Geringfügiger Anrechte – und der Tod des Ehegatten vor Rechtskraft des Versorgungsausgleichs

Mit der Behandlung geringfügiger Anrechte (§ 18 VersAusglG) bei Tod eines Ehegatten vor Rechtskraft der Entscheidung über den Versorgungsausgleich (§ 31 VersAusglG) hatte sich jetzt der Bundesgerichtshof zu befassen:

Geringfügiger Anrechte – und der Tod des Ehegatten vor Rechtskraft des Versorgungsausgleichs

Stirbt ein Ehegatte – wie hier der Ehemann – nach Rechtskraft der Scheidung, aber vor Rechtskraft der Entscheidung über den Wertausgleich nach den §§ 9 bis 19 VersAusglG, so ist das Recht des überlebenden Ehegatten auf Wertausgleich gegen die Erben geltend zu machen. Die Erben haben kein Recht auf Wertausgleich (§ 31 Abs. 1 VersAusglG).

Der überlebende Ehegatte darf durch den Wertausgleich allerdings nicht bessergestellt werden, als wenn der Versorgungsausgleich durchgeführt worden wäre (§ 31 Abs. 2 Satz 1 VersAusglG). Um dies zu gewährleisten, ist eine Gesamtbilanz aller auszugleichenden Anrechte zu erstellen und der Ausgleich in Höhe des sich daraus insgesamt ergebenden Ausgleichswerts durchzuführen. Sind mehrere Anrechte auszugleichen, ist nach billigem Ermessen zu entscheiden, welche Anrechte zum Ausgleich herangezogen werden (§ 31 Abs. 2 Satz 2 VersAusglG).

Welche auszugleichenden Anrechte in die Bilanz einzustellen sind, richtet sich – ebenso wie die Berechnung des Ehezeitanteils und Ausgleichswerts der einzelnen Anrechte – auch im Fall eines nach § 31 VersAusglG geltend zu machenden Anspruchs grundsätzlich nach den §§ 2 ff. VersAusglG.

Gemäß § 18 Abs. 2 VersAusglG soll allerdings das Familiengericht einzelne Anrechte mit einem geringen Ausgleichswert nicht ausgleichen. Wie sich diese Vorschrift bei der Berechnung des Wertausgleichs in Fällen des § 31 VersAusglG auswirkt, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten.

Zum Teil wird vertreten, geringfügige Anrechte im Sinne des § 18 Abs. 2 VersAusglG blieben bei der Saldierung außer Betracht, da das Besserstellungsverbot des § 31 Abs. 2 Satz 1 VersAusglG eine Alternativberechnung erfordere, bei der zu prüfen sei, wie der Ausgleich bei Anwendung der §§ 9 bis 19 VersAusglG durchzuführen gewesen wäre und zu welchem Ergebnis dies geführt hätte. Der Ausgleichsbetrag nach § 31 VersAusglG sei daher auf den Betrag zu begrenzen, den der Berechtigte auch bei einem Hin- und Her-Ausgleich im Ergebnis als Überschuss bekommen hätte. Dabei sei auch § 18 VersAusglG zu berücksichtigen, denn für geringfügige Anrechte im Sinne dieser Vorschrift wäre ein Ausgleich nicht durchgeführt worden1.

Nach anderer Auffassung ist § 18 VersAusglG jedenfalls auf die einzelnen in die Gesamtbilanz einzustellenden Anrechte nicht anwendbar, weil in den Fällen des § 31 VersAusglG ein Hin- und Her-Ausgleich ohnehin vermieden und im Ergebnis nur ein Anrecht ausgeglichen werde. Da demzufolge ein besonderer Verwaltungsaufwand bei der Teilung und eine Zersplitterung von Versorgungsanrechten nicht entstehen könnten, gebe es für die Anwendung des § 18 VersAusglG insoweit keine Rechtfertigung2.

Im Rahmen dieser Auffassung wird allerdings teilweise vertreten, dass die Bagatellprüfung nach § 18 VersAusglG dann vorzunehmen sei, wenn die Gesamtausgleichsdifferenz als solche nicht die Geringfügigkeitsgrenzen überschreite3.

Zutreffend ist im Wesentlichen die zuletzt genannte Auffassung.

Wie der Bundesgerichtshof bereits ausgeführt hat, steht § 18 VersAusglG in einem Spannungsverhältnis zu dem im Versorgungsausgleich geltenden Halbteilungsgrundsatz. Mit der hälftigen Teilung der erworbenen Anrechte soll grundsätzlich die gleiche Teilhabe der Ehegatten an dem in der Ehe erwirtschafteten Versorgungsvermögen gewährleistet werden. Auch wenn der Halbteilungsgrundsatz vom Gesetz nicht ausnahmslos eingehalten wird, so ist er gleichwohl der Maßstab des Versorgungsausgleichsrechts und bei der Auslegung einzelner Vorschriften und bei Ermessensentscheidungen vorrangig zu berücksichtigen4.

Gesetzeszweck der Regelungen des § 18 VersAusglG ist danach vornehmlich die Vermeidung eines unverhältnismäßigen Aufwands für den Versorgungsträger. Es sind also die Belange der Verwaltungseffizienz auf Seiten der Versorgungsträger gegen das Interesse des ausgleichsberechtigten Ehegatten an der Erlangung auch geringfügiger Anrechte abzuwägen5. Hinzu kommt, dass § 18 VersAusglG neben der Reduzierung des Verwaltungsaufwands den weiteren Zweck verfolgt, sogenannte Splitterversorgungen zu vermeiden6. Es handelt sich um eine Ermessensvorschrift, die praktischen Bedürfnissen bei der Umsetzung des Ausgleichs im Einzelfall Rechnung tragen soll.

Können die mit § 18 VersAusglG verfolgten Gesetzesziele von vornherein nicht erreicht werden, sind die Voraussetzungen für ein ausnahmsweises Abweichen vom Halbteilungsgrundsatz nicht gegeben. Der Halbteilungsgrundsatz tritt dann in den Vordergrund mit der Folge, dass auch geringwertige Anrechte auszugleichen sind7.

Stellen die geringfügigen Anrechte lediglich Rechnungsposten in der Gesamtbilanz dar, ohne dass sie selbst zum Ausgleich herangezogen werden sollen, sprechen keine hinreichend gewichtigen Gründe dafür, sie abweichend vom Halbteilungsgrundsatz nicht zu berücksichtigen. Denn durch eine Nichtberücksichtigung in der Gesamtbilanz würden weder Splitterversorgungen vermieden noch ein Verwaltungsaufwand bei den Versorgungsträgern erspart.

Steht jedoch in Rede, das geringfügige Recht selbst zum Ausgleich heranzuziehen, wie dies vor allem dann unausweichlich wäre, wenn ausschließlich der verstorbene Ehegatte ehezeitliche Versorgungsanrechte erworben hatte oder überhaupt nur geringfügige Anrechte für den Gesamtausgleich zur Verfügung stehen, gebietet die Sollvorschrift des § 18 Abs. 2 VersAusglG das Absehen von der Einbeziehung des Anrechts nach den sonst üblichen Kriterien für die Ermessensausübung.

Dasselbe muss in entsprechender Anwendung des § 18 Abs. 2 Vers-AusglG gelten, wenn ein zwar an sich höherwertiges Anrecht zum Ausgleich herangezogen werden soll, nach durchgeführter Gesamtsaldierung jedoch nur noch eine geringe Wertdifferenz zum konkreten Ausgleich verbleibt, welche die Bagatellgrenze des § 18 Abs. 3 VersAusglG für sich genommen nicht übersteigt. Denn die nach Sinn und Zweck des § 18 VersAusglG maßgebliche Frage, ob die Durchführung des Ausgleichs für den Versorgungsträger mit einem unnötigen Verwaltungsaufwand verbunden wäre oder das Entstehen unerwünschter Splitterversorgungen begünstigt, stellte sich auch in einem solchen Fall.

Im vorliegenden Fall hat das Oberlandesgericht das in der gesetzlichen Rentenversicherung begründete Anrecht des Ehemanns für den Gesamtausgleich herangezogen. Hätte das Oberlandesgericht die beiderseits erworbenen geringfügigen Anrechte als weitere Rechnungsposten in der Gesamtsaldierung berücksichtigt, hätten diese Anrechte nicht für die Durchführung des Gesamtausgleichs herangezogen werden müssen, sondern es hätte ein entsprechend höherer Wertanteil des vom Ehemann in der gesetzlichen Rentenversicherung erworbenen Anrechts auf die Antragstellerin übertragen werden können (§ 31 Abs. 2 Satz 2 VersAusglG). Dann aber stehen weder ein Verwaltungsaufwand bei den Versorgungsträgern noch das Interesse an einer Vermeidung von Splitterversorgungen einer Einbeziehung dieser Anrechte entgegen.

Der Berücksichtigung der geringfügigen Anrechte als Rechnungsposten in der aufzustellenden Gesamtbilanz steht auch nicht entgegen, dass dies im Ergebnis zu einem weitergehenden Ausgleich führen kann, als wären diese Anrechte – im Falle eines noch unter Lebenden durchgeführten Hin- und Her-Ausgleichs – unberücksichtigt geblieben. Zwar darf der überlebende Ehegatte durch den Wertausgleich grundsätzlich nicht besser gestellt werden, als wenn der Versorgungsausgleich durchgeführt worden wäre (§ 31 Abs. 2 Satz 1 VersAusglG). Mit dieser Regelung soll allerdings nur ausgedrückt werden, dass der überlebende Ehegatte nicht unter Beibehaltung seiner eigenen Anrechte den vollen Ausgleich der Anrechte des Verstorbenen verlangen kann, sondern der Ausgleich auf die Wertdifferenz der beiderseits erworbenen Anrechte beschränkt bleibt. Ist die Summe der eigenen Anrechte geringer als diejenige, die der überlebende Ehegatte nach durchgeführtem Versorgungsausgleich gehabt hätte, besteht ein Bedürfnis, diese Lücke zu schließen. In dieser Höhe ist der Wertausgleich zulasten eines der Anrechte oder gegebenenfalls mehrerer Anrechte des Verstorbenen durchzuführen. Hat der Überlebende hingegen höhere eigene Anrechte als der verstorbene Ehegatte, läuft das Recht auf Wertausgleich nach § 31 Abs. 1 Satz 1 VersAusglG ins Leere8.

In der Regelung dieses Grundsatzes erschöpft sich die Bedeutung des § 31 Abs. 2 Satz 1 VersAusglG. Die Vorschrift verfolgt nicht den Zweck, solche Besserstellungen des ausgleichsberechtigten Ehegatten zu beschränken, die sich aus der Systematik des Versorgungsausgleichs selbst ergeben9. So kann sich der Wert eines einzustellenden Anrechts beispielsweise dadurch erhöhen, dass keine Teilungskosten abzuziehen sind, wenn das Anrecht nicht selbst für die Durchführung des Ausgleichs herangezogen wird. Ebenso schließt die Vorschrift nicht aus, Ermessenserwägungen in den Fällen des § 18 VersAusglG oder Billigkeitserwägungen im Rahmen der §§ 19 Abs. 3, 27 VersAusglG unter anderen Gesichtspunkten und mit anderem Ergebnis vorzunehmen als dies bei einem Ausgleich unter Lebenden angezeigt gewesen wäre.

Nach vorstehenden Grundsätzen sind die beiderseits in der privaten Lebensversicherung erworbenen Anrechte ebenso wie das vom verstorbenen Ehemann bei der VBL erworbene Anrecht in die Gesamtbilanz einzustellen.

Bei der Berechnung des Gesamtausgleichs ist der vom Oberlandesgericht gewählte Ansatz, die Grenze zur Besserstellung anhand einer Saldierung von Deckungskapital und korrespondierenden Kapitalwerten der auszugleichenden Anrechte zu ermitteln, grundsätzlich nicht zu beanstanden10.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 22. März 2017 – XII ZB 385/15

  1. vgl. OLG Stuttgart FamRZ 2015, 507, 510; OLG Naumburg FamRZ 2013, 1046; Ruland Versorgungsausgleich 4. Aufl. Rn. 557; Götsche FamRB 2012, 56, 59; ders. in Götsche/Rehbein/Breuers Versorgungsausgleichsrecht 2. Aufl. § 31 VersAusglG Rn. 21[]
  2. OLG Oldenburg Beschluss vom 13.08.2016 11 UF 19/16 22 ff.; OLG Celle FamRZ 2013, 382, 385; OLG Koblenz FamRZ 2012, 1807; OLG Brandenburg FamRZ 2011, 1299; OLG Hamm NJW-RR 2011, 1376; OLG Dresden Beschluss vom 03.11.2010 23 UF 500/1019; Johannsen/Henrich/Holzwarth Familienrecht 6. Aufl. § 31 VersAusglG Rn. 6; Wick Der Versorgungsausgleich 3. Aufl. Rn. 547; MünchKomm-BGB/Gräper 6. Aufl. § 31 VersAusglG Rn. 5; Erman/Norpoth BGB 14. Aufl. § 31 VersAusglG Rn. 4a; Bergner NZFam 2014, 539, 545; Borth Versorgungsausgleich 7. Aufl. Rn. 767[]
  3. vgl. OLG Oldenburg Beschluss vom 13.08.2016 11 UF 19/16 22 ff.; OLG Celle FamRZ 2013, 382, 385; Wick Der Versorgungsausgleich 3. Aufl. Rn. 547; Johannsen/Henrich/Holzwarth Familienrecht 6. Aufl. § 31 VersAusglG Rn. 6; MünchKomm-BGB/Gräper 6. Aufl. § 31 VersAusglG Rn. 5; Erman/Norpoth BGB 14. Aufl. § 31 VersAusglG Rn. 4a; Borth Versorgungsausgleich 7. Aufl. Rn. 767[]
  4. BGH, Beschlüsse vom 18.01.2012 XII ZB 501/11 FamRZ 2012, 513 Rn. 21; und vom 07.08.2013 XII ZB 211/13 FamRZ 2013, 1636 Rn. 32[]
  5. BGH, Beschluss vom 18.01.2012 XII ZB 501/11 FamRZ 2012, 513 Rn. 23[]
  6. BGH, Beschluss vom 18.01.2012 XII ZB 501/11 FamRZ 2012, 513 Rn. 25[]
  7. vgl. BGH, Beschluss vom 18.01.2012 XII ZB 501/11 FamRZ 2012, 513 Rn. 25[]
  8. BT-Drs. 16/10144 S. 71[]
  9. ähnlich Erman/Norpoth BGB 14. Aufl. § 31 VersAusglG Rn. 4a[]
  10. BGH, Beschluss vom 05.06.2013 XII ZB 635/12 FamRZ 2013, 1287 Rn. 30[]