Corona – und die Gemeinschaftsunterkünfte für Obdachlosen

Die derzeitige Corona-Pandemie führt nach Ansicht des Verwaltungsgerichts Freiburg nicht dazu, dass Obdachlose generell im Alter von über 70 Jahren nicht mehr in Obdachlosengemeinschaftsunterkünften untergebracht werden dürfen und können. Dies gilt nach Ansicht des Verwaltungsgerichts Freiburg auch, soweit bisher eine Unterbringung in einer Einzelunterkunft erfolgte.

Corona – und die Gemeinschaftsunterkünfte für Obdachlosen

Gemäß §§ 1 und 3 PolG BW hat die zuständige Polizeibehörde die Aufgabe, von dem Einzelnen und dem Gemeinwesen Gefahren abzuwehren, durch die die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedroht wird, und Störungen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung zu beseitigen, soweit es im öffentlichen Interesse geboten ist. Dementsprechend ist die Ortspolizeibehörde verpflichtet, die (unfreiwillige) Obdachlosigkeit als Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung1 zu verhindern oder zu beseitigen, wobei sie diese Aufgabe unter Berücksichtigung aller Umstände nach pflichtgemäßem Ermessen zu erfüllen hat2.

Obdachlos im polizeirechtlichen Sinn ist derjenige, der nicht Tag und Nacht über eine Unterkunft verfügt, die Schutz vor den Unbilden des Wetters bietet, Raum für die notwendigsten Lebensbedürfnisse lässt und insgesamt den Anforderungen an eine menschenwürdige Unterkunft entspricht. Die Obdachlosigkeit bemisst sich allein nach objektiven Kriterien, sodass es nicht darauf ankommt, worauf sie zurückzuführen ist und insbesondere nicht darauf, ob den Betroffenen an ihrem Eintritt ein Verschulden trifft3. Denn für die Frage, ob eine Gefahr oder Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne der §§ 1, 3 PolG vorliegt, kommt es nach allgemeinen Grundsätzen des Polizeirechts allein darauf an, ob eine Gefahrenlage für die Schutzgüter der polizeilichen Generalklausel besteht4. Eine Pflicht der Ortspolizeibehörde zum Einschreiten besteht allerdings nur bei Fällen unfreiwilliger Obdachlosigkeit. Ob die Obdachlosigkeit freiwillig oder unfreiwillig ist, entscheidet sich nach subjektiven Gesichtspunkten. Die Frage hängt mithin vom Willensentschluss des Betroffenen ab. Beruht die Obdachlosigkeit auf einer selbstverantwortlichen, rechtlich anzuerkennenden freien Willensentscheidung, fehlt es an einer polizeirechtlich relevanten Gefahrenlage. Im Falle einer Betreuung ist zur Beurteilung der Freiwilligkeit der Obdachlosigkeit der betroffenen Person in der Regel nicht allein auf ihren Willen abzustellen, sondern es kann für die Frage hinsichtlich mangelnder Bemühungen um eine anderweitige Wohnung (auch) auf das Handeln des für die betroffene Person bestellten Betreuers abgestellt werden5.

Vorliegend droht der Antragstellerin unfreiwillig obdachlos zu werden, sobald die Behörde ihr keine Unterkunft mehr zur Verfügung stellt. Eine freiwillige Obdachlosigkeit ist für das Gericht nicht ersichtlich. Im Übrigen ist dies zwischen den Beteiligten nicht streitig und seitens der Behörde nicht vorgetragen worden.

Das Verwaltungsgericht weist darauf hin, dass die Unterbringung in eine Obdachlosenunterkunft weder von der Verwaltung noch von dem Betroffenen selbst als Dauerlösung betrachtet werden darf. Die Gewährung und Sicherung der Unterkunft auf Dauer ist, soweit sich ein Hilfsbedürftiger nicht selbst helfen kann und die Hilfe nicht von anderen erhält, grundsätzlich Aufgabe der zuständigen Träger der Sozialhilfe, nicht aber der Ortspolizeibehörde6. Aus dem Überbrückungscharakter der Obdachlosenunterkunft folgt auch, dass die an eine Normalwohnung zu stellenden Anforderungen bezüglich Lage, Größe, Einrichtung und sonstiger Verhältnisse nicht erfüllt zu sein brauchen; die Unterkunft muss daher auch nicht den Anforderungen an eine wohnungsmäßige Versorgung entsprechen. Es reicht aus, eine Unterkunft bereit zu halten, die vorübergehend Schutz vor den Unbilden des Wetters bietet und Raum für die notwendigsten Lebensbedürfnisse lässt7.

Schließlich ist es der Behörde unter der Maßgabe der Ausarbeitung eines Hygienekonzepts für die Obdachlosenunterkunft zumutbar, statt wie vorher in einer abgeschlossenen Wohneinheit mit eigener Küche und Bad nunmehr ab dem 01.04.2021 in einer Unterkunft mit Gemeinschaftsflächenanteil (Küche, Bäder sowie Flurbereich) untergebracht zu werden. Eine andere freie und geeignete Unterbringungsmöglichkeit besteht bei der Behörde laut deren Vortrag nicht. Die Einwände der Antragstellerin, eine Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft gefährde ihre Gesundheit, vor allem im Hinblick auf die derzeitige Corona-Pandemie, insbesondere der Mutationen des Virus, sowie ihres fortgeschrittenen Alters (derzeit 71 Jahre), rechtfertigen keine andere Einschätzung. Dies gilt auch für den Vortrag der Antragstellerin, eine Verlegung solle bis zu einer zweiten Impfung ihrerseits aufgeschoben werden. Die derzeitige Corona-Pandemie führt nicht dazu, dass Obdachlose generell im Alter von über 70 Jahren nicht mehr in Obdachlosengemeinschaftsunterkünften untergebracht werden dürfen und können. Das Verwaltungsgericht verkennt insofern nicht, dass im Hinblick auf die zukünftige Obdachlosengemeinschaftsunterkunft sowie auch aufgrund des Alters der Antragstellerin ein gewisses erhöhtes Gefährdungspotential bestehen dürfte. Jedoch weist das Verwaltungsgericht darauf hin, dass die Antragstellerin auch bis zum 31.03.2021 schon in einer Gemeinschaftsunterkunft mit gemeinschaftlich genutzter Wohnfläche untergebracht wurde. Daneben gilt – wie zuvor ausgeführt, dass die Unterkunft nicht den Anforderungen an eine wohnungsmäßige Versorgung entsprechen muss. Zwar umfasst die gemeinschaftlich genutzte Wohnfläche in der bisherigen Unterkunft weder die Küche noch das Bad der Antragstellerin, jedoch gab und gibt es in der derzeitigen Unterkunft ebenfalls bereits gemeinschaftlich genutzte Bereiche (Besucher-WC, Gemeinschaftsraum, Waschraum, Besprechungsraum und zwei Flurbereiche). Im Übrigen hat die Antragstellerin nicht hinreichend substantiiert vorgetragen und dargelegt, inwiefern sich die Verlegung in die neue Unterkunft auf ihre gesundheitliche Situation auswirken kann. Allein der Umstand, dass die Antragstellerin an einer paranoiden Schizophrenie leide und aufgrund ihres Alters zur Risikogruppe der älteren Menschen gehört, ist insofern unzureichend. Der mittlerweile seitens der Antragstellerin bestehende Anspruch auf eine Impfung tangiert die Obdachloseneinweisung grundsätzlich nicht. Es ist nicht Aufgabe der Gemeinde als Ortspolizeibehörde neben der Obdachlosenunterbringung auch die Impfung der Antragstellerin zu gewährleisten. Diesbezüglich ist es vielmehr Aufgabe des Betreuers, sich gemeinsam mit der Antragstellerin um einen Impftermin zu bemühen. Eine medizinische Notwendigkeit, die einzig die Unterbringung in einer Ein-Zimmer-Wohnung zulassen würde, auch unter Berücksichtigung der derzeitigen Corona-Pandemie ist für das Verwaltungsgericht insgesamt aufgrund der vorangehenden Ausführungen nicht ersichtlich.

Soweit die Behörde vorträgt, dass nach den Corona-Vorschriften erforderliche Abstände zum Beispiel durch Vereinbarung entsprechender Nutzungszeiten eingehalten werden könnten, wird hierdurch nicht im hinreichenden Maße der Gefährdung der Antragstellerin und damit dem Infektionsschutz Rechnung getragen. Laut Vortrag der Behörde gibt es für die Obdachlosenunterkunft kein Hygienekonzept. Allein durch ein von der Behörde anhand der Rechtsauffassung des Gerichts noch auszuarbeitendes Hygienekonzept kann der zukünftigen Gefährdungslage der Antragstellerin hinreichend Rechnung getragen werden. Die Absicht der Behörde, Masken und Desinfektionsmittel in der Unterkunft zur Verfügung zu stellen, sowie der Hinweis auf die allgemeine Möglichkeit, sich einmal die Woche kostenlos testen zu lassen (sog. Bürgertestung), ist insofern unzureichend. Für das Verwaltungsgericht ist auch nicht ersichtlich und seitens der Behörde nicht hinreichend substantiiert dargelegt worden, dass die Hausordnung, auf welche in der streitgegenständlichen Verfügung verwiesen wird, die besondere Gefahrenlage der Corona-Pandemie hinreichend berücksichtigt. Daher ist in Ergänzung zur bestehenden Hausordnung ein Hygienekonzept zu erarbeiten, welches folgende Aspekte aufgreifen sollte: Maskenpflicht in den Gemeinschaftsräumlichkeiten (Flur, Küche, ggf. Bad); Einhaltung des Mindestabstands von 1, 5 m; Zurverfügungstellung von ausreichenden Masken sowie Desinfektionsmitteln für die Untergebrachten; regelmäßiges Lüften der gemeinschaftlich genutzten Räume mehrmals täglich durch Stoß- bzw. Querlüftung sowie Reinigung der Gemeinschaftsräumlichkeiten; die Gewährleistung, dass die soeben genannten Hygienemaßnahmen umgesetzt und befolgt werden (z.B. durch regelmäßige Kontrollen durch den Hausmeister); Vorgehen bei Auftreten eines Covid-19-Falles (z.B. Isolation der betroffenen Person)8.

Verwaltungsgericht Freiburg, Beschluss vom 24. März 2021 – 5 K 731/21

  1. vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 05.03.1996 – 1 S 470/96, m.w.N.[]
  2. st. Rspr. des VGH Bad.-Württ., vgl. Beschluss vom 24.02.1993 – 1 S 279/93; vom 02.11.1994 – 1 S 2439/94; und vom 08.02.1996 – 1 S 147/96[]
  3. vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 23.09.2019 – 1 S 1698/19; und vom 05.03.1996 – 1 S 470/96; OVG Bremen, Beschluss vom 01.10.1993 – 1 B 120/93; Hess. VGH, Beschluss vom 30.04.1991 – 11 TG 567/91; Huttner, Die Unterbringung Obdachloser durch die Polizei- und Ordnungsbehörden, 2014, S. 5; Ehmann, Obdachlosigkeit, 2. Aufl., S. 25[]
  4. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 18.12.2015 – 1 S 2151/15 – n.V.[]
  5. vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 27.11.2019 – 1 S 2192/19 9 ff. m.w.N.[]
  6. st. Rspr., vgl. nur VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 29.10.1992 – 1 S 1523/92; Beschluss vom 05.03.1996, a.a.O.; Beschluss vom 27.11.2019 – 1 S 2192/19 18; OVG Berlin, Beschluss vom 06.06.1989 – 6 S 46/89, NVwZ 1989, 989; Hess. VGH, Urteil vom 07.03.2011 – 8 B 217/11[]
  7. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 05.03.1996 – 1 S 470/96 5[]
  8. vgl. etwa auch zur Erforderlichkeit eines zusätzlichen Hygienekonzepts bei der derzeitigen Corona-Pandemie VG Augsburg, Beschluss vom 15.12.2020 – Au 8 E 20.2249 22[]

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