Weiterbeschäftigung nach Wegfall des Weiterbeschäftigungstitels

Das wegen der Androhung der Zwangsvollstreckung erzwungene faktische Beschäftigungsverhältnis entfällt, sobald das die Weiterbeschäftigungspflicht aussprechende Urteil aufgehoben wird. Der Arbeitgeber kann sich dann nicht mehr darauf berufen, die Beschäftigung sei nur zur Abwendung der Zwangsvollstreckung erfolgt. Setzen die Arbeitsvertragsparteien das Arbeitsverhältnis dadurch fort, dass der Arbeitnehmer seine Tätigkeit im Betrieb nicht einstellt und der Arbeitgeber die Vergütung fortzahlt, ohne dass der Arbeitgeber zur Weiterbeschäftigung verpflichtet ist, ist davon auszugehen, dass sie das gekündigte oder durch Fristablauf beendete Arbeitsverhältnis bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Bestandsschutzrechtsstreit fortsetzen wollen1.

Weiterbeschäftigung nach Wegfall des Weiterbeschäftigungstitels

Ob, ab wann und mit welchem Inhalt Parteien einen Vertrag geschlossen haben, bestimmt sich nach dem Inhalt ihrer Willenserklärungen. Dieser ist vom Gericht der Tatsacheninstanz durch Auslegung der ausdrücklichen und konkludenten Erklärungen der Parteien zu ermitteln2. Dasselbe gilt für die Frage, ob eine bestimmte Erklärung oder ein bestimmtes Verhalten als Willenserklärung zu werten ist oder nicht3. Da es sich vorliegend um atypische, individuelle Willenserklärungen handelt, ist die Auslegung revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob die gesetzlichen Auslegungsregeln (§§ 133, 157 BGB) richtig angewandt, allgemeine Denkgesetze oder Erfahrungssätze verletzt oder für die Auslegung wesentliche Umstände außer Acht gelassen wurden4.

Nach § 133 BGB ist bei der Auslegung einer Willenserklärung der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften. Einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärungen sind so auszulegen, wie der Empfänger sie aufgrund des aus der Erklärung erkennbaren Willens des Erklärenden unter Berücksichtigung der Verkehrssitte und der Grundsätze von Treu und Glauben vernünftigerweise verstehen konnte. Ziel der Auslegung ist die Ermittlung ihrer objektiven, normativen Bedeutung, die beide Parteien gegen sich gelten lassen müssen. Dabei ist sowohl die Verständnismöglichkeit des Empfängers als auch das Interesse des Erklärenden daran zu berücksichtigen, dass sich der Empfänger darum bemüht, die Erklärung nicht misszuverstehen. Der Empfänger darf sich nicht einfach auf den wörtlichen Sinn der Erklärung verlassen, sondern muss seinerseits unter Berücksichtigung aller ihm erkennbaren Umstände, die dafür von Bedeutung sein können, danach trachten, das Gemeinte zu erkennen. Die Auslegung hat sich dabei an dem Grundsatz auszurichten, dass im Zweifel gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage entspricht5. Haben alle Beteiligten eine Erklärung übereinstimmend in demselben Sinn verstanden, so geht der wirkliche Wille des Erklärenden dem Wortlaut vor6.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann in der tatsächlichen Beschäftigung des Arbeitnehmers nach Ausspruch einer Kündigung und nach Ablauf der Kündigungsfrist oder nach Ablauf der vereinbarten Befristung der Abschluss eines neuen befristeten Arbeitsvertrags liegen oder die Vereinbarung, dass das gekündigte Arbeitsverhältnis auflösend bedingt durch die rechtskräftige Abweisung der Kündigungsschutzklage fortgesetzt werden soll7. Fordert der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer auf, seine Tätigkeit bis zur Entscheidung über den Bestandsschutzrechtsstreit fortzuführen, geht der Wille der Parteien regelmäßig dahin, das Arbeitsverhältnis, das der Arbeitgeber als beendet ansieht, bis zur endgültigen Klärung, ob und ggf. zu welchem Zeitpunkt die Beendigung eingetreten ist, fortzusetzen oder für die Dauer des Rechtsstreits ein befristetes Arbeitsverhältnis zu begründen. Anders kann das Verhalten der Arbeitsvertragsparteien nicht verstanden werden. Denn der Arbeitnehmer ist aufgrund des gekündigten Arbeitsverhältnisses oder des Fristablaufs bei befristeten Arbeitsverhältnissen zu weiterer Arbeitsleistung nicht verpflichtet. Der Arbeitgeber muss ihn vor Erlass eines die Kündigung oder die vereinbarte Befristung für unwirksam erklärenden Urteils in der Regel nicht weiterbeschäftigen8. Wird dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung gegen seinen Willen und unter Beeinträchtigung seiner Vertragsfreiheit aufgezwungen, schließen die Parteien regelmäßig nicht durch neue Willenserklärungen ein eigenständiges Rechtsgeschäft9.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 8. April 2014 – 9 AZR 856/11

  1. vgl. BAG 4.09.1986 – 8 AZR 636/84, zu II 2 b der Gründe, BAGE 53, 17[]
  2. vgl. BAG 24.08.2011 – 7 AZR 228/10, Rn. 51 mwN, BAGE 139, 109[]
  3. vgl. BGH 7.11.2001 – VIII ZR 13/01, zu II 3 b aa der Gründe, BGHZ 149, 129; 2.11.1989 – IX ZR 197/88, zu 3 b bb (1) der Gründe, BGHZ 109, 171[]
  4. vgl. BAG 25.04.2013 – 8 AZR 453/12, Rn. 23; 24.08.2011 – 7 AZR 228/10, Rn. 51 mwN, BAGE 139, 109[]
  5. BAG 15.12 2005 – 2 AZR 148/05, Rn. 25 mwN, BAGE 116, 336; vgl. auch BGH 21.05.2008 – IV ZR 238/06, Rn. 30[]
  6. vgl. BAG 17.10.1969 – 3 AZR 53/69, zu I 2 a der Gründe, BAGE 22, 169; BGH 7.12 2001 – V ZR 65/01, zu II 3 b aa der Gründe[]
  7. vgl. BAG 30.03.1989 – 6 AZR 288/87, zu II 2 a der Gründe; 4.09.1986 – 8 AZR 636/84, zu II 2 a der Gründe, BAGE 53, 17[]
  8. vgl. BAG 22.10.2003 – 7 AZR 113/03, Rn. 34, BAGE 108, 191[]
  9. vgl. so schon BAG 27.02.1985 – GS 1/84, zu C II 3 b der Gründe, BAGE 48, 122[]