersteilzeit bereits aufgrund der Besonderheiten der streitgegenständlichen Regelung11. Soweit die Hilfsbegründung, in der das Bundesarbeitsgericht die Maßgeblichkeit der Lage der Arbeitszeit für die Differenzierung hervorhob12, dahin zu verstehen sein könnte, dass eine Ungleichbehandlung auch deshalb ausscheide, weil der Leistungsausschluss von Altersteilzeitarbeitnehmern im Blockmodell nur an die Lage der Arbeitszeit anknüpfe, hält das Bundesarbeitsgericht daran nicht fest. Der Zeitraum, in dem die Vergütung erarbeitet wurde, betrifft den Leistungszweck und ist nicht für die Ungleichbehandlung, sondern für deren Rechtfertigung maßgebend.

Der Annahme einer Ungleichbehandlung steht nicht entgegen, dass Tariflohnerhöhungen an Arbeitnehmer in der Passivphase der Altersteilzeit weitergegeben wurden. Die Schlechterstellung wird auf diese Weise nicht kompensiert.

Ein Teilzeitbeschäftigter wird gegenüber einem vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten zwar in der Regel nicht schlechter behandelt, wenn er zum Ausgleich des entstandenen Nachteils einen Vorteil erhält. Als etwaige Kompensation kommen solche Leistungen in Betracht, die in einem sachlichen Zusammenhang zum entstandenen Nachteil stehen. Insoweit ist auf die Grundsätze zurückzugreifen, die beim Günstigkeitsvergleich von tariflichen und vertraglichen Regelungen nach § 4 Abs. 3 TVG gelten13. Beim Vergleich von unterschiedlichen Leistungen kommt es darauf an, ob diese funktional gleichwertig sind. Leistungen, die auch Vollzeitbeschäftigte erhalten, kommt keine kompensierende Wirkung zu14.

Die Weitergabe von Tariflohnerhöhungen an Arbeitnehmer in der Passivphase der Altersteilzeit gleicht ihre Schlechterstellung hinsichtlich der Inflationsausgleichsprämie nicht aus. Die Tariflohnerhöhungen und die Inflationsausgleichsprämie sind funktional nicht äquivalent. Die Inflationsausgleichsprämie dient primär dem Ausgleich gestiegener Verbraucherpreise und setzt keine konkrete Arbeitsleistung voraus. Dagegen bezwecken die Tariflohnerhöhungen eine Erhöhung der Vergütung für erbrachte Arbeitsleistung. Die Arbeitnehmer in der Passivphase der Altersteilzeit erhalten zudem durch die Tariflohnerhöhungen keinen Vorteil gegenüber den Vollzeitbeschäftigten, da auch diese daran teilnehmen. Dem durch die Schlechterstellung entstandenen Nachteil steht damit im Verhältnis zu den Vollzeitbeschäftigten kein ausgleichender Vorteil gegenüber.

Die Ungleichbehandlung wegen der Teilzeittätigkeit ist nicht durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt.

§ 4 Abs. 1 Satz 1 TzBfG regelt – entsprechend § 4 Nr. 1 Rahmenvereinbarung – kein absolutes Benachteiligungsverbot. § 4 Abs. 1 TzBfG verbietet eine Abweichung vom Pro-rata-temporis-Grundsatz zum Nachteil Teilzeitbeschäftigter, wenn dafür kein sachlicher Grund besteht15. Allein das unterschiedliche Arbeitspensum berechtigt nicht zu einer unterschiedlichen Behandlung von Vollzeit- und Teilzeitkräften. Die Rechtfertigungsgründe müssen anderer Art sein16. Eine Schlechterstellung von Teilzeitbeschäftigten kann sachlich gerechtfertigt sein, wenn sich ihr Grund aus dem Verhältnis von Leistungszweck und Umfang der Teilzeitarbeit herleiten lässt17. Die Prüfung der sachlichen Rechtfertigung der unterschiedlichen Behandlung hat sich am Zweck der Leistung zu orientieren18.

Dies entspricht den Anforderungen, die der EuGH an die Rechtfertigung der unterschiedlichen Behandlung von Voll- und Teilzeitbeschäftigten stellt.

Danach kann die unterschiedliche Behandlung nicht damit gerechtfertigt werden, dass sie in einer allgemeinen und abstrakten Norm vorgesehen ist. Das gilt auch dann, wenn die zu beurteilenden Vorschriften in Tarifverträgen enthalten sind19. Das in Art. 28 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union gewährleistete Recht auf Kollektivverhandlungen muss im Geltungsbereich des Unionsrechts im Einklang mit diesem ausgeübt werden20.

Der Begriff „sachliche Gründe“ im Sinne von § 4 Nr. 1 Rahmenvereinbarung verlangt, dass die festgestellte unterschiedliche Behandlung durch das Vorhandensein genau bezeichneter, konkreter Umstände gerechtfertigt ist, die die betreffende Beschäftigungsbedingung in ihrem speziellen Zusammenhang und auf der Grundlage objektiver und transparenter Kriterien kennzeichnen, um sichergehen zu können, dass die unterschiedliche Behandlung einem echten Bedarf entspricht und zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignet und erforderlich ist21. Außerdem muss dieses Ziel im Einklang mit den Anforderungen der Rechtsprechung in kohärenter und systematischer Weise verfolgt werden22.

Die Tarifautonomie des Art. 9 Abs. 3 GG steht einer Überprüfung des § 1 Abs. 2 Satz 3 TV IAP am Maßstab des Benachteiligungsverbots des § 4 Abs. 1 TzBfG nicht entgegen. Allerdings verfügen die Tarifvertragsparteien als selbständige Grundrechtsträger aufgrund der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie über einen weiten Einschätzungs- und Gestaltungsraum23, der auch nicht deshalb bedeutungslos ist, weil tarifliche Regelungen nur im Einklang mit höherrangigem Recht nach § 4 Abs. 1 Satz 1 TzBfG zulässig sind. Vielmehr sind die Tarifvertragsparteien im Rahmen ihrer Normsetzungskompetenz aus Art. 9 Abs. 3 GG weitgehend frei darin, die Zwecke einer tariflichen Leistung24 sowie deren Gewicht und Verhältnis zueinander zu bestimmen.

Unter Berücksichtigung dieses weiten Einschätzungs- und Gestaltungsraums haben die Tarifvertragsparteien mit der Regelung in § 1 Abs. 2 Satz 3 TV IAP ihre nach § 4 Abs. 1 TzBfG begrenzte Rechtsetzungsbefugnis überschritten. Der Ausschluss der in der Passivphase der Altersteilzeit befindlichen Arbeitnehmer ist unter Berücksichtigung der mit der tarifvertraglichen Inflationsausgleichsprämie verfolgten Leistungszwecke sachlich nicht gerechtfertigt.

Die Inflationsausgleichsprämie dient nach der Zweckbestimmung des § 1 Abs. 1 Satz 2 TV IAP allein dem Ausgleich gestiegener Verbraucherpreise für alle Arbeitnehmer, die sich zum Stichtag 31.05.2023 in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis befanden. Sie ist weder Vergütungsbestandteil noch werden mit ihr Anreize für zukünftige Betriebstreue verfolgt.

Ob Sonderzahlungen als „Entgelt“ zu bewerten sind, hängt von den Zwecken ab, die sich entweder der ausdrücklichen Zweckbestimmung oder aufgrund einer Auslegung der Tarifnorm ergeben25. Im Wege der Auslegung ist zu ermitteln, ob mit der tariflichen Sonderzahlung erbrachte Arbeitsleistung zusätzlich vergütet werden soll, vergangenheits- und zukunftsbezogene Zwecke verknüpft werden oder ausschließlich arbeitsleistungsunabhängige Zwecke verfolgt werden. Sonderzahlungen dienen in aller Regel, zumindest auch – der Vergütung erbrachter Arbeitsleistung26. Sollen (nur) andere Zwecke als die Vergütung der Arbeitsleistung verfolgt werden, muss sich dies deutlich aus der zugrunde liegenden Regelung ergeben27. Eine Regelung, die den Anspruch auf eine Sonderzahlung von dem ungekündigten Bestand des Arbeitsverhältnisses abhängig macht, bezweckt typischerweise die Honorierung erwiesener Betriebstreue. Zukünftige Betriebstreue soll hingegen regelmäßig belohnt werden, wenn die Sonderzuwendung nur bei Fortbestand des Arbeitsverhältnisses über einen Stichtag hinaus bis zum Ende eines zumutbaren Bindungszeitraums gezahlt wird oder der Arbeitnehmer diese zurückzuzahlen hat, wenn das Arbeitsverhältnis vor Ablauf zumutbarer Bindungsfristen endet28.

Der in § 1 Abs. 1 Satz 2 TV IAP ausdrücklich festgeschriebene Zweck der Inflationsausgleichsprämie besteht in der Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise.

Gemäß Satz 2 der Protokollnotiz zu § 1 Abs. 1 TV IAP handelt es sich um eine Beihilfe bzw. Unterstützung iSd. § 3 Nr. 11c des Einkommenssteuergesetzes. Der steuerrechtliche Privilegierungstatbestand verlangt nicht, dass die Prämie ausschließlich der Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise dienen muss. Den Tarifvertragsparteien steht es frei, weitere Leistungszwecke festzulegen. Die Frage, ob die Prämie unter Berücksichtigung weiterer Leistungszwecke Steuerfreiheit genießt, ist steuerrechtlicher Natur und nicht Gegenstand der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts.

Der explizit genannte Zweck der Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise wird nicht durch weitere Ziele infrage gestellt. Die Inflationsausgleichsprämie ist weder von dem Bestand des Arbeitsverhältnisses zu einem bestimmten zukünftigen Zeitpunkt abhängig noch weist sie Vergütungscharakter auf. Die Stichtagsregelung in § 1 Abs. 1 Satz 1 TV IAP, mit der ein ungekündigter Bestand des Arbeitsverhältnisses zum 31.05.2023 vorausgesetzt wird, spricht für den Zweck, erwiesene Betriebstreue zu honorieren29. Der fehlende Vergütungscharakter wird durch die Regelung in § 1 Abs. 2 Satz 4 TV IAP bestätigt. Danach sind Arbeitnehmer anspruchsberechtigt, die sich zum Stichtag in Elternzeit befanden. Ginge man dagegen von einem Vergütungscharakter aus, wäre das Regelungsziel der Leistungshonorierung nicht kohärent umgesetzt worden, weil Arbeitnehmer in Elternzeit mit ruhendem Beschäftigungsverhältnis anspruchsberechtigt sind, obwohl sie zum Stichtag ebenfalls keine Leistung erbringen. Schließlich definiert der TV IAP auch keinen Bezugszeitraum, in dem die Prämie zu erarbeiten sein könnte.

Schließlich könnte ein Vergütungscharakter sich auch nicht daraus ergeben, dass durch die Einigung über die Inflationsausgleichsprämie höhere Tarifabschlüsse vermieden worden wären, wovon die Arbeitgeberin ausgeht. Dem steht entgegen, dass der Prämienzweck der tarifvertraglichen Zweckbestimmung zu entnehmen oder durch Auslegung der Tarifnorm zu ermitteln ist. Die Tarifvertragsparteien haben ausschließlich die Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise als Zweck der Inflationsausgleichsprämie genannt (§ 1 Abs. 1 Satz 2 TV IAP, Satz 2 der Protokollnotiz zu § 1 Abs. 1 TV IAP). Hätten sie daneben einen Vergütungszweck verfolgt, wäre zu erwarten gewesen, dass sie auch dies in die Festschreibung des Zwecks aufgenommen oder zumindest auf andere Weise im Tarifvertrag selbst deutlich zum Ausdruck gebracht hätten. Beides ist nicht der Fall.

Die an die Altersteilzeit in der Passivphase anknüpfende Ausnahme aus dem Kreis der Anspruchsberechtigten ist sachlich nicht gerechtfertigt. Aus dem Verhältnis der verfolgten Leistungszwecke und dem Umfang der Teilzeitarbeit lässt sich kein Grund für eine Schlechterstellung herleiten.

Es ist nicht ersichtlich, dass Teilzeitbeschäftigte in der Passivphase ihrer Altersteilzeit von den gestiegenen Verbraucherpreisen in geringerem Maße als Vollzeitbeschäftigte betroffen wären. Ein derartiger Erfahrungssatz existiert nicht. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass sie typischerweise über ein geringeres Einkommen als Vollzeitbeschäftigte verfügen und aus diesem Grund als Verbraucher von den gestiegenen Preisen mindestens in gleichem Maße betroffen sind. Hierfür sprechen empirische Daten. Nach einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung e.V. (DIW) treffen die gestiegenen Verbraucherpreise Menschen mit niedrigem Einkommen in besonderem Maße30.

Auch in Bezug auf die geleistete Betriebstreue ergeben sich keine Aspekte, die die Ungleichbehandlung rechtfertigen könnten. Vergangene Betriebstreue haben die Arbeitnehmer, die sich am 31.05.2023 in der Passivphase ihrer Altersteilzeit befanden, ebenso erbracht wie die zu dem Zeitpunkt ebenfalls beschäftigten Vollzeitkräfte.

Als Rechtsfolge des Verstoßes gegen § 4 Abs. 1 Satz 2 TzBfG kann der Arbeitnehmer die Inflationsausgleichsprämie verlangen. Die diskriminierende Ausnahmeregelung in § 1 Abs. 2 Satz 3 TV IAP ist nach § 134 BGB nichtig. Damit ist auf den Arbeitnehmer § 1 Abs. 1 Satz 1 TV IAP anwendbar, aus dem sich der Anspruch dem Grunde nach ergibt. Die Anspruchshöhe folgt aus § 1 Abs. 2 Satz 1 TV IAP, demzufolge die Einmalzahlung unabhängig vom individuellen Beschäftigungsgrad 3.000, 00 Euro beträgt.

Der Zahlungsanspruch ist dem Arbeitnehmer ohne den Zusatz „netto“ zuzusprechen. Sein Klageantrag ist dahin auszulegen, dass er damit keine Klärung der Frage erstrebt, ob die Prämie abgabenfrei verlangt werden kann31. Auf eine Nettolohnvereinbarung beruft er sich nicht. Vielmehr geht er ersichtlich schlicht davon aus, dass die Inflationsausgleichsprämie aufgrund der geltenden Rechtslage steuer- und sozialversicherungsabgabenfrei zu zahlen ist. Zu einer Entscheidung hierüber ist das Bundesarbeitsgericht ohne Nettolohnvereinbarung zwischen den Parteien nicht berufen.

Es bedarf daher keiner weiteren Entscheidung des Bundesarbeitsgericht, ob sich der Anspruch auf die Inflationsausgleichsprämie – wie der Arbeitnehmer meint – auch aus anderen rechtlichen Gesichtspunkten ergibt.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 12. November 2024 – 9 AZR 71/24

  1. ruhend/nicht ruhend[]
  2. ArbG Essen 23.10.2023 – 6 Ca 1687/23[]
  3. LAG Düsseldorf 5.03.2024 – 14 Sa 1148/23[]
  4. BAG 23.01.2007 – 9 AZR 393/06, Rn. 46, BAGE 121, 55; 4.05.2010 – 9 AZR 155/09, Rn. 35, BAGE 134, 223[]
  5. ausf. BAG 23.01.2007 – 9 AZR 393/06, Rn. 45 ff., BAGE 121, 55[]
  6. BAG 23.01.2007 – 9 AZR 393/06, Rn. 47 ff., BAGE 121, 55; 4.05.2010 – 9 AZR 155/09, Rn. 35, BAGE 134, 223[]
  7. BAG 22.10.2019 – 9 AZR 71/19, Rn. 22 mwN; 19.12.2018 – 10 AZR 231/18, Rn. 47 mwN, BAGE 165, 1[]
  8. BAG 18.01.2023 – 5 AZR 108/22, Rn. 15, BAGE 180, 44; 22.10.2019 – 9 AZR 71/19, Rn. 24 mwN; 23.03.2017 – 6 AZR 161/16, Rn. 46, BAGE 158, 360[]
  9. vgl. BAG 9.07.2024 – 9 AZR 296/20, Rn. 21[]
  10. BAG 19.06.2018 – 9 AZR 3/18, Rn. 23; 20.03.2018 – 9 AZR 486/17, Rn. 13, BAGE 162, 137; 10.02.2015 – 9 AZR 53/14 (F), Rn. 17, BAGE 150, 345; 5.08.2009 – 10 AZR 634/08, Rn. 23 mwN[]
  11. vgl. BAG 19.01.2016 – 9 AZR 564/14, Rn. 17[]
  12. vgl. BAG 19.01.2016 – 9 AZR 564/14, Rn. 18[]
  13. vgl. BAG 24.09.2008 – 6 AZR 657/07, Rn. 29 mwN, BAGE 128, 63[]
  14. vgl. BAG 5.08.2009 – 10 AZR 634/08, Rn. 27 ff.[]
  15. BAG 23.03.2017 – 6 AZR 161/16, Rn. 50, BAGE 158, 360[]
  16. BAG 22.10.2008 – 10 AZR 842/07, Rn. 21 mwN[]
  17. BAG 23.03.2017 – 6 AZR 161/16, Rn. 55 mwN, aaO[]
  18. BAG 28.03.2023 – 9 AZR 132/22, Rn. 23, BAGE 180, 312; 29.01.2020 – 4 ABR 26/19, Rn. 28, BAGE 169, 351[]
  19. EuGH 19.10.2023 – C-660/20 – [Lufthansa CityLine] Rn. 57; 1.03.2012 – C-393/10 – [O’Brien] Rn. 64[]
  20. EuGH 19.09.2018 – C-312/17 – [Bedi] Rn. 69 ff.; BAG 11.11.2020 – 10 AZR 185/20 (A), Rn. 44, BAGE 173, 10; 22.10.2019 – 9 AZR 71/19, Rn. 31 mwN[]
  21. EuGH 29.07.2024 – C-184/22 und – C-185/22 – [KfH Kuratorium für Dialyse und Nierentransplantation] Rn. 47; 19.10.2023 – C-660/20 – [Lufthansa CityLine] Rn. 58[]
  22. EuGH 19.10.2023 – C-660/20 – [Lufthansa CityLine] Rn. 62[]
  23. vgl. BAG 22.03.2023 – 10 AZR 553/20, Rn.20; 19.06.2018 – 9 AZR 564/17, Rn. 28 f.[]
  24. BAG 19.12.2018 – 10 AZR 231/18, Rn. 34, BAGE 165, 1; 23.03.2017 – 6 AZR 161/16, Rn. 55, BAGE 158, 360[]
  25. vgl. BAG 11.11.2020 – 10 AZR 185/20 (A), Rn. 68, BAGE 173, 10[]
  26. BAG 18.01.2012 – 10 AZR 612/10, Rn. 16, 28, BAGE 140, 231[]
  27. BAG 12.12.2018 – 4 AZR 271/18, Rn. 36; 27.06.2018 – 10 AZR 290/17, Rn. 27 mwN, BAGE 163, 144[]
  28. vgl. BAG 13.05.2015 – 10 AZR 266/14, Rn. 14[]
  29. vgl. allg. BAG 15.11.2023 – 10 AZR 288/22, Rn. 63; 18.01.2012 – 10 AZR 667/10, Rn. 18, BAGE 140, 239[]
  30. DIW Wochenbericht Nr. 28/2022[]
  31. vgl. BAG 24.02.2021 – 10 AZR 130/19, Rn. 43[]

Bildnachweis: