Konzernbetriebsvereinbarung – und der Share Deal

Eine im Betrieb eines konzernangehörigen Unternehmens geltende Konzernbetriebsvereinbarung gilt dort normativ als Einzelbetriebsvereinbarung weiter, wenn das Unternehmen infolge einer Übertragung seiner Geschäftsanteile aus dem Konzern ausscheidet und nicht unter den Geltungsbereich einer im neuen Konzernverbund geltenden Konzernbetriebsvereinbarung mit demselben Regelungsgegenstand fällt.

Konzernbetriebsvereinbarung – und der Share Deal

Nach einem durch die Übertragung von Geschäftsanteilen bedingten Ausscheiden eines konzernangehörigen Unternehmens aus dem Konzern kann eine zuvor im Betrieb oder in den Betrieben dieses Unternehmens geltende Konzernbetriebsvereinbarung dort normativ weitergelten1. Dies gilt jedenfalls dann, wenn das aus dem Konzern ausscheidende Unternehmen danach nicht in den Geltungsbereich einer zum selben Regelungsgegenstand abgeschlossenen anderen Konzernbetriebsvereinbarung fällt.

Dem Betriebsverfassungsgesetz liegt eine auf die Organisationseinheit des Betriebs bezogene Normwirkung von Betriebsvereinbarungen zugrunde. Der Gesetzgeber hat trotz der Regelungen in § 50 Abs. 1 und § 58 Abs. 1 BetrVG sprachlich nicht zwischen Einzel, Gesamt- oder Konzernbetriebsvereinbarungen unterschieden, sondern stets den Begriff der „Betriebsvereinbarung“ verwendet. Deren Bezugsobjekte sind damit – ungeachtet der sie jeweils schließenden Parteien – immer die einzelnen Betriebe. Auch inhaltlich regelt eine Konzernbetriebsvereinbarung – obwohl für sämtliche oder zumindest mehrere Unternehmen eines Konzerns abgeschlossen – ebenso wie eine Gesamtbetriebsvereinbarung2 ausschließlich betriebliche Angelegenheiten. Diese werden lediglich auf der Rechtsebene des Konzerns durch die Konzernobergesellschaft und den Konzernbetriebsrat für alle Betriebe der vom Geltungsbereich der Betriebsvereinbarung erfassten, konzernangehörigen Unternehmen und deren Arbeitnehmer normativ ausgestaltet. Soweit § 58 Abs. 1 BetrVG dem Konzernbetriebsrat hierfür eine Zuständigkeit vermittelt, hat dies nicht zur Folge, dass aus der zu regelnden Angelegenheit eine solche des „Konzerns“ wird. Dies verkennt die Rechtsbeschwerde, soweit sie geltend macht, in § 58 Abs. 1 BetrVG werde anders als in § 50 Abs. 1 Satz 1 BetrVG nicht ausdrücklich der einzelne Betrieb als Bezugsobjekt genannt. Grund hierfür ist lediglich, dass § 58 Abs. 1 BetrVG die Abgrenzung der originären Zuständigkeit vom Konzernbetriebsrat zum Gesamtbetriebsrat regelt, während § 50 Abs. 1 BetrVG die Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Gesamtbetriebsrat und Betriebsrat festlegt.

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Durchführung einer Gesamtbetriebsvereinbarung nach Betriebsübergang

Angesichts der auf die Organisationseinheit Betrieb bezogenen Geltung jeder Betriebsvereinbarung ist es unerheblich, dass eine Konzernbetriebsvereinbarung im Gegensatz zur Gesamtbetriebsvereinbarung von einem anderen Rechtsträger als dem der betroffenen Betriebe geschlossen wird. Der Inhalt einer zwischen Konzernobergesellschaft und Konzernbetriebsrat geschlossenen Betriebsvereinbarung tritt – wie der einer Gesamtbetriebsvereinbarung3 – als gleichermaßen im Betrieb geltendes Regelwerk neben die in den erfassten betrieblichen Einheiten geltenden Einzel- und Gesamtbetriebsvereinbarungen. Eine Konzernbetriebsvereinbarung gestaltet die kollektive Ordnung der von ihr erfassten Betriebe nicht anders als eine Einzelbetriebsvereinbarung. Dass sie zugleich in Betrieben anderer Unternehmen gilt, ändert an ihrer organisationseinheitsbezogenen Normwirkung nichts.

Da sich ein bloßer Wechsel in den Beherrschungsverhältnissen des den Betrieb unterhaltenden Rechtsträgers nicht auf die betriebliche Identität auswirkt, kann eine Konzernbetriebsvereinbarung dort auch dann normativ weitergelten, wenn das den Betrieb führende Unternehmen dadurch aus dem Konzernverbund ausscheidet. Dies gilt jedenfalls dann, wenn das Unternehmen nach der Anteilsübertragung auf ein konzernfremdes Unternehmen nicht unter den Geltungsbereich einer im neuen Konzernverbund geltenden Konzernbetriebsvereinbarung mit demselben Regelungsgegenstand fällt. Das bisherige Regelungsobjekt der Konzernbetriebsvereinbarung – der Betrieb – besteht unverändert fort. Weder erfordert – wie von der Rechtsbeschwerde angenommen – die „Legitimation“ für den Abschluss einer Konzernbetriebsvereinbarung oder die „betriebsverfassungsrechtliche Bindung“ des Unternehmens an diese dessen fortdauernde Zugehörigkeit zum Konzern noch entfällt mit dem Ausscheiden aus dem Konzern die „Rechtsetzungskompetenz“ der die Konzernbetriebsvereinbarung schließenden Parteien für das ausscheidende Unternehmen. § 58 Abs. 1 BetrVG ermächtigt den Konzernbetriebsrat zwar gemeinsam mit der – gewissermaßen für den „Konzern“ handelnden – Konzernobergesellschaft mit Wirkung für alle oder zumindest mehrere Unternehmen normativ geltende Regelungen für deren Betriebe und die dort tätigen Arbeitnehmer zu schaffen. Damit vermag auch nur die Konzernzugehörigkeit eines Unternehmens die normative Geltung einer Konzernbetriebsvereinbarung in den von ihm unterhaltenen Betrieben auszulösen. Wegen der auf die Organisationseinheit des Betriebs bezogenen Normwirkung dieses Regelwerks verlangt deren – einmal eingetretene – Geltung aber nicht die fortdauernde Zugehörigkeit des Unternehmens zum Konzern. Auch die weitere Bindung des Unternehmens an die normativen Bestimmungen der Konzernbetriebsvereinbarung resultiert nicht aus seiner andauernden Zugehörigkeit zum Konzernverbund, sondern beruht darauf, dass es Inhaber der vom Geltungsbereich der Konzernbetriebsvereinbarung erfassten Betriebe ist.

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Revisionsbegründung - und die Sachrüge

Die Fortgeltung einer Konzernbetriebsvereinbarung bei einem Ausscheiden des Unternehmens aus dem Konzern infolge eines Share Deals scheitert entgegen der Rechtsauffassung der Arbeitgeberin nicht daran, dass die vertragschließenden Parteien im ausscheidenden Unternehmen nicht mehr „zur Verfügung stehen“. Ein durch den Mehrheitswechsel bedingter Wegfall des Konzernbetriebsrats führt nicht zur Beendigung der normativen Wirkung der von ihm abgeschlossenen Vereinbarungen. Der Fortbestand oder die fortbestehende Zuständigkeit der die Betriebsvereinbarung schließenden Interessenvertretung der Arbeitnehmer ist keine zwingende Voraussetzung für die Fortgeltung der von ihr mitgeschaffenen betrieblichen Normen. Dies ist für Gesamt- und Einzelbetriebsvereinbarungen anerkannt. Selbst der vorübergehende oder endgültige Wegfall des Betriebsrats lässt die bestehenden Betriebsvereinbarungen in ihrer normativen Wirkung unberührt4. Für Konzernbetriebsvereinbarungen gilt nichts anderes. Deren betriebsbezogene Normwirkung hat bei einem Ausscheiden des Unternehmens aus dem Konzern zwangsläufig zur Folge, dass andere Personen und Stellen in die rechtliche Stellung als Vertragspartei der im Betrieb weitergeltenden Vereinbarung eintreten. Führt das aus dem Konzern ausscheidende Unternehmen mehrere Betriebe, gilt die Konzernbetriebsvereinbarung als Gesamtbetriebsvereinbarung in diesen fort. Unterhält es nur einen Betrieb, gilt die Konzernbetriebsvereinbarung in diesem als Einzelbetriebsvereinbarung normativ weiter.

Ein etwaiger Konzernbezug der durch die Konzernbetriebsvereinbarung ausgestalteten betriebsverfassungsrechtlichen Angelegenheit hindert deren Fortgeltung in dem Betrieb oder den Betrieben des aus dem Konzernverbund ausscheidenden Unternehmens ebenfalls grundsätzlich nicht. Dem Interesse des ausscheidenden Unternehmens an einer etwa erforderlichen Modifikation wird dadurch ausreichend Rechnung getragen, dass es mit der zuständigen Arbeitnehmervertretung oder mit Hilfe der im Betriebsverfassungsgesetz vorgesehenen Konfliktlösungsmöglichkeiten Regelungen treffen kann, um den Inhalt der Betriebsvereinbarung unternehmensbezogen anzupassen. Nur wenn die betreffende Regelung nach ihrem Inhalt die Zugehörigkeit zum bisherigen Konzern zwingend voraussetzt oder nach dem Ausscheiden des Unternehmens aus dem Konzern gegenstandslos wird, scheidet eine Fortgeltung aus5.

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Wird ein Betriebsteil – im Sinne einer bestehenden wirtschaftlichen Einheit iSv. § 613a Abs. 1 BGB6 – durch Betriebsübergang von einem neuen Rechtsträger übernommen und von diesem als eigenständiger Betrieb fortgeführt, gelten die vor dem Betriebsübergang im ursprünglichen Betrieb geltenden Betriebsvereinbarungen mit normativer Wirkung weiter. Maßgebend hierfür ist, dass der bisherige Betrieb als für die Geltung der Betriebsvereinbarung maßgebende Organisationseinheit lediglich aufgespalten wird und die veräußerten Teile nicht in eine andere betriebliche Organisation eingegliedert und darin aufgegangen sind. In diesem Fall bleibt die kollektivrechtliche Wirkungsweise der Betriebsvereinbarungen erhalten. Einer – wie auch immer gearteten – weiteren betriebsverfassungsrechtlichen „Teilidentität“ der vom Veräußerer übernommenen wirtschaftlichen Einheit bedarf es nicht. Diese ergibt sich aus der Fortführung dieser Einheit iSv. § 613a Abs. 1 BGB als selbständiger Betrieb. Die Betriebsvereinbarungen gelten damit weiterhin für solche Belegschaften, für die sie schon zuvor galten; auf diese Weise behalten sie ihre demokratische Legitimation7.

Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 25. Februar 2020 – 1 ABR 39/18

  1. ebenso Fitting BetrVG 30. Aufl. § 1 Rn. 218 und § 77 Rn. 170; Franzen GK-BetrVG 11. Aufl. § 58 Rn. 60; Richardi in Richardi BetrVG 16. Aufl. § 77 Rn. 234; Klemm/Frank BB 2013, 2741, 2743; Cisch/Hock BB 2012, 2113, 2115; Kern NZA 2009, 1313, 1317; aA Hohenstatt in Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt Umstrukturierung und Übertragung von Unternehmen 5. Aufl. Abschn. E Rn. 70 ff.[]
  2. vgl. dazu ausf. BAG 18.09.2002 – 1 ABR 54/01, zu B III 2 b bb der Gründe, BAGE 102, 356[]
  3. vgl. dazu BAG 5.05.2015 – 1 AZR 763/13, Rn. 50, BAGE 151, 302[]
  4. vgl. BAG 12.06.2019 – 1 AZR 154/17, Rn. 34; 18.09.2002 – 1 ABR 54/01, zu B III 2 b cc (2) der Gründe, BAGE 102, 356[]
  5. vgl. für Gesamtbetriebsvereinbarungen BAG 24.01.2017 – 1 ABR 24/15, Rn. 15 f. mwN[]
  6. vgl. etwa EuGH 8.05.2019 – C-194/18 – [Dodi] Rn. 30, 33 mwN[]
  7. vgl. BAG 18.09.2002 – 1 ABR 54/01, zu B III 2 b dd der Gründe, BAGE 102, 356; vgl. auch BAG 13.08.2019 – 1 AZR 213/18, Rn. 32[]
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Die Arbeitszeit des fliegenden Personals - und die Tarifzuständigkeit

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