Außerordentliche betriebsbedingte Kündigung durch die Transfergesellschaft

Der Wegfall der Refinanzierungszahlungen der Bundesagentur für Arbeit an eine Transfergesellschaft berechtigt diese nicht zu außerordentlchen betriebsbedingten Kündigungen der dort bestehenden Arbeitsverhältnisse.

Außerordentliche betriebsbedingte Kündigung durch die Transfergesellschaft

Aufgrund einer dreiseitigen Vereinbarung zwischen bisherigem Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Transfergesellschaft sind die Arbeitsverhältnisse auf die Transfergesellschaft übergegen (und regelmäßig auch befristet worden).

Arbeitnehmer ist, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. Der objektive Geschäftsinhalt ist dabei den ausdrücklich getroffenen Vereinbarungen und der praktischen Durchführung des Vertrags unter Gesamtwürdigung aller Umstände zu entnehmen. Widersprechen sich Vereinbarung und tatsächliche Durchführung, ist letztere maßgebend1.

Danach besteht zwischen dem Arbeitnehmer und der Transfergesellschaft ein Arbeitsverhältnis.

Die Parteien des dreiseitigen Vertrags sind sämtlich Personen des privaten Rechts. Sie haben das zwischen ihnen vereinbarte Rechtsverhältnis nicht nur ausdrücklich als Arbeitsverhältnis bezeichnet. Sie haben auch für ein Arbeitsverhältnis typische Regelungen getroffen, etwa über die regelmäßige monatliche Vergütung, Arbeitszeiten, Urlaubsanspruch und Entgeltfortzahlung.

Das Fehlen einer Arbeitspflicht bei „Transferkurzarbeit Null“ spricht nicht gegen das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses2. Der Begriff der „Arbeit“ ist weit zu verstehen und umfasst auch eine vertraglich vereinbarte Teilnahme an angebotenen Weiterbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen3. Zudem kann die Arbeitspflicht – etwa bei Durchführung von Fortbildungsmaßnahmen im laufenden Arbeitsverhältnis oder einer Freistellung während der Kündigungsfrist – auch im Rahmen von Arbeitsverhältnissen entfallen.

Weiterlesen:
Kündigungsschutz und die Schaffung einer ausgewogenen Altersstruktur im Insolvenzverfahren

Zwar besteht das vereinbarte Arbeitsentgelt zum Teil aus dem von der Agentur für Arbeit gezahlten Transferkurzarbeitergeld. Im Verhältnis der Parteien ist dieses aber Bestandteil der aufgrund privatrechtlichen Vertrags geschuldeten Vergütung.

Sinn und Zweck von §§ 216a, 216b SGB III (aF) bestätigen dieses Ergebnis. Gem. § 216b Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 SGB III (aF) muss ein bestehendes Arbeitsverhältnis fortgesetzt werden. An Arbeitnehmer in einem gekündigten oder aufgelösten Arbeitsverhältnis kann Transferkurzarbeitergeld nicht gewährt werden4. Die Arbeitnehmer dürfen vor und mit Eintritt in die beE nicht arbeitslos geworden sein. Die Parteien konnten die von ihnen verfolgten Ziele daher nur durch die Begründung eines Arbeitsverhältnisses erreichen5.

Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Das Kündigungsrecht ist gegenüber einer Anpassung nach § 313 BGB lex specialis. Das bedeutet zwar nicht, dass Tatbestände, die für eine Störung oder den Wegfall der Geschäftsgrundlage herangezogen werden könnten, in kündigungsrechtlicher Hinsicht außer Betracht bleiben müssten. Derartige Sachverhalte sind aber im Rahmen der kündigungsrechtlichen Vorschriften zu würdigen6.

Weiterlesen:
Anzeigepflicht bei der Massenentlassung - und die Mitarbeiterzählung

Eine außerordentliche Kündigung aus betrieblichen Gründen ist gegenüber einem ordentlich kündbaren Arbeitnehmer grundsätzlich unwirksam. Sie setzt voraus, dass dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unzumutbar ist. Das ist bei einer betriebsbedingten Kündigung regelmäßig nicht der Fall. Dem Arbeitgeber ist es, wenn eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für den Arbeitnehmer aus betrieblichen Gründen entfällt, selbst im Insolvenzfall zuzumuten, die Kündigungsfrist einzuhalten7. Eine auf betriebliche Gründe gestützte außerordentliche Kündigung kommt – unter Einhaltung einer der ordentlichen Kündigungsfrist entsprechenden Auslauffrist8 – allenfalls in Betracht, wenn die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung ausgeschlossen ist und dies dazu führt, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer andernfalls trotz Wegfalls der Beschäftigungsmöglichkeit noch für erhebliche Zeiträume vergüten müsste, ohne dass dem eine entsprechende Arbeitsleistung gegenüberstünde9.

Ein wichtiger Grund liegt nicht bereits in einer schlechten wirtschaftlichen Lage oder der (drohenden) Insolvenz des Arbeitgebers als solcher10. Das wirtschaftliche Risiko trägt der Arbeitgeber. Dieser Grundsatz kommt ua. in § 113 Satz 1, Satz 2 InsO zum Ausdruck. Danach steht – selbst bei Ausschluss der ordentlichen Kündigung – auch dem Insolvenzverwalter bei betrieblichen Gründen nur das Recht zur ordentlichen Kündigung mit einer Frist von bis zu drei Monaten zu.

In Anwendung dieser Grundsätze ist ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB im hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Streitfall nicht gegeben: Zwar ist wegen § 620 Abs. 1 BGB, § 15 Abs. 3 TzBfG davon auszugehen, dass der Arbeitsvertrag des Arbeitnehmers ordentlich nicht kündbar war. Ein wichtiger Grund liegt aber gleichwohl nicht vor. Dabei kommt es auf die Frage, ob die Transfergesellschaft über die Weiterleitung von Zahlungen der Agentur für Arbeit hinaus eine selbständige vertragliche Vergütungspflicht traf, nicht an.

Weiterlesen:
Feiertagsvergütung, Nachtarbeitszuschlag - und der Mindestlohn

War dies nicht der Fall, war der Transfergesellschaft die Fortsetzung des Arbeitsvertrags bis zum Ablauf der Befristung ohne Weiteres zumutbar.

Die Fortsetzung war ihr aber auch dann zumutbar, wenn sie vertraglich verpflichtet gewesen sein sollte, die vereinbarte Vergütung unabhängig von ihrer Refinanzierung an den Arbeitnehmer zu zahlen.

Zahlungsschwierigkeiten des Arbeitgebers als solche sind kein wichtiger Grund für eine außerordentliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses iSv. § 626 Abs. 1 BGB. Andere Kündigungsgründe hat der Beklagte nicht dargelegt.

Aus dem dreiseitigen Vertrag ergibt sich nichts anderes. Zwar gingen dessen Parteien davon aus, dass die Agentur für Arbeit Transferkurzarbeitergeld auszahlen und D die Finanzmittel für die Aufstockungszahlungen und die sonstigen Remanenzkosten bereitstellen würde. Zur Absicherung der Transfergesellschaft haben die Vertragsparteien die Begründung des Arbeitsverhältnisses mit dieser unter die aufschiebende Bedingung gestellt, dass Transferkurzarbeitergeld tatsächlich geleistet wird. Wer nach Eintritt der aufschiebenden Bedingung das Risiko des Ausbleibens sonstiger Refinanzierungsleistungen zu tragen hat, ist hingegen nicht geregelt. Es verbleibt deshalb dabei, dass das wirtschaftliche Risiko vom Arbeitgeber zu tragen ist. Dieser Grundsatz bedarf auch für den Streitfall keiner Korrektur. Es war der Transfergesellschaft unbenommen, sich gegen das Risiko einer Insolvenz der (bisherigen) Arbeitgeberin – so wie für die ersten drei Monate der Maßnahme durch Vorausleistung geschehen – abzusichern. Der Arbeitnehmer seinerseits hat das mit der (bisherigen) Arbeitgeberin bestehende Arbeitsverhältnis nur deshalb unter „Verzicht auf das Führen von Bestandsstreitigkeiten“ aufgegeben, weil er die Möglichkeit erhielt, für eine bestimmte Zeit unter Erhalt seiner Existenzgrundlage an Qualifizierungsmaßnahmen teilzunehmen, ohne arbeitslos zu sein.

Weiterlesen:
Kündigungsgrund: Häufige Kurzerkrankungen

Auch die sonstigen Umstände des Streitfalls gebieten entgegen der Auffassung des Beklagten kein abweichendes Ergebnis.

Die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Befristung am 31.03.2010 war der S nicht deshalb unzumutbar, weil sie nach ihrer Behauptung lediglich ein Honorar von 100,00 Euro für jeden zu betreuenden Arbeitnehmer erhalten hat. Dieser Umstand betrifft ausschließlich das durch einen gesonderten Vertrag geregelte Rechtsverhältnis zwischen der Transfergesellschaft und der (bisherigen) Arbeitgeberin. Er ist Teil der wirtschaftlichen Kalkulation des Arbeitgebers. Er hat im dreiseitigen Vertrag keinen Niederschlag gefunden.

Soweit sich die Transfergesellschaft darauf beruft, die Zahlung des Transferkurzarbeitergeldes sei aufgrund des Bezugs von Arbeitslosengeld durch den Arbeitnehmer entfallen, ist dies ihrer Sphäre und nicht der des Arbeitnehmers zuzuordnen. Dieser hat nur deshalb schon vor Ablauf der Befristung Arbeitslosengeld beantragt und erhalten, weil die Transfergesellschaft das Arbeitsverhältnis außerordentlich gekündigt und sämtliche Zahlungen an ihn eingestellt hatte.

Es war der Transfergesellschaft nicht deshalb unzumutbar, das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der Befristung fortzusetzen, weil der Vergütung keine „wirkliche“ Arbeitsleistung des Arbeitnehmers gegenüber stand. Dies war vertraglich von Anfang an nicht anders vorgesehen.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24. Januar 2013 – 2 AZR 453/11

  1. BAG 20.05.2009 – 5 AZR 31/08, Rn.19, AP BGB § 611 Arbeitnehmerähnlichkeit Nr. 16 = EzA BGB 2002 § 611 Arbeitnehmerbegriff Nr. 15; 14.03.2007 – 5 AZR 499/06, Rn. 13, AP BGB § 611 Arbeitnehmerähnlichkeit Nr. 13 = EzA BGB 2002 § 611 Arbeitnehmerbegriff Nr. 10[]
  2. vgl. Meyer NZS 2002, 580; iE auch Gaul/Otto NZA 2004, 1301, 1303; aA LAG Berlin-Brandenburg 17.01.2007 – 4 Sa 1258/06; Natzel NZA 2012, 650, 651 f.[]
  3. vgl. BAG 9.05.2011 – 10 AZB 1/11, Rn.19[]
  4. Niesel/Brand/Krodel SGB III 5. Aufl. § 216b Rn. 3, 20; Gaul/Otto NZA 2004, 1301, 1307; zu § 111 SGB III Gagel/Bieback SGB III § 111 Rn. 1[]
  5. vgl. BAG 9.05.2011 – 10 AZB 1/11, Rn. 22[]
  6. BAG 29.09.2011 – 2 AZR 523/10, Rn. 26, AP KSchG 1969 § 2 Nr. 152 = EzA KSchG § 2 Nr. 83; 8.10.2009 – 2 AZR 235/08, Rn. 32, AP KSchG 1969 § 2 Nr. 143 = EzA KSchG § 2 Nr. 75[]
  7. BAG 18.03.2010 – 2 AZR 337/08, Rn. 16, AP BGB § 626 Nr. 228 = EzA BGB 2002 § 626 Unkündbarkeit Nr. 17; 8.04.2003 – 2 AZR 355/02, zu II 3 b aa der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 181 = EzA BGB 2002 § 626 Unkündbarkeit Nr. 2[]
  8. BAG 21.06.2012 – 2 AZR 343/11, Rn. 18 mwN, EzA KSchG § 15 nF Nr. 71[]
  9. BAG 18.03.2010 – 2 AZR 337/08, Rn. 17, AP BGB § 626 Nr. 228 = EzA BGB 2002 § 626 Unkündbarkeit Nr. 17; 10.05.2007 – 2 AZR 626/05, Rn. 25 mwN, BAGE 122, 264[]
  10. vgl. BAG 25.10.1968 – 2 AZR 23/68, AP KO § 22 Nr. 1 = EzA BGB § 626 Nr. 10; ErfK/Müller-Glöge 12. Aufl. § 113 InsO Rn. 12; KR-Weigand 10. Aufl. § 113 InsO Rn. 73[]
Weiterlesen:
Einleitung der Betriebsratsanhörung durch einen Stellvertreter