Der Verzug des Arbeitgebers mit der Zahlung von Beiträgen zu den Sozialkassen des Baugewerbes ist auch dann verschuldet iSv. § 286 Abs. 4 BGB, wenn die tarifliche Beitragspflicht auf einer rückwirkenden gesetzlichen Grundlage beruht, die an die Stelle einer für unwirksam erklärten Allgemeinverbindlicherklärung tritt.

Dies entschied jetzt das Bundesarbeitsgericht auf die einen Rechtsstreit über Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes.
Die Sozialkasse ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien in der Rechtsform eines Vereins mit eigener Rechtspersönlichkeit kraft staatlicher Verleihung. Er ist tarifvertraglich zum Einzug der Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes verpflichtet. Er verlangt vom Bauunternehmer Zinsen in gesetzlicher Höhe auf Beiträge für den Verzugszeitraum vom 01.01.2010 bis zum 30.12 2012 auf der Grundlage der Tarifverträge über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe in der jeweils maßgeblichen Fassung (VTV) und auf gesetzlicher Grundlage. Die Ansprüche wurden mit drei im Jahr 2014 bei dem Arbeitsgericht Wiesbaden eingereichten Mahnanträgen gerichtlich geltend gemacht, die Beitragsansprüche wurden rechtskräftig zuerkannt.
Die Sozialkasse hat die zulässige Klage nicht geändert, indem er die Zinsforderungen in der Berufungsinstanz nicht mehr nur auf die maßgeblichen Allgemeinverbindlicherklärungen gestützt hat, sondern auch auf § 7 Abs. 6 und Abs. 7 iVm. Anlagen 31 und 32 SokaSiG.
Der prozessuale Streitgegenstand umfasst alle konkurrierenden materiell-rechtlichen Ansprüche. Er ändert sich auch dann nicht, wenn die Sozialkasse erst im Verlauf des Rechtsstreits eine wirksame Anspruchsgrundlage benennt. Rechtliche Begründungen innerhalb desselben Tatgeschehens betreffen allein die Normebene und damit die dem Gericht obliegende rechtliche Bewertung des Tatsachenkomplexes1.
Deshalb handelt es sich hier nicht um eine Klageänderung. Zinsansprüche nach dem Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe, für dessen Geltungserstreckung sowohl die Allgemeinverbindlicherklärungen als auch § 7 SokaSiG in Betracht kommen, werden von demselben den Streitgegenstand umgrenzenden Lebenssachverhalt erfasst2. Die Ansprüche stützen sich auf dasselbe Tatgeschehen. Sie sind weder in ihren materiell-rechtlichen Voraussetzungen noch in ihren Folgen oder strukturell grundlegend verschieden ausgestaltet3.
Es kann offenbleiben, ob die Sozialkasse einen neuen Streitgegenstand in den Prozess eingeführt hat, indem er den Anspruch auf die geltend gemachten Verzugszinsen in der Berufungsinstanz erstmals nicht nur auf die Verfahrenstarifverträge ggf. iVm. dem SokaSiG, sondern auch unmittelbar auf eine gesetzliche Grundlage gestützt hat. Die Voraussetzungen für eine Klageerweiterung in der Berufungsinstanz sind jedenfalls gegeben.
Da die Sozialkasse erstinstanzlich obsiegt hat und keine Berufung einlegen konnte, war eine Klageerweiterung in der Berufungsinstanz nur im Weg der Anschlussberufung möglich.
Die von der Sozialkasse eingereichte Berufungsbeantwortung kann als Anschlussberufung verstanden werden. Sie genügt den Anforderungen des § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG iVm. § 524 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 ZPO. Eine ausdrückliche Erklärung, es werde Anschlussberufung eingelegt, ist ebenso wenig erforderlich wie eine Beschwer4.
Die Sozialkasse hat fristgerecht Anschlussberufung eingelegt. Mit seiner Berufungsbeantwortung hat er die nach § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG iVm. § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO iVm. § 66 Abs. 1 Satz 3 und Satz 5 ArbGG maßgebliche Frist gewahrt5.
Die Voraussetzungen einer Klageänderung nach § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG iVm. § 533 ZPO sind erfüllt. Danach ist eine Klageänderung in der Berufungsinstanz nur zulässig, wenn die Gegenseite einwilligt oder das Gericht die Änderung für sachdienlich erachtet und wenn die Klageänderung auf Tatsachen gestützt werden kann, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach § 529 ZPO zugrunde zu legen hat.
Wegen der Verweisung des § 525 ZPO auch auf § 267 ZPO kann die Einwilligung der Gegenpartei konkludent erteilt werden, indem sie sich rügelos einlässt. Dies ist etwa der Fall, wenn sie in der mündlichen Verhandlung einen Antrag auf Abweisung der Klage gestellt hat6. Ob sich die Partei dieser Folge bewusst ist, ist unerheblich7.
Hier hat der Bauunternehmer in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat streitig zur Sache verhandelt und die Klageänderung nicht beanstandet. Damit hat er sich auf die geänderte Klage eingelassen und die Einwilligung stillschweigend erteilt.
Die auf § 288 BGB gestützte Geltendmachung von Zinsen kann auf der Grundlage des bisherigen Tatsachenvortags iSv. § 529 ZPO erfolgen. Der tarifvertragliche Anspruch auf Verzugszinsen ist gegenüber dem gesetzlichen Anspruch von weiteren Voraussetzungen abhängig. Auf der Grundlage des dafür gehaltenen Tatsachenvortrags kann auch über den gesetzlichen Anspruch auf Verzugszinsen entschieden werden.
Eine in dieser Weise geänderte Klage ist zulässig. Sie genügt den Anforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
Eine alternative Klagehäufung, bei der die Sozialkasse ein einheitliches Klagebegehren aus mehreren prozessualen Ansprüchen (Streitgegenständen) herleitet und dem Gericht die Auswahl überlässt, auf welchen Klagegrund es die Verurteilung stützt, verstößt grundsätzlich gegen das Gebot des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, den Klagegrund bestimmt zu bezeichnen. Die Sozialkasse muss daher eine Rangfolge bilden, um zu vermeiden, dass die Klage als unzulässig abgewiesen wird. Das kann auch konkludent geschehen8.
Die Sozialkasse hat jedenfalls konkludent zum Ausdruck gebracht, in welcher Abfolge er die streitgegenständlichen Ansprüche zur Entscheidung stellt. In der Berufungsbeantwortung hat er ausgeführt, dass er eine hilfsweise Berechnung für die gesetzlichen Zinsen nachreichen werde. Daraus ergibt sich, dass die Sozialkasse vorrangig den Anspruch auf tarifliche Verzugszinsen und mit dem Hilfsantrag – für den Fall des Unterliegens mit dem Hauptantrag – den gesetzlichen Zinsanspruch geltend macht.
Die Klage ist begründet. Die Sozialkasse hat für den Zeitraum vom 01.01.2010 bis zum 30.12 2012 Anspruch auf die geltend gemachten Verzugszinsen aus § 7 Abs. 6 und Abs. 7 iVm. Anlagen 31 und 32 SokaSiG. Die Anlagen 31 und 32 enthalten den vollständigen Text des VTV vom 18.12 2009 (VTV 2009) und des VTV vom 18.12 2009 idF vom 21.12 2011 (VTV 2011)9. Die in § 7 Abs. 6 und Abs. 7 SokaSiG angeordnete Geltungserstreckung der Verfahrenstarifverträge auf nicht Tarifgebundene ist aus Sicht des Bundesarbeitsgerichts verfassungsgemäß. Die Pflicht des Bauunternehmers zur Zinszahlung folgt für die Zeit vom 01.01.2010 bis zum 31.12 2011 aus § 1 Abs. 1, Abs. 2 Abschn. V Nr. 10, Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 iVm. § 23 des VTV 2009 und für die Zeit vom 01.01.2012 bis zum 30.12 2012 aus § 1 Abs. 1, Abs. 2 Abschn. V Nr. 10, Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 iVm. § 23 des VTV 2011. Die Voraussetzungen für die Pflicht des Bauunternehmers, Verzugszinsen auf geschuldete Beiträge zu entrichten, sind nach den inhaltlich deckungsgleichen Bestimmungen dieser Verfahrenstarifverträge erfüllt.
Der Geltungsbereich der Verfahrenstarifverträge ist eröffnet.
Dass in anderen Verfahren rechtskräftig über das Bestehen der Beitragsansprüche entschieden wurde, entbindet die Gerichte in weiteren Verfahren nicht davon zu prüfen, ob der Geltungsbereich der Verfahrenstarifverträge eröffnet ist. Mit der Rechtskraft der Entscheidungen über die Beitragsansprüche ist nicht die Feststellung in Rechtskraft erwachsen, dass der Bauunternehmer im Klagezeitraum einen vom betrieblichen Geltungsbereich des VTV erfassten Baubetrieb unterhalten hat. Die Frage, ob der Betrieb des Bauunternehmers dem betrieblichen Geltungsbereich des VTV unterfallen ist, war in den Rechtsstreitigkeiten der Parteien über die Beitragsansprüche nicht Streitgegenstand. Über diese Frage ist nur als Vorfrage entschieden worden. Präjudizielle Rechtsverhältnisse und Vorfragen werden nur rechtskräftig festgestellt, wenn sie Streitgegenstand waren10.
Der im Freistaat Bayern gelegene Betrieb des Bauunternehmers unterfällt dem räumlichen Geltungsbereich des VTV (§ 1 Abs. 1 VTV). Die bei dem Bauunternehmer beschäftigten gewerblichen Arbeitnehmer und Angestellten werden vom persönlichen Geltungsbereich des VTV erfasst (§ 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 VTV).
Der betriebliche Geltungsbereich ist nach § 1 Abs. 2 VTV eröffnet. Im Betrieb des Bauunternehmers werden arbeitszeitlich überwiegend bauliche Leistungen nach § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 10 VTV ausgeführt.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wird ein Betrieb vom betrieblichen Geltungsbereich des VTV erfasst, wenn in ihm arbeitszeitlich überwiegend Tätigkeiten ausgeführt werden, die unter die Abschnitte I bis V des § 1 Abs. 2 VTV fallen. Betriebe, die überwiegend eine oder mehrere der in den Beispielen des § 1 Abs. 2 Abschn. V VTV genannten Tätigkeiten ausführen, fallen unter den betrieblichen Geltungsbereich des VTV, ohne dass die Erfordernisse der allgemeinen Merkmale der Abschnitte I bis III geprüft werden müssen. Nur wenn in dem Betrieb arbeitszeitlich überwiegend nicht die in den Abschnitten IV und V genannten Beispielstätigkeiten versehen werden, muss darüber hinaus untersucht werden, ob die ausgeführten Tätigkeiten die allgemeinen Merkmale der Abschnitte I bis III erfüllen11.
Die Vorinstanzen sind zutreffend davon ausgegangen, dass im Betrieb des Bauunternehmers zeitlich überwiegend Tätigkeiten nach § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 10 VTV ausgeübt werden. Der Bauunternehmer ist dem Vortrag der Sozialkasse, der Bauunternehmer unterhalte einen Betrieb, in dem Erdbewegungs- und Baggerarbeiten ausgeführt werden, nicht mit erheblichem Sachvortrag entgegengetreten. Die pauschale Behauptung, der Betrieb des Bauunternehmers unterfalle nicht den Verfahrenstarifverträgen, stellt kein erhebliches Bestreiten iSv. § 138 Abs. 2 ZPO dar. Die insoweit erhobene Verfahrensrüge greift nicht durch. Das Bundesarbeitsgericht sieht von einer Begründung nach § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 564 Satz 1 ZPO ab.
Die Voraussetzungen für die Zahlung von Verzugszinsen nach § 23 VTV sind erfüllt. Danach hat die Einzugsstelle Anspruch auf Verzugszinsen in gesetzlicher Höhe, wenn sich der Arbeitgeber mit der Zahlung des Sozialkassenbeitrags oder des Beitrags für Angestellte in Verzug befindet.
Der Bauunternehmer schuldet Beiträge für gewerbliche Arbeitnehmer und Angestellte. Diese Ansprüche sind der Sozialkasse rechtskräftig zugesprochen worden. Mit der rechtskräftigen Verurteilung des Bauunternehmers zur Zahlung von Beiträgen ist zugleich die für den vorliegenden Rechtsstreit präjudizierende Feststellung getroffen worden, dass eine Beitragsschuld des Bauunternehmers in Höhe der zugesprochenen Beiträge besteht. Diese Präjudizwirkung schließt eine abweichende Entscheidung aus, wonach der Bauunternehmer mangels einer Beitragsschuld keine Verzugszinsen zu zahlen hat12.
Der Bauunternehmer war mit der Beitragszahlung im Anspruchszeitraum vom 01.01.2010 bis zum 30.12 2012 in Verzug.
Ob sich der Bauunternehmer in Verzug befand, ist am Maßstab von § 286 BGB zu beurteilen. Mangels anderweitiger Anhaltspunkte ist davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien den Begriff des Verzugs als Fachbegriff in seiner in fachlichen Kreisen bestimmten Bedeutung verwenden wollten13.
Der Verzug des Bauunternehmers ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil dem SokaSiG Rückwirkung zukommt. Das Bundesarbeitsgericht teilt die im Schrifttum vertretene Auffassung nicht, die die zu § 184 BGB entwickelten Grundsätze heranzieht und annimmt, im Rückwirkungszeitraum habe kein Verzug entstehen können14.
In der Rechtsprechung und in der Literatur wird angenommen, dass der Schuldner im Fall einer nach § 184 Abs. 1 BGB rückwirkenden Genehmigung in der Zeit bis zum Zugang der Genehmigungserklärung nicht in Verzug komme. Da in der Schwebezeit kein klagbarer Anspruch bestanden habe, könne der Schuldner nur „ex nunc“, dh. frühestens ab dem Zeitpunkt der Genehmigung, in Verzug geraten15.
Diese Erwägungen sind aus Sicht des Bundesarbeitsgerichts nicht auf das SokaSiG übertragbar.
Die Vorschrift des § 184 BGB betrifft die nachträgliche Zustimmung zu einem zustimmungsbedürftigen Rechtsgeschäft. Das Rechtsgeschäft ist bis zur Erteilung der Genehmigung schwebend unwirksam. Die am Rechtsgeschäft Beteiligten dürfen im Fall der Zustimmungsbedürftigkeit nicht davon ausgehen, dass das Rechtsgeschäft wirksam werden wird.
Demgegenüber handelt es sich bei dem SokaSiG um ein Gesetz, das an die Stelle einer unwirksamen bzw. neben eine wirksame Allgemeinverbindlicherklärung tritt und die Geltung der bezeichneten Tarifverträge anordnet. Zwar führt auch das SokaSiG dazu, dass der Geltungsanordnung Rückwirkung zukommt, wenn die aufgrund der Entscheidung nach § 98 ArbGG „ex tunc“ unwirksame Allgemeinverbindlicherklärung durch die gesetzliche Geltungsanordnung ersetzt wird16. Im Unterschied zu einem schwebend unwirksamen Rechtsgeschäft kommt einer Allgemeinverbindlicherklärung als staatlichem Rechtsakt der erste Anschein der Rechtmäßigkeit zugute17. Bestand zwischen den Parteien über die Wirksamkeit der Allgemeinverbindlicherklärung kein Streit und waren auch von Amts wegen keine ernsthaften Zweifel gerechtfertigt, war ihre gerichtliche Überprüfung entbehrlich18. Diese Erwägung kommt in der Konzeption des Gesetzgebers zum Ausdruck. Nach § 98 Abs. 6 Satz 1 ArbGG hat das Gericht einen Rechtsstreit auszusetzen, wenn es entscheidungserheblich auf die Wirksamkeit einer Allgemeinverbindlicherklärung ankommt und das Gericht ernsthafte Zweifel hat, ob diese Allgemeinverbindlicherklärung wirksam ist. Der Gesetzgeber verlangt demnach, dass ein Rechtsstreit fortgesetzt wird, wenn keine erheblichen Zweifel bei dem Gericht bestehen. Die Allgemeinverbindlicherklärung ist in diesem Fall als wirksam zu werten. Diesen Ansatz hat der Gesetzgeber bekräftigt, indem er § 98 Abs. 6 ArbGG um die Anordnung der vorläufigen Leistungspflicht erweitert hat. Ist der Rechtsstreit über den Leistungsanspruch einer gemeinsamen Einrichtung ausgesetzt, hat das Gericht nach § 98 Abs. 6 Satz 2 ArbGG auf Antrag die vorläufige Leistungspflicht anzuordnen. Diese Anordnung hat nach § 98 Abs. 6 Satz 3 ArbGG ua. dann zu unterbleiben, wenn die Allgemeinverbindlicherklärung offensichtlich unwirksam ist.
Der Bauunternehmer befand sich jeweils ab dem 16. eines Monats mit den Beiträgen für den Vormonat in Verzug. Die im Streitfall relevanten Beiträge wurden nach § 22 Abs. 1 Satz 1 VTV vom 20.12 1999 idF vom 05.12 2007 (VTV 2007 II) bzw. § 21 Abs. 1 Satz 1 VTV 2009 jeweils am 15. des Folgemonats fällig. Damit liegt eine kalendermäßige Bestimmung des Termins für die Leistung vor. Eine Mahnung war nach § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB entbehrlich. Verzug trat jeweils ab dem Folgetag der Fälligkeit ein19.
Der Verzug endete nicht dadurch, dass der Bauunternehmer einen Betrag von insgesamt 15.109, 41 Euro an die Sozialkasse leistete. Die Überweisungen erfolgten im Jahr 2016 und damit außerhalb des hier zugrunde liegenden und bis zum 30.12 2012 reichenden Verzugszeitraums.
Der Bauunternehmer unterließ schuldhaft, die geschuldeten Beiträge zu leisten.
Nach § 286 Abs. 4 BGB kommt der Schuldner nicht in Verzug, solange die Leistung aufgrund eines Umstands unterbleibt, den er nicht zu vertreten hat. Zu vertreten hat der Schuldner nach § 276 Abs. 1 Satz 1 BGB Vorsatz und Fahrlässigkeit, wenn eine strengere oder mildere Haftung weder bestimmt noch aus dem Inhalt des Schuldverhältnisses zu entnehmen ist. Der Gesetzgeber hat das fehlende Verschulden als Einwand ausgestaltet, für den der Schuldner darlegungs- und beweispflichtig ist. Er ist gehalten, im Einzelnen darzulegen und ggf. zu beweisen, dass die geschuldete Leistung zum Fälligkeitszeitpunkt unterblieben ist, ohne dass ihn ein Verschulden trifft20.
Ein Verschulden ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Bauunternehmer davon ausgehen durfte, nicht zur Leistung von Beiträgen verpflichtet zu sein. Es handelt sich nicht um den Fall eines unverschuldeten Rechtsirrtums, der zum Ausschluss des Verschuldens führt.
An einen unverschuldeten Rechtsirrtum sind strenge Anforderungen zu stellen. Dies geht auf die Überlegung zurück, dass derjenige schuldhaft handelt, der seine Interessen trotz zweifelhafter Rechtslage auf Kosten fremder Rechte wahrnimmt21. Ein Rechtsirrtum ist nur dann entschuldigt, wenn der Irrende bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt mit einer anderen Beurteilung durch die Gerichte nicht zu rechnen brauchte22. Der Schuldner muss die Rechtslage sorgfältig prüfen, soweit erforderlich Rechtsrat einholen und die höchstrichterliche Rechtsprechung sorgfältig beachten23.
Nach diesen Grundsätzen ist der Verzug des Bauunternehmers verschuldet. Er konnte und durfte im Verzugszeitraum nicht davon ausgehen, nicht der Beitragspflicht zu den Sozialkassen des Baugewerbes zu unterliegen. Bis zum Zeitpunkt der Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts vom 21.09.201624 entsprach es der weit überwiegenden Rechtsansicht, dass die Verfahrenstarifverträge wirksam für allgemeinverbindlich erklärt worden waren. Der erste Anschein sprach für die Rechtmäßigkeit der Allgemeinverbindlicherklärungen. Erstmals mit Urteil vom 02.07.2014 – nach Ablauf des hier erheblichen Anspruchszeitraums – hat das Hessische Landesarbeitsgericht die Rechtmäßigkeitsvermutung für erschüttert gehalten. Es hat inzidenter die Wirksamkeit der maßgeblichen Allgemeinverbindlicherklärungen geprüft und bejaht25. Das Bundesarbeitsgericht hat dieses Urteil bestätigt26.
Die Höhe des Zinssatzes begegnet keinen Bedenken. § 23 VTV vermittelt einen Anspruch auf Zinsen in gesetzlicher Höhe. Danach kommen §§ 288, 247 BGB zur Anwendung. Dass der vom Gesetzgeber gewählte und als angemessen erachtete Zinssatz von fünf (§ 288 Abs. 1 BGB) bzw. neun Prozentpunkten (§ 288 Abs. 2 BGB) über dem jeweiligen Basiszinssatz bei Übernahme durch die Tarifvertragsparteien wucherähnlichen, zur Nichtigkeit der Tarifnorm nach § 138 BGB führenden Charakter hätte oder unverhältnismäßig wäre, kann nicht angenommen werden.
Die Sozialkasse hat die Zinsforderungen schlüssig schriftsätzlich dargelegt und mit den beigefügten Zinsberechnungen erläutert. Der Einwand des Bauunternehmers, die Zinsberechnungen seien unschlüssig, weil sie mit einem Computer erstellt worden seien und von Eingaben abhingen, deren Richtigkeit er bestreite, verfängt nicht. Darin liegt kein substantiiertes Bestreiten iSv. § 138 Abs. 2 ZPO.
Für den Zeitraum vom 01.01.bis zum 30.06.2010 konnte die Sozialkasse Zinsen iHv. 28, 85 Euro und für den Zeitraum vom 01.07.bis zum 30.12 2010 Zinsen iHv. 330, 85 Euro geltend machen. Zinsen iHv. 521, 07 Euro stehen der Sozialkasse für den Zeitraum vom 01.01.bis zum 30.06.2011 und weitere 699, 68 Euro für die Zeit vom 01.07.bis zum 30.12 2011 zu. Für den Zeitraum vom 01.01.bis zum 30.06.2012 konnte die Sozialkasse Zinsen iHv. 727, 35 Euro und für die Zeit vom 01.07.bis zum 30.12 2012 Zinsen iHv. 727, 87 Euro verlangen.
Die der Sozialkasse zustehenden Ansprüche sind nicht aufgrund eines Vergleichs erloschen. Die Parteien haben keinen neuen Schuldgrund geschaffen, indem sie einen Vergleich über die bestehenden Verzugszinsansprüche geschlossen haben27. Der für den Abschluss eines Vergleichs darlegungs- und beweisbelastete Bauunternehmer hat nicht substantiiert dargelegt, dass eine solche Einigung erzielt worden wäre. Er kann bereits die für die Sozialkasse handelnde Person nicht namentlich benennen, mit der er die Vereinbarung getroffen haben will.
Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist es, dass die Vorinstanzen angenommen haben, die geltend gemachten Verzugszinsansprüche seien nicht erfüllt. Sie sind davon ausgegangen, der darlegungs- und beweisbelastete Bauunternehmer habe nicht substantiiert vorgetragen, dass die Zahlungen erfolgt seien, um die streitgegenständlichen Ansprüche zu tilgen. Das Bundesarbeitsgericht braucht nicht darüber zu entscheiden, ob ein solcher Vortrag vom Bauunternehmer mit Blick auf § 18 Abs. 1 Satz 2 des im Zeitpunkt der Zahlung maßgeblichen VTV vom 03.05.2013 idF vom 24.11.2015 (VTV 2015) überhaupt zu verlangen ist. Nach § 18 Abs. 1 Satz 2 VTV 2015 sind §§ 366, 367 BGB nicht anzuwenden. Selbst wenn der tarifvertragliche Ausschluss unwirksam sein sollte, hätte der Bauunternehmer keinen ausreichenden Tatsachenvortrag erbracht, um die Tilgungsreihenfolge der §§ 366, 367 BGB bestimmen zu können.
Ist der Ausschluss wirksam, besteht ein durch § 315 BGB begrenztes einseitiges Leistungsbestimmungsrecht der Sozialkasse als Gläubiger der Beiträge28. Eine ausdrückliche Erklärung, welche Forderungen mit den geleisteten Zahlungen getilgt werden sollen, hat die Sozialkasse nicht abgegeben. Durch sein prozessuales Verhalten hat er jedoch konkludent zu verstehen gegeben, dass er die Zahlungen jedenfalls nicht zur Tilgung der streitgegenständlichen Ansprüche verstanden wissen will. Er hat den Rechtsstreit weder für erledigt erklärt noch die Klage zurückgenommen, sondern die Ansprüche weiterverfolgt. Dass dieses Verhalten angesichts der zahlreichen Verbindlichkeiten des Bauunternehmers gegenüber der Sozialkasse unbillig iSv. § 315 BGB wäre, ist nicht ersichtlich.
Für den Fall, dass die Tarifvertragsparteien §§ 366, 367 BGB nicht wirksam abbedingen konnten und die Vorschriften anzuwenden sind, hat der Bauunternehmer keinen ausreichenden Sachvortrag erbracht. Der gezahlte Betrag genügte nicht, um alle seine Verbindlichkeiten nebst Zinsen zu tilgen. Der Bauunternehmer hätte jedenfalls die Tatsachen vortragen müssen, aufgrund derer die Erfüllungswirkung anhand der gesetzlichen Tilgungsreihenfolgen nach § 366 Abs. 2 und § 367 Abs. 1 BGB zu ermitteln gewesen wäre.
Der Anspruch auf die geltend gemachten Verzugszinsen ist nicht verwirkt. Die Voraussetzungen dieser rechtsvernichtenden Einwendung sind nicht erfüllt. Die Beurteilung durch die Vorinstanzen hält dem eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfungsmaßstab stand29. Sie haben die richtigen Maßstäbe zugrunde gelegt und die Umstände des Einzelfalls in nicht zu beanstandender Weise gewürdigt. Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist ihre Annahme, der Bauunternehmer habe keinerlei Tatsachen dargelegt, aus denen sich ein schutzwürdiges Vertrauen darauf ergebe, von der Sozialkasse nicht mehr auf Zahlung von Verzugszinsen auf die geschuldeten Beiträge in Anspruch genommen zu werden.
Die Ansprüche sind weder verfallen noch verjährt.
Die Sozialkasse hat die Verfall- und Verjährungsfrist von vier Jahren nach § 24 Abs. 1 Satz 1 VTV 2009 bzw. § 24 Abs. 1 Satz 1 VTV 2011 und § 24 Abs. 4 Satz 1 VTV 2009 bzw. § 24 Abs. 4 Satz 1 VTV 2011 gewahrt. Die Fristen begannen nach § 199 Abs. 1 BGB, der nach § 24 Abs. 1 Satz 2 VTV 2009 bzw. § 24 Abs. 1 Satz 2 VTV 2011 für die Verfallfrist entsprechend gilt, für die ältesten Zinsansprüche vom 01.01.2010 am 1.01.2011 und endeten mit Ablauf des 31.12 2014. Die noch im Jahr 2014 bei dem Arbeitsgericht eingereichten Mahnanträge hemmten nach § 24 Abs. 1 Satz 3 VTV 2009 bzw. § 24 Abs. 1 Satz 3 VTV 2011 den Verfall und nach § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB iVm. § 167 ZPO die Verjährung.
Die geltend gemachten Zinsansprüche sind als Nebenleistungen nicht nach § 217 BGB verjährt. Die Beitragsschulden als Hauptforderungen waren im Zeitpunkt der Geltendmachung der Zinsansprüche noch unverjährt.
Über die Beitragsforderungen für den Zeitraum von Mai 2008 bis September 2009 ergingen in den Jahren 2009 und 2010 insgesamt vier Vollstreckungsbescheide. Die Beitragsansprüche für die Zeit von Oktober 2009 bis November 2010 wurden durch Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 16.05.201230 zugesprochen. Die Geltendmachung erfolgte innerhalb der vierjährigen Verjährungsfrist. Mit der rechtskräftigen Titulierung kam es zu der Verjährungsfrist von 30 Jahren nach § 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB. Sie begann nach § 201 Satz 1 BGB mit Rechtskraft der Entscheidung zu laufen und war bei Einreichung der auf Zinszahlung gerichteten Mahnanträge im Jahr 2014 noch nicht abgelaufen.
Die Beitragsansprüche, die die Monate Dezember 2010 und Februar 2011 bis Dezember 2011 betreffen, wurden mit Mahnantrag vom 18.11.2014 geltend gemacht. Der entsprechende Mahnbescheid wurde am 30.01.2015 zugestellt. Auch diese Ansprüche wurden rechtzeitig geltend gemacht. Dadurch war die Verjährung nach § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB iVm. § 167 ZPO gehemmt.
Der Bauunternehmer kann der Durchsetzbarkeit der Klageforderung mit Blick auf die von ihm geleisteten Zahlungen von insgesamt 15.109, 41 Euro nicht das sog. Dolo-agit-Gegenrecht entgegenhalten31. Danach verstößt gegen Treu und Glauben, wer eine Leistung verlangt, die er sofort zurückgewähren muss („dolo agit qui petit quod statim redditurus est„)32. Dass dem Bauunternehmer aufgrund der zahlreichen Beitrags- und Zinsstreitigkeiten ein wie auch immer gearteter Anspruch auf Rückgewährung der geleisteten Zahlungen aus Leistungskondiktion zusteht, ist nicht ersichtlich.
Die vom Bauunternehmer hilfsweise erklärte Aufrechnung mit Erstattungsansprüchen gegen die Sozialkasse führt nicht dazu, dass die geltend gemachten Ansprüche nach § 389 BGB als erloschen gelten. Eine aufrechenbare Gegenforderung des Bauunternehmers besteht nicht. Der Bauunternehmer beruft sich vergeblich auf ein Schreiben der Sozialkasse vom 16.09.2015, wonach ihm zu diesem Zeitpunkt Erstattungsleistungen iHv. 18.494, 85 Euro zustünden. Bei Erklärung der Aufrechnung war ein Erstattungsanspruch in diesem Umfang noch nicht entstanden, weil das Beitragskonto des Bauunternehmers einen negativen Saldo aufwies. Nach § 15 Abs. 5 Satz 1 VTV vom 03.05.2013 idF vom 10.12 2014 (VTV 2014) sind Erstattungsforderungen des Arbeitgebers mit der Maßgabe zweckgebunden, dass der Arbeitgeber über sie nur verfügen kann, wenn das bei der Einzugsstelle bestehende Beitragskonto einschließlich der darauf gebuchten Verzugszinsen und Kosten ausgeglichen ist und der Arbeitgeber seinen Meldepflichten entsprochen hat. Die Tarifvertragsparteien haben den Erstattungsanspruch des Arbeitgebers an ein ausgeglichenes Beitragskonto geknüpft. Der Arbeitgeber hat keinen Erstattungsanspruch, solange er die geschuldeten Beiträge, Verzugszinsen und Kosten nicht vollständig entrichtet hat. Wenn das Beitragskonto des Arbeitgebers nicht ausgeglichen ist, hindert schon die Bindung des Erstattungsanspruchs an ein ausgeglichenes Beitragskonto in § 15 Abs. 5 Satz 1 VTV 2014, dass ein Erstattungsanspruch entsteht33.
Ungeachtet der fehlenden Tarifbindung ist der Bauunternehmer an den VTV 2014 und den VTV 2015 nach § 5 Abs. 4 TVG gebunden. Das Bundesarbeitsgericht hat die Allgemeinverbindlicherklärung des VTV 2014 vom 06.07.201534 und die Allgemeinverbindlicherklärung des VTV 2015 vom 04.05.201635 für wirksam befunden36. Die Beschlüsse wirken nach § 98 Abs. 4 Satz 1 ArbGG für und gegen jedermann und damit auch für und gegen den Bauunternehmer.
Gegen die Geltungserstreckung des VTV 2007 II, des VTV 2009 und des VTV 2011 auf den nicht tarifgebundenen Bauunternehmer durch § 7 Abs. 6 bis Abs. 8 iVm. Anlagen 31 bis 33 SokaSiG bestehen aus Sicht des Bundesarbeitsgerichts keine verfassungsrechtlichen Bedenken37.
Die erhobene Verfahrensrüge des Bauunternehmers, das Landesarbeitsgericht hätte das SokaSiG nicht ohne Hinweis als Geltungsgrund für die im Anspruchszeitraum geltenden Verfahrenstarifverträge heranziehen dürfen, hat das Bundesarbeitsgericht geprüft, aber nicht als durchgreifend erachtet. Von einer Begründung sieht das Bundesarbeitsgericht nach § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 564 Satz 1 ZPO ab.
§ 7 SokaSiG ist mit Art. 9 Abs. 3 GG vereinbar38. Mit Blick darauf, dass der VTV 2009 und der VTV 2011 Ansprüche auf Verzugszinsen in gesetzlicher Höhe vermitteln, liegt ein Eingriff in die Tarifautonomie fern. Selbst wenn ein Eingriff in die Tarifautonomie darin läge, dass die Verjährungsfrist durch § 24 Abs. 4 Satz 1 VTV 2009 bzw. § 24 Abs. 4 Satz 1 VTV 2011 um ein Jahr verlängert ist, wäre er jedenfalls gerechtfertigt. Er erwiese sich als verhältnismäßig. Dem Gesetzgeber steht insoweit ein Beurteilungs- und Prognosespielraum zu. Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts hat der Gesetzgeber mit den Erwägungen, die dem SokaSiG zugrunde liegen, den ihm eröffneten Spielraum nicht überschritten.
§ 7 SokaSiG verstößt aus Sicht des Bundesarbeitsgerichts nicht gegen Art. 14 Abs. 1 GG.
Das Bundesarbeitsgericht hat bereits entschieden, dass die aufgrund des SokaSiG bestehende Beitragspflicht den Schutzbereich der Eigentumsfreiheit unberührt lässt und ein etwaiger Eingriff jedenfalls gerechtfertigt wäre39.
Nichts anderes gilt für die Verpflichtung, im Verzugsfall Zinsen zu entrichten. Sie sind ein Annex der Beitragspflicht.
Auch hinsichtlich der Verzugszinsen ist der Schutzbereich von Art. 14 Abs. 1 GG nicht berührt. Weder die Verzugszinsen isoliert noch in Verbindung mit den Beiträgen belasten die Arbeitgeber übermäßig und beeinträchtigen ihre Vermögensverhältnisse grundlegend40.
Selbst wenn es sich um einen Eingriff handelte, wäre er gerechtfertigt. Aus der Regelung, im Verzugsfall Zinsen entrichten zu müssen, erwächst ein Druck auf die Arbeitgeber, ordnungsgemäße Meldungen gegenüber den Sozialkassen vorzunehmen und Beiträge rechtzeitig zu leisten. Verzugszinsen dienen ferner dazu, die Nachteile des Gläubigers auszugleichen, die er dadurch erleidet, dass er infolge nicht rechtzeitiger Zahlung des Schuldners daran gehindert ist, einen ihm zustehenden Geldbetrag zu nutzen41. Mit den Zinsen werden die aus einer verzögerten Beitragsleistung erwachsenden finanziellen Vorteile des Schuldners abgeschöpft. Auf diese Weise können die mit der Beitragspflicht verfolgten validen und legitimen Gemeinwohlinteressen unterstützt und Bedingungen für einen ausgeglichenen Wettbewerb hergestellt werden42.
Da sich der Zugriff auf das Vermögen betroffener Arbeitgeber als rechtmäßig erweist, bleibt für den vom Bauunternehmer angenommenen enteignungsgleichen Eingriff kein Raum.
§ 7 SokaSiG verletzt nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts nicht das durch Art. 2 Abs. 1 iVm. Art.20 Abs. 3 GG geschützte Vertrauen tariffreier Arbeitgeber, von rückwirkenden Gesetzen nicht in unzulässiger Weise belastet zu werden43. Der gegenteiligen Auffassung des Bauunternehmers stimmt das Bundesarbeitsgericht nicht zu.
Der Bauunternehmer musste wie alle Betroffenen mit der nachträglichen – gesetzlichen – Bestätigung der Beitragspflicht aufgrund der Verfahrenstarifverträge rechnen. Sein Einwand, die vom Bundesverfassungsgericht entwickelte Fallgruppe der überragenden Belange des Gemeinwohls, nach der eine echte Rückwirkung ausnahmsweise zulässig ist, sei nicht einschlägig, trägt nicht. Ob der Sachverhalt einer der von der Rechtsprechung entwickelten Fallgruppen zugeordnet werden kann, ist unerheblich, weil sie nicht abschließend sind44.
Mit dem SokaSiG hat der Gesetzgeber die in den Entscheidungen vom 21.09.201645; und vom 25.01.201746 festgestellten formellen Mängel geheilt47. Die Ausführungen der Revision veranlassen zu keiner anderen Bewertung.
Bis zum 20.09.2016 bestand keine Grundlage für ein Vertrauen auf die Unwirksamkeit der Allgemeinverbindlicherklärungen des VTV in den Fassungen der Anlagen 31 bis 33 des SokaSiG, auf die die Absätze 6 bis 8 des § 7 SokaSiG verweisen48. Es entsprach der weit überwiegenden Rechtsansicht, dass diese Fassungen des VTV wirksam für allgemeinverbindlich erklärt worden waren. Die vom Bauunternehmer und anderen in Anspruch genommenen Arbeitgebern gehegten Zweifel waren keine geeignete Grundlage für die Bildung von Vertrauen dahin, dass auf der Annahme der fehlenden Normwirkung der Verfahrenstarifverträge beruhenden Dispositionen nicht nachträglich die Grundlage entzogen werden würde49. Aus diesem Grund ist es unerheblich, dass sich der Bauunternehmer den gerichtlichen Auseinandersetzungen mit der Sozialkasse und den damit verbundenen Prozesskosten nur deshalb ausgesetzt haben will, weil er von der Unwirksamkeit der Allgemeinverbindlicherklärungen der Verfahrenstarifverträge ausgegangen sei.
Der Bauunternehmer beruft sich vergeblich darauf, die „Ersetzung“ der unwirksamen Allgemeinverbindlicherklärungen durch eine gesetzliche Regelung sei nicht vorhersehbar gewesen. Dem Gesetzgeber steht die Wahl einer anderen Rechtsform als der in § 5 TVG geregelten Allgemeinverbindlicherklärung für die Erstreckung eines Tarifvertrags auf Außenseiter frei. Die Rechtsform ändert nichts an Inhalt und Ergebnis der Erwägungen zu der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen50.
§ 7 SokaSiG „kassiert“ nicht unter Verstoß gegen Art.20 Abs. 2 Satz 2 GG entgegenstehende höchstrichterliche Rechtsprechung. Mit der gesetzlichen Erstreckungsanordnung sollte – letztlich mit Rücksicht auf die Forderungen der Rechtsstaatlichkeit und der Rechtssicherheit – statt anfechtbaren Rechts unanfechtbares Recht gesetzt werden. Dies hält das Bundesarbeitsgericht für verfassungsrechtlich unbedenklich51.
Das Bundesarbeitsgericht braucht nicht darüber zu entscheiden, ob sich der Anspruch auch unmittelbar aus § 288 Abs. 1 BGB ergibt. Handelte es sich gegenüber dem tarifvertraglichen Anspruch auf Verzugszinsen um einen anderen Streitgegenstand, wäre er nicht zur Entscheidung angefallen. Die Sozialkasse hätte mit dem Hauptantrag obsiegt. Die Bedingung, die es zuließe, über den Hilfsantrag zu entscheiden, wäre deshalb nicht eingetreten. Handelte es sich dagegen um eine bloße Anspruchskonkurrenz und damit um denselben Streitgegenstand, wäre die Klage bereits aufgrund des tarifvertraglichen Zinsanspruchs begründet. Die weitere Anspruchsgrundlage müsste nicht erörtert werden.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 3. Juli 2019 – 10 AZR 499/17
- BAG 8.05.2019 – 10 AZR 559/17, Rn. 11; 27.03.2019 – 10 AZR 318/17, Rn. 14; 20.11.2018 – 10 AZR 121/18, Rn. 27; BGH 21.02.2019 – VII ZR 105/18, Rn. 30[↩]
- vgl. für Beitragsansprüche BAG 20.11.2018 – 10 AZR 121/18, Rn. 18 ff.[↩]
- BAG 8.05.2019 – 10 AZR 559/17, Rn. 12; 27.03.2019 – 10 AZR 318/17, Rn. 15[↩]
- BAG 31.07.2014 – 2 AZR 407/13, Rn. 18 mwN; BGH 22.01.2015 – I ZR 127/13, Rn. 15[↩]
- zu der entsprechenden Anwendbarkeit von § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO im arbeitsgerichtlichen Verfahren BAG 12.11.2013 – 3 AZR 92/12, Rn. 69 mwN[↩]
- vgl. BGH 6.12 2004 – II ZR 394/02, Rn. 10[↩]
- Hk-ZPO/Saenger 8. Aufl. § 267 Rn. 3; Zöller/Greger ZPO 32. Aufl. § 267 Rn. 1; aA MünchKomm-ZPO/Becker-Eberhard 5. Aufl. § 267 Rn. 10[↩]
- BAG 2.08.2018 – 6 AZR 437/17, Rn. 18 mwN, BAGE 163, 205; BGH 21.11.2017 – II ZR 180/15, Rn. 8[↩]
- vgl. den Anlageband zum BGBl. I Nr. 29 vom 24.05.2017 S. 323 bis 350[↩]
- BAG 25.04.2007 – 10 AZR 195/06, Rn. 14, BAGE 122, 168[↩]
- BAG 8.05.2019 – 10 AZR 559/17, Rn. 15; 27.03.2019 – 10 AZR 318/17, Rn. 18; 19.02.2014 – 10 AZR 428/13, Rn. 10[↩]
- vgl. BAG 25.04.2007 – 10 AZR 195/06, Rn.20, BAGE 122, 168[↩]
- vgl. BAG 8.11.2017 – 10 AZR 501/16, Rn. 17[↩]
- so Hütter jM 2018, 285, 286 f.[↩]
- OLG Rostock 11.05.1995 – 1 U 350/94, zu A e der Gründe; OLG Karlsruhe 15.05.1985 – 13 U 193/83, zu II 1 der Gründe; BeckOK BGB/Bub Stand 1.05.2019 § 184 Rn. 9; BeckOGK/Regenfus Stand 1.07.2019 BGB § 184 Rn. 66; Palandt/Ellenberger BGB 78. Aufl. § 184 Rn. 2; MünchKomm-BGB/Bayreuther 8. Aufl. § 184 Rn. 13; Erman/Maier-Reimer BGB 15. Aufl. § 184 Rn. 15; Trautwein in Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger jurisPK-BGB 8. Aufl. § 184 Rn. 24; Staudinger/Gursky [2014] § 184 Rn. 38[↩]
- vgl. zu der Ex-tunc-Wirkung des Beschlusses nach § 98 ArbGG BAG 21.09.2016 – 10 ABR 33/15, Rn. 60, BAGE 156, 213[↩]
- BAG 27.03.2019 – 10 AZR 211/18, Rn. 55; 20.11.2018 – 10 AZR 121/18, Rn. 78; 21.09.2016 – 10 ABR 33/15, Rn. 89 mwN, aaO[↩]
- vgl. BAG 20.11.2018 – 10 AZR 121/18, Rn. 78; 25.06.2002 – 9 AZR 405/00, zu A II 2 b aa der Gründe mwN, BAGE 101, 357; 22.09.1993 – 10 AZR 371/92, zu II 3 b der Gründe mwN, BAGE 74, 226[↩]
- BAG 23.09.2015 – 5 AZR 767/13, Rn. 38, BAGE 152, 315[↩]
- BAG 26.01.2011 – 4 AZR 167/09, Rn. 49; 28.10.2008 – 3 AZR 171/07, Rn. 31[↩]
- BAG 26.01.2011 – 4 AZR 167/09, Rn. 48[↩]
- BGH 24.09.2013 – I ZR 187/12, Rn.19[↩]
- BGH 12.07.2006 – X ZR 157/05, Rn.19[↩]
- BAG 21.09.2016 – 10 ABR 33/15, BAGE 156, 213; – 10 ABR 48/15, BAGE 156, 289[↩]
- BAG 02.07.2014 – 18 Sa 619/13[↩]
- BAG 17.02.2016 – 10 AZR 600/14, Rn.19[↩]
- zu der schuldumschaffenden Wirkung eines Vergleichs BAG 27.08.2014 – 4 AZR 999/12, Rn. 31, BAGE 149, 60[↩]
- Staudinger/Olzen [2016] § 366 Rn. 51[↩]
- vgl. BAG 28.06.2018 – 8 AZR 100/17, Rn. 16 mwN, 18[↩]
- BAG 16.05.2012 – 3 Ca 875/11[↩]
- vgl. zu der Rechtsnatur BAG 21.03.2018 – 10 AZR 560/16, Rn. 38 f., BAGE 162, 221[↩]
- vgl. BAG 20.10.2016 – 6 AZR 715/15, Rn. 74 mwN; BGH 21.04.2016 – I ZR 276/14, Rn. 12[↩]
- vgl. BAG 21.11.2007 – 10 AZR 782/06, Rn. 37[↩]
- BAnz. AT 14.07.2015 B3[↩]
- BAnz. AT 9.05.2016 B4[↩]
- BAG 20.11.2018 – 10 ABR 12/18, Rn. 27 ff.; 21.03.2018 – 10 ABR 62/16, Rn. 51 ff., BAGE 162, 166[↩]
- vgl. BAG 20.11.2018 – 10 AZR 121/18, Rn. 42 ff.[↩]
- vgl. BAG 8.05.2019 – 10 AZR 559/17, Rn. 30 ff.; 20.11.2018 – 10 AZR 121/18, Rn. 45 ff.[↩]
- BAG 3.07.2019 – 10 AZR 498/17, Rn. 42; 27.03.2019 – 10 AZR 318/17, Rn. 54 ff. mwN[↩]
- vgl. BVerfG 2.02.2009 – 1 BvR 2553/08, Rn. 18, BVerfGK 15, 54; 8.04.1997 – 1 BvR 48/94, zu C I 1 der Gründe, BVerfGE 95, 267; 31.05.1988 – 1 BvL 22/85, zu B II 1 der Gründe, BVerfGE 78, 232; BAG 27.03.2019 – 10 AZR 318/17, Rn. 54 mwN[↩]
- BAG 25.04.2007 – 10 AZR 195/06, Rn. 17, BAGE 122, 168[↩]
- vgl. BAG 27.03.2019 – 10 AZR 318/17, Rn. 55[↩]
- BAG 20.11.2018 – 10 AZR 121/18, Rn. 68 ff.[↩]
- vgl. BVerfG 17.12 2013 – 1 BvL 5/08, Rn. 64, BVerfGE 135, 1; BAG 8.05.2019 – 10 AZR 559/17, Rn. 47[↩]
- BAG 21.09.2016 – 10 ABR 33/15, BAGE 156, 213[↩]
- BAG 25.01.2017 – 10 ABR 43/15[↩]
- vgl. BAG 8.05.2019 – 10 AZR 559/17, Rn. 48; 20.11.2018 – 10 AZR 121/18, Rn. 94 ff.[↩]
- vgl. BAG 20.11.2018 – 10 AZR 121/18, Rn. 77 ff.[↩]
- BAG 8.05.2019 – 10 AZR 559/17, Rn. 49; 20.11.2018 – 10 AZR 121/18, Rn. 79 ff.[↩]
- BAG 8.05.2019 – 10 AZR 559/17, Rn. 50; 20.11.2018 – 10 AZR 121/18, Rn. 51[↩]
- vgl. BAG 20.11.2018 – 10 AZR 121/18, Rn. 92 ff.[↩]
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