Eine geheime Beratung und Abstimmung iSd. § 193 Abs. 1, § 194 GVG verlangt grundsätzlich die mündliche Beratung über den Streitgegenstand im Beisein sämtlicher beteiligten Richter. Eine Nachberatung im Wege einer Telefonkonferenz kann diese nicht ersetzen, sondern nur neben sie treten.

Aus § 193 Abs. 1 GVG ergibt sich, dass die Entscheidung eines Kollegialgerichts auf einer Beratung und Abstimmung der dazu berufenen Richter beruhen muss. Die einzuhaltende Verfahrensweise bestimmt § 194 GVG.
Die mündliche Beratung im Beisein sämtlicher beteiligten Richter ist die Regel [1].
In geeigneten Fällen kann eine Nachberatung im Wege einer Telefonkonferenz zulässig sein, bei welcher unter der Leitung des Vorsitzenden jeder Teilnehmer von seinem Telefonapparat zeitgleich mit jedem anderen Teilnehmer kommunizieren kann und alle Teilnehmer die gesamte Kommunikation mithören [2]. Voraussetzung ist, dass alle beteiligten Richter mit dieser Verfahrensweise einverstanden sind und sichergestellt ist, dass jederzeit in eine mündliche Beratung im Beisein aller Richter eingetreten werden kann, falls ein Richter dies wünscht oder ein neuer Gesichtspunkt es erfordert [3]. Die Telefonkonferenz kann die mündliche Beratung bei gleichzeitiger Anwesenheit aller beteiligten Richter allerdings auch dann nicht ersetzen. Sie kann – wie etwa bei der Beratung über einen nachträglich eingegangenen Schriftsatz – nur neben diese treten [4]. Die erstmalige Beratung als einzige und eigentliche Grundlage für die Entscheidung in der Hauptsache muss zwingend im Beisein sämtlicher beteiligten Richter stattfinden [5]. Eine Nachberatung im Wege der Telefonkonferenz kommt damit nur dann in Betracht, wenn über den Streitgegenstand selbst bereits im Beisein aller Richter beraten worden ist.
Ausnahmsweise kann eine Entscheidung auch in einem Umlaufverfahren, also im Wege einer schriftlichen Beratung und Abstimmung aufgrund eines Entscheidungsentwurfs, ergehen, wenn die beteiligten Richter mit diesem Verfahren einverstanden sind [6]. Anerkannt ist dies etwa für Beschlüsse nach § 130a VwGO [7] und § 153 Abs. 4 SGG [8].
Eine Abfrage der Meinungen der zur Entscheidung berufenen Richter in Einzeltelefonaten ist in jedem Fall unzureichend [9].
Danach ist im hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall das angefochtene Urteil nicht aufgrund einer geheimen Beratung und Abstimmung iSd. § 193 Abs. 1, § 194 GVG gefällt worden.
Über den Streitgegenstand selbst hat die Kammer zu keinem Zeitpunkt im Beisein aller Richter beraten.
Am Ende der öffentlichen Sitzung hat das Landesarbeitsgericht beschlossen, der Klägerin Gelegenheit zur Stellungnahme zu einem gegnerischen Schriftsatz mit einer Schriftsatzfrist von 2 Wochen zu gewähren. Termin zur Verkündung einer Entscheidung werde nach Ablauf der Frist von Amts wegen bestimmt. Dementsprechend hat es vor Fristablauf über die Hauptsache nicht beraten.
Dass das Landesarbeitsgericht nicht schon vor Ablauf der gewährten Schriftsatzfrist über den Streitgegenstand selbst entschieden hat, entspricht den prozessualen Vorschriften.
Gemäß § 283 Satz 2 ZPO muss eine Erwiderung, die rechtzeitig innerhalb der nachgelassenen Frist erfolgt, bei der Entscheidung berücksichtigt werden. Das „Nachschubrecht“ verlängert den Schluss der mündlichen Verhandlung für das nachgelassene Erwiderungsvorbringen bis zum Ablauf der gewährten Frist [10].
Anders ist dies bei nicht nachgelassenem, nach Schluss der mündlichen Verhandlung iSv. § 296a ZPO nachgereichtem Vorbringen. Dieses ist lediglich darauf hin zu prüfen, ob es Anlass zu einer Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nach § 156 ZPO gibt. Ist in einem solchen Fall das Urteil im Anschluss an die mündliche Verhandlung im Beisein aller Richter schon inhaltlich beraten worden, kann über die Reaktion auf den nachgereichten Schriftsatz in einer Telefonkonferenz beraten werden. Sieht das Gericht keinen Anlass für eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung, verbleibt es bei dem bereits gefällten Urteil.
Eine inhaltliche Entscheidung über den Streitgegenstand hat die Kammer erstmals nach Ablauf der Schriftsatzfrist in einer Telefonkonferenz gefällt. Darin lag keine Beratung nach § 193 GVG. Auch nach der Telefonkonferenz hat bis zur Verkündung des Urteils eine Beratung über den Streitgegenstand selbst im Beisein aller beteiligten Richter nicht mehr stattgefunden. Die Kammer hat ediglich in einer weiteren Telefonkonferenz entschieden, die Verhandlung sei auch angesichts eines weiteren Schriftsatzes der Beklagten nicht wiederzueröffnen; es verbleibe „bei der bisher getroffenen Entscheidung“.
Das angefochtene Urteil ist nicht in zulässiger Weise im schriftlichen Umlaufverfahren gefällt worden. Zum einen ist fraglich, ob diese Form der Beratung für Urteile, die auf eine mündliche Verhandlung und unter Beteiligung von ehrenamtlichen Richtern ergehen, überhaupt in Betracht kommen kann. Dagegen bestehen erhebliche Bedenken. Die in der Rechtsprechung bislang anerkannten Fälle betrafen Beschlüsse nach § 130a VwGO und § 153 Abs. 4 SGG, die ohne mündliche Verhandlung und ohne Beteiligung von ehrenamtlichen Richtern ergehen. Zum anderen hat das Landesarbeitsgericht über den Streitgegenstand des angefochtenen Urteils schon tatsächlich gar nicht im Einverständnis aller beteiligten Richter im schriftlichen Umlaufverfahren beraten und abgestimmt. Zwar ist das schriftliche Urteil an die ehrenamtlichen Richter gesandt und vor seiner Verkündung von allen beteiligten Richtern unterzeichnet worden. Es ist aber nichts dafür ersichtlich, dass dies der inhaltlichen Beratung und Abstimmung in der Sache und nicht ausschließlich dem Erfordernis einer Unterschrift durch sämtliche Kammermitglieder nach § 69 Abs. 1 Satz 1 ArbGG dienen sollte. Die Kammer hatte schon in der ersten Telefonkonferenz eine inhaltliche Entscheidung über den Streitgegenstand getroffen und an dieser auch in ihrer weiteren Telefonkonferenz lediglich festgehalten.
Das angefochtene Urteil beruht iSd. § 73 Abs. 1 Satz 1 ArbGG auf dem Verfahrensfehler. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es bei ordnungsgemäßer Beratung und Abstimmung anders ausgefallen wäre [11]. So kommt insbesondere in Betracht, dass bei einer mündlichen Beratung im Beisein aller Richter angesichts der Schriftsätze der Parteien eine Fortsetzung der mündlichen Verhandlung zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts beschlossen und ein im Ergebnis für die Beklagte günstigeres Urteil gefällt worden wäre.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 26. März 2015 – 2 AZR 417/14
- BAG 18.01.2012 – 7 ABR 72/10, Rn. 63; BGH 20.04.2012 – LwZR 5/11, Rn. 8; 24.04.2009 – LwZR 3/08, Rn. 8; 28.11.2008 – LwZR 4/08, Rn. 8[↩]
- BGH 29.11.2013 – BLw 4/12, Rn. 30, 33[↩]
- BGH 29.11.2013 – BLw 4/12, Rn. 33[↩]
- BGH 29.11.2013 – BLw 4/12 – aaO[↩]
- so auch BGH 29.11.2013 – BLw 4/12 – aaO[↩]
- BAG 18.01.2012 – 7 ABR 72/10, Rn. 63; BGH 20.04.2012 – LwZR 5/11, Rn. 8; 24.04.2009 – LwZR 3/08, Rn. 8; 28.11.2008 – LwZR 4/08, Rn. 8; BSG 11.02.2000 – B 2 U 324/99 B; BVerwG 23.09.1991 – 2 B 99/91[↩]
- BVerwG 23.09.1991 – 2 B 99/91[↩]
- BSG 11.02.2000 – B 2 U 324/99 B[↩]
- BGH 29.11.2013 – BLw 4/12, Rn. 29; 24.04.2009 – LwZR 3/08, Rn. 8; BSG 27.05.1971 – 8 RV 773/70, zu II der Gründe[↩]
- Zöller/Greger ZPO 30. Aufl. § 283 Rn. 1[↩]
- zu diesem Maßstab bei Verfahrensverstößen: BAG 23.01.1996 – 9 AZR 600/93, zu I 2 c der Gründe, BAGE 82, 74; Düwell/Lipke/Düwell 3. Aufl. § 73 Rn. 51; ErfK/Koch 15. Aufl. § 73 ArbGG Rn. 10; GK-ArbGG/Mikosch Stand Dezember 2014 § 73 Rn. 90; Schwab/Weth/Ulrich 4. Aufl. ArbGG § 73 Rn. 62 mwN; für § 545 Abs. 1 ZPO vgl. BGH 26.04.1989 – I ZR 220/87, zu II 2 a der Gründe; Zöller/Heßler ZPO 30. Aufl. § 545 Rn. 1[↩]
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