Das maltesische Staatsbürgerschaftsprogramm für Investoren verstößt gegen das Unionsrecht. Der Erwerb der Unionsbürgerschaft darf nicht aus einer geschäftlichen Transaktion resultieren.

Zwar fällt die Festlegung der Voraussetzungen für die Verleihung und den Verlust der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats in die nationale Zuständigkeit, doch muss diese Zuständigkeit unter Beachtung des Unionsrechts ausgeübt werden. Dem Staatsangehörigkeitsband zu einem Mitgliedstaat liegen das zwischen ihm und seinen Bürgern bestehende besondere Verbundenheits- und Loyalitätsverhältnis sowie die Gegenseitigkeit von Rechten und Pflichten zugrunde. Wenn ein Mitgliedstaat in einem Verfahren mit transaktionalem Charakter die Staatsangehörigkeit und damit automatisch die Unionsbürgerschaft als direkte Gegenleistung für im Voraus festgelegte Investitionen oder Zahlungen verleiht, verstößt er offensichtlich gegen diese Grundsätze. Eine solche „Vermarktung“ des Unionsbürgerstatus ist mit dem in den Verträgen festgelegten Grundkonzept der Unionsbürgerschaft unvereinbar. Sie verstößt gegen den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit und gefährdet das gegenseitige Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten in Bezug auf die Verleihung ihrer Staatsangehörigkeit, das für die Einführung der Unionsbürgerschaft in den Verträgen maßgebend war.
Im Anschluss an eine Änderung des maltesischen Staatsbürgerschaftsgesetzes im Juli 2020 erließ Malta eine Regelung der Modalitäten für den „Erwerb der maltesischen Staatsbürgerschaft durch Einbürgerung wegen außergewöhnlicher Dienste in Form von Direktinvestitionen“ (Verordnung von 2020 über die Verleihung der Staatsbürgerschaft wegen außergewöhnlicher Dienste, erlassen im November 2020 im Einklang mit Art. 10(9) des Gesetzes über die maltesische Staatsbürgerschaft in der durch das Gesetz von 2020 über die Staatsbürgerschaft geänderten Fassung; Teil III und Teil IV dieser Verordnung enthielten detaillierte Vorgaben für die Bearbeitung der Anträge auf Einbürgerung wegen außergewöhnlicher Verdienste oder aufgrund von Direktinvestitionen in die wirtschaftliche und soziale Entwicklung von Malta.). Im Rahmen dieses Staatsbürgerschaftsprogramms für Investoren konnten ab 2020 ausländische Investoren die Einbürgerung beantragen, wenn sie eine Reihe von Voraussetzungen – hauptsächlich finanzieller Natur – erfüllten.
Die EU-Kommission ist der Ansicht, dass diese Regelung, wonach Personen ohne echte Bindung an Malta als Gegenleistung für im Voraus festgelegte Zahlungen oder Investitionen eingebürgert würden, gegen die Vorschriften über die Unionsbürgerschaft (Art. 20 AEUV) und den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit (Art. 4 Abs. 3 EUV) verstoße. Sie hat daher beim Gerichtshof der Europäischen Union Klage gegen Malta erhoben.
Gegen einen Mitgliedstaat kann von der Kommission oder einem anderen Mitgliedstaat wegen Verstoßes gegen unionsrechtliche Verpflichtungen eine Vertragsverletzungsklage erhoben werden. Stellt der Gerichtshof die Vertragsverletzung fest, hat der betreffende Mitgliedstaat dem Urteil unverzüglich nachzukommen. Ist die Kommission der Auffassung, dass der Mitgliedstaat dem Urteil nicht nachgekommen ist, kann sie erneut klagen und finanzielle Sanktionen beantragen. Hat ein Mitgliedstaat der Kommission die Maßnahmen zur Umsetzung einer Richtlinie nicht mitgeteilt, kann der Gerichtshof auf Vorschlag der Kommission jedoch bereits mit dem ersten Urteil Sanktionen verhängen.
Auf die Vertragsverletzungsklage der EU-Kommission stellte der Unionsgerichtshof nun fest, dass Malta durch die Schaffung und Umsetzung des Staatsbürgerschaftsprogramms für Investoren von 2020, das einer Vermarktung der Verleihung der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats und damit des Unionsbürgerstatus gleichkommt, gegen das Unionsrecht verstoßen hat.
Der Unionsgerichtshof weist darauf hin, dass es jedem Mitgliedstaat freisteht, die Voraussetzungen festzulegen, unter denen er seine Staatsangehörigkeit verleiht oder entzieht. Diese Freiheit muss jedoch unter Beachtung des Rechts der Europäischen Union ausgeübt werden. Weder aus dem Wortlaut der Verträge noch aus ihrer Systematik lässt sich nämlich ein Wille ihrer Verfasser entnehmen, in Bezug auf die Verleihung der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats eine Ausnahme von der Pflicht zur Beachtung des Unionsrechts vorzusehen.
Die Unionsbürgerschaft gewährleistet die Freizügigkeit innerhalb eines gemeinsamen Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Dieser gemeinsame Raum beruht auf zwei Grundprinzipien: dem gegenseitigen Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten und der gegenseitigen Anerkennung nationaler Entscheidungen. Die Unionsbürgerschaft gehört zu den wichtigsten Konkretisierungen der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten, beruhend auf einer Reihe gegenseitiger Verpflichtungen. Daher muss sich jeder Mitgliedstaat nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit aller Maßnahmen enthalten, die die gemeinsamen Ziele der Union gefährden könnten.
Infolgedessen darf ein Mitgliedstaat seine Staatsangehörigkeit – und damit die Unionsbürgerschaft – nicht gegen im Voraus festgelegte Zahlungen oder Investitionen verleihen, denn dies läuft im Wesentlichen darauf hinaus, dass der Erwerb der Staatsangehörigkeit zu einer bloßen geschäftlichen Transaktion wird. Da durch eine solche Praxis weder das erforderliche Verbundenheits- und Loyalitätsverhältnis zwischen einem Mitgliedstaat und seinen Bürgern hergestellt noch das gegenseitige Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten gewährleistet werden kann, stellt sie einen Verstoß gegen den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit dar.
Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil vom 29. April 2025 – C-181/23