Kürzung des Versorgungsanrechts wegen vorzeitigem Altersruhegeldes

Bei der Kürzung des Versorgungsanrechts des Ausgleichspflichtigen wegen eines von ihm nach Ende der Ehezeit in Anspruch genommenen, vorzeitigen Altersruhegeldes handelt es sich nicht um eine auf die Ehezeit zurückwirkende und damit zu berücksichtigende Veränderung im Sinne von § 5 Abs. 2 Satz 2 VersAusglG.

Kürzung des Versorgungsanrechts wegen vorzeitigem Altersruhegeldes

Gemäß § 1 Abs. 1 VersAusglG sind die in der Ehezeit erworbenen Anteile von Anrechten (Ehezeitanteile) jeweils zur Hälfte zwischen den geschiedenen Ehegatten zu teilen. Dabei überträgt das Familiengericht grundsätzlich nach § 10 Abs. 1 VersAusglG für die ausgleichsberechtigte Person zulasten des Anrechts der ausgleichspflichtigen Person ein Anrecht in Höhe des Ausgleichswerts bei dem Versorgungsträger, bei dem das Anrecht der ausgleichspflichtigen Person besteht (interne Teilung). Befindet sich ein Anrecht in der Anwartschaftsphase und richtet sich sein Wert nach einer Bezugsgröße, die unmittelbar bestimmten Zeitabschnitten zugeordnet werden kann, so entspricht der Wert des Ehezeitanteils gemäß § 39 Abs. 1 VersAusglG dem Umfang der auf die Ehezeit entfallenden Bezugsgröße. Diese unmittelbare Bewertung ist nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 VersAusglG insbesondere bei Anrechten anzuwenden, bei denen für die Höhe der laufenden Versorgung die Summe der Entgeltpunkte oder vergleichbarer Rechengrößen wie Versorgungspunkte oder Leistungszahlen bestimmend ist.

Schließlich ist maßgeblicher Zeitpunkt für die Bewertung das Ende der Ehezeit, § 5 Abs. 2 Satz 1 VersAusglG. Rechtliche oder tatsächliche Veränderungen nach dem Ende der Ehezeit, die auf den Ehezeitanteil zurückwirken, sind gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 VersAusglG zu berücksichtigen.

Weiterlesen:
Übergang von Unterhaltsansprüchen bei Hartz IV

Maßgeblich für den Versorgungsausgleich ist das in der Ehezeit tatsächlich erworbene Anrecht des Antragstellers. Der Abschlag, der dadurch entstanden ist, dass der Antragsteller nach Ende der Ehezeit vorzeitig Altersruhegeld in Anspruch genommen hat, bleibt dagegen unberücksichtigt.

Die Ermittlung der im Streit stehenden, berufsständischen Anwartschaft des Antragstellers unterliegt – wie die Anrechte aus der gesetzlichen Rentenversicherung gemäß § 43 Abs. 1 VersAusglG – der unmittelbaren Bewertung nach § 39 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 VersAusglG.

Während sich die Anrechte aus der gesetzlichen Rentenversicherung nach persönlichen Entgeltpunkten und aktuellem Rentenwert richten (§§ 63, 66, 68 SGB VI), bemessen sich die bei der Beteiligten bestehenden Anrechte nach Leistungszahlen und Punktewerten (§ 28 der Satzung des Versorgungswerks). Der Bundesgerichtshof hat bereits im Jahr 2005 (also noch zum alten Recht) entschieden, dass wegen dieser strukturellen Gemeinsamkeiten zwischen den jeweiligen Systemen die bei der Beteiligten erworbenen Versorgungsanrechte nach den Grundsätzen der gesetzlichen Rentenversicherung zu bemessen sind1.

Die Berücksichtigung eines Abschlags für das nach der Ehezeit in Anspruch genommene vorzeitige Altersruhegeld kommt nicht in Betracht.

Schon nach altem Recht schloss § 1587 a Abs. 2 Nr. 2 BGB für die gesetzliche Rentenversicherung eine Berücksichtigung des Abschlags aus. Danach war bei Renten oder Rentenanwartschaften aus der gesetzlichen Rentenversicherung der Betrag zugrunde zu legen, der sich am Ende der Ehezeit aus den auf die Ehezeit entfallenden Entgeltpunkten ohne Berücksichtigung des Zugangsfaktors als Vollrente wegen Alters ergäbe. Der Zugangsfaktor sah gemäß § 77 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a SGB VI bei vorzeitiger Inanspruchnahme der Altersrente in der gesetzlichen Rentenversicherung für jeden Kalendermonat einen Abschlag von „0,003 niedriger als 1,0“ vor. Die Regelung des § 1587 a Abs. 2 Nr. 2 BGB, die nunmehr von § 109 Abs. 6 SGB XI fortgeschrieben wird, hat der Bundesgerichtshof im Wesentlichen bestätigt2. Nur für die Fälle, in denen der Ausgleichspflichtige bereits während der Ehezeit vorzeitiges Altersruhegeld bezogen hat, hat der Bundesgerichtshof hiervon Ausnahmen zugelassen3.

Weiterlesen:
Abflachtungsbetrag und der Versorgungsausgleich

Ferner hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass § 1587 a Abs. 2 Nr. 2 BGB, wonach das gesetzliche Rentenanrecht aus der ungekürzten Altersrente zu bewerten sei, Ausdruck eines allgemeinen Bewertungsprinzips sei, das ebenso für die Bewertung anderer Versorgungsanrechte gelte4. Die erst nach dem Ehezeitende getroffene Entscheidung des Ausgleichspflichtigen, die vorgezogene Altersrente unter Inkaufnahme eines Versorgungsabschlags in Anspruch zu nehmen, habe zur Ehezeit keinen unmittelbaren Bezug mehr und müsse daher bei der Bewertung des Rentenanrechts außer Betracht bleiben5.

Diese Maßstäbe gelten auch für das neue Recht.

Dies ergibt sich bereits aus § 109 Abs. 3 SGB VI, der nach dem oben Gesagten auf die von der Beteiligten gewährten Versorgungsanrechte entsprechend anzuwenden ist. Danach errechnen sich die gemäß § 39 VersAusglG zu ermittelnden Entgeltpunkte aus der Berechnung einer Vollrente wegen Erreichens der Regelaltersgrenze6.

Dem steht § 5 Abs. 2 VersAusglG nicht entgegen. Dessen Satz 1 besagt, maßgeblicher Zeitpunkt für die Bewertung ist das Ende der Ehezeit. Nach Satz 2 sind rechtliche oder tatsächliche Veränderungen nach dem Ende der Ehezeit, die auf den Ehezeitanteil zurückwirken, zu berücksichtigen.

Bei dem nach Ende der Ehezeit aufgenommenen Bezug eines vorzeitigen Altersruhegeldes und der damit einhergehenden Reduzierung der ursprünglichen Rentenanwartschaft handelt es sich weder um eine rechtliche noch um eine tatsächliche Veränderung im Sinne des § 5 Abs. 2 Satz 2 VersAusglG.

Weiterlesen:
Ausgleichszahlung - zur Abfindung des Versorgungsausgleichs

Die Norm eröffnet die Möglichkeit, nachehezeitliche Veränderungen auch bereits bis zur letzten Tatsachenentscheidung im Erstverfahren zu berücksichtigen7. Nicht zu berücksichtigen sind danach jedoch nachehezeitliche Veränderungen, die keinen Bezug zur Ehezeit haben8. Eine Berücksichtigung solcher individueller, nachehelicher Umstände würde nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die sich der Gesetzgeber im Rahmen des Gesetzes zur Strukturreform des Versorgungsausgleichs ausdrücklich zu Eigen gemacht hat8, gegen das Stichtagsprinzip des § 5 Abs. 2 Satz 1 VersAusglG verstoßen7. Demgemäß ist in der Gesetzesbegründung zum Gesetz über den Versorgungsausgleich ausdrücklich ausgeführt, dass bei einer nach Ehezeit getroffenen Entscheidung für den vorzeitigen Ruhestand die Abschläge schon deshalb außer Betracht bleiben müssten, weil insoweit der Bezug zur Ehezeit fehle9.

Die Ansicht, bei dem Abschlag handele es sich um eine tatsächliche Veränderung, die die Ausgleichsberechtigte auch im Falle einer intakten und fortgeführten Ehe bei einer vorzeitigen Versetzung in den Ruhestand des Antragstellers mitzutragen gehabt hätte, verkennt, dass sie in diesem Fall auch an der Rentenzahlung partizipiert hätte10.

Auch erfordert es der Halbteilungsgrundsatz nicht, den auf einer individuellen nachehezeitlichen Entscheidung des Antragstellers beruhenden Versorgungsabschlag zu berücksichtigen11. Der Umstand, dass dem Antragsteller nach durchgeführtem Versorgungsausgleich bezogen auf den Ehezeitanteil weniger verbleibt als der ausgleichsberechtigten Antragsgegnerin, beruht auf seinem Entschluss, bereits im Alter von 62 Jahren vorgezogenes Altersruhegeld in Anspruch zu nehmen und damit in den Genuss eines verlängerten Rentenbezugs zu kommen.

Weiterlesen:
Gemeinsames Adoptionsrecht bei eingetragenen Lebenspartnerschaften

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 7. März 2012 – XII ZB 599/10

  1. BGH, Beschluss vom 22.06.2005 – XII ZB 117/03, FamRZ 2005, 1455[]
  2. BGH, Beschluss vom 22.06.2005 XII ZB 117/03, FamRZ 2005, 1455, 1457[]
  3. BGH, Beschluss vom 22.06.2005 – XII ZB 117/03, FamRZ 2005, 1455, 1457[]
  4. BGH, Beschlüsse vom 14.12.2011 – XII ZB 23/08; und vom 18.05.2011 – XII ZB 127/08, FamRZ 2011, 1214 Rn. 14; s. auch BGH, Beschluss vom 22.06.2005 – XII ZB 117/03, FamRZ 2005, 1455, 1458[]
  5. BGH, Beschlüsse vom 14.12.2011 – XII ZB 23/08 – zur Veröffentlichung bestimmt und vom 18.05.2011 – XII ZB 127/08, FamRZ 2011, 1214 Rn. 15[]
  6. s. auch MünchKomm-BGB/Weber 5. Aufl. § 43 VersAusglG Rn. 23 f.; Hauß/Eulering Versorgungsausgleich und Verfahren in der Praxis Rn. 484 und Norpoth in Erman BGB 13. Aufl. § 5 VersAusglG Rn. 10[]
  7. BGH, Beschluss vom 18.01.2012 – XII ZB 696/10[][]
  8. BT-Drucks. 16/10144 S. 49[][]
  9. BT-Drucks. 16/10144 S. 80 zu § 41 VersAusglG[]
  10. vgl. BGH, Beschluss vom 18.05.2011 – XII ZB 127/08, FamRZ 2011, 1214 Rn. 15[]
  11. vgl. BGH, Beschluss vom 14.12.2011 – XII ZB 23/08[]