Nettoentgelt iSv. § 1a Satz 2 AEntG aF ist der nach dem für den betreffenden Arbeitnehmer maßgeblichen Steuer- und Sozialversicherungsrecht zur Auszahlung verbleibende Betrag des Mindestentgelts. Unterliegt der Arbeitnehmer ausländischem Sozialversicherungsrecht, sind die danach vom Arbeitnehmer zu tragenden Anteile zur ausländischen Sozialversicherung, nicht aber – fiktive – Beiträge zur deutschen Sozialversicherung zu berücksichtigen.

Nach § 1a Satz 1 AEntG aF haftet ein Unternehmer, der einen anderen Unternehmer mit der Erbringung von Werk- oder Dienstleistungen beauftragt, für die Verpflichtungen dieses Unternehmers oder eines Nachunternehmers zur Zahlung des Mindestentgelts an einen Arbeitnehmer wie ein Bürge, der auf die Einrede der Vorausklage (§ 771 BGB) verzichtet hat.
§ 1a Satz 1 AEntG aF ist mit Unionsrecht vereinbar und verstößt auch nicht gegen das Grundgesetz [1]. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Haftung des Hauptunternehmers nach § 1a AEntG aF entsprechend dem Gesetzeswortlaut auch im Fall der Insolvenz des Nachunternehmers besteht oder dem Art. 12 Abs. 1 GG entgegensteht [2]. Auf eine Insolvenz der Arbeitgeberin des Klägers und einen darauf gestützten Wegfall ihrer Haftung hat die Beklagte sich im hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall nicht berufen.
Im Baugewerbe war in den streitbefangenen Monaten ein Mindestentgelt im Sinne von § 1a Satz 1 AEntG aF zu zahlen. Dieses ergab sich aus dem TV Mindestlohn, der durch die Fünfte Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen im Baugewerbe vom 29.08.2005 [3] auf alle nicht „an ihn“ – also den TV Mindestlohn – gebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer erstreckt wurde und dessen Rechtsnormen auch für Arbeitgeber mit Sitz im Ausland und deren auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer international zwingend gemäß Art. 34 EGBGB aF Anwendung fand. Die Rom I‑VO [4] ist nach ihrem Art. 28 erst auf Verträge anzuwenden, die nach dem 17.12.2009 geschlossen worden sind.
Die 5. MindestlohnVO Bau war von der Ermächtigungsgrundlage des § 1 Abs. 3a Satz 1 AEntG aF gedeckt [5]. Aus dem Gesamtzusammenhang der Norm ergibt sich, dass mit dem Merkmal „nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer“ in § 1 Abs. 3a Satz 1 AEntG aF – wie der Gesetzgeber in § 7 Abs. 1 Satz 1 AEntG nF klargestellt hat – die nicht an den zu erstreckenden Tarifvertrag nach § 3 Abs. 1 TVG gebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeint sind.
Nach § 1a Satz 2 AEntG aF umfasst das Mindestentgelt im Sinne des Satzes 1 den Betrag, der nach Abzug der Steuern und der Beiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung oder entsprechender Aufwendungen zur sozialen Sicherung an den Arbeitnehmer auszuzahlen ist. Bei der Ermittlung dieses Nettoentgelts kommt es nicht darauf an, welchen Betrag der Arbeitgeber tatsächlich ausgezahlt hat. Entscheidend ist allein der nach dem für den betreffenden Arbeitnehmer maßgeblichen Steuer- und Sozialversicherungsrecht zur Auszahlung verbleibende Betrag des Mindestentgelts.
Unterliegt der Gläubiger der Haftung nach § 1a AEntG aF ausländischem Sozialversicherungsrecht, kommt die Berücksichtigung von – fiktiven – Beiträgen zur deutschen Sozialversicherung bei der Ermittlung des Nettoentgelts nach § 1a Satz 2 AEntG nicht in Betracht. Die Norm stellt auf die vom Gläubiger tatsächlich zu tragenden Beiträge zur Sozialversicherung ab und will nicht fiktive Beiträge anrechnen, denen keine gleichwertigen sozialversicherungsrechtlichen Ansprüche gegenüberstehen, weil das zugrunde liegende Sozialversicherungsrecht überhaupt keine Anwendung findet [6]. Dementsprechend hat im Gesamthaftungssystem der Bauunternehmer nach § 28e Abs. 3a Satz 2 SGB IV nicht für die zur deutschen Sozialversicherung, sondern (nur) für die vom Nachunternehmer gegenüber ausländischen Sozialversicherungsträgern abzuführenden Beiträge zu haften.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 17. August 2011 – 5 AZR 490/10
- EuGH 12.10.2004 – C – 60/03 – [Wolff & Müller] Slg.2004, I9553; BVerfG 20.03.2007 – 1 BvR 1047/05 – EzAÜG GG Nr. 9; BAG 12.01.2005 – 5 AZR 617/01, BAGE 113, 149[↩]
- ausdrücklich offengelassen: BVerfG 20.03.2007 – 1 BvR 1047/05 – zu IV 2 b) bb) (4) (b) der Gründe, aaO; BAG 8.12.2010 – 5 AZR 95/10, Rn. 18, AP AEntG § 1a Nr. 4 = EzA AEntG § 1a Nr. 7[↩]
- BAnz. Nr. 164 vom 31.08.2005 S. 13199[↩]
- Verordnung 593/2008/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.06.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht[↩]
- vgl. BVerfG 18.07.2000 – 1 BvR 948/00 – zu II 3 der Gründe, AP AEntG § 1 Nr. 4 = EzA GG Art. 9 Nr. 69 und 26.11.2003 – 1 BvR 908/03 ; ErfK/Schlachter 9. Aufl. § 1 AEntG Rn. 14; Koberski/Asshoff/Eustrup/Winkler 3. Aufl. § 7 AEntG Rn. 15 ff., jeweils mwN; zur Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Branche Briefdienstleistungen vom 28.12.2007 aA: OVG BerlinBrandenburg 18.12.2008 – OVG 1 B 13/08, Rn. 44 ff., SAE 2009, 167; in der Revisionsinstanz offengelassen: BVerwG 28.01.2010 – 8 C 19/09 – BVerwGE 136, 54[↩]
- Temming jurisPR-ArbR 42/2010 Anm. 3[↩]