Art. 1 und Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27.11.2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf sind dahin auszulegen, dass eine interne Regel eines Unternehmens, die den Arbeitnehmern das Tragen jedes sichtbaren Zeichens politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen am Arbeitsplatz verbietet, gegenüber Arbeitnehmern, die aufgrund religiöser Gebote bestimmte Bekleidungsregeln befolgen, keine unmittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung im Sinne dieser Richtlinie darstellt, sofern diese Regel allgemein und unterschiedslos angewandt wird.

Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/78 ist dahin auszulegen, dass eine mittelbare Ungleichbehandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung, die sich aus einer internen Regel eines Unternehmens ergibt, die den Arbeitnehmern das Tragen jedes sichtbaren Zeichens politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen am Arbeitsplatz verbietet, mit dem Willen des Arbeitgebers gerechtfertigt werden kann, eine Politik politischer, weltanschaulicher und religiöser Neutralität gegenüber seinen Kunden oder Nutzern zu verfolgen, sofern erstens diese Politik einem wirklichen Bedürfnis des Arbeitgebers entspricht, das der Arbeitgeber unter Berücksichtigung insbesondere der berechtigten Erwartungen dieser Kunden oder Nutzer und der nachteiligen Konsequenzen, die der Arbeitgeber angesichts der Art seiner Tätigkeit oder des Umfelds, in dem sie ausgeübt wird, ohne eine solche Politik zu tragen hätte, nachzuweisen hat, zweitens die Ungleichbehandlung geeignet ist, die ordnungsgemäße Anwendung des Neutralitätsgebots zu gewährleisten, was voraussetzt, dass diese Politik konsequent und systematisch befolgt wird, und drittens das Verbot auf das beschränkt ist, was im Hinblick auf den tatsächlichen Umfang und die tatsächliche Schwere der nachteiligen Konsequenzen, denen der Arbeitgeber durch ein solches Verbot zu entgehen sucht, unbedingt erforderlich ist.
Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. i der Richtlinie 2000/78 ist dahin auszulegen, dass eine mittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, die sich aus einer internen Regel eines Unternehmens ergibt, die es verbietet, am Arbeitsplatz sichtbare Zeichen politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen zu tragen, um eine Neutralitätspolitik in diesem Unternehmen sicherzustellen, nur dann gerechtfertigt sein kann, wenn dieses Verbot jede sichtbare Ausdrucksform politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen umfasst. Ein auf das Tragen auffälliger großflächiger Zeichen beschränktes Verbot kann eine unmittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung darstellen, die jedenfalls auf der Grundlage dieser Vorschrift nicht gerechtfertigt sein kann.
Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/78 ist dahin auszulegen, dass nationale Vorschriften, die die Religionsfreiheit schützen, bei der Prüfung der Frage, ob eine mittelbare Ungleichbehandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung angemessen ist, als günstigere Vorschriften im Sinne von Art. 8 Abs. 1 dieser Richtlinie berücksichtigt werden dürfen.
Dies entschied jetzt der Unionsgerichtshof der Europäischen Union auf zwei Vorabentscheidungsersuchen des Arbeitsgerichts Hamburg und des Bundesarbeitsgerichts zur Auslegung von Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. a und b, Art. 4 Abs. 1 und Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27.11.2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf1 sowie der Art. 10 und 16 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union.
Das Vorabentscheidungsersuchen des Arbeitsgerichts Hamburg erging im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen einer islamischen Arbeitnehmerin und ihrem Arbeitgeber, einem in Deutschland eingetragenen Verein, der eine große Anzahl von Kindertagesstätten betreibt und die Arbeitnehmerin freigestellt hatte,nachdem diese sich geweigert hatte,an das von Arbeitgeber aufgestellte Verbot zu halten, wonach die Mitarbeiter am Arbeitsplatz keine sichtbaren Zeichen ihrer politischen, weltanschaulichen oder religiösen Überzeugungen tragen dürfen, wenn sie Kontakt mit den Eltern oder deren Kindern haben. Das Vorabentscheidungsersuchen des Bundesarbeitsgerichts erging m Rahmen eines Rechtsstreits zwischen einer Drogeriekette und ihrer Angestellten über die Rechtmäßigkeit der von der Arbeitgeberin ihrer Arbeitnehmerin erteilten Weisung, am Arbeitsplatz keine auffälligen großflächigen Zeichen politischer, weltanschaulicher oder religiöser Art zu tragen.
Mit seiner ersten Frage möchte das Arbeitsgericht Hamburg wissen, ob Art. 1 und Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 dahin auszulegen sind, dass eine interne Regel eines Unternehmens, die den Arbeitnehmern das Tragen jedes sichtbaren Zeichens politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen am Arbeitsplatz verbietet, gegenüber Arbeitnehmern, die aufgrund religiöser Gebote bestimmte Bekleidungsregeln befolgen, eine unmittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung im Sinne dieser Richtlinie darstellt.
Um diese Frage zu beantworten ist daran zu erinnern, dass nach Art. 1 der Richtlinie 2000/78 deren Zweck in der Schaffung eines allgemeinen Rahmens zur Bekämpfung der Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung in Beschäftigung und Beruf im Hinblick auf die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in den Mitgliedstaaten besteht. Nach Art. 2 Abs. 1 dieser Richtlinie „bedeutet ‚Gleichbehandlungsgrundsatz‘, dass es keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe geben darf“. Nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie liegt eine unmittelbare Diskriminierung im Sinne von deren Art. 2 Abs. 1 vor, wenn eine Person wegen eines der in Art. 1 der Richtlinie genannten Gründe, zu denen die Religion oder die Weltanschauung gehören, in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde.
Zum Begriff „Religion“ im Sinne von Art. 1 der Richtlinie 2000/78 hat der Unionsgerichtshof bereits entschieden, dass er dahin auszulegen ist, dass er sowohl das forum internum, d. h. die Tatsache, religiöse Überzeugungen zu haben, als auch das forum externum, d. h. die öffentliche Äußerung des religiösen Glaubens, umfasst2, wobei diese Auslegung derjenigen des gleichen Begriffs in Art. 10 Abs. 1 der Charta entspricht3.
Das Tragen von Zeichen oder Kleidung zur Bekundung der eigenen Religion oder Überzeugung fällt unter die „Gedanken, Gewissens- und Religionsfreiheit“, die durch Art. 10 der Charta geschützt ist. Es ist nicht die Sache des Unionsgerichtshofs, eine Beurteilung des Inhalts der religiösen Gebote selbst vorzunehmen.
In diesem Zusammenhang ist hinzuzufügen, dass in Art. 1 der Richtlinie 2000/78 die Religion wie auch die Weltanschauung gleichermaßen angeführt wird, in Übereinstimmung mit Art.19 AEUV, wonach der Unionsgesetzgeber Vorkehrungen treffen kann, um Diskriminierungen aus Gründen u. a. „der Religion oder der Weltanschauung“ zu bekämpfen, oder mit Art. 21 der Charta, der unter den verschiedenen in dieser Vorschrift aufgeführten Diskriminierungsgründen die „Religion oder [die] Weltanschauung“ nennt. Daraus folgt, dass für die Zwecke der Anwendung der Richtlinie 2000/78 die Begriffe „Religion“ und „Weltanschauung“ die zwei Seiten ein und desselben Diskriminierungsgrundes sind. Wie aus Art. 21 der Charta hervorgeht, ist der Diskriminierungsgrund der Religion oder der Weltanschauung von dem Grund der „politischen oder sonstigen Anschauung“ zu unterscheiden und umfasst somit sowohl religiöse als auch weltanschauliche oder spirituelle Überzeugungen.
Hinzuzufügen ist auch, dass das in Art. 10 Abs. 1 der Charta verankerte Recht auf Gewissens- und Religionsfreiheit, das integraler Bestandteil des für die Auslegung der Richtlinie 2000/78 maßgeblichen Kontexts ist, dem in Art. 9 EMRK garantierten Recht entspricht und nach Art. 52 Abs. 3 der Charta die gleiche Bedeutung und Tragweite hat wie dieses4. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Unionsgerichtshofs für Menschenrechte (im Folgenden: EGMR) stellt das in Art. 9 EMRK verankerte Recht auf Gedanken, Gewissens- und Religionsfreiheit „einen der Grundpfeiler einer ‚demokratischen Gesellschaft‘ im Sinne [dieser Konvention] dar und bildet „in seiner religiösen Dimension eines der lebenswichtigen Elemente, die die Identität der Gläubigen und ihre Lebensauffassung mitformen“, sowie „ein wertvolles Gut für Atheisten, Agnostiker, Skeptiker und Gleichgültige“, und trägt bei zum „Pluralismus, der – im Lauf der Jahrhunderte teuer erkämpft – für die demokratische Gesellschaft von wesentlicher Bedeutung ist“5.
Im Übrigen ergibt sich aus der Rechtsprechung des Unionsgerichtshofs, dass mit der Bezugnahme auf – zum einen – die Diskriminierung „wegen“ eines der in Art. 1 der Richtlinie 2000/78 genannten Gründe und – zum anderen – eine weniger günstige Behandlung „wegen“ eines dieser Gründe sowie mit den Begrifflichkeiten „andere Person“ und „andere Personen“ der Wortlaut und der Kontext von Art. 2 Abs. 1 und 2 dieser Richtlinie nicht den Schluss zulassen, dass mit Blick auf den in ihrem Art. 1 genannten geschützten Grund der Religion oder der Weltanschauung das von der Richtlinie vorgesehene Diskriminierungsverbot allein auf Ungleichbehandlungen beschränkt wäre, die zwischen Personen, die einer Religion oder Weltanschauung anhängen, und Personen, die nicht einer Religion oder Weltanschauung anhängen, bestehen. Aus dem Ausdruck „wegen“ ergibt sich demgegenüber, dass eine Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung im Sinne der Richtlinie 2000/78 nur dann festgestellt werden kann, wenn die fragliche weniger günstige Behandlung oder besondere Benachteiligung in Abhängigkeit von der Religion oder der Weltanschauung erfahren wird6.
Im Übrigen spricht das mit der Richtlinie 2000/78 verfolgte Ziel dafür, deren Art. 2 Abs. 1 und 2 dahin auszulegen, dass sie den Kreis der Personen, gegenüber denen ein Vergleich zur Feststellung einer Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung im Sinne dieser Richtlinie vorgenommen werden kann, nicht auf Personen beschränkt, die nicht einer bestimmten Religion oder Weltanschauung anhängen7.
Wie sich aus Rn. 44 des vorliegenden Urteils ergibt, soll die Richtlinie 2000/78 nämlich nach ihrem Art. 1 und ausweislich sowohl ihres Titels und ihrer Erwägungsgründe als auch ihres Inhalts und ihrer Zielsetzung einen allgemeinen Rahmen zur Bekämpfung der Diskriminierung u. a. wegen der Religion oder der Weltanschauung in Beschäftigung und Beruf im Hinblick auf die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in den Mitgliedstaaten schaffen, indem sie jeder Person einen wirksamen Schutz vor Diskriminierungen u. a. aus diesem Grund bietet8.
Was insbesondere die Frage betrifft, ob eine interne Regel eines privaten Unternehmens, die das Tragen sichtbarer Zeichen politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen am Arbeitsplatz verbietet, eine unmittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 begründet, hat der Unionsgerichtshof bereits entschieden, dass eine solche Regel keine unmittelbare Diskriminierung darstellt, da sie unterschiedslos für jede Bekundung solcher Überzeugungen gilt und alle Arbeitnehmer des Unternehmens gleichbehandelt, indem ihnen allgemein und undifferenziert u. a. vorgeschrieben wird, sich neutral zu kleiden, was das Tragen solcher Zeichen ausschließt9. Da nämlich jede Person eine Religion oder eine Weltanschauung haben kann, begründet eine solche Regel, sofern sie allgemein und unterschiedslos angewandt wird, keine Ungleichbehandlung, die auf einem Kriterium beruht, das untrennbar mit der Religion oder der Weltanschauung verbunden ist10.
Diese Feststellung wird, wie der Generalanwalt in Nr. 54 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, nicht durch die Erwägung in Frage gestellt, dass einige Arbeitnehmer religiöse Gebote befolgen, die eine bestimmte Bekleidung vorschreiben. Die Anwendung einer internen Regel wie der in Rn. 52 des vorliegenden Urteils genannten kann zwar solchen Arbeitnehmern besondere Unannehmlichkeiten bereiten, doch ändert dies nichts an der in dieser Randnummer getroffenen Feststellung, dass diese Regel, die Ausdruck einer Politik der politischen, weltanschaulichen und religiösen Neutralität des Arbeitgebers ist, grundsätzlich keine Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern einführt, die auf einem untrennbar mit der Religion oder der Weltanschauung verbundenen Kriterium im Sinne von Art. 1 der Richtlinie 2000/78 beruht.
Da sich aus den dem Unionsgerichtshof vorliegenden Akten ergibt, dass der Kindergarten-Trägerverein auch im Fall einer Arbeitnehmerin, die ein religiöses Kreuz trug, verlangt und erwirkt hat, dass sie dieses Zeichen ablegt, scheint die im Ausgangsverfahren in Rede stehende interne Regel prima facie ohne jede Differenzierung gegenüber allen anderen Arbeitnehmern in ihren Kindergärten angewandt worden zu sein, so dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass IX eine unmittelbar auf ihren religiösen Überzeugungen beruhende Ungleichbehandlung im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 erfahren hat. Es ist jedoch Sache des vorlegenden Gerichts, die erforderlichen Tatsachenwürdigungen vorzunehmen und festzustellen, ob die von der Arbeitgebeirn erlassene interne Regelung allgemein und unterschiedslos auf alle Arbeitnehmer dieses Unternehmens angewandt wurde.
Nach alledem ist auf die erste Frage in der Rechtssache C-804/18 zu antworten, dass Art. 1 und Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 dahin auszulegen sind, dass eine interne Regel eines Unternehmens, die den Arbeitnehmern das Tragen jedes sichtbaren Zeichens politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen am Arbeitsplatz verbietet, gegenüber Arbeitnehmern, die aufgrund religiöser Gebote bestimmte Bekleidungsregeln befolgen, keine unmittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung im Sinne dieser Richtlinie darstellt, sofern diese Regel allgemein und unterschiedslos angewandt wird.
Desweiteren möchte das Arbeitsgericht Hamburg wissen, ob Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/78 dahin auszulegen ist, dass eine mittelbare Ungleichbehandlung wegen der Religion und/oder des Geschlechts, die sich aus einer internen Regel eines Unternehmens ergibt, die den Arbeitnehmern das Tragen jedes sichtbaren Zeichens politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen am Arbeitsplatz verbietet, mit dem Willen des Arbeitgebers gerechtfertigt werden kann, eine Politik politischer, weltanschaulicher und religiöser Neutralität gegenüber seinen Kunden oder Nutzern zu verfolgen, um deren berechtigten Erwartungen Rechnung zu tragen.
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass diese Frage auf der Feststellung des vorlegenden Gerichts beruht, dass die im Ausgangsverfahren in der Rechtssache C-804/18 in Rede stehende interne Regel, die das Tragen sichtbarer Zeichen politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen verbietet, wenn die Arbeitnehmer des Kindergarten-Trägervereins mit Eltern oder Kindern in Kontakt stehen, effektiv einige Religionen mehr als andere treffe und sich eher an Frauen als an Männer richte.
Vorab ist zu dem in dieser Frage angesprochenen Vorliegen einer mittelbaren Diskriminierung wegen des Geschlechts festzustellen, dass dieser Diskriminierungsgrund, wie der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen ausgeführt hat, nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2000/78, des einzigen in dieser Frage herangezogenen Unionsrechtsakts, fällt. Das Vorliegen einer solchen Diskriminierung braucht daher nicht geprüft zu werden.
Was die Frage der mittelbar auf der Religion oder der Weltanschauung beruhenden Ungleichbehandlung im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/78 betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass eine solche Ungleichbehandlung vorliegt, wenn die dem Anschein nach neutrale Verpflichtung, die eine Regel enthält, tatsächlich dazu führt, dass Personen mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung in besonderer Weise benachteiligt werden11. Es ist zwar Sache des vorlegenden Gerichts, dies zu prüfen, doch ist darauf hinzuweisen, dass die in der Rechtssache C-804/18 in Rede stehende Regel nach dessen Feststellungen statistisch fast ausschließlich weibliche Arbeitnehmer betrifft, die aufgrund ihres muslimischen Glaubens ein Kopftuch tragen, so dass der Unionsgerichtshof von der Prämisse ausgeht, dass diese Regelung eine mittelbar auf der Religion beruhende Ungleichbehandlung darstellt.
Zu der Frage, ob eine mittelbar auf der Religion beruhende Ungleichbehandlung mit dem Willen des Arbeitgebers gerechtfertigt werden kann, eine Politik politischer, weltanschaulicher und religiöser Neutralität zu verfolgen, um den Erwartungen seiner Kunden oder Nutzer Rechnung zu tragen, ist festzustellen, dass nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. i der Richtlinie 2000/78 eine solche Ungleichbehandlung verboten ist, es sei denn, die Vorschriften, Kriterien oder Verfahren, aus denen sie sich ergibt, sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels sind angemessen und erforderlich. Eine Ungleichbehandlung wie die in Frage 2 Buchst. a in der Rechtssache C-804/18 angesprochene führt daher nicht zu einer mittelbaren Diskriminierung im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/78, wenn sie durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt ist und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind12.
Was die Begriffe des rechtmäßigen Ziels und der Angemessenheit und Erforderlichkeit der zu seiner Erreichung eingesetzten Mittel anbelangt, so ist klarzustellen, dass diese eng auszulegen sind13.
Die Richtlinie 2000/78 konkretisiert nämlich in dem von ihr erfassten Bereich das nunmehr in Art. 21 der Charta niedergelegte allgemeine Diskriminierungsverbot14. Im vierten Erwägungsgrund dieser Richtlinie wird darauf hingewiesen, dass die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz und der Schutz vor Diskriminierung ein in mehreren internationalen Übereinkünften anerkanntes allgemeines Menschenrecht ist, und aus den Erwägungsgründen 11 und 12 der Richtlinie geht hervor, dass der Unionsgesetzgeber davon ausgehen wollte, dass zum einen Diskriminierungen wegen u. a. der Religion oder der Weltanschauung die Verwirklichung der im AEU-Vertrag festgelegten Ziele unterminieren können, insbesondere die Erreichung eines hohen Beschäftigungsniveaus und eines hohen Maßes an sozialem Schutz, die Hebung des Lebensstandards und der Lebensqualität, den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt, die Solidarität sowie das Ziel der Weiterentwicklung der Europäischen Union zu einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, und zum anderen jede unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung in den von der Richtlinie abgedeckten Bereichen in der Union untersagt werden sollte.
Was insoweit die Voraussetzung des Vorliegens eines rechtmäßigen Ziels angeht, so kann der Wille eines Arbeitgebers, im Verhältnis zu den öffentlichen und privaten Kunden eine Politik der politischen, weltanschaulichen oder religiösen Neutralität zum Ausdruck zu bringen, als rechtmäßig angesehen werden. Der Wunsch eines Arbeitgebers, den Kunden ein Bild der Neutralität zu vermitteln, gehört zur unternehmerischen Freiheit, die in Art. 16 der Charta anerkannt ist, und ist grundsätzlich rechtmäßig, insbesondere dann, wenn der Arbeitgeber bei der Verfolgung dieses Ziels nur die Arbeitnehmer einbezieht, die mit seinen Kunden in Kontakt treten sollen15.
Allerdings reicht der bloße Wille eines Arbeitgebers, eine Neutralitätspolitik zu betreiben, für sich genommen nicht aus, um eine mittelbare Ungleichbehandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung sachlich zu rechtfertigen, da eine sachliche Rechtfertigung nur bei Vorliegen eines wirklichen Bedürfnisses dieses Arbeitgebers festgestellt werden kann, das er nachzuweisen hat.
Unter diesen Umständen können für den Nachweis einer sachlichen Rechtfertigung und mithin eines wirklichen Bedürfnisses des Arbeitgebers als Erstes insbesondere die Rechte und berechtigten Erwartungen der Kunden oder der Nutzer berücksichtigt werden. Dies gilt beispielsweise für das in Art. 14 der Charta anerkannte Recht der Eltern, die Erziehung und den Unterricht ihrer Kinder entsprechend ihren eigenen religiösen, weltanschaulichen und erzieherischen Überzeugungen sicherzustellen, und für ihren Wunsch, dass ihre Kinder von Personen beaufsichtigt werden, die im Kontakt mit den Kindern nicht ihre Religion oder Weltanschauung zum Ausdruck bringen, um insbesondere eine „individuelle und freie Entwicklung der Kinder im Hinblick auf Religion, Weltanschauung und Politik zu gewährleisten“, wie es in der Dienstanweisung des Kindergartenträgervereins vorgesehen ist.
Solche Situationen sind hingegen u. a. zu unterscheiden von zum einen der Rechtssache, in der das Urteil vom 14.03.2017, Bougnaoui und ADDH16, ergangen ist, in der die Kündigung einer Arbeitnehmerin infolge einer Beschwerde eines Kunden erfolgt war und in der es keine interne Regel des Unternehmens gab, die das Tragen jeglichen sichtbaren Zeichens politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen verboten hätte, sowie zum anderen der Rechtssache, in der das Urteil vom 10.07.2008, Feryn17, ergangen ist, die eine unmittelbare Diskriminierung aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft betraf, die ihren Ursprung angeblich in diskriminierenden Forderungen der Kunden hatte.
Als Zweites ist es für die Beurteilung, ob ein wirkliches Bedürfnis des Arbeitgebers im Sinne von Rn. 64 des vorliegenden Urteils besteht, von besonderer Bedeutung, dass der Arbeitgeber nachgewiesen hat, dass ohne eine solche Politik der politischen, weltanschaulichen und religiösen Neutralität seine in Art. 16 der Charta anerkannte unternehmerische Freiheit beeinträchtigt würde, da er angesichts der Art seiner Tätigkeit oder des Umfelds, in dem diese ausgeübt wird, nachteilige Konsequenzen zu tragen hätte.
Wie oben ausgeführt muss eine interne Regel wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, um nicht als mittelbare Diskriminierung eingestuft zu werden, ferner zur Gewährleistung der ordnungsgemäßen Anwendung der Neutralitätspolitik des Arbeitgebers geeignet sein, was voraussetzt, dass diese Politik tatsächlich in kohärenter und systematischer Weise verfolgt wird, und muss das Verbot, jedes sichtbare Zeichen politischer, weltanschaulicher und religiöser Überzeugungen zu tragen, das diese Regel mit sich bringt, auf das unbedingt Erforderliche beschränkt sein18.
Das letztgenannte Erfordernis setzt insbesondere die Prüfung voraus, ob eine Beschränkung der in Art. 10 Abs. 1 der Charta garantierten Gedanken, Gewissens- und Religionsfreiheit, wie die, die mit dem für einen Arbeitnehmer geltenden Verbot einhergeht, an seinem Arbeitsplatz ein Gebot zu befolgen, das es ihm vorschreibt, ein sichtbares Zeichen seiner religiösen Überzeugungen zu tragen, im Hinblick auf die nachteiligen Konsequenzen, denen der Arbeitgeber durch dieses Verbot zu entgehen sucht, als unbedingt erforderlich erscheint.
In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen ist auf die zweite Frage Buchst. a in der Rechtssache C-804/18 zu antworten, dass Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/78 dahin auszulegen ist, dass eine mittelbare Ungleichbehandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung, die sich aus einer internen Regel eines Unternehmens ergibt, die den Arbeitnehmern das Tragen jedes sichtbaren Zeichens politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen am Arbeitsplatz verbietet, mit dem Willen des Arbeitgebers gerechtfertigt werden kann, eine Politik politischer, weltanschaulicher und religiöser Neutralität gegenüber seinen Kunden oder Nutzern zu verfolgen, sofern erstens diese Politik einem wirklichen Bedürfnis des Arbeitgebers entspricht, das dieser unter Berücksichtigung insbesondere der berechtigten Erwartungen dieser Kunden oder Nutzer und der nachteiligen Konsequenzen, die der Arbeitgeber angesichts der Art seiner Tätigkeit oder des Umfelds, in dem sie ausgeübt wird, ohne eine solche Politik zu tragen hätte, nachzuweisen hat, zweitens die Ungleichbehandlung geeignet ist, die ordnungsgemäße Anwendung dieser Neutralitätspolitik zu gewährleisten, was voraussetzt, dass diese Politik konsequent und systematisch befolgt wird, und drittens das Verbot auf das beschränkt ist, was im Hinblick auf den tatsächlichen Umfang und die tatsächliche Schwere der nachteiligen Konsequenzen, denen der Arbeitgeber durch ein solches Verbot zu entgehen sucht, unbedingt erforderlich ist.
Mit seiner ersten Vorlagefrage möchte das Bundesarbeitsgericht wissen, ob Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. i der Richtlinie 2000/78 dahin auszulegen ist, dass eine mittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, die sich aus einer internen Regel eines Unternehmens ergibt, die es verbietet, am Arbeitsplatz sichtbare Zeichen politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen zu tragen, um eine Neutralitätspolitik in diesem Unternehmen sicherzustellen, nur dann gerechtfertigt sein kann, wenn ein solches Verbot jede sichtbare Ausdrucksform politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen umfasst, oder ob ein auf auffällige großflächige Zeichen beschränktes Verbot genügt, sofern es in kohärenter und systematischer Weise durchgesetzt wird.
Hierzu ist zunächst festzustellen, dass diese Frage zwar auf der Prämisse des Vorliegens einer mittelbaren Diskriminierung beruht, dass aber, wie insbesondere die Europäische Kommission in ihren in der Rechtssache C-341/19 eingereichten Erklärungen geltend gemacht hat, eine interne Regel eines Unternehmens, die, wie die in dieser Rechtssache in Rede stehende, nur das Tragen auffälliger großflächiger Zeichen verbietet, geeignet ist, Personen, die religiösen oder weltanschaulichen Strömungen anhängen, die das Tragen eines großen Kleidungsstücks oder Zeichens, wie beispielsweise einer Kopfbedeckung, vorsehen, stärker zu beeinträchtigen.
Wie bereits ausgeführt, ist eine Ungleichbehandlung, die sich aus einer Vorschrift oder einer Praxis ergibt, die auf einem Kriterium beruht, das mit dem geschützten Grund – hier der Religion oder der Weltanschauung – untrennbar verbunden ist, als unmittelbar auf diesen Grund gestützt anzusehen. So wird in den Fällen, in denen das Kriterium des Tragens auffälliger großflächiger Zeichen politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen mit einer oder mehreren bestimmten Religion(en) oder Weltanschauung(en) untrennbar verbunden ist, das von einem Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern auf der Grundlage eines solchen Kriteriums auferlegte Verbot, diese Zeichen zu tragen, zur Folge haben, dass einige Arbeitnehmer wegen ihrer Religion oder Weltanschauung weniger günstig behandelt werden als andere, so dass eine unmittelbare Diskriminierung im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 wird festgestellt werden können.
Für den Fall, dass eine solche unmittelbare Diskriminierung gleichwohl nicht festgestellt werden sollte, ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. i dieser Richtlinie eine Ungleichbehandlung wie die vom vorlegenden Gericht angeführte, dann, wenn erwiesen wäre, dass sie tatsächlich zu einer besonderen Benachteiligung der Personen führt, die einer bestimmten Religion oder Weltanschauung anhängen, wie bereits in Rn. 60 des vorliegenden Urteils ausgeführt, eine mittelbare Diskriminierung im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b dieser Richtlinie darstellen würde, es sei denn, sie wäre durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels wären angemessen und erforderlich.
Hierzu ist festzustellen, dass aus dem Vorabentscheidungsersuchen hervorgeht, dass die in Rede stehende Maßnahme soziale Konflikte innerhalb des Unternehmens vermeiden soll, insbesondere angesichts der in der Vergangenheit im Zusammenhang mit politischen, weltanschaulichen oder religiösen Überzeugungen aufgetretenen Spannungen.
Wie bereits oben festgestellt kann eine Neutralitätspolitik ein rechtmäßiges Ziel im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. i der Richtlinie 2000/78 darstellen. Um festzustellen, ob diese Politik eine Ungleichbehandlung, die mittelbar auf der Religion oder Weltanschauung beruht, sachlich rechtfertigen kann, ist, wie sich aus Rn. 64 des vorliegenden Urteils ergibt, zu prüfen, ob sie einem wirklichen Bedürfnis des Unternehmens entspricht. Hierzu ist festzustellen, dass sowohl die Verhinderung sozialer Konflikte als auch ein neutrales Auftreten des Arbeitgebers gegenüber den Kunden einem wirklichen Bedürfnis des Arbeitgebers entsprechen können, das er nachzuweisen hat. Dabei ist allerdings weiter zu prüfen, ob die interne Regel, nach der das Tragen jedes auffälligen großflächigen Zeichens politischer, weltanschaulicher und religiöser Überzeugungen verboten ist, geeignet ist, das verfolgte Ziel zu erreichen, und ob sich dieses Verbot auf das unbedingt Erforderliche beschränkt.
Insoweit ist klarzustellen, dass eine Politik der Neutralität im Unternehmen wie die in der ersten Frage in der Rechtssache C-341/19 angesprochene nur dann wirksam verfolgt werden kann, wenn überhaupt keine sichtbaren Bekundungen politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen erlaubt sind, wenn die Arbeitnehmer mit Kunden oder untereinander in Kontakt stehen, da das Tragen jedes noch so kleinen Zeichens die Eignung der Maßnahme zur Erreichung des angeblich verfolgten Ziels beeinträchtigt und damit die Kohärenz dieser Politik der Neutralität selbst in Frage stellt.
Nach alledem hat der Unionsgerichtshof auf diese Vorlagefrage geantwortet, dass Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. i der Richtlinie 2000/78 dahin auszulegen ist, dass eine mittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, die sich aus einer internen Regel eines Unternehmens ergibt, die es verbietet, am Arbeitsplatz sichtbare Zeichen politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen zu tragen, um eine Neutralitätspolitik in diesem Unternehmen sicherzustellen, nur dann gerechtfertigt sein kann, wenn dieses Verbot jede sichtbare Ausdrucksform politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen umfasst. Ein auf das Tragen auffälliger großflächiger Zeichen beschränktes Verbot kann eine unmittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung darstellen, die jedenfalls auf der Grundlage dieser Vorschrift nicht gerechtfertigt sein kann.
Mit einer weiteren Frage wollen beide vorlegenden Gerichte wissen, ob Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/78 dahin auszulegen ist, dass nationale verfassungsrechtliche Vorschriften, die die Religionsfreiheit schützen, bei der Prüfung der Frage, ob eine mittelbare Ungleichbehandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung angemessen ist, als günstigere Vorschriften im Sinne von Art. 8 Abs. 1 dieser Richtlinie berücksichtigt werden dürfen.
Diese Frage geht auf die auch vom Bundesarbeitsgericht in der Rechtssache C-341/19 aufgeworfene Frage zurück, ob im Rahmen der Prüfung der Angemessenheit einer internen Regel eines Unternehmens wie der in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden eine Abwägung der widerstreitenden Rechte und Freiheiten – insbesondere der Art. 14 und 16 der Charta einerseits und Art. 10 der Charta andererseits – vorzunehmen ist, oder ob diese Abwägung erst bei der Anwendung der besagten internen Regel im Einzelfall, beispielsweise bei einer Weisung an einen Arbeitnehmer oder bei seiner Kündigung, zu erfolgen hat. Sollte der Schluss gezogen werden, dass die widerstreitenden Rechte aus der Charta nicht im Rahmen der Angemessenheitsprüfung berücksichtigt werden können, würde sich sodann die Frage stellen, ob eine nationale Vorschrift mit Verfassungsrang wie beispielsweise Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, der die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit schützt, als eine günstigere Regelung im Sinne von Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 angesehen werden kann.
Was als Erstes die Frage betrifft, ob im Rahmen der Prüfung der Angemessenheit im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. i der Richtlinie 2000/78 der zur Sicherstellung der Anwendung einer Politik der politischen, weltanschaulichen und religiösen Neutralität getroffenen Maßnahme die verschiedenen in Rede stehenden Rechte und Freiheiten zu berücksichtigen sind, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass, wie der Unionsgerichtshof bei der Auslegung des Begriffs „Religion“ im Sinne von Art. 1 der Richtlinie 2000/78 festgestellt hat, der Unionsgesetzgeber im ersten Erwägungsgrund dieser Richtlinie auf die Grundrechte Bezug genommen hat, wie sie in der EMRK gewährleistet sind. Die EMRK sieht in ihrem Art. 9 vor, dass jede Person das Recht auf Gedanken, Gewissens- und Religionsfreiheit hat, wobei dieses Recht u. a. die Freiheit umfasst, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder gemeinsam mit anderen öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Unterricht oder Praktizieren von Bräuchen und Riten zu bekennen. Der Unionsgesetzgeber hat im ersten Erwägungsgrund der Richtlinie 2000/78 außerdem auf die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des Unionsrechts Bezug genommen. Zu den Rechten, die sich aus diesen gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen ergeben und die in der Charta bekräftigt wurden, gehört das in Art. 10 Abs. 1 der Charta verankerte Recht auf Gewissens- und Religionsfreiheit. Es umfasst nach dieser Bestimmung die Freiheit, die Religion oder Weltanschauung zu wechseln, und die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder gemeinsam mit anderen öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Unterricht, Bräuche und Riten zu bekennen. Wie sich aus den Erläuterungen zur Charta der Grundrechte19 ergibt, entspricht das in Art. 10 Abs. 1 der Charta garantierte Recht dem in Art. 9 EMRK garantierten Recht, und nach Art. 52 Abs. 3 der Charta hat es die gleiche Bedeutung und die gleiche Tragweite wie dieses20.
Mithin sind bei der Prüfung, ob die Beschränkung, die sich aus einer Maßnahme zur Gewährleistung einer Politik der politischen, weltanschaulichen und religiösen Neutralität ergibt, im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. i der Richtlinie 2000/78 angemessen ist, die verschiedenen in Rede stehenden Rechte und Freiheiten zu berücksichtigen.
Sodann hat der Unionsgerichtshof im Rahmen der Prüfung der Erforderlichkeit eines Verbots, das dem in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden ähnlich war, bereits entschieden, dass es Sache der nationalen Gerichte ist, in Anbetracht aller sich aus den betreffenden Akten ergebenden Umstände den beiderseitigen Interessen Rechnung zu tragen und die Beschränkungen „der in Rede stehenden Freiheiten auf das unbedingt Erforderliche“ zu begrenzen21. Da es in der Rechtssache, in der jenes Urteil ergangen ist, nur um die in Art. 16 der Charta anerkannte unternehmerische Freiheit ging, ist festzustellen, dass die andere Freiheit, auf die der Unionsgerichtshof in dem Urteil Bezug genommen hat, die in dessen Rn. 39 angesprochene Gedanken, Gewissens- und Religionsfreiheit war.
Schließlich ist festzustellen, dass diese Auslegung der Richtlinie 2000/78 mit der Rechtsprechung des Unionsgerichtshofs in Einklang steht, da sie es erlaubt, zu gewährleisten, dass dann, wenn mehrere in den Verträgen verankerte Grundrechte und Grundsätze in Rede stehen, wie beispielsweise im vorliegenden Fall zum einen der in Art. 21 der Charta verankerte Grundsatz der Nichtdiskriminierung und das in Art. 10 der Charta verankerte Recht auf Gedanken, Gewissens- und Religionsfreiheit sowie zum anderen das in Art. 14 Abs. 3 der Charta anerkannte Recht der Eltern, die Erziehung und den Unterricht ihrer Kinder entsprechend ihren eigenen religiösen, weltanschaulichen und erzieherischen Überzeugungen sicherzustellen, und die in Art. 16 der Charta anerkannte unternehmerische Freiheit, bei der Beurteilung der Einhaltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit die mit dem Schutz der verschiedenen Rechte und Grundsätze verbundenen Anforderungen miteinander in Einklang gebracht werden und dass zwischen ihnen ein angemessenes Gleichgewicht besteht22.
Zu den in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Vorschriften des nationalen Rechts, insbesondere Art. 4 Abs. 1 GG, und der sich aus ihnen ergebenden Anforderung, dass es in einer Situation wie der in diesen Rechtssachen in Rede stehenden dem Arbeitnehmer obliegt, nicht nur nachzuweisen, dass er ein rechtmäßiges Ziel verfolgt, das eine mittelbare Ungleichbehandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung rechtfertigen kann, sondern auch zu belegen, dass zum Zeitpunkt der Einführung der fraglichen internen Regel eine hinreichend konkrete Gefahr der Beeinträchtigung dieses Ziels bestand oder gegenwärtig besteht, wie beispielsweise die Gefahr konkreter Unruhe innerhalb des Unternehmens oder die konkrete Gefahr von Ertragseinbußen, ist festzustellen, dass sich eine solche Anforderung in den durch Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. i der Richtlinie 2000/78 festgelegten Rahmen in Bezug auf die Rechtfertigung einer mittelbaren Ungleichbehandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung fügt.
Was als Zweites die Frage betrifft, ob eine nationale Vorschrift über die Religions- und Gewissensfreiheit als eine für den Schutz des Gleichbehandlungsgrundsatzes günstigere nationale Vorschrift im Sinne von Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 angesehen werden kann, ist darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 2000/78, wie sich aus ihrem Titel ergibt, einen allgemeinen Rahmen für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf festlegt, der den Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Vielfalt der von diesen verfolgten Ansätze in Bezug auf den Platz, den sie in ihrem Inneren der Religion oder den Überzeugungen einräumen, einen Wertungsspielraum lässt. Der den Mitgliedstaaten damit zuerkannte Wertungsspielraum bei fehlendem Konsens auf Unionsebene muss jedoch mit einer Kontrolle einhergehen, die Sache des Unionsrichters ist und die insbesondere darin besteht, zu prüfen, ob die auf nationaler Ebene getroffenen Maßnahmen grundsätzlich gerechtfertigt sind und ob sie verhältnismäßig sind23.
Im Übrigen zeigt der so geschaffene Rahmen, dass der Unionsgesetzgeber in der Richtlinie 2000/78 nicht selbst den erforderlichen Einklang zwischen der Gedanken, der Weltanschauungs- und der Religionsfreiheit und den rechtmäßigen Zielen, die zur Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. i dieser Richtlinie geltend gemacht werden können, hergestellt hat, sondern es den Mitgliedstaaten und ihren Gerichten überlassen hat, diesen Einklang herzustellen24.
Folglich erlaubt es die Richtlinie 2000/78, dem jeweiligen Kontext der einzelnen Mitgliedstaaten Rechnung zu tragen und jedem Mitgliedstaat im Rahmen des notwendigen Ausgleichs der verschiedenen in Rede stehenden Rechte und Interessen einen Wertungsspielraum einzuräumen, um ein gerechtes Gleichgewicht zwischen diesen zu gewährleisten.
Daraus folgt, dass im Rahmen der Prüfung, ob eine Ungleichbehandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung vorliegt, die nationalen Vorschriften, die die Gedanken, Weltanschauungs- und Religionsfreiheit als Wert schützen, dem die modernen demokratischen Gesellschaften seit vielen Jahren eine verstärkte Bedeutung beimessen, als Vorschriften, die im Hinblick auf die Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes im Sinne von Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 günstiger sind, berücksichtigt werden dürfen. So würden beispielsweise nationale Vorschriften, die an die Rechtfertigung einer mittelbar auf der Religion oder der Weltanschauung beruhenden Ungleichbehandlung höhere Anforderungen knüpfen als Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. i der Richtlinie 2000/78, in den Anwendungsbereich der in Art. 8 Abs. 1 eröffneten Möglichkeit fallen.
Nach alledem ist auf die zweite Frage Buchst. b in der Rechtssache C-804/18 und die zweite Frage Buchst. b in der Rechtssache C-341/19 zu antworten, dass Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/78 dahin auszulegen ist, dass nationale Vorschriften, die die Religionsfreiheit schützen, bei der Prüfung der Frage, ob eine mittelbare Ungleichbehandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung angemessen ist, als günstigere Vorschriften im Sinne von Art. 8 Abs. 1 dieser Richtlinie berücksichtigt werden dürfen.
Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil vom 15. Juli 2021 – C -804/18
- ABl.2000, L 303, S. 16[↩]
- EuGH, Urteil vom 14.03.2017, G4S Secure Solutions, C-157/15, EU:C:2017:203, Rn. 28[↩]
- vgl. in diesem Sinne: EuGH, Urteil vom 17.12.2020, Centraal Israëlitisch Consistorie van België u. a., C-336/19, EU:C:2020:1031, Rn. 52[↩]
- EuGH, Urteil vom 14.03.2017, G4S Secure Solutions, C-157/15, EU:C:2017:203, Rn. 27[↩]
- EGMR, 15.02.2001, Dahlab/Schweiz, CE:ECHR:2001:0215DEC004239398[↩]
- vgl. in diesem Sinne: EuGH, Urteil vom 26.01.2021, Szpital Kliniczny im. dra J. Babi?skiego Samodzielny Publiczny Zak?ad Opieki Zdrowotnej w Krakowie, C-16/19, EU:C:2021:64, Rn. 29[↩]
- vgl. in diesem Sinne: EuGH, Urteil vom 26.01.2021, Szpital Kliniczny im. dra J. Babi?skiego Samodzielny Publiczny Zak?ad Opieki Zdrowotnej w Krakowie, C-16/19, EU:C:2021:64, Rn. 31[↩]
- vgl. in diesem Sinne: EuGH, Urteil vom 26.01.2021, Szpital Kliniczny im. dra J. Babi?skiego Samodzielny Publiczny Zak?ad Opieki Zdrowotnej w Krakowie, C-16/19, EU:C:2021:64, Rn. 32[↩]
- EuGH, Urteil vom 14.03.2017, G4S Secure Solutions, C-157/15, EU:C:2017:203, Rn. 30 und 32[↩]
- vgl. entsprechend zur Diskriminierung wegen einer Behinderung Urteil vom 26.01.2021, Szpital Kliniczny im. dra J. Babi?skiego Samodzielny Publiczny Zak?ad Opieki Zdrowotnej w Krakowie, C-16/19, EU:C:2021:64, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung[↩]
- EuGH, Urteil vom 14.03.2017, G4S Secure Solutions, C-157/15, EU:C:2017:203, Rn. 34[↩]
- vgl. in diesem Sinne EuGH, Urteil vom 14.03.2017, Bougnaoui und ADDH, C-188/15, EU:C:2017:204, Rn. 33[↩]
- vgl. in diesem Sinne und entsprechend EuGH, Urteil vom 16.07.2015, CHEZ Razpredelenie Bulgaria, C-83/14, EU:C:2015:480, Rn. 112[↩]
- EuGH, Urteil vom 26.01.2021, Szpital Kliniczny im. dra J. Babi?skiego Samodzielny Publiczny Zak?ad Opieki Zdrowotnej w Krakowie, C-16/19, EU:C:2021:64, Rn. 33[↩]
- vgl. in diesem Sinne: EuGH, Urteil vom 14.03.2017, G4S Secure Solutions, C-157/15, EU:C:2017:203, Rn. 37 und 38[↩]
- EuGH, Urteil vom 14.03.2017, Bougnaoui und ADDH – C-188/15, EU:C:2017:204[↩]
- EuGH, Urteil vom 10.07.2008, Feryn – C-54/07, EU:C:2008:397[↩]
- vgl. in diesem Sinne: EuGH, Urteil vom 14.03.2017, G4S Secure Solutions, C-157/15, EU:C:2017:203, Rn. 40 und 42[↩]
- ABl.2007, C 303, S. 17[↩]
- EuGH, Urteil vom 14.03.2017, G4S Secure Solutions, C-157/15, EU:C:2017:203, Rn. 26 und 27[↩]
- EuGH, Urteil vom 14.03.2017, G4S Secure Solutions, C-157/15, EU:C:2017:203, Rn. 43[↩]
- vgl. in diesem Sinne: EuGH, Urteil vom 17.12.2020, Centraal Israëlitisch Consistorie van België u. a., C-336/19, EU:C:2020:1031, Rn. 65 und die dort angeführte Rechtsprechung[↩]
- vgl. in diesem Sinne: EuGH, Urteil vom 17.12.2020, Centraal Israëlitisch Consistorie van België u. a., C-336/19, EU:C:2020:1031, Rn. 67[↩]
- vgl. entsprechend EuGH, Urteil vom 17.12.2020, Centraal Israëlitisch Consistorie van België u. a., C-336/19, EU:C:2020:1031, Rn. 47[↩]
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